OGH vom 26.11.2002, 10ObS24/02f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Mag. Harald Kaszanits (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Marianne P*****, Landwirtin, *****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1031 Wien, vertreten durch Dr. Christian Preschitz und Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 323/01h-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 16 Cgs 11/01s-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, dass es insgesamt wie folgt zu lauten hat:
"Der Anspruch der Klägerin gegenüber der beklagten Partei auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit besteht ab dem Grunde nach zu Recht.
Die Pension fällt mit diesem Tag für die Dauer der Weiterführung des bisherigen Betriebes weg.
Der beklagten Partei wird aufgetragen, der Klägerin ab dem Zeitpunkt der Aufgabe des bisherigen Betriebes bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung von 400 EUR monatlich jeweils am Monatsersten im Nachhinein zu erbringen. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit EUR 467,59 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten EUR 77,93 Umsatzsteuer), die mit EUR 485,68 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten EUR 80,95 Umsatzsteuer) und die mit EUR 333,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten EUR 55,52 Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei hat mit Bescheid vom den Antrag der am geborenen Klägerin vom auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit zum Stichtag mit der Begründung abgelehnt, § 122c BSVG sei gemäß § 273 Abs 2 BSVG idF des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes (SVÄG) 2000, BGBl I Nr 43/2000) mit Ablauf des außer Kraft getreten, sodass ein Leistungsanspruch zum Stichtag nicht mehr festgestellt werden könne.
Gegen diesen Bescheid erhob die anwaltlich vertretene Klägerin Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab . In der Streitverhandlung vom wurde von den Parteien außer Streit gestellt, dass die Klägerin die Erwerbstätigkeit noch nicht aufgegeben hat. Die klagende Partei änderte das Klagebegehren dahin, dass sie "eine vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab dem der Betriebsaufgabe folgenden Tag" begehrte.
Das Erstgericht wies mit Urteil vom das Klagebegehren ab. Ausführungen dazu, ob § 122c BSVG aufgrund der Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG auf die Klägerin weiterhin anzuwenden sei, könnten unterbleiben, da die Klägerin die Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nicht mehr zu einem bestimmen Stichtag begehrt habe, sodass es nicht möglich sei, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der begehrten Leistung zu einem bestimmten Stichtag zu prüfen; das Klagebegehren müsse daher aus diesem Grund abgewiesen werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Klagebegehren ab als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt und ausgesprochen wurde, dass die Pension mit für die Dauer der Ausübung einer Erwerbstätigkeit wegfällt, die das Entstehen eines Anspruchs gemäß § 122 Abs 1 Z 4 BSVG ausschließt.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, dass das Gericht seine Entscheidung nur dann auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützen könne, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten habe, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben habe. Das Erstgericht habe es aber zu Unrecht unterlassen, im Rahmen des § 182 ZPO einen Aufschluss über den mit der fraglichen Formulierung des Klagebegehrens tatsächlich verfolgten Parteiwillen zu verlangen. Der dadurch dem Verfahren erster Instanz anhaftende Mangel sei zwischenzeitig aber durch die Äußerungsmöglichkeit der Klägerin in ihrer Berufungsschrift beseitigt worden. Die darin enthaltene Aufklärung ermögliche im Zusammenhalt mit einer entsprechenden Verbesserung des Klagebegehrens eine sofortige Sachentscheidung.
§ 255 Abs 21 BSVG sei ungeachtet des SVÄG 2000 in Kraft geblieben. Daraus folge, dass der Klägerin weiterhin der § 122c BSVG zugute komme. Die Klägerin erfülle unstrittig die medizinischen und sonstigen Anspruchsvoraussetzungen des § 122 BSVG in der vor dem geltenden Fassung, weil sie am das 50. Lebensjahr und zum Stichtag das 55. Lebensjahr vollendet habe. Das Erfordernis der Erfüllung der Wartezeit (§ 111 BSVG in der am geltenden Fassung) sowie das Vorliegen von 72 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung innerhalb der letzten 180 Kalendermonate (§ 122c Abs 1 Z 2 BSVG) sei schlüssig zugestanden. Schließlich stehe außer Streit, dass eine Betriebsaufgabe mit nicht erfolgt sei. Die Aufgabe der die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung (§ 122c Abs 2 iVm § 122 Abs 1 Z 4 BSVG) sei allerdings keine Voraussetzung für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit; diese Frage sei von der Frage des Wegfalls der Leistung zu trennen. Werde vom Versicherten demnach zum Stichtag eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und daraus ein Erwerbseinkommen erzielt, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sei gleichzeitig mit der Zuerkennung der Pension deren Wegfall auszusprechen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die beklagte Partei vertritt in ihren Rechtsmittelausführungen den Standpunkt, die im erstinstanzlichen Verfahren qualifiziert vertretene Klägerin habe durch die Rechtsansicht des Erstgerichts infolge der von ihr vorgenommenen Klagsänderung nicht überrascht werden können. Die Verfassung einer schlüssigen Klage sei keinesfalls Aufgabe des zur Anleitung verpflichteten Gerichts, sondern Sache der Partei.
Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass das Erstgericht verpflichtet gewesen wäre, auch bei qualifizierter Vertretung der Klägerin einen Aufschluss über das mit der geänderten Klage verfolgte Begehren zu verlangen anstatt das Begehren sogleich aus formalen Gründen abzuweisen. Der dem erstinstanzlichen Verfahren anhaftende Mangel wurde durch die von der Klägerin in ihrer Berufungsschrift abgegebene Aufklärung (samt entsprechender Verbesserung des Klagebegehrens) beseitigt.
Damit stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des § 122c iVm § 111 BSVG in der am geltenden Fassung auf die Klägerin. Entsprechend den Ausführungen des Berufungsgerichts ist die Aufgabe der die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung (§ 122c Abs 2 iVm § 122 Abs 1 Z 4 BSVG) keine Voraussetzung für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit und von der Frage des Wegfalls der Leistung zu trennen (SSV-NF 12/53; RIS-Justiz RS0109683). Wird vom Versicherten zum Stichtag eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und daraus ein Erwerbseinkommen erzielt, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, ist gleichzeitig mit der Zuerkennung der Pension deren Wegfall auszusprechen (SSV-NF 9/28). Wie der erkennende Senat bereits in den Entscheidungen 10 ObS 219/01f und 10 ObS 220/01b vom sowie in weiteren Entscheidungen in vergleichbaren Fällen (vgl die Judikaturnachweise in RIS-Justiz RS011590) näher begründet hat, ist die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG trotz der mit erfolgten Aufhebung des § 122c BSVG durch § 274 Abs 2 BSVG idF SVÄG 2000, BGBl I Nr 43/2000, vorerst weiterhin in Geltung geblieben. Erst durch § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle, BGBl I Nr 101/2001, kundgemacht am , wurde § 255 Abs 21 BSVG rückwirkend mit Ablauf des aufgehoben. Da diese Rechtsänderung im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen ist, der erkennende Senat jedoch gegen diese rückwirkende Aufhebung verfassungsrechtliche Bedenken hatte, stellte er im gegenständlichen Verfahren mit Beschluss vom beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle (BGBl I Nr 101/2001) als verfassungswidrig aufzuheben. Mit dem auch andere Aufhebungsanträge erledigenden Erkenntnis vom , G 42/02 ua, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Wortfolge "rückwirkend mit Ablauf des " in § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle, BGBl I Nr 101/2001, als verfassungswidrig aufgehoben wird und die aufgehobene Bestimmung unter anderem auch im gegenständlichen Verfahren nicht mehr anzuwenden ist. Der Verfassungsgerichtshof erkannte in seiner Begründung die gegen die Rückwirkung der Aufhebung vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken für berechtigt.
Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes war das unterbrochene Revisionsverfahren von Amtswegen fortzusetzen. Auf Grund dieses Erkenntnisses steht fest, dass für die Klägerin zu dem im vorliegenden Verfahren maßgebenden Stichtag die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG noch in Geltung stand und damit eine taugliche Rechtsgrundlage für den von ihr geltend gemachten Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit bildet. Das Berufungsgericht hat dargelegt, dass auf die Klägerin die Voraussetzungen der Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG zutreffen, dass aber im Hinblick auf die zum Stichtag noch nicht erfolgte Betriebsaufgabe gleichzeitig mit der Zuerkennung der Pension deren Wegfall auszusprechen ist.
Gemäß § 89 Abs 2 ASGG ist dem beklagten Versicherungsträger eine ab der Aufgabe der den Wegfall der Pension begründenden Erwerbstätigkeit zu leistende vorläufige Zahlung aufzutragen, deren Höhe unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO auszumessen ist. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.