OGH vom 29.05.2012, 9ObA138/11a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Kutis und Ing. Thomas Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** P*****, vertreten durch Dr. Karl Heinz Plankel, Dr. Herwig Mayrhofer, Dr. Manuela Schipflinger und Mag. Stefan Gahnal, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Kraft Winternitz, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 36.340 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 19/11h 36, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 46 Cga 12/10f 32, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.724,06 EUR (darin 454,01 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 4.553,44 EUR (darin 2.593 EUR Barauslagen, 326,74 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Unternehmensgegenstand der Beklagten umfasst die Vermittlung von Versicherungsverträgen einschließlich gebundener Lebensversicherungen und Beratungen in Versicherungsangelegenheiten, die Vermittlung von Finanzierungen einschließlich der Vermittlung von Personal und Hypothekarkrediten, Leasingverträgen und Bausparverträgen, die Vermittlung von Wertpapieren, Anteilen an in und ausländischen Kapitalanlagefonds und Veranlagungen gemäß § 1 Abs 1 Z 3 KMG, die Vermittlung von Vermögensverwaltung sowie die Beratung über die Veranlagung von Kundenvermögen gemäß § 1 Abs 1 Z 19a BWG.
Die Klägerin war bei der Beklagten mit ca einjähriger Mutterkarenzunterbrechung im Jahr 2002 von April 1995 bis beschäftigt, zuletzt in der Funktion einer Wirtschaftsberaterin auf Basis eines Agentenvertrags, der auszugsweise wie folgt lautet:
2. Rechtsstellung des Agenten
2.1. Der Agent wird unmittelbar nach Abschluss dieses Agentenvertrags seine Gewerbeberechtigungen gegenüber A ***** nachweisen und für deren Aufrechterhaltung Sorge tragen. Der Agent wird im Vertragsgebiet ohne Gebietsbeschränkung Kunden aquirieren.
2.2. Der Agent kann seinen Geschäftssitz und den zeitlichen Umfang seiner Tätigkeit frei wählen. Der Agent ist sohin völlig weisungsungebunden und hat nur in sachlicher Hinsicht solche Geschäftsanweisungen von A ***** zu befolgen, die für die Einhaltung einer ordnungsgemäßen Geschäftsbeziehung und abwicklung erforderlich sind. …
2.3. Der Agent wird als wirtschaftlich völlig selbständiger, unabhängiger Unternehmer tätig, der mit Ausnahme der gesetzlichen und im Sinne des Anlegerschutzes in diesem Agentenvertrag festgeschriebenen Verpflichtungen keinen Wettbewerbseinschränkungen durch A***** unterworfen ist. Der Agent übt seine Tätigkeit für A***** ausschließlich mit eigenen Betriebsmitteln und eigener Geschäftsausstattung aus. Die Kosten seines Geschäftsbetriebs wie etwa Kosten für Personal, Reiseaufwendungen und Bürobedarf bestreitet der Agent aus eigenem.
2.4. Dem Agenten steht es frei, seine Büroräumlichkeiten anderen Agenten für Geschäftszwecke zur Verfügung zu stellen oder Büroräumlichkeiten mit anderen Agenten gemeinsam zu benützen. Diejenigen Agenten, die Büroräumlichkeiten anmieten (auch „Büroleiter“ genannt), verrechnen die Bürokosten gegenüber anderen, die Büroräumlichkeiten mitbenützenden Agenten weiter. Die solcher Art getroffene Benützungsvereinbarung erzeugt für A ***** keine über den Agentenvertrag hinausgehende Vertragspflichten, dies weder gegenüber dem Agenten, anderen Agenten noch gegenüber dem Vermieter der Büroräumlichkeiten.
...
Die Beklagte unterhält in Kitzbühel ein A***** Büro. Leiter dieses sowie zweier weiterer A***** Büros in Wörgl und Schwaz ist H***** K***** (idF: Büroleiter), der gleichzeitig Führungsagent der Klägerin war. Der Büroleiter hatte das Büro auf eigenen Namen und eigene Rechnung angemietet und stellte die Büroräumlichkeiten den ihm zugeordneten Agenten gegen ein Nutzungsentgelt in Form von Infrastruktur und Bürokostenbeiträgen zur Verfügung.
