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OGH vom 24.04.2020, 8ObA32/20v

OGH vom 24.04.2020, 8ObA32/20v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei 1. W***** H*****, 2. Mag. A***** H*****, beide vertreten durch Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei W***** mbH, *****, vertreten durch Stadler Völkel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 258.848,60 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 1/20w-12, mit dem der Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 24 Cga 52/19w-8, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Kläger waren aufgrund von Geschäftsführer-Dienstverträgen als bestellte Geschäftsführer der beklagten GesmbH tätig. Gleichzeitig waren sie auch Mitglieder des Vorstands der Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten und Aufsichtsratsmitglieder ihrer Minderheitsgesellschafterin.

Die Kläger stellen in ihren beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eingebrachten, vom Erstgericht zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Klagen Beendigungsansprüche wegen ungerechtfertigter Entlassung.

Die Beklagte wandte die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Für die Klagen sei gemäß § 51 Abs 1 Z 6 JN das Handelsgericht Wien zuständig.

Das Erstgericht verwarf nach abgesonderter Verhandlung die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichts.

Das Rekursgericht wies das gegen diesen Beschluss erhobene Rechtsmittel der Beklagten zurück und erklärte einen ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Eine nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidung des Gerichts, mit der es seine sachliche Zuständigkeit bejaht habe, sei nach § 45 JN nicht anfechtbar. Diese Beschränkung gelte auch im Verhältnis des Arbeits- und Sozialgerichts Wien zu den anderen ordentlichen Gerichten.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der „außerordentliche“ Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss in der Sache abzuändern, in eventu die Sache zur neuerlichen Entscheidung über den Rekurs an das Oberlandesgericht Wien zurückzuverweisen.

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil die Entscheidung im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht. Der Revisionsrekurs ist dementsprechend auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

I. Gemäß § 45 JN sind nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht, nicht anfechtbar, solche, mit denen es seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht, nur dann, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat.

II.1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 8 Ob 9/18h (Zak 2018/822, 440 = VbR 2019/22, 37 = ecolex 2019/59, 147 = EvBl 2019/83, 557 [Rohrer] = DRdA 2019/38 [Schoditsch]) in Abwendung von seiner älteren Rechtsprechung ausgesprochen, dass mit der Entscheidung über eine Zuständigkeit, die die Gerichtsbesetzung nach § 37 ASGG umfasst, auch über die Anwendung der Verfahrensbesonderheiten für Arbeitsrechtssachen mitentschieden wird. An diese Frage der Gerichtsbesetzung sind – anders als bei der Abgrenzung zwischen der allgemeinen Gerichtsbarkeit und der handelsrechtlichen Kausalgerichtsbarkeit – wesentliche verfahrensrechtliche Konsequenzen geknüpft. Diese Fälle sind nicht von der nur die Zuständigkeitsfrage betreffenden Rechtsmittel-beschränkung des § 45 JN erfasst. In diesen Fällen ist nach § 37 ASGG (§ 40a JN) auch dann ein abgesondertes Rechtsmittel möglich, wenn beide Gerichte ihren Sitz in der selben Gemeinde haben.

II.2. Die Entscheidung stieß in der Literatur auf Kritik, fand aber auch Zustimmung.

II.2.1. Schoditsch (Glosse zu 8 Ob 9/18h in DRdA 2019/38) äußerte Kritik dahin, dass die Entscheidung methodisch auf einer teleologischen Reduktion von § 45 JN beruhe samt anschließender Füllung der verdeckten Lücke durch Analogie zu § 37 ASGG, es in Wahrheit aber an einer Lücke fehle. Die teleologische Reduktion könnte nur durch den Telos des § 37 ASGG gerechtfertigt werden. Dagegen spreche, dass § 37 ASGG als eine Sonderregelung verstanden werde. Während aus § 61 ff JN klar folge, dass Zivil- und Kausalsenat zueinander im Verhältnis der Zuständigkeit stünden, behandle § 37 ASGG das Verhältnis zwischen Zivil- bzw Handelssenat oder Einzelrichter einerseits und arbeits- und sozialgerichtlichem Senat andererseits als unrichtige Gerichtsbesetzung. Damit weiche § 37 ASGG systemwidrig vom Konzept der [gemeint] JN ab. Da dieser Systembruch bereits bei Schaffung des ASGG bekannt gewesen sei, lasse sich nach Ansicht dieses Autors nicht schlüssig argumentieren, dass dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang ein Versehen unterlaufen wäre. Vielmehr liege es nahe, dass er mit § 37 ASGG bewusst eine abweichende Regelung schuf. Dann fehle jedoch jene planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, die für eine teleologische Reduktion des § 45 JN erforderlich sei.

II.2.2. Mayr (in Rechberger/Klicka, ZPO5§ 7 JN Rz 5, § 45 JN Rz 8) begrüßt hingegen die Entscheidung. § 37 Abs 1 ASGG behandle systemwidrig das Verhältnis zwischen Zivil- bzw Handelssenat (oder Einzelrichter) und arbeits- und sozialrechtlichem Senat des selben Gerichtshofs (und umgekehrt) als unrichtige Gerichtsbesetzung, weshalb ein solcher Beschluss nicht den Anfechtungsbeschränkungen des § 45 JN unterliege. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, das Handelsgericht Wien und das Arbeits und Sozialgericht Wien stünden hingegen zueinander im Verhältnis der sachlichen (Un)Zuständigkeit, sodass nach älterer Rechtsprechung in der Bundeshauptstadt die erwähnte Rechtsmittelbeschränkung zur Anwendung komme. Der Oberste Gerichtshof habe mit 8 Ob 9/18h diese Ansicht richtigerweise korrigiert.

