OGH vom 24.02.1999, 9ObA2/99f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Othmar Roniger und Dr. Heinz Nagelreiter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alexander K*****, Lagerangestellter, ***** , vertreten durch Dr. Walter Pfliegler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei H*****GmbH *****, ***** , vertreten durch Mag. Erhard d'Aron, Wirtschaftskammer Wien, dieser vertreten durch Dr. Wolfgang Punz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 157.704,80 brutto abzüglich S 5.048,30 netto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 128/98d-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 4 Cga 6/97y-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden teilweise dahin abgeändert, daß sie als Teilurteil zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 153.525,80 brutto abzüglich S 5.048,30 netto samt 4 % Zinsen aus dem verbleibenden Nettobetrag binnen 14 Tagen zu zahlen.
Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten".
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.
Im übrigen - nämlich in der Entscheidung über das restliche Klagebegehren von S 4.179,80 sA - werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die hierauf entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten vom bis als Lagerangestellter beschäftigt.
Mit der Behauptung, er sei ungerechtfertigt entlassen worden, begehrte er von der Beklagten S 157.704,80 brutto abzüglich S 5.048,30 netto sA an Kündigungsentschädigung, restlichen aliquoten Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung und Abfertigung.
Die Beklagte stellte das Klagebegehren bis auf einen Betrag von S 4.179,80 (Urlaubsentschädigung nur für 13 und nicht für 17,5 Werktage) der Höhe nach außer Streit und beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger sei bereits mündlich und am auch schriftlich wegen übermäßig langer Privattelefonate, die von ihm zur Abwicklung nicht bewilligter Nebenbeschäftigungen getätigt worden seien, verwarnt worden. Am sei er während seiner Arbeitszeit bei der Durchsicht privater Magazine ertappt worden, was umso schwerer wiege, als es zu diesem Zeitpunkt wegen des Weihnachtsversandes einen vermehrten Arbeitsanfall gegeben habe. Der Kläger sei wegen dieses Vorfalles unter Androhung von Konsequenzen mündlich verwarnt worden. Trotzdem sei er am nächsten Tag abermals bei der Durchsicht privater Unterlagen angetroffen worden, sodaß infolge der beharrlichen Pflichtenvernachlässigung und der provokanten Weigerung, den Anordnungen des Dienstgebers Folge zu leisten, die Entlassung ausgesprochen worden sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte folgenden Sachverhalt fest:
Die Tätigkeit des Klägers bestand darin, Briefe, Pakete, Waren, Material und Bahnexpreßsendungen abzuholen oder wegzubringen. Er hatte im Zusammenhang mit einer von ihm ausgeübten Nebenbeschäftigung als Vermögensberater mehrmals in der Dienstzeit private Telefongespräche geführt, wodurch seine Arbeit liegengeblieben ist. Er wurde hiefür am schriftlich verwarnt und darauf aufmerksam gemacht, "daß mehrstündige Privatgespräche z.B. am zur Abwicklung von Nebengeschäften zu unterlassen sind".
Am um etwa 13.15 Uhr - jedenfalls schon nach der Mittagspause - stand der Kläger am Schreibtisch einer Arbeitskollegin und sah sich dort eine Mappe mit Karten an. Für die Arbeitskollegin "hat es so ausgesehen, als wären in der Mappe Spielkarten enthalten". Nach "ungefähr 10, vielleicht auch 15 Minuten" kam der Geschäftsführer der Beklagten dazu und fragte ihn "ob er nichts zu tun habe, ansonsten es Schwierigkeiten für ihn geben würde". Daß sich der Kläger am Arbeitsplatz der Arbeitskollegin "etwas angesehen hat", war vorher "vielleicht schon zwei- bis dreimal" vorgekommen.
Am saß der Kläger um etwa 10.00 Uhr oder 10.30 Uhr an seinem Schreibtisch, trank Tee und sah sich einen Katalog mit Sammelspielkarten an. Nach etwa 10 Minuten bemerkte dies der Geschäftsführer der Beklagten, der daraufhin die Entlassung aussprach. "Offiziell" gibt es im Betrieb der Beklagten außer der Mittagspause keine weiteren Pausen.
