OGH vom 17.07.2008, 12Os90/08i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Lässig, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Esad M***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom , GZ 1 U 13/05z-17, sowie einen weiteren Vorgang nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Esad M***** zu Recht erkannt:
Spruch
Im Strafverfahren AZ 1 U 13/05z des Bezirksgerichts Güssing verletzen
1. das Urteil vom im Schuldspruch des Esad M***** wegen des Vergehens der Verletzung des Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB in Ansehung der Tatzeiträume Jänner 2004 bis , Juli und August 2004 sowie Jänner 2005 bis September 2005 die Bestimmung des § 198 Abs 1 StGB und hinsichtlich des Zeitraums Jänner 2005 bis den in §§ 451 Abs 1 letzter Satz, 454 und 459 StPO aF zum Ausdruck gebrachten Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK;
2. die Unterlassung der Aufnahme des Spruchs des am verkündeten Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 und Z 2 StPO bezeichneten Angaben in das Hauptverhandlungsprotokoll die Bestimmungen der §§ 458 Abs 5 iVm 271 Abs 1 Z 7 StPO. Das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird in den die Zeiträume Jänner 2004 bis , Juli und August 2004 sowie Jänner 2005 bis betreffenden Teilen des Schuldspruchs und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache an das Bezirksgericht Güssing zu neuer Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang verwiesen.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren AZ 1 U 13/05z des Bezirksgerichts Güssing wurde Esad M***** mit Antrag auf Bestrafung der Staatsanwaltschaft Eisenstadt vom (ON 5) das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB betreffend den Zeitraum Jänner 2004 bis Jänner 2005 zur Last gelegt.
In der gemäß § 459 StPO aF in Abwesenheit des - ordnungsgemäß geladenen (S 100) - Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung vom wurde der Tatzeitraum vom Bezirksanwalt bis zum Tag der Hauptverhandlung ausgedehnt (S 101) und Esad M***** im Sinne des ausgedehnten Bestrafungsantrags mit Abwesenheitsurteil schuldig erkannt (ON 17).
Auch zum Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über das angemeldete, aber nicht ausgeführte Rechtsmittel erschien der Angeklagte trotz gesetzmäßiger Ladung (S 114) nicht. Mit Urteil vom , AZ 10 Bl 3/06f, gab das Landesgericht Eisenstadt der Berufung nicht Folge (ON 21).
Rechtliche Beurteilung
Diese Vorgänge stehen - wie die Generalprokuratur in der von ihr erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach den Annahmen des Urteils erster Instanz war Esad M***** seit als Maler beschäftigt und bezog ein Einkommen von 1.150 EUR monatlich (S 107). Konstatierungen über seine - nach dem Akteninhalt zumindest hinsichtlich der vollen Unterhaltshöhe fragliche (S 27) - Leistungsfähigkeit für den Zeitraum Jänner 2004 bis wurden nicht getroffen.
Weiters stellte das Erstgericht fest, Esad M***** habe nur im Juli und August 2004 Teilzahlungen an Unterhalt geleistet und von Jänner 2005 bis September 2005 pro Kind insgesamt 1.125,84 EUR bezahlt (S 107). Ob diese Zahlungen - gegebenenfalls unter Angabe eines Zahlungszwecks - freiwillig oder erst im Exekutionswege geleistet wurden (siehe S 27 und 95), lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Damit fehlt es einerseits - hinsichtlich des Zeitraums Jänner 2004 bis - an ausreichenden Konstatierungen zum (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (vgl Markel in WK2 § 198 [2007] Rz 49 ff; RIS-Justiz RS0095102) und andererseits an Feststellungen dazu, ob die geschuldeten Unterhaltsbeiträge für einzelne Monate durch die geleisteten Zahlungen abgedeckt worden sind. Allfällige freiwillige, ungewidmete Zahlungen sind nämlich auf die dem Schuldner beschwerlichste, demgemäß idR die mit Strafsanktion bewehrte Schuld anzurechnen (RIS-Justiz RS0033497). Kein Raum bleibt für die Anwendung dieser Zweifelsregel hingegen in Bezug auf Exekutionsverfahren, wo aufgrund eines Exekutionstitels eine exakt determinierte Forderung betrieben wird, also gerade kein Zweifel darüber besteht, welche Schuld die dabei realisierten Beträge tilgen sollen (12 Os 9/07a). Denkbar wäre allerdings die Beeinträchtigung der - durch entsprechende Konstatierungen zu klärenden - Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (hiezu Markel in WK2 § 198 Rz 7-14) durch anhängige Exekutionsverfahren.
Die im Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom getroffenen Feststellungen vermögen daher den auf § 198 Abs 1 StGB gegründeten Schuldspruch für die Zeit vom Jänner 2004 bis sowie für jene Tatzeiträume, in welchen Unterhaltsbeiträge tatsächlich hereingebracht wurden, nicht zu tragen. Ungeachtet dieser den Nichtigkeitsgrund nach § 468 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO begründenden (und vom Berufungsgericht trotz § 477 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO aF nicht wahrgenommenen) Rechtsmängel verletzt die Verurteilung Esad M*****s für den in der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit ausgedehnten Tatzeitraum den in §§ 451 Abs 1 letzter Satz, 454 und 459 StPO aF (nunmehr §§ 6, 451 Abs 1 letzter Satz 447 StPO und iVm § 427 Abs 1 StPO) zum Ausdruck gebrachten Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK, hatte er doch im Verfahren niemals Gelegenheit, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen (vgl RIS-Justiz RS0099130; RS0111828; ebenso SSt 61/54; Rainer, WK-StPO § 459 Rz 15). Dieser Mangel wurde weder durch die Zustellung des Abwesenheitsurteils an den Angeklagten saniert (S 16 im AV-Bogen), noch vom Berufungsgericht von Amts wegen aufgegriffen (vgl ON 21). Des Weiteren hat es das Erstgericht - unter Verletzung von § 458 Abs 5 StPO iVm § 271 Abs 1 Z 7 StPO - unterlassen (S 101), neben dem Strafausspruch (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) auch den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 und Z 2 StPO bezeichneten Angaben in das Protokoll über die Hauptverhandlung aufzunehmen (vgl 15 Os 41/07d). Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen geeignet sind, dem Verurteilten zum Nachteil zu gereichen, sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen und das Ersturteil im genannten Umfang aufzuheben. Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen sind damit - ohne dass auch deren Aufhebung erforderlich wäre - obsolet (vgl RIS-Justiz RS0100444).
Fundstelle(n):
ZAAAD-96862