OGH vom 16.11.2010, 14Os137/10v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Koller als Schriftführer in der Strafsache gegen Aleksandar M***** wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom , GZ 46 Hv 18/09h 9, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Aleksandar M***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe „am in St. Egyden am Steinfelde die Silvia C***** durch gefährliche Drohung, nämlich durch die Ankündigung, ansonsten ihren Freund Patrick S***** umzubringen, zum Aufladen eines Gesprächsguthabens von 20,-- Euro auf das von ihm benutzte Mobiltelefon, sohin zu einer Handlung genötigt, die die Genannte am Vermögen schädigte, wobei er mit dem Vorsatz handelte, durch das Verhalten der Genötigten sich unrechtmäßig zu bereichern, und die Erpressung beging, indem er mit dem Tod drohte“, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Der aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt keine Berechtigung zu.
Die Tatrichter haben sich mit den Aussagen des Angeklagten sowie der Zeugen Denis P***** und Patrick S***** auseinandergesetzt und eingehend erörtert, weshalb sie die Verantwortung des Angeklagten als nicht widerlegbar erachteten (US 4 f). Dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend waren sie dabei nicht verpflichtet, sich mit sämtlichen Aussagedetails (hier zur Frage der Weiter und Rückgabe des Mobiltelefons) auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0098377), sodass der Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Leere geht.
Mit den spekulativen Überlegungen, wonach „die Zeugen S***** und P***** … ein auf der Hand liegendes Motiv haben, den Angeklagten aus Angst, sonst unzumutbaren Repressalien ausgesetzt zu sein nicht durch eine wahrheitsgemäße Aussage zu reizen ...“, und „die erstgerichtliche Urteilsbegründung völlig im Dunkeln“ lasse, „welches Motiv die … Zeugin C***** für eine Falschbelastung haben sollte“, wendet sich die Rüge ohne zudem an der Gesamtheit der auch die Umstände, dass Anhaltspunkte für ein zwischen den Zeugen P***** und C***** am Tattag geführtes Telefongespräch bestünden, (US 4) und, dass „das aufgeladene Guthaben vor allem dem Besitzer des Handys, dem Zeugen P***** zugute gekommen wäre“ (US 5), berücksichtigenden Entscheidungsgründe Maß zu nehmen (RIS Justiz RS0119370, RS0116504) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.
Entgegen dem aus Z 5 vierter Fall erhobenen Einwand hat das Erstgericht gerade nicht („erkennbar“) den Schluss gezogen, der Zeuge S***** habe den Angeklagten „in seiner Aussage in der Justizanstalt wahrheitswidrig“ belastet. Vielmehr sprachen die Tatrichter im Hinblick auf dessen widersprüchliches Aussageverhalten im Zusammenhang mit einem angeblich ihm gegenüber abgegebenen Eingeständnis des Angeklagten im Ordnungsstrafverfahren (ON 2 S 9) und in der Hauptverhandlung (ON 8 S 95 und 105) sowie den in der Hauptverhandlung hinterlassenen persönlichen Eindruck seiner gesamten Aussage Glaubwürdigkeit ab (US 4 f), was unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist. Dass aus diesen Verfahrensergebnissen auch andere Schlüsse gezogen werden könnten, stellt den angezogenen Nichtigkeitsgrund der Beschwerde zuwider nicht her (RIS Justiz RS0099455).
Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nur vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS Justiz RS0099431). Der die Aktenwidrigkeit betreffende dritte Teilsatz der Z 5 stellt, anders als die beiden anderen, nicht auf den Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende, also unmittelbar für die Unterstellung des Sachverhalts unter das Gesetz relevante Tatsachen als Bezugspunkt ab. Er verlangt aber, dass der Widerspruch zum Urkunden oder Protokollinhalt erheblich ist. Dafür ist wiederum nicht die Abweichung an sich von Bedeutung, sondern deren Bedeutung für die Beweiswürdigung. Diese aber geschieht zur Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen der entscheidenden Tatsachen. Erheblich ist daher ein Widerspruch dann, wenn er, auf derselben Ebene gelegen, erörterungsbedürftig iSd zweiten Falls der Z 5 wäre, sich also auf die Feststellung über entscheidende Tatsachen auswirken kann ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 466). Eine solche Erheblichkeit liegt aber bei der Frage, ob Widersprüche, welche die Tatrichter in der Aussage der Zeugin Regina C***** erblickten, über Vorhalte oder ohne solche entstanden, nicht vor.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
Bleibt anzumerken, dass in der gegenständlichen Strafsache die Hauptverhandlung am durchgeführt und das Urteil am selben Tag verkündet wurde, wobei das erkennende Gericht aus zwei Richtern und zwei Schöffen zusammengesetzt war (ON 8 S 1). Mit dem am kundgemachten Budgetbegleitgesetz BGBl I 2009/52 wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem Richter und zwei Schöffen besteht, sodass das Erstgericht von der Staatsanwaltschaft ungerügt nicht gehörig besetzt war ( Jerabek , WK StPO § 514 Rz 9; RIS Justiz RS0125534).