OGH vom 18.11.2003, 14Os134/03
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dachsberger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Bljerim K***** und einen anderen Angeklagten wegen der teilweise im Entwicklungsstadium des Versuchs (§ 15 StGB) gebliebenen Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Bljerim K***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 8 Hv 54/03k-82, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bljerim K***** wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene, ihn betreffende Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Umfang der Schuldsprüche 2./, 3./, 5./, 6./ und 7./ in der rechtlichen Unterstellung der festgestellten Tatsachen auch unter § 28 Abs 3 erster Fall SMG, demgemäß auch im Bljerim K***** treffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung, nicht aber im Umfang der Entscheidung nach § 34 SMG) aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
II. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bljerim K***** zurückgewiesen.
III. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Bljerim K***** auf das kassatorische Erkenntnis verwiesen.
IV. Dem Angeklagten Bljerim K***** fallen auch die Kosten des ihn betreffenden Rechtsmittelverfahrens zur Last.
V. Die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Pashk S***** wird dem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung vorbehalten.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Bljerim K***** und Pashk S***** des teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) gebliebenen Verbrechens (richtig: der Verbrechen) nach § 28 Abs 2 (zu ergänzen: zweiter, dritter und vierter Fall) und Abs 3 (zu ergänzen: erster Fall) SMG schuldig erkannt.
Danach haben sie teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, (zu ergänzen: ausgeführt,) eingeführt und in Verkehr zu setzen versucht bzw in Verkehr gesetzt, indem
1./ Pashk S***** zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem (richtig: 2002) zumindest die zu Punkt 4./ dargestellten 3,1 g Kokain von Albanien über eine nicht näher bekannte Fahrtroute nach Österreich schmuggelte,
2./ Pashk S***** und Bljerim K***** im Dezember 2002 50 g Kokain, welches K***** zuvor bei einem nicht näher bekannten albanischen Staatsangehörigen in Italien gekauft hatte, nach Österreich schmuggelten,
3./ Pashk S***** und Bljerim K***** am 10./ insgesamt etwa 150 bis 200 g Kokain, welches K***** zuvor bei einer nicht näher bekannten Person in Mailand gekauft hatte, über den Autobahngrenzübergang Arnoldstein nach Österreich schmuggelten, 4./ Pashk S***** am in Wien zur Vorbereitung des unter 7./ geschilderten Suchtgiftgeschäftes einem verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres 3,1 g Kokain "zur Probe" übergab, 5./ Bljerim K***** am in Guntramsdorf ebenfalls zur Vorbereitung des unter 7./ geschilderten Suchtgiftgeschäftes einem verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres 0,7 g Kokain "zur Probe" übergab,
6./ Bljerim K***** alleine oder allenfalls im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Bekim G***** zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem (zu ergänzen: in Österreich) eine unbekannte Menge Kokain von bis zu 50 g zu einem unbekannten Preis an eine nicht näher bekannte Person verkaufte,
7./ Pashk S***** und Bljerim K***** am in Arnwiesen 198,5 g (163 +/- 2,6 g Reinsubstanz) Kokain zu einem Grammpreis von 60 Euro an einen verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres zu verkaufen versuchten.
Rechtliche Beurteilung
Der aus Z 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bljerim K***** kommt teilweise Berechtigung zu.
Durch die in der Verfahrensrüge (Z 4) bemängelte Abweisung des nicht weiter substanziierten Antrags auf chemische Untersuchung "der sichergestellten Suchtgifte" zwecks Ermittlung eines durchschnittlichen Reinheitsgrades des zu Punkt 7./ des Schuldspruchs inkriminierten Kokains (S 90 f/II) wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Denn im Beweisbegehren wurde nicht dargetan, weshalb - ausgehend von der Einlassung des Beschwerdeführers, wonach er zwei Kokainportionen unterschiedlicher Herkunft (die er gemäß seiner - vom Erstgericht allerdings nicht für glaubwürdig erachteten; vgl US 10 - Verantwortung in zwei Angriffen nach Österreich eingeführt hatte) miteinander vermengte und dieses (in zwei Päckchen abfüllte; US 9 und S 265/I) im Schuldspruch 7./ inkriminierte Suchtgift in Verkehr setzen wollte (S 64 f/II) - eine zweite Beprobung des sichergestellten Kokains ein anderes als das im (einverständlich verlesenen; vgl S 92/II) KTU-Gutachten (ON 37) zum Reinheitsgrad gewonnene Ergebnis bringen sollte. Da das Schöffengericht ohne Rücksicht auf das in den Schuldsprüchen 5./ und 6./ angelastete Inverkehrsetzen weiterer (im Reinheitsgrad nicht näher bestimmter) ca 50,7 g Kokain lediglich eine zehnfache Überschreitung der Grenzmenge iSd § 28 Abs 6 SMG annahm (US 16), die sich allein schon aus dem im Schuldspruch 7./ erfassten Quantum errechnet, ging es zugunsten des Angeklagten von einer lediglich zehnfachen Verwirklichung des Verbrechens nach § 28 Abs 2 SMG aus, sodass es der Einholung eines weiteren Gutachtens zum Reinheitsgrad des am verkauften, gleichfalls sichergestellten Kokains (Schuldspruch 5./) - ungeachtet des auch diesbezüglich vorliegenden, in der Hauptverhandlung vorgekommenen KTU-Gutachtens (S 86/II; nicht einjournalisierte Beilage) - nicht mehr bedurfte. Soweit der Beschwerdeführer in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) Feststellungen zur subjektiven Tatseite vermisst, ignoriert er die entsprechenden Urteilsannahmen (vgl US 5, 10 ff und 16 f). Insoweit bringt er die Nichtigkeitsbeschwerde, welche bei dem geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund ein striktes Festhalten an den Urteilskonstatierungen voraussetzt, nicht prozessordnungsgemäß zur Darstellung.
