OGH vom 10.05.2016, 11Os24/16p

OGH vom 10.05.2016, 11Os24/16p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen M***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom , GZ 17 Hv 105/15i 32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde M***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er in V***** und andernorts

I./ mit unmündigen Personen den Beischlaf bzw dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar

1./ ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2005 bis zumindest 2011 mit der am ***** 1999 geborenen J***** in mehreren Angriffen durch Vaginal-, Anal- und beiderseitigem Oralverkehr und das Einführen von Fingern in ihre Vagina;

2./ im Juni 2015 mit der am ***** 2002 geborenen L***** durch das Einführen von zwei Fingern in deren Vagina;

II./ „mit seiner am ***** 1999 geborenen Stieftochter J***** und mit seiner am ***** 2002 geborenen Stieftochter L*****, sohin mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Personen“ die unter I./ geschilderten geschlechtlichen Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Als Verletzung einer Verfahrensvorschrift in der Hauptverhandlung (Z 3) rügt der Nichtigkeitswerber das vor Vortrag der Protokolle über die kontradiktorische Vernehmungen der beiden Opfer gemäß § 252 Abs 2a StPO (ON 31 S 33) erfolgte „nur teilweise Abspielen der Videoaufzeichnungen über diese Einvernahmen“ (vgl ON 31 S 29 f), zeigt aber solcherart gerade keinen Verstoß gegen die Verlesungsvorschriften des § 252 StPO auf. Der Nichtigkeitswerber kann sich auch nicht auf die Ablehnung eines Antrags (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO; etwa auf Vorführung des gesamten Videomaterials über die kontradiktorischen Vernehmungen) berufen; der Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 14 Os 109/96 (in welcher die Abweisung eines Antrags auf Vorführung der Videoaufzeichnungen über die kontradiktorische Vernehmung einer Belastungszeugin als Verletzung von die Strafverfolgung sichernden Verfahrensvorschriften gewertet wurde) geht daher ins Leere. Dass der Nichtigkeitswerber in der Hauptverhandlung an der Ausübung seines Rechts, ihm notwendig erscheinende Vorführungen oder sonstige Beweisaufnahmen zu beantragen, gehindert gewesen wäre (Z 5a), wird gar nicht behauptet.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfiel der Antrag auf „Beischaffung des Aktes VK ***** der BH Vö*****“ (zum Beweis dafür, dass „das Jugendamt zahlreiche Besuche im Haushalt G***** und dabei auch Einvernahmen mit J***** durchgeführt hat“, ohne einen Hinweis auf Kindesmissbrauch zu erhalten; ON 31 S 29) zu Recht der Abweisung, weil er einerseits nicht erkennen ließ, inwieweit solch ein „nicht vorhandener Hinweis“ für die Schuld- und Subsumtionsfrage relevant sein sollte andererseits nur auf eine Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS-Justiz RS0118444, RS0118123, RS0099841). Der inhaltsgleiche an den Obersten Gerichtshof gerichtete Antrag vom entbehrt jeglicher prozessualer Grundlage und bedarf daher keiner Erwiderung.

Die mit Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vorgebrachte Kritik an der auf den Inhalt vorliegender SMS und Whats App Nachrichten gegründeten (US 7) tatrichterlichen Einschätzung, wonach der Angeklagte eine gegenüber unmündigen bzw jungen Mädchen gegebene Präferenz und ein nicht aufhörendes, zwanghaft sexualisiertes Verhalten zeigt (US 7), spricht keinen entscheidenden für die Schuldfrage oder für die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes maßgeblichen (RIS-Justiz RS0106268, RS0099497; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 399) Aspekt an.

Eine prozessordnungskonforme Darstellung der Tatsachenrüge (Z 5a) verlangt, unter konkreter Bezugnahme auf Beweismaterial, das in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (oder vorkommen hätte können und dürfen), anhand einer Gesamtbetrachtung der tatrichterlichen Beweiswürdigung erhebliche Bedenken gegen die Urteilsfeststellungen zu entscheidenden Tatsachen abzuleiten (RIS Justiz RS0118780). Diesen Kriterien wird die Beschwerde, die sich darauf beschränkt, durchaus berücksichtigte (US 5) Divergenzen in verschiedenen Aussagepassagen der insgesamt für glaubwürdig befundenen (US 5) Opfer ins Treffen zu führen, um deren Verlässlichkeit in Zweifel zu ziehen, nicht gerecht; die Einschätzung des Gerichts von der Aussageehrlichkeit einer Beweisperson aufgrund des von ihr in der Hauptverhandlung (teils mittels Vorführung von Ton- und Bildaufnahmen über die kontradiktorische Vernehmung) gewonnenen Eindrucks (US 5) ist einer Anfechtung mittels Nichtigkeitsbeschwerde überhaupt entzogen (RIS Justiz RS0106588).

Ebenso wenig erweckt der Einwand, der Angeklagte verfüge über eine „rechtschaffende Lebensführung“, habe sich stets „normal mit seinen Lebensgefährtinnen verstanden“ und sich nach Angaben mehrerer Zeugen sowohl um seine als auch um die Kinder seiner Partnerinnen bemüht (vgl US 5), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen (RIS Justiz RS0118780, RS0119583).

Unter dem Gesichtspunkt des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO ist zu bemerken, dass die zu II./ erfolgte gesonderte Subsumtion der dem Angeklagten angelasteten Verhaltensweisen als Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB verfehlt ist: Dieser Tatbestand kann nach den Feststellungen, wonach J***** und L***** jeweils die Töchter der Lebensgefährtinnen des Angeklagten waren (US 3), mangels deren Stellung als „Stiefkinder“ des Angeklagten (so US 2, 3, 8; vgl aber § 40 ABGB,§ 123 Abs 3 ASVG;11 Os 111/13b, 11 Os 1/15d; Philipp in WK 2 StGB § 212 Rz 2 und 4) oder gar „mit ihm in absteigender Linie verwandte“ Personen (so US 2; vgl aber §§ 41, 42, 144 ABGB) nicht erfüllt sein.

Dennoch bietet die verfehlte rechtliche Unterstellung des Sachverhalts auch unter den nicht strafsatzbestimmenden Tatbestand des § 212 Abs 1 Z 1 StGB keinen Anlass für eine amtswegige Maßnahme: Einerseits stellt der Subsumtionsfehler per se keinen Nachteil im Sinn der genannten Bestimmung her ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 23), andererseits kann einer dadurch ausgelösten, durch die aggravierende Wertung des Zusammentreffens von Verbrechen und Vergehen (US 9) hergestellten, nicht geltend gemachten Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO im Rahmen der Berufungsentscheidung Rechnung getragen werden (RIS-Justiz RS0090885), wobei keine dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende Bindung des Oberlandesgerichts an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO besteht (RIS-Justiz RS0118870).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00024.16P.0510.000