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OGH vom 18.04.1996, 8ObA314/95

OGH vom 18.04.1996, 8ObA314/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Zeh und Wienerroither als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Christian G*****, vertreten durch Dr.Josef Weixelbaum, Dr.Helmut Trenkwalder, Dr.Sebastian Mairhofer, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei J.***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Franz Gütlbauer, Dr.Siegfried Sieghartsleitner, Rechtsanwälte in Wels, wegen S 146.229,93 brutto sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 65/95-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 27 Cg 119/93-27, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für OÖ den mit S 3.400,-- bestimmten Aufwand des Berufungsverfahrens und der klagenden Partei die mit S 20.225,-- (darin S 1.162,50 USt und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom bis bei der Beklagten, zuletzt in der Küchenabteilung, als Tischler beschäftigt. Ein schriftlicher Dienstvertrag war zwischen den Streitteilen nicht abgeschlossen worden. Das Dienstverhältnis endete durch Entlassung.

Aufgabe des Klägers war es unter anderem, in Akkordarbeit Küchen liefer- und montagefertig herzustellen. Die Akkordentlohnung im Unternehmen der Beklagten erfolgte dergestalt, daß nach Lieferung und Bestätigung durch den Werkbesteller Tischler und Monteur zusammen 10 % des Nettoverkaufserlöses ausbezahlt erhielten. Der Anteil der Küchentischler, welche vorwiegend in der Werkstätte eingesetzt waren, betrug 3,5 % des Nettoverkaufserlöses und enthielt die Vergütung für die Materialübernahme, die Fertigung, die Arbeitsplatzreinigung und die Fertigstellung des Werkstückes. Die Küchenmonteure erhielten vom Nettoverkaufserlös 0,75 % für die Abnahme der Naturmaße und die restlichen 5,75 % für die Lieferung und Montage. Schäden und Fehler bei der Ausführung der Arbeiten mußten grundsätzlich vom Verursacher selbst behoben werden, ohne daß dieser die Möglichkeit gehabt hätte, seinen zeitlichen Mehraufwand zu verrechnen. Grundsätzlich war vereinbart, daß der Arbeitnehmer, der Verbesserungsarbeiten, die von ihm nicht verursacht worden waren, durchführte, seinen Aufwand zu Lasten des wahren Schädigers, der sich entsprechende Lohnabzüge gefallen lassen mußte, abrechnen konnte. Da aber letztlich die Auszahlung des Akkordlohnes durch die Beklagte für alle Beteiligten vom ordnungsgemäßen Abschluß der Montagearbeiten bei der Kundschaft abhing, einigten sich die betroffenen Mitarbeiter darauf, wer den Schaden tatsächlich beheben sollte, sodaß innerhalb des Akkordentlohnungssystems gegenseitige Zeitabzüge praktisch kaum vorkamen.

Der Kläger hatte die einzelnen Teile einer am zu liefernden Küche bereits am fertiggestellt und wenige Meter von seinem Arbeitsplatz entfernt, auf einem Wagen gelagert. Am Freitag, den , verlud der Monteur die Werkstücke für die Auslieferung am darauffolgenden Montag in einen LKW. Dabei bemerkte er auf der Küchenarbeitsplatte irreparable Kratzer. Auch stellte er fest, daß der Kläger, dem vom Monteur nicht mitgeteilt worden war, daß im speziellen Fall eine 4 mm starke Rückwand erforderlich sei, diese lediglich in der üblichen Stärke von 1 mm hergestellt hatte. Wer die Beschädigung der Arbeitsplatte zu verantworten hatte konnte vom Erstgericht nicht festgestellt werden.

Der Monteur fuhr am Montag in der Früh ohne die beiden unbrauchbaren Werkstücke zum Kunden nach St.Pölten. Er vereinbarte mit dem Geschäftsführer der Beklagten, daß der Kläger in den Vormittagsstunden die beiden Küchenteile neu herstellen und sie sodann zum Kunden nachliefern solle. Tatsächlich führte der Kläger die erforderlichen Arbeiten, für welche er insgesamt vier Stunden benötigte, durch. Als er gegen Mittag dem Geschäftsführer der Beklagten mitteilte, daß die Arbeiten abgeschlossen seien, trug ihm dieser auf, die beiden Werkstücke unverzüglich mit dem Firmenlieferwagen nach St.Pölten zu transportieren. Er erklärte, daß der Kläger hiefür keine gesonderte Entlohnung beanspruchen könne, zumal die Lieferfahrten ohnehin im Akkordlohn, und zwar grundsätzlich im Akkordsatz des Monteurs, bereits enthalten seien. Der Kläger weigerte sich daraufhin, die Werkstücke zum Kunden zu führen, weil er der Auffassung war, daß er schon die Neuherstellung der Werkstücke mangels eigenen Verschuldens im Kulanzweg vorgenommen habe. Daraufhin entließ der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger.