Die inhaltlich eine Unvollständigkeit vorbringende Mängelrüge (Z 5) ist allerdings im Recht. Die Begründung der Feststellung, der Angeklagte habe im Tatzeitraum (ungeachtet eines davor liegenden gelegentlichen Suchtgiftmissbrauchs) kein Kokain konsumiert und sei daher nicht an Suchtgift gewöhnt gewesen (US 12, 15), erschöpft sich im Hinweis, dass Bljerim K***** bei seiner (Erst-)Vernehmung durch die Sicherheitsbehörde keine Entzugserscheinungen aufwies (US 14 f), ferner in einer unsubstanziierten Bezugnahme auf die Einlassung des Mitangeklagten Pashk S***** (der trotz gemeinsamen Suchtgiftkonsums vermutete, Bljerim K***** sei nicht an Suchtgift gewöhnt gewesen; S 75/II) und in der pauschalen Behauptung, aus dem Beweisverfahren habe sich nicht ergeben, dass der Angeklagte "zum Tatzeitpunkt bis zur Verhaftung" Kokain konsumiert hätte (US 15). Demgegenüber lässt das erkennende Gericht sowohl die Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach er im gesamten Tatzeitraum Kokain konsumiert habe (S 61, 62, 64, 65 f, 69 f und 73/II) und vom Anstaltsarzt behandelt werde (S 90/II), als auch die einen mehrfachen Suchtgiftmissbrauch bestätigenden Aussagen des Mitangeklagten Pashk S***** (S 72, 75, 76/II) unerörtert.
Dass der Mitangeklagte Pashk S***** den Nichtigkeitswerber belastete, dieser hätte "das Suchtgiftgeschäft" durchgeführt, weil er Geld damit verdienen wollte (US 15, S 74/II), vermag zwar die Konstatierung der nach § 28 Abs 3 erster Satz erster Fall SMG vorausgesetzten gewerbsmäßigen Begehungsweise zu untermauern, schließt aber im Übrigen - entgegen der Auffassung des Erstgerichts - gerade nicht aus, dass Bljerim K***** - wie von ihm behauptet - an ein Suchtmittel gewöhnt war und die inkriminierten Taten vorwiegend deshalb beging, um sich für den eigenen Gebrauch ein Suchtmittel oder die Mittel zu dessen Erwerb zu verschaffen.
Im Hinblick darauf erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren gegen die Verneinung der Privilegierungsvoraussetzungen nach § 28 Abs 3 zweiter Satz SMG vorgebrachten Einwände in der Verfahrensrüge. Da somit die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war bei nichtöffentlicher Beratung der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde sofort teilweise Folge zu geben, das angefochtene, Bljerim K***** betreffende Urteil im Umfang der rechtlichen Unterstellung der festgestellten Tatsachen auch unter § 28 Abs 3 erster Fall SMG und damit auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen (§ 285e StPO).
Im Übrigen war die teils offenbar unbegründete, teils nicht gesetzesgemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bljerim K***** zurückzuweisen (§ 285d StPO).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Im neuen Rechtsgang wird das Erstgericht (entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung) zu beachten haben, dass dem Umstand, wonach es sich beim inkriminierten Kokain um eines der gefährlichsten Suchtgifte handelt, keine erschwerende Bedeutung zukommt. Die Bljerim K***** - ungeachtet einer allfälligen Annahme der Privilegierungsvoraussetzungen nach § 28 Abs 3 zweiter Satz SMG - zur Last liegenden, teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) gebliebenen Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall SMG setzen voraus, dass sich die angelasteten Tathandlungen auf ein die Grenzmenge überschreitendes Suchtmittelquantum beziehen. Die Untergrenze ("Grenzmenge") einer großen Menge legt gemäß § 28 Abs 6 SMG der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz und mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates für die einzelnen Suchtgifte in der Suchtgift-Grenzmengenverordnung (SGV - BGBl II 377/1997 idF BGBl II 145/2001) fest. Nach deren § 1 iVm § 28 Abs 6 SMG ist dabei ua auf die Eignung des Suchtgifts, Gewöhnung hervorzurufen und im großen Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen, Bedacht zu nehmen. Da der Gesetzgeber damit das dem Kokain beigemessene Gefährdungspotenzial bereits in der die Strafdrohung des § 28 Abs 2 SMG bestimmenden Grenzmenge berücksichtigt, verstößt dessen aggravierende Bewertung bei der Strafbemessung gegen das im § 32 Abs 2 erster Satz StGB verankerte Doppelverwertungsverbot (vgl 13 Os 74/02). Über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Pashk S***** wird im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.