OGH vom 29.01.2014, 9ObA139/13a

OGH vom 29.01.2014, 9ObA139/13a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Johann Schneller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch Dr. Thomas Obholzer, Rechtsanwalt in Hall/Tirol, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Hohenauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 13.049,73 EUR sA (Revisionsinteresse), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 27/13p-28, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Begehren der klagenden Partei, die beklagte Partei sei schuldig, ihr 13.049,73 EUR samt 8 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit zu bezahlen und ihr die Prozesskosten zu ersetzen, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.334,78 EUR (darin 389,13 EUR USt) bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens, die mit 3.266,62 EUR (darin 1.036 EUR Barauslagen, 371,77 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.134,44 EUR (darin 1.296 EUR Barauslagen, 139,74 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, die bei der Beklagten vom bis als Agentin und Wirtschaftsberaterin tätig war, erwirtschaftete im Jahr 2008 unter Berücksichtigung von Vertragsstornierungen mehr als 2.000, nicht aber 3.000 für den Anspruch auf eine 100%ige Mandantenbonifikation maßgebliche Einheiten. Im April 2009 beschloss die Beklagte rückwirkend für das Jahr 2008, dass ein Agent dann, wenn er 2000 Einheiten erzielt, 50 % der Mandantenbonifikation bekommt. Die Regelung galt nur für jene Personen, die zum für die Beklagte tätig waren. Nach den Feststellungen des Erstgerichts gab es weder im Jahr 2005, in dem die Details zur Berechnung der Mandantenbonifikation festgelegt wurden, noch in den Jahren 2006, 2007 und 2008 eine vergleichbare 50 % Regelung.

Zwischen den Streitteilen behängt zu 42 Cga 164/10d des Erstgerichts ein (unterbrochenes) Verfahren, in dem die Beklagte von der Klägerin 15.652,17 EUR aus einem Negativsaldo ihres Verrechnungskontos einklagt.

Im vorliegenden Verfahren begehrte die Klägerin Rechnungslegung und in der Folge Zahlung einer Mandantenbonifikation für das Jahr 2008. Revisionsgegenständlich ist ihr Anspruch auf die von der Beklagten im April 2009 beschlossene 50%ige Mandantenbonifikation.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte zuletzt ein, dass aufgrund der Kündigung der Klägerin zum keine Vereinbarung über einen Anspruch auf eine 50%ige Mandantenbonifikation für das Produktionsjahr 2008 zustande gekommen sei. Aufrechnungshalber hielt sie der Klagsforderung auch die zu 42 Cga 164/10d des Erstgerichts eingeklagte Forderung entgegen.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit 13.049,83 EUR sowie die Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung als zu Recht bestehend fest und wies das Klagebegehren ab. Nach der Rechtsprechung (9 ObA 50/11k ua) sei eine Regelung, die den Anspruch eines Agenten auf Auszahlung einer Mandanten-Bonifikation für das vorangegangene Jahr an ein aufrechtes Vertragsverhältnis zum Auszahlungsstichtag im Folgejahr binde, sittenwidrig. Dies müsse auch für eine daran anknüpfende nachträgliche und rückwirkende Auslobung, die wiederum dieselbe Stichtagsregelung beinhalte, gelten. Der Klägerin stehe daher grundsätzlich ein Anspruch auf 13.049,83 EUR zu. Da sie jedoch „die Aufrechnung mit der im Verfahren 42 Cga 164/10d geltend gemachten Forderung der beklagten Partei in Höhe von 15.767,95 EUR“ erklärt habe, sei das Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile keine Folge und folgte der Rechtsansicht des Erstgerichts.

In ihrer dagegen gerichteten Revision , die der Klägerin am zugestellt wurde, beantragt die Beklagte die Abänderung der Vorentscheidungen im Sinne einer bereits auf der Annahme einer nicht zu Recht bestehenden Klagsforderung beruhenden Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer am eingebrachten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

I. Die Revisionsbeantwortung ist verfristet. § 222 ZPO findet in arbeitsrechtlichen Verfahren keine Anwendung (§ 39 Abs 4 ASGG).

II. Die Revision ist zulässig und berechtigt .

Die Beklagte bringt vor, dass die 50 %-Regel erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Klägerin in Kraft getreten sei, sodass sie anders als die klagenden Parteien anderer Entscheidungen (9 ObA 107/10s, 9 ObA 50/11k) dadurch in ihrer Möglichkeit, das Vertragsverhältnis zu beenden, nicht unsachlich geknebelt worden sein könne. Darin ist ihr zu folgen:

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 9 ObA 107/10s eine Stichtagsregelung, die den Anspruch des Agenten auf Auszahlung einer Mandantenbonifikation für das vorangegangene Jahr an ein aufrechtes Vertragsverhältnis zum Auszahlungsstichtag im Folgejahr bindet, als sittenwidrig und daher unzulässig erklärt. Das Sittenwidrigkeitsurteil wurde damit begründet, dass aufgrund der beanstandeten Vereinbarung bereits „erdientes“ Entgelt im Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses wieder wegfällt und der Handelsvertreter damit erheblich in seinen Möglichkeiten beeinträchtigt wird, das Vertragsverhältnis zu beenden. Dieses Ergebnis wurde in zahlreichen weiteren Entscheidungen bestätigt (9 ObA 50/11k mwN).

Dagegen wurde im vorliegenden Fall zwischen den Streitteilen vor Auflösung des Vertragsverhältnisses keine Vereinbarung getroffen, nach der der Klägerin ein Anspruch auf eine 50%ige Mandantenbonifikation unter der Voraussetzung zugestanden wäre, dass ihr Vertragsverhältnis zum Auszahlungsstichtag im Folgejahr aufrecht sei. Da sie insofern auch nicht davon ausgehen konnte, mit ihrer Tätigkeit im Jahr 2008 einen solchen Anspruch bereits „erdient“ zu haben, konnte die Verknüpfung einer 50%igen Bonifikation für das Jahr 2008 mit einem aufrechten Vertragsverhältnis zum Stichtag auf ihren Entschluss, das Vertragsverhältnis zum zu beenden, keinen Einfluss haben. Die die genannten Entscheidungen tragenden Erwägungen treffen auf die hier zu beurteilende Konstellation folglich nicht zu. Jedenfalls im Verhältnis zur Klägerin kann danach die Verknüpfung der rückwirkenden Zusage einer 50%igen Mandantenbonifikation mit einem zum Auszahlungsstichtag im Folgejahr aufrechten Dienstverhältnis nicht als sittenwidrig erachtet werden. Ob dies auch gilt, wenn die Beklagte diese Vorgangsweise regelmäßig wählt und dadurch Bonifikationserwartungen der Agenten weckt, ist hier nicht zu prüfen.

Da sich das Klagebegehren damit als nicht berechtigt erweist, ist der Revision der Beklagten Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen sind im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 41 ZPO und hinsichtlich der Rechtsmittelverfahren auf die §§ 41, 50 ZPO, wobei dem Schriftsatz der Beklagten vom (ON 3) ein Streitwert von 2.000 EUR zugrunde zu legen war, der Einheitssatz im Berufungsverfahren mit 150 % festgesetzt ist und die Pauschalgebühr im Revisionsverfahren 1.296 EUR beträgt.