Auf dieser Grundlage erachtete das Erstgericht den Entlassungsgrund des § 27 Z 4 AngG als verwirklicht. Der Beklagten sei es unzumutbar, den Kläger selbst für den Zeitraum der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat ebenfalls die Rechtsauffassung, daß die Entlassung gerechtfertigt erfolgt sei. Die Vorfälle vom 10. und vom seien vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, daß der Kläger schon vorher wegen seiner privaten Telefongespräche verwarnt worden sei. Das am trotz der am Vortag erfolgten Weisung, sich mit seiner Arbeit zu befassen, gesetzte Verhalten des Klägers sei daher als beharrliche Weigerung zu werten, sich den gerechtfertigten Anordnungen des Dienstgebers zu fügen und verwirkliche daher den Entlassungsgrund des § 27 Z 4 3. Fall AngG. Daß die Beklagte vergleichbare Pausen üblicherweise dulde, sei nicht hervorgekommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Daß die Beklagte üblicherweise kurzzeitige Arbeitsunterbrechungen ihrer Dienstnehmer auch außerhalb der Mittagspause dulde, wurde nicht festgestellt. Aber auch auf der Grundlage der tatsächlich getroffenen Feststellungen erweist sich die Entlassung als nicht gerechtfertigt.
Daß der Kläger fast ein Jahr vor der Entlassung wegen mehrmaligen Privattelefonaten im Zusammenhang mit der Ausübung einer Nebenbeschäftigung verwarnt wurde, ist von vornherein ungeeignet, die Entlassung zu rechtfertigen, weil es sich dabei um ein vom Anlaßfall unterschiedliches und mit diesem nur sehr bedingt vergleichbares Fehlverhalten gehandelt hat, von dem mangels gegenteiliger Behauptungen und Feststellungen anzunehmen ist, daß es der Kläger nach der ihm erteilten schriftlichen Verwarnung nicht mehr wiederholt hat.
Es bleibt daher ausschließlich der Umstand, daß der Kläger zweimal - beim zweiten Mal trotz einer nach dem ersten Vorfall erfolgten Ermahnung - für eine Zeit von 10 Minuten (bei ersten Mal bis maximal 15 Minuten) seine Arbeit unterbrochen und Spielkarten angesehen hat. Daß vergleichbare Vorfälle vorher "vielleicht schon zwei- bis dreimal vorgekommen" sind, ist nicht von relevanter Bedeutung, weil - abgesehen, daß die in diesem Sinn getroffene Feststellung von vornherein überaus vage ist - Behauptungen und Feststellungen über Zeitpunkt, Dauer und Begleitumstände dieser Vorfälle, auf die sich die Beklagte in ihrem Vorbringen auch gar nicht gestützt hat, fehlen.
Nach § 27 Z 4 AngG ist es - soweit hier von Interesse - als ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, anzusehen, wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterläßt (1. Tatbestand) oder sich beharrlich weigert, seine Dienst zu leisten oder sich den durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnungen des Dienstgebers zu fügen (2. Tatbestand). Von der Nichtbefolgung einer "durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnung" kann hier nicht gesprochen werden, weil es sich bei der nach dem ersten Vorfall vom Geschäftsführer abgegebenen Erklärung nicht um eine - die vom Arbeitnehmer im Einzelfall zu erbringenden Dienstleistungen konkretisierende - Weisung des Arbeitgebers handelte (Kuderna, Entlassungsrecht**2 113), sondern um die Ermahnung, nicht pflichtwidrig die Dienstleistung zu unterlassen. Was dem Kläger vorgeworfen wird, ist vielmehr eben diese Unterlassung der Dienstleistung und damit die Verwirklichung des Tatbestandes des § 27 Z 4 AngG, 1. Tatbestand (Kuderna, aaO 103, 115).
Der zuletzt genannte Tatbestand ist nur dann verwirklicht, wenn die Dienstleistung "während einer den Umständen nach erheblichen Zeit" unterlassen wird. Dies ist dann der Fall, wenn die Unterlassung der Arbeitsleistung nach der Dauer der versäumten Arbeitszeit, nach Maßgabe der Dringlichkeit der zu verrichtenden Arbeit oder aufgrund des Ausmaßes des infolge des Versäumnisses nicht erzielten Arbeitserfolges oder der sonstigen dadurch eingetretenen betrieblichen Nachteile besondere Bedeutung besitzt. Entscheidend sind immer die Umstände des konkreten Einzelfalles (Kuderna, aaO 102f; Arb 10521; RdW 1988, 53; RIS-Justiz RS0029495). Arbeitspausen können demgemäß im allgemeinen nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn sie eine zumindest nicht unerhebliche Zeit andauern und Auswirkungen auf die übliche Arbeitsleistung hervorrufen (Kuderna, aaO 103). Wird die Entlassung daher auf derartige Pausen gestützt, ist es Sache des Arbeitgebers, die Erheblichkeit der darin gelegenen Unterlassung der Arbeitsleistung iS der dargestellten Rechtslage zu behaupten und zu beweisen.