II.2.3. Neumayr (in Neumayr/Reissner, ZellKomm3§ 37 ASGG Rz 9 [RDBonline]) lehrt, dass aufgrund der divergenten Gerichtsorganisation in Wien bei Streitigkeiten, ob ein Fall vom Handelsgericht Wien oder vom Arbeits und Sozialgericht Wien zu entscheiden ist, nicht die unrichtige Gerichtsbesetzung, sondern die Zuständigkeit tangiert sei. Dies habe nach der älteren Rechtsprechung dazu geführt, dass die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN anzuwenden gewesen sei. Die Unterscheidung sei entgegen kritischen Stimmen in der Lehre nicht als gleichheitswidrig qualifiziert worden. Der Oberste Gerichtshof habe in 8 Ob 9/18h in der Differenzierung einen Wertungswiderspruch erkannt und seine Rechtsprechung geändert.

II.2.4. Nademleinsky (in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKomm § 45 JN Rz 5) stellt dar, dass von der Rechtsprechung die Anwendung von § 45 JN für das Verhältnis zwischen dem Arbeits und Sozialgericht Wien und den ordentlichen Gerichten bejaht worden sei. Allerdings habe der Oberste Gerichtshof mit 8 Ob 9/18h den dadurch entstandenen Wertungswiderspruch aufgegriffen, dass die Rechtsprechung die Frage, ob ein Gericht in einer Rechtssache als Arbeits und Sozialgericht oder in anderer Funktion zu entscheiden hat, als Problem der Gerichtsbesetzung ohne Rechtsmittelausschluss behandle. Dabei sei der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis gelangt, dass der Rechtsmittelausschluss auch bei einer Überweisung einer Rechtssache wegen sachlicher Unzuständigkeit vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien an das ASG Wien nicht greife, weil eine solche Entscheidung über die Zuständigkeit nicht nur diese betreffe, sondern auch über die Gerichtsbesetzung und Anwendung der Verfahrensbesonderheiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen mitentscheide.

II.2.5. Von Spenling (Aktuelle Judikatur in Arbeitsrechtssachen, in Reissner/Mair, Innsbrucker Jahrbuch zum Arbeits- und Sozialrecht 2019 [2020] 3 [41 ff]) wurde die Entscheidung 8 Ob 9/18h neutral referiert.

II.3. Der Senat sieht aufgrund der Rezeption seiner Entscheidung in der Literatur keine Veranlassung, von seiner Entscheidung abzugehen. Schoditsch hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Entscheidung methodisch auf einer teleologischen Reduktion des § 45 JN und eine anschließende Schließung der Lücke unter Anwendung des § 37 ASGG beruht. Entgegen Schodisch vertritt der Senat die Ansicht, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des ASGG nicht mitbedacht hat, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass hier mit der Frage der Zuständigkeit auch jene die Gerichtsbesetzung und der Anwendung des ASGG als mitentschieden anzusehen ist. Dafür, dass der Gesetzgeber auch voraussah, dass mit § 37 ASGG in Verbindung mit § 45 JN eine Rechtslage entsteht, bei der für ein und dieselbe Situation in und außerhalb Wiens unterschiedliche Anfechtungsmöglichkeiten bestehen, liegen keine Belege vor. Hätte der Gesetzgeber die Problematik erkannt, hätte er § 45 JN enger gefasst. Dem entsprechend ist die Vorschrift einer teleologischen Reduktion zugänglich. Es ist daher daran festzuhalten, dass sich die Anfechtbarkeit einer Entscheidung, mit der gleichzeitig untrennbar sowohl über die sachliche Zuständigkeit als auch über die Gerichtsbesetzung nach § 37 ASGG und die Anwendung des ASGG entschieden wird, nach jenem Entscheidungsgegenstand richtet, für den das Gesetz den weitergehenden Rechtsschutz gewährt (vgl auch § 514 ZPO).

II.4. Auch im vorliegenden Fall wird durch den Beschluss des Erstgerichts über seine Zuständigkeit implizit auch bindend die Gerichtsbesetzung und die Anwendung der Verfahrensbesonderheiten für Arbeitsrechtssachen entschieden. Auch in diesem Fall ist damit – aufgrund der auch hier geltenden Überlegungen der Entscheidung 8 Ob 9/18h – in Analogie zu § 37 ASGG ein Rechtsmittel möglich.

Es war daher in Stattgebung des Eventualantrags der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41, 50 ZPO. Das Rekursgericht wies von Amts wegen den Rekurs zurück, sodass an sich kein echter Zwischenstreit vorliegen würde. Der Kläger ist in der Revisionsrekursbeantwortung aber dem Revisionsrekurs der Beklagten entgegengetreten, wodurch er im Rechtsmittelverfahren einen echten Zwischenstreit auslöste (10 Ob 63/16m [Pkt 5]; 3 Ob 115/19m [Pkt 4]; Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.334). Da er in diesem unterlag, hat er die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof zu tragen.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00032.20V.0424.000

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