OGH vom 16.12.2019, 8ObA32/19t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. TarmannPrentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schleinbach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. H***** B*****, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte OG in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 18.882,90 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 76/15s33, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 38 Cga 135/13k29, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das unter der AZ 8 ObA 22/16t unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
II. Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 522,10 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
III. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden im klagsstattgebenden Umfang von 1.015,60 EUR sA und der Kostenentscheidung aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Verfahrens über die Revision der beklagten Partei sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der 1972 geborene Kläger absolvierte nach Erfüllung der Schulpflicht eine Lehrausbildung und war nach Absolvieren des Grundwehrdienstes bis September 2006 bei den Österreichischen Bundesbahnen beschäftigt.
Ab November 2005 wurde er von diesem Arbeitgeber im Rahmen eines Projekts „Jobchance“ an die Justiz überlassen. Mit begründete der Kläger ein Vertragsbedienstetenverhältnis zur beklagten Partei. Er absolvierte die Ausbildung zum Rechtspfleger und schloss ein Studium ab.
Seit steht der Kläger als Diplomrechtspfleger in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten.
Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz setzte mit Bescheid vom den Vorrückungsstichtag des Klägers gemäß § 26 Abs 1 VBG 1948 mit fest. Dabei wurden jene Vordienstzeiten berücksichtigt, die der Kläger nach Vollendung des 18. Lebensjahres bis zum Anstellungstag erworben hatte.
Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz vom wurde der Vorrückungsstichtag des Klägers mit Wirksamkeit vom neu berechnet. Unter Voransetzung weiterer Zeiten gemäß § 12 GehG wurde er mit neu festgesetzt. Gleichzeitig wurde dem Kläger mitgeteilt, dass sich an seiner Besoldung durch diese Neufestsetzung nichts ändere.
Mit Schreiben vom lehnte die Finanzprokuratur den Anspruch des Klägers auf Gehaltsnachzahlungen ab.
In der am eingebrachten werden (zuletzt) Gehaltsdifferenzen für Oktober 2006 bis einschließlich Juni 2015 geltend gemacht.
Der Kläger brachte vor, seine besoldungsrechtliche Situation hätte sich durch die Stichtagsänderung verbessern müssen. Die mit BGBl I 2010/82 geänderte Regelung des § 19 Abs 1 zweiter Satz VBG 1948, mit der es zur Verlängerung des ersten Vorrückungszeitraums auf fünf Jahre gekommen sei, habe zur Folge, dass die vom EuGH als unionsrechtswidrig festgestellte Nichtanrechnung der vor Vollendung des 18. Lebensjahrs gelegenen Dienstzeiten nur formal beseitigt, im Ergebnis aber ebenso prolongiert werde. Daran habe auch die während des erstinstanzlichen Verfahrens in Kraft getretene Neuordnung des Gehaltsgesetzes BGBl I 2015/32 nichts geändert.
Die Verwaltungsbehörde habe bei ihrer Entscheidung den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts missachtet und eine gemeinschaftsrechtswidrige Gesetzeslage angewandt. Der Kläger stütze sein Begehren daher auch auf Schadenersatz, für den die Beklagte im Wege der Amtshaftung einzustehen habe.
Die beklagte Partei wandte ein, die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen des VBG 1948 und des GehG wären verfassungs- und unionsrechtskonform. Für die Entgeltansprüche in dem ab bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des Klägers sei der Rechtsweg unzulässig. Die Ansprüche für länger als drei Jahre vor der erstmaligen Geltendmachung zurückliegende Entgeltzeiträume seien verjährt.
Das wies die Klage im Umfang eines Teilbegehrens von 11.934,30 EUR samt Anhang, bestehend aus Gehaltsdifferenzen ab , zurück und das Mehrbegehren ab.
Das gab dem Rekurs und der Berufung des Klägers jeweils teilweise Folge und hob den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts insoweit zur Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf, als das Klagebegehren auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützt wurde. In teilweiser Stattgebung der Berufung sprach das Berufungsgericht dem Kläger 1.015,60 EUR brutto samt Anhang für den Zeitraum von bis unter Abweisung des Mehrbegehrens zu.
Diese Entscheidung wird zusammengefasst damit begründet, dass der Kläger bei diskriminierungsfreier Berechnung seines Vorrückungsstichtags in dieser Zeit ein um den zuerkannten Betrag höheres Bruttoentgelt bezogen hätte. Die auf frühere Anspruchszeiträume bezogene Entgeltforderung sei mangels rechtzeitiger Geltendmachung verjährt.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu den maßgeblichen Rechtsfragen der Besoldungsreform noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.
Gegen diese Entscheidung richten sich die zulässigen beider Streitteile. Der Kläger bekämpft die Rechtsansicht, dass die vor dem fälligen Ansprüche verjährt wären, und begehrt die Zuerkennung weiterer 5.933 EUR brutto. Die Revision der Beklagten strebt die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils an.
Beide Parteien haben jeweils eine Revisionsbeantwortung zum Rechtsmittel des Gegners erstattet.
I. Das Revisionsverfahren wurde mit Beschluss vom , AZ 8 ObA 22/16t, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am zu AZ 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV unterbrochen.
Der , Österreichischer Gewerkschaftsbund, über diesen Antrag entschieden. Das Revisionsverfahren war daher von Amts wegen fortzusetzen.