Vor der Geburt ihres Sohnes im März 2002 hatte die Klägerin im A***** Büro einen eigenen festen Büroplatz. Nach der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit war die Raumsituation beengt. Ab dem Jahr 2005 waren neben der Klägerin 14 weitere Agenten tätig. Sie hatte keinen festen Büroplatz mehr, bezahlte aber monatlich 200 EUR als Infrastrukturbeitrag. Wegen dieser Situation und der Notwendigkeit, für Beratungsgespräche im Büro das Beratungszimmer ca eine Woche im Voraus zu reservieren, arbeitete die Klägerin oft von zu Hause aus und wickelte dort auch die Kontakte zu ihren Kunden ab. Aufgrund der Häufigkeit der Beratungsgespräche die Klägerin betreute im Jahr 2007 400 Kunden kam es zu Konflikten mit ihrem Mann, der dadurch ein Privatleben vermisste.
Neben der Klägerin waren ua H***** B***** und A***** S***** als Agenten im Büro Kitzbühel tätig. Auch sie leisteten dem Büroleiter als ihrem Führungsagenten ein monatliches Nutzungsentgelt.
Aufgrund der Raumsituation überlegten die Klägerin, H***** B***** und A***** S***** im Frühjahr 2007, eigene Büroräumlichkeiten anzumieten. Nach den Richtlinien der Beklagten bedurfte die Eröffnung eines A***** Büros, einer A***** Betriebsstätte oder eines Büros, für das das A***** Logo verwendet werden sollte, eines schriftlichen Ansuchens an die Geschäftsleitung in Wien und einer Genehmigung der Beklagten, nicht aber die bloße Anmietung von Büroräumlichkeiten. Letzteres stand der Klägerin nach dem Agentenvertrag frei. Das wusste sie auch. Bei der Beklagten war es aber üblich, sich mit einem Anliegen zunächst an den Führungsagenten zu wenden. Zudem sollte besprochen werden, dass die Klägerin und ihre Kollegen die Nutzungsentgelte nicht mehr zahlen wollten. Sie dachten daher, dass zunächst der Büroleiter um Erlaubnis gefragt werden sollte. H***** B***** trat als ihr Sprachrohr auf.
Über dessen Anfrage teilte ihm der Büroleiter mit, dass er dies nicht eigenmächtig entscheiden könne und er den Wunsch an seinen Vorgesetzten und in weiterer Folge an die Geschäftsleitung der Beklagten weitergeben müsse. In der Folge wandte er sich an seinen Vorgesetzten, den damaligen Direktor der Beklagten für Tirol (idF: Landesdirektor), mit der Frage, ob eine Anmietung von Büroräumlichkeiten durch die Klägerin und ihre Kollegen überhaupt möglich sei, weil es sich bei ihnen um Profi Berater handle. Der Landesdirektor erklärte ihm, darüber mit der Geschäftsleitung der Beklagten sprechen zu müssen. Sowohl der Büroleiter als auch der Landesdirektor wussten, dass es der Klägerin und ihren Kollegen nur um die Anmietung eigener Büroflächen ging, nicht aber um die Eröffnung eines eigenen A***** Büros oder einer mit dem A***** Logo gekennzeichneten Büroräumlichkeit. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Landesdirektor bei der Geschäftsleitung in Wien nachfragte. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass ihm die Geschäftsleitung der Beklagten mitteilte, dass der Klägerin die Anmietung eigener Räumlichkeiten untersagt werde.
