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VfGH vom 25.11.1983, B350/82

VfGH vom 25.11.1983, B350/82

Sammlungsnummer

9860

Leitsatz

Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit; gesetzliche Deckung der Festnehmung und anschließenden Verwahrung durch §§35 litc und 36 VStG 1950; vertretbare Annahme der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs 1 Z 1 EGVG 1950

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. P A begehrt in seiner unter Berufung auf Art 144 Abs 1 B-VG an den VfGH gerichteten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch (der Bundespolizeidirektion Villach als bel. Beh. zuzurechnende) Amtshandlungen, nämlich seine Festnahme am in Villach und seinedarauffolgende Verwahrung, demnach durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG sowie Art 5 MRK) verletzt worden sei.

1.1.2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - Bundespolizeidirektion Villach als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

1.2. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß der Bf. am , 20.25 Uhr, in der Vorhalle des Kongreßhauses in Villach, Europaplatz, als er eine Konzertveranstaltung besuchen wollte, von dem dort Dienst versehenden Bezirksinspektor Johann E ua. wegen des Verdachtes der Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs 1 Z 1 EGVG 1950 idF des ArtI Z 8 des BGBl. Nr. 232/1977 gemäß § 35 litc VStG 1950 festgenommen wurde. Weiters ergeben die Akten, daß die Bundespolizeidirektion Villach über den Bf. mit dem - bereits in Rechtskraft erwachsenen - mündlich verkündeten Straferkenntnis vom , St-3387/82, wegen der eingangs genannten (und einer anderen) Verwaltungsübertretung Geldstrafen von je 900 S, im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von zusammen zehn Tagen Arrest, verhängte und den Betroffenen daraufhin, und zwar um 15.30 Uhr des , sogleich aus der Haft entließ.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art 144 Abs 1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. Nr. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbar verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. Nr. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung einer Person zutrifft (VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977).

2.1.2. Demgemäß ist die Beschwerde, da ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, in vollem Umfang zulässig.

2.2.1. Art 8 StGG gewährt - ebenso wie Art 5 MRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958 ua.):

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. Nr. 87/1862, das gemäß Art 8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. Nr. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art 149 Abs 1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem § 4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974).

Gemäß § 35 litc VStG 1950 ist eine Festnahme unter den schon umschriebenen Voraussetzungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann statthaft, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

2.2.2.1. Demgemäß war zunächst zu prüfen, ob das hier einschreitende Sicherheitsorgan mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen konnte, daß der Bf. sich die Übertretung nach ArtIX Abs 1 Z 1 EGVG 1950 idF der Nov. BGBl. Nr. 232/1977 zuschulden kommen ließ (s. Punkt 1.2.).

2.2.2.2. Nach ArtIX Abs 1 Z 1 EGVG 1950 in geltender Fassung begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört.

Das Tatbild dieser Verwaltungsübertretung ist nach der Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 8145/1977, 8146/1977, 8580/1979) und des VwGH (VwSlg. 2263 A/1951, 6581 A/1965, 7815 A/1970) durch zwei Elemente gekennzeichnet: Der Täter muß einmal ein Verhalten zeigen, das geeignet ist, bei einem normal empfindenden Menschen Ärgernis zu erregen; zum zweiten muß durch dieses Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört, also ein Zustand hergestellt worden sein, welcher der Ordnung widerspricht, wie sie an einem öffentlichen Ort gefordert werden muß.

2.2.3.1. Dazu stellt der VfGH aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens als erwiesen fest, daß der Bf. am vor dem Villacher Kongreßhaus, nachdem er Anweisungen des Kontrollpersonals zuwidergehandelt und auf solche Weise Unmutsäußerungen mehrerer Konzertbesucher ausgelöst hatte, polizeilich in ruhigem Ton belehrt wurde: Als der ersichtlich unter Alkoholeinfluß stehende Bf. in der Folge, heftig gestikulierend, mit lallender Stimme unherschrie, lautstark schimpfte und dabei (auch) Einlaßsuchende abdrängte, wurde er von dem dort dienstversehenden Bezirksinspektor J E mehrmals abgemahnt; dies jedoch erfolglos; denn der Bf. fuhr ungeachtet der Abmahnungen in seinem randalierenden Verhalten fort. Daraufhin wurde seine Festnahme ausgesprochen.

2.2.3.2. Diese Sachverhaltsfestellungen zum Tathergang stützen sich in erster Linie auf die unbedenkliche Aussage des als Zeugen einvernommenen Bezirksinspektors J E. Damit wurde die abweichende Aussage des als Partei gehörten Bf. widerlegt, der jedes Lärmen bestritt, aber im Zeitpunkt der Amtshandlung in seiner Wahrnehmungsfähigkeit durch Alkoholgenuß beeinträchtigt und - wie insbesondere der Zeuge Bezirksinspektor R W glaubhaft bekundete - erst am mittags ausgenüchtert war. In diesem Zusammenhang mußte mit in Betracht gezogen werden, daß der in der Beschwerdeschrift angeführte Zeuge O H die entscheidenden Vorgänge gar nicht zu beobachten vermochte, jedoch immerhin aussagte, der Bf. habe damals im Umgang mit Veranstaltungsordnern einen aggressiven Eindruck erweckt.

2.2.4. Angesichts dieser Sach- und Beweislage durfte der Zeuge J E mit gutem Grund annehmen, daß der Bf. eine Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs 1 Z 1 EGVG 1950 idF der Nov. BGBl. Nr. 232/1977 begangen habe. War aber die Beurteilung des Verhaltens des Bf. als Verwaltungsübertretung vertretbar und lag - wie hier - infolge Betretung auf frischer Tat und Tatwiederholung trotz Abmahnung der Festnehmungsgrund des § 35 litc VStG 1950 vor, entsprach die bekämpfte Festnehmung dem Gesetz.

2.2.5. Unter den obwaltenden Umständen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Grund für die anschließende verwaltungsbehördliche Verwahrung des Bf. schon vor dem Zeitpunkt der Entlassung aus der Haft entfallen wäre.

Gemäß § 36 Abs 1 VStG 1950 hat die Behörde den (übernommenen) Festgenommenen sofort, spätestens aber binnen vierundzwanzig Stunden nach der Übernahme zu vernehmen. Vorliegend konnten die Vernehmung und die (Straf-)Verhandlung allein deshalb erst nach der Mittagszeit des stattfinden, weil der Beschuldigte bis dahin infolge seiner Alkoholisierung vernehmungsunfähig war, sodaß von einer ungerechtfertigten Verfahrensverzögerung nicht die Rede ist.

2.2.6. Demgemäß wurde der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

2.3. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde - da die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte weder behauptet wurde noch im Verfahren hervorkam und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den bekämpften Verwaltungsakten zugrunde liegenden Rechtsvorschriften nicht entstanden - als unbegründet abzuweisen.