Mit seiner am eingelangten Klage begehrte der Kläger, die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von S 146.229,93 brutto sA an ausständigem Lohn, anteiligen Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung, Abfertigung und Kündigungsentschädigung schuldig zu erkennen. Er sei bei der Beklagten als Tischler beschäftigt und deshalb nicht verpflichtet gewesen, der Weisung des Geschäftsführers, unbezahlt die Werkstücke nach St.Pölten zu bringen, Folge zu leisten. Für die Auslieferung von Werkstücken mittels Firmenfahrzeuges sei eigenes Personal vorhanden gewesen. Das von der Beklagten angewandte Akkordlohnsystem widerspreche dem Kollektivvertrag.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. Dem Kläger sei auf jeden Fall ein Grundstundenlohn von S 92,90 zugestanden. Nachbesserungsarbeiten an einzelnen Werkstücken seien zwar nicht nach dem Akkordlohnsystem, wohl aber mit diesem Mindestlohnanspruch nach den tatsächlich angefallenen Arbeitsstunden entlohnt worden. Die Entlassung des Klägers sei zu Recht ausgesprochen worden, da es am Kläger gelegen wäre, alle Maßnahmen zu setzen, die für die Beseitigung des festgestellten Mangels und die daraus entstandenen Folgen notwendig gewesen seien. Die Behauptung des Klägers, er habe die Nachlieferung ohne Bezahlung durchführen müssen, entbehre jeder Grundlage, weil der Kläger ohnedies Anspruch auf den Grundstundenlohn gehabt habe. Da die Nachlieferung der Teile lediglich rund drei Stunden Zeit in Anspruch genommen hätte, wäre dem Kläger durch die mit dem Firmenfahrzeug durchzuführende Fahrt kein finanzieller Nachteil entstanden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren Folge. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen, welche es rechtlich dahingehend beurteilte, daß eine Pflicht des Klägers, auf Kosten seiner Akkordstunden die neu angefertigten Werkstücke nach St.Pölten zu führen, aus dem Arbeitsvertrag nicht entnommen werden könne. Hiezu komme, daß der Kläger nur verpflichtet gewesen sei, für Fehlleistungen einzustehen, die er selbst zu verantworten habe. Im Verfahren sei aber der Nachweis, daß der Kläger die Oberfläche der Küchenarbeitsplatte beschädigt sowie daß er verschuldetermaßen die Rückwand in einer zu geringen Dimensionierung angefertigt habe, nicht erbracht worden. Die Entlassung des Klägers sei daher ungerechtfertigt gewesen.

Mit dem nun angefochtenen Beschluß hob das Gericht zweiter Instanz das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes könne unter Berücksichtigung der getroffenen "Gruppenakkordvereinbarung" nicht davon gesprochen werden, die Aufforderung des Geschäftsführers der Beklagten an den Kläger, die neu hergestellten Werkstücke mit dem Firmenwagen zur Kundschaft zu liefern, sei außerhalb der vom Kläger übernommenen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gelegen und die Weigerung des Klägers wäre schon aus diesem Grund berechtigt. Der Haupteinwand des Klägers ziele allerdings darauf ab, daß ihm von der Beklagten die Fahrzeit nicht habe bezahlt werden sollen. In diesem Sinne sei die Feststellung des Erstgerichtes, der Kläger habe sich geweigert, die Werkstücke "unbezahlt" nachzuliefern, zu verstehen. Entscheidend sei, ob der Kläger im Hinblick auf den von ihm angestrebten "Akkordlohn" verpflichtet gewesen sei, die Auslieferung ohne gesonderte Bezahlung durchzuführen. Eine derartige Verpflichtung sei im Rahmen der mit dem Kläger getroffenen Entgeltvereinbarung nur dann zu bejahen, wenn der Kläger in seinem Verantwortungsbereich Fehlleistungen zu vertreten habe. In diese Richtung weise auch die jedenfalls analog anzuwendende Bestimmung des § 7 Z 5 des Kollektivvertrages für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe Österreichs, wonach dem Akkordarbeiter, wenn durch Umstände, die nicht in seinem Bereich liegen, eine Minderung des Akkordverdienstes eintritt und der Akkordarbeiter diese Mängel sofort nach ihrem Auftreten dem zuständigen Vorgesetzten meldet, der entgangene Akkordverdienst zu vergüten sei. Ausgehend von dieser Rechtsansicht komme daher der Mängelrüge Berechtigung zu, da nur durch die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden könne, ob der Kläger die Fehlerhaftigkeit der beiden Werkstücke zu verantworten habe. Erst dann seien nämlich verläßliche Feststellungen darüber zu treffen, ob der Kläger bei dem von ihm vorauszusetzenden Fachwissen habe erkennen können, daß die ordnungsgemäße Ausführung des Werkes eine Rückwand in der Stärke von 4 mm erfordere, sowie, worauf die Beschädigung der Arbeitsplatte zurückzuführen sei.