Im hier zu beurteilenden Verfahren hat die Beklagte zu den möglichen Auswirkungen der dem Kläger vorgeworfenen Pausen nur vorgebracht, daß es wegen des Weihnachtsversandes einen erhöhten Arbeitsanfall gegeben habe. Diese Behauptung - Feststellungen dazu wurden nicht getroffen - ist aber von vornherein ungeeignet, relevante Auswirkungen der dem Kläger angelasteten kurzen Arbeitsunterbrechungen auf die von ihm erbrachte bzw. zu erbringende Arbeitsleistung (Nichterledigung aufgetragener Arbeit; Mehrbelastung anderer Arbeitnehmer; Schaden durch verzögerte Erledigung etc) darzulegen. Gerade bei der hier festgestellten Dauer der beiden Arbeitsunterbrechungen von nur 10 Minuten pro Tag (im ersten Fall "vielleicht auch" 15 Minuten) können aber solche Auswirkungen nicht einfach unterstellt werden. Feststellungen iS der wiedergegebenen allgemeinen Behauptung der Beklagten über einen vermehrten Arbeitsanfall hätten daher nichts daran geändert, daß konkrete (und relevante) Auswirkungen der dem Kläger vorgeworfenen Arbeitsunterbrechungen auf seine Arbeitsleistung nicht ersichtlich sind.
Es mag zutreffen, daß die Bedeutung der Arbeitsunterbrechung vom im Hinblick auf die am Vortag erfolgte Verwarnung des Klägers höher anzusetzen ist. Dies rechtfertigt aber für sich allein nicht die Annahme, die an diesem Tag erfolgte Arbeitsunterbrechung von nur 10 Minuten Dauer sei unabhängig von Auswirkungen auf die Arbeitsleistung des Klägers derart gewichtig, daß der Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre. Da aber konkrete Auswirkungen der Arbeitsunterbrechungen von der Beklagten nicht einmal behauptet wurde, kann daher der angezogene Entlassungsgrund nicht als verwirklicht angesehen werden.
Die von den Vorinstanzen betonte "Beharrlichkeit" des Klägers ist Tatbestandsmerkmal der Arbeitsverweigerung iS des zweiten Tatbestands des § 24 Z 4 AngG, der im allgemeinen dann zum Tragen kommt, wenn der Angestellte die Verrichtung bestimmter Arbeiten unter bestimmten Voraussetzungen ablehnt (Kuderna, Entlassungsrecht**2 104). Allerdings ist das Unterlassen der Dienstleistung immer auch eine Dienstverweigerung und daher ein Spezialtatbestand der (beharrlichen) Dienstverweigerung (Kuderna, aaO 104). Die Dienstverweigerung muß aber - um tatbestandsmäßig zu sein - beharrlich und gravierend sein (Kuderna, aaO 114). Letzteres ist aber aus den oben dargelegten Gründen hier nicht erwiesen.
Da somit die Beklagte keinen Entlassungsgrund nachgewiesen hat, erweist sich das Klagebegehren dem Grunde nach als berechtigt. Der Höhe nach steht das Klagebegehren bis auf einen Teilanspruch an Urlaubsentschädigung von S 4.179,80 - insgesamt also mit S 153.525,80 - außer Streit. In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen iS eines den außer Streit stehenden Betrag zuerkennenden Teilurteiles abzuändern. Für die Entscheidung über den strittigen Restbetrag von S 4.179,80 fehlen die erforderlichen Feststellungen über den Urlaubsverbrauch des Klägers. Da es insofern zur Schaffung der Entscheidungsgrundlage einer Verhandlung erster Instanz bedarf, waren in diesem Umfang die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 und 2 ZPO.