OGH vom 28.04.2015, 8ObA34/15f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Matthias Schachner in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** C*****, vertreten durch Teicht Jöchl Rechtsanwälte Kommandit Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei MMag. Dr. Georg Unger, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 50, als Insolvenzverwalter im Konkurs der S***** GmbH, wegen 2.025,60 EUR sA (Revisionsinteresse), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 1/15s 20, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird gemäß § 2 ASGG,§ 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Unterlassung der Parteienvernehmung einer im gesamten Verfahren anwaltlich vertretenen Prozesspartei bewirkt keine Nichtigkeit, sondern je nach den Umständen des Einzelfalls wie die Unterlassung anderer Beweisaufnahmen nur einen einfachen Verfahrensmangel (RIS Justiz RS0107383).
Das rechtliche Gehör wird in einem Zivilverfahren nur verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde, oder wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (RIS Justiz RS0005915).
Hat das Berufungsgericht, wie hier, die behaupteten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens inhaltlich geprüft und verneint, können diese im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0044273 [T3]; RS0042963; RS0106371).
2. Der erkennende Senat sieht auch keinen Anlass, der Anregung des Revisionswerbers auf Einleitung einer Prüfung des § 93 Abs 1 letzter Satz ZPO idF des BudgetbegleitG 2009 durch den Verfassungsgerichtshof näherzutreten.
2.1. Hat eine Partei für einen Rechtsstreit Prozessvollmacht erteilt, so haben bis zur Aufhebung der Prozessvollmacht nach § 93 Abs 1 ZPO alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Prozessbevollmächtigten zu geschehen. Dies umfasst auch Ladungen der Partei zu ihrer Einvernahme.
Diese Regelung verfolgt den Zweck, Zustellanstände aller Art und dadurch bedingte Verfahrensverzögerungen zu vermeiden. Dem üblicherweise leichter erreichbaren Vertreter, der während des Verfahrens ohnedies engen Kontakt mit der Partei halten muss, ist es möglich, diese auch auf informellen Wegen zu kontaktieren (vgl die ErläutRV 962 BlgNR 21. GP 37 zur Vorgängerbestimmung in § 371 Abs 2 ZPO idF Art II Z 53 ZVN 2002; Spenling in Fasching/Konecny ² § 371 ZPO Rz 21).
Das Gericht ist nach § 93 Abs 1 ZPO („haben zu geschehen“) verpflichtet, die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten vorzunehmen; mit dem Vollzug dieser Zustellung ist die Partei ordnungsgemäß geladen. Die Wirksamkeit der Ladung ist nicht davon abhängig, dass der Bevollmächtigte der Partei das Ladungsformular tatsächlich ausfolgt oder sie auf andere geeignete Weise von der Ladung und ihren Rechtsfolgen verständigt (vgl Spenling in Fasching/Konecny ² § 371 ZPO Rz 21), genauso wie es auch sonst dem Bevollmächtigten obliegt, die Partei von der Zustellung gerichtlicher Entscheidungen zu verständigen und über Rechtsfolgen bzw Rechtsmittel und -fristen aufzuklären. Auch dabei muss sich die Partei allfällige Versäumnisse ihres Vertreters zurechnen lassen.
2.2. Im Anlassfall behauptet der Revisionswerber gar nicht, dass seinem anwaltlichen Vertreter die Ladung zur Parteienvernehmung nicht zugestellt worden wäre. War aber die ordnungsgemäße Ladung des Klägers zu Handen des Klagevertreters ausgewiesen, hätte das Erstgericht entgegen den Revisionsausführungen auch dann keine Nachforschungspflicht getroffen, wenn der Klagevertreter überhaupt keine Begründung für das Fernbleiben seines Mandanten abgegeben hätte.
2.3. Die mit § 93 Abs 1 letzter Satz ZPO einhergehende Verlagerung von ursprünglich dem Gericht zugewiesen gesetzlichen Aufgaben an die Parteienvertreter wurde in der Literatur aus rechtspolitischer Sicht kritisch beurteilt (vgl Gitschthaler in Rechberger, ZPO 4 § 93 Rz 2). Diese Bedenken erstrecken sich aber nicht auf eine etwaige Beschneidung von prozessualen Rechten der Partei.
Die Revision vermag nicht zu begründen, weshalb eine direkte Postzustellung an die Partei in der Praxis eine höhere Gewähr dafür bieten sollte, dass sie von der Ladung und den Rechtsfolgen einer Säumnis Kenntnis erlangt, als eine Zustellung an ihren Vertreter. Eine Verständigung der Partei durch den Bevollmächtigten hat vielmehr den Vorteil, dass er sämtliche informellen Kommunikationsmittel des digitalen Zeitalters einsetzen und die Partei damit fast jederzeit und überall, auch bei Abwesenheit von der aktenkundigen Zustelladresse, erreichen kann.
2.4. Welche Auswirkungen es für die Würdigung des Verhaltens des Klägers iSd § 272 ZPO gehabt hätte, wenn sein Vertreter ihn für eine Mitteilung des Ladungstermins nicht erreichen hätte können, ist hier nicht zu prüfen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00034.15F.0428.000