Rechtliche Beurteilung

Dem gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß erhobenen Rekurs des Klägers kommt Berechtigung zu.

Unter Pflichtvernachlässigung im Sinn des § 82 lit.f GewO 1859 ist die Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung der den Dienstnehmer aufgrund des Dienstvertrages, der Arbeitsordnung, des Kollektivvertrages oder des Gesetzes treffenden mit der Ausübung des Dienstes verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten zu verstehen (Arb 10.631; 9 ObA 46/94; 9 ObA 109/95). Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war der Kläger in der Küchenabteilung der Beklagten als Tischler beschäftigt. Wie sich aus dem zwischen den Parteien vereinbarten Leistungslohnsystem ergibt, zählte die Lieferung und Montage der hergestellten Küchen nicht zu den vom Kläger wahrzunehmenden Aufgaben. Es kann daher nicht davon gesprochen werden, daß die Lieferung der Werkstücke zu den unmittelbaren arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers zählte. Grundsätzlich hat aber der Arbeitnehmer nur die vereinbarten Dienste zu leisten. Ein Abweichen vom Vereinbarten wäre nur nach Maßgabe der Treuepflicht zulässig (vgl. Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht 254). Die Treuepflicht ist ihrem Wesen nach eine "Fremdinteressenwahrungspflicht". Sie besteht überwiegend in Unterlassungspflichten und nur ausnahmsweise in positiven Handlungspflichten. Da der Arbeitnehmer nur zu den arbeitsvertraglich bedungenen Arbeiten verpflichtet ist, unterliegt die Treuepflicht, ausnahmsweise bei Arbeiten einzuspringen, die nicht zu seiner eigentlichen Arbeitspflicht gehören, engen Grenzen (ArbSlg 11.177). Eine verbindliche Mitwirkung an unternehmerischen Dispositionen durch Einkommensverzicht oder eine Beteiligung des Arbeitnehmers am Unternehmerrisiko ist davon nicht umfaßt (WBl 1993, 190).

Selbst wenn man daher davon ausgeht, daß der Kläger die Fahrt nach St.Pölten und zurück innerhalb seiner Dienstzeit hätte absolvieren können und daß er - wie von der Beklagten vorgebracht - für diese Zeit den Grundstundenlohn erhalten hätte, wäre der Kläger nicht verhalten gewesen, auf einen sonst durch andere Fertigungsarbeiten erzielbaren Akkordlohn oder zumindest die im § 11 Z 1 lit a des Kollektivvertrags für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe Österreichs vorgesehene Stör-(Außerhaus-)Zulage zu verzichten. Seine Forderung nach einer über den Grundstundenlohn hinausgehenden Abgeltung der Fahrzeit erscheint daher offenbar nicht unberechtigt (vgl § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG, sowie dazu SZ 66/186; ecolex 1996, 116). Eine mögliche Treuepflichtverletzung wäre jedenfalls nicht schuldhaft erfolgt und könnte somit den Entlassungsgrund nicht verwirklichen (RdW 1986, 219; RdW 1994, 22, 9 ObA 191/95). Dies umso weniger, als im Verfahren gar nicht behauptet worden ist, es seien besondere Gründe vorgelegen, die den Dienstgeber zu der Anordnung, die Auslieferung ohne weitere Entschädigung vorzunehmen, geradezu gezwungen hätten (vgl RdW 1994