Rechtliche Beurteilung
II. Revision des Klägers
1. Das Berufungsgericht ist gemäß § 18a Abs 1 VBG 1948 von der Verjährung des geforderten Entgelts für jene Leistungen ausgegangen, die länger als drei Jahre vor der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger gegenüber der Finanzprokuratur erbracht wurden.
Die Revision hält dieser Rechtsansicht entgegen, dass es der „Sondertatbestand der diskriminierungsfreien Anrechnung von Vordienstzeiten“ zu seiner effektiven Durchsetzung erfordere, für die Klagsansprüche von einer dreißigjährigen Verjährungsfrist auszugehen. Die Bestimmung des § 18a VBG über die Verlängerung des Vorrückungszeitraums sei als bewusstes „Gegensteuern“ gegen höchstgerichtliche Entscheidungen anzusehen. Die Verjährungsfrist beginne außerdem frühestens mit dem Tag der Veröffentlichung der Entscheidung des , weil erst dadurch der Schadenseintritt bekannt geworden sei.
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.
2. Nach Abs 1 des am in Kraft getretenen § 18a VBG 1948 verjährt der Anspruch auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz, wenn er nicht innerhalb von drei Jahren geltend gemacht wird, nachdem die anspruchsbegründende Leistung erbracht worden oder der anspruchsbegründende Aufwand entstanden ist. Gemäß seinem § 18a Abs 4 VBG 1948 sind die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung mit der Maßgabe anzuwenden, dass die schriftliche Geltendmachung eines noch nicht verjährten Anspruchs durch den Vertragsbediensteten gegenüber dem Dienstgeber oder gegenüber der Finanzprokuratur die Verjährung unterbricht. Diese Regelung stellt eine lex specialis zu den Verjährungsbestimmungen des bürgerlichen Rechts dar, die lediglich hinsichtlich der Hemmung und Unterbrechung sinngemäß anzuwenden sind. Eine längere als dreijährige Verjährungsfrist ist in § 18a VBG für Ansprüche aus diesem Bundesgesetz nicht normiert und es wird auch nicht auf § 1478 ABGB oder die Anwendung anderer Bestimmungen verwiesen, die längere Fristen vorsehen. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht daher der Rechtslage.
3. Für die Forderung, dass zur Geltendmachung der Klagsansprüche eine 30-jährige Verjährungsfrist gelten müsse, bietet die Revision keine konkrete Begründung an. Insgesamt zeigt sie damit keine unrichtige Beurteilung der Verjährungsfrage durch die Vorinstanzen auf.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 50 und 41 ZPO.
III. Revision der Beklagten
1. Der EuGH erkannte in der Rechtssache C-24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund, über die Vorlagefragen wie folgt:
„Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Bestandsvertragsbediensteten in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Vertragsbediensteten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.
2. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Vertragsbediensteten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Vertragsbediensteten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Vertragsbediensteten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Vertragsbedienstete hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird. ...“
3. Infolge dieser Entscheidung wurde das Besoldungsrecht des Bundes zur Herstellung seiner Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht mit BGBl I 58/2019 (2. Dienstrechts-Novelle 2019) umfassend novelliert. Für Vertragsbedienstete, deren Vorrückungsstichtag bei der Anrechnung unter Ausschluss der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegenen Zeiten festgesetzt wurde (Z 3) und bei denen nach der erstmaligen Festsetzung nach Z 3 nicht die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes BGBl I Nr 82/2010 vorangestellt und durch Außerachtlassung der mit diesem Bundesgesetz bewirkten Verlängerung des für die erste Vorrückung erforderlichen Zeitraums zur Gänze für die Einstufung wirksam geworden sind, ist nach Maßgabe der § 94b ff VBG 1948 („Umsetzung der Richtlinie 2000/78“) eine Neueinstufung nach einem einheitlichen Regelwerk vorgesehen. Diese Regelungen idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 wurden mit in Kraft gesetzt (§ 100 Abs 89 Z 1 VBG 1948).
Sie betreffen ua am Tag der Kundmachung der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 () anhängige einschlägige Verfahren, wobei die Neufestsetzung im Rahmen dieser Verfahren zu erfolgen hat (§ 94b Abs 3 VBG 1948). Das neu festgesetzte Besoldungsdienstalter ist nach Maßgabe des § 94b Abs 6 VBG 1948 auch ausdrücklich rückwirkend für die Bemessung der Bezüge maßgeblich (s auch AB 675 BlgNR XXVI. GP S 7).
4. Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Diese Frage ist grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen (RS0031419; 9 ObA 134/15v mwN) und hier zu bejahen.
Nach § 182a ZPO hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es den Parteien Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (RS0037300 [T46]). Das hat umso mehr bei geänderter Rechtslage zu gelten. Die Parteien müssen Gelegenheit haben, zur neuen Rechtslage ein Vorbringen zu erstatten (RS0037300 [T26]).
Daraus folgt, dass das Klagebegehren nach Maßgabe der neuen Rechtslage zur Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung des Klägers und der Bemessung seiner Bezüge zum Gegenstand einer Erörterung vor dem Erstgericht zu machen ist (vgl 9 ObA 63/19h).
Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 41, 50 und 52 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00032.19T.1216.000 |
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