Der Büroleiter ging davon aus, dass der Landesdirektor in Wien angefragt hatte. Ende Juni 2007 teilte dieser dem Büroleiter mit, dass es nicht gehe, dass die drei Agenten ihr eigenes Büro aufmachten. Er meinte, man wolle das nicht haben, weil das dann jeder so machen könne. Am verständigte der Büroleiter H***** B*****, dass das Ansinnen seitens der Geschäftsleitung abgelehnt worden sei. Zur Begründung führte er an, wo sie denn da hinkämen, wenn das ein jeder machen würde. H***** B***** benachrichtigte die Klägerin und A***** S***** davon. Als die Klägerin erbost den Büroleiter anrief, erklärte er ihr, dass er mit dem Landesdirektor über die Anmietung der Büroräumlichkeiten gesprochen habe, es aber nicht gehe, dass die Klägerin und ihre Kollegen Büroräumlichkeiten anmieteten. Die Klägerin ging davon aus, dass die Geschäftsleitung der Beklagten die Anmietung untersagt hatte und sah daher keinen Grund, sich selbst an diese zu wenden. Weder sie noch ihre Kollegen suchten bei der Beklagten um die Eröffnung eines A***** Büros, einer A***** Betriebsstätte oder eines mit dem A***** Logo gekennzeichneten Büros an. Sie kündigten ihre Agenturverträge zur Beklagten zum auf und mieteten ab eigene Büroräumlichkeiten in Brixen im Thale an, wo die Klägerin in der Folge als Vermittlerin für eine andere Finanzmanagementgesellschaft tätig war.
Die Klägerin begehrte 36.340 EUR sA als Ausgleichsanspruch gemäß § 24 HVertrG. Die Beklagte habe ihr wegen der Versagung der Anmietung eigener Büroräumlichkeiten begründeten Anlass zur Kündigung gegeben.
Die Beklagte bestritt dies, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, für die Eigenkündigung der Klägerin lägen keine der Beklagten zurechenbaren Umstände vor. Der Klägerin sei die Anmietung von Büroräumlichkeiten freigestanden. Ein derartiger Vorgang betreffe das Vertragsverhältnis zur Beklagten erst, wenn der Agent im Außenauftritt auf sein Vertragsverhältnis zur Beklagten hinweise und entsprechende Logos und einheitliche Schriftzüge verwenden möchte. Die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt mit einem solchen Wunsch an sie herangetreten. Mangels Kenntnis habe sie auch keine Untersagung der Büroeröffnung aussprechen können. Zusagen und Äußerungen des Führungsagenten der Klägerin und seines Vorgesetzten seien ihr nicht zurechenbar, die Zustimmung zur Verwendung von Logos oder die Gewährung allfälliger Zuschüsse sei ausnahmslos der Beklagten vorbehalten. Auch stehe es jedem Agenten frei, angemietete Räumlichkeiten anderen Agenten zu überlassen. Ob und wie die Kosten eines Büros vom Büroleiter auf andere Agenten aufgeteilt werden, bleibe dem jeweiligen Agenten vorbehalten. Eine zwischen der Klägerin und dem Büroleiter geschlossene Vereinbarung über die Tragung von Bürokosten sei ihr nicht zurechenbar.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die zwischen der Klägerin und H***** K***** getroffene Vereinbarung bezüglich der Nutzung des A***** Büros habe gemäß Punkt 2.4. des Agentenvertrags nicht das Vertragsverhältnis der Beklagten zur Klägerin betroffen und auch keine über den Agentenvertrag hinausgehende Verpflichtungen der Beklagten erzeugt. Der Klägerin sei bewusst gewesen, dass ihr die Anmietung eigener Büroräumlichkeiten freigestanden sei und dafür weder ein Ansuchen an die Beklagte noch deren Zustimmung erforderlich gewesen wäre. Eine Anfrage des Vorgesetzten bei der Geschäftsleitung sei nicht erwiesen. Auch sei nicht erwiesen, dass die Beklagte die Anmietung solcher Büroräumlichkeiten untersagt habe. Die vom Büroleiter an die drei Agenten weitergeleitete Erklärung des Vorgesetzten, dass es schlicht nicht geht, dass die drei Agenten eigene Räumlichkeiten anmieten, weil dann jeder kommen könnte, sei nicht der Beklagten zuzurechnen. Die Beklagte habe auch nicht durch ein ihr zurechenbares Verhalten zur Äußerung des Vorgesetzten Anlass gegeben. Wenn sich die Klägerin in Kenntnis, dass ihr die Anmietung von Büroräumlichkeiten ohnehin freistehe, auf den Büroleiter und den Landesdirektor als Boten ihrer Anfrage verlassen habe und ihr Wunsch nicht an die Geschäftsleitung transportiert worden sei, liege kein der Beklagten zurechenbarer Umstand vor.
Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Klägerin im Sinn einer Klagsstattgebung dem Grunde nach Folge. Die Beklagte müsse sich die Erklärungen des Landesdirektors sowie des Büroleiters und Führungsagenten als ihrer Repräsentanten zurechnen lassen. Aufgrund der Überbelegung der Büroräumlichkeiten in Kitzbühel wiege das Verbot der Anmietung von Büroräumlichkeiten besonders schwer, weil es unmittelbar auf die täglichen Arbeitsbedingungen der Klägerin durchgeschlagen habe. Für die Eigenkündigung der Klägerin liege daher ein der Beklagten zurechenbarer begründeter Anlass iSd § 24 Abs 3 HVertrG vor.
In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte, das Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt , weil zur Frage der Zurechnung der Aussagen des Landesdirektors und des Führungsagenten an die Beklagte Korrekturbedarf besteht.
Die Zurechnung von Willenserklärungen hier der Untersagung der Anmietung von Büroräumlichkeiten durch die Klägerin und ihre Kollegen folgt dem Recht der Stellvertretung. Für die Zurechnung ist daher eine ausreichende Vollmacht des Vertreters, die Verursachung des Anscheins einer ausreichenden Vollmacht durch den Vertretenen oder das Dulden des Auftretens einer nicht bevollmächtigten Person durch den Vertretenen erforderlich.
Aus dem Sachverhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Büroleiter oder der Landesdirektor bevollmächtigt gewesen wäre, im Namen der Beklagten Erklärungen bezüglich der Anmietung von nicht als A***** Büro gekennzeichneten Büroräumlichkeiten abzugeben. Vielmehr ist in den Punkten 2.3. und 2.4. des Agentenvertrags festgehalten, dass der Agent seine Tätigkeit ausschließlich mit eigenen Betriebsmitteln und eigener Geschäftsausstattung ausführt und dass der Beklagten aus der zwischen einem Büroleiter und einem Agenten getroffenen Benützungsvereinbarung bezüglich Büroräumlichkeiten keine über den Agentenvertrag hinausgehende Vertragspflichten entstehen.
Die Trennung von Agentenvertrag und Büronützungsvereinbarung steht auch der Zurechnung der Erklärungen des Büroleiters oder des Landesdirektors an die Beklagte im Wege der Anscheinsvollmacht entgegen, weil sie mit den genannten Vertragsklauseln dem Anschein einer entsprechenden Vollmacht gerade vorbeugte. Da die Klägerin wusste, dass sie für die Anmietung von Büroräumlichkeiten keiner Genehmigung bedurfte, durfte sie von vornherein auch nicht auf eine Genehmigungskompetenz des Büroleiters oder des Landesdirektors vertrauen.
Jede Erwägung dahin, ob die Beklagte zurechnungsbegründend das Auftreten des Büroleiters oder des Landesdirektors geduldet (Duldungsvollmacht) oder nachträglich genehmigt (§ 1016 ABGB) hat, erübrigt sich, weil nicht feststeht, dass sie von der Anfrage der Klägerin überhaupt in Kenntnis war. Für eine zur Deliktshaftung entwickelte Repräsentantenhaftung ist daneben kein Raum.
Da danach eine Zurechnung der Äußerungen des Büroleiters und des Landesdirektors an die Beklagte zu verneinen ist, hat das Erstgericht der Beklagten zurechenbare Umstände, die der Klägerin Anlass zur Eigenkündigung gegeben hätten, zutreffend verneint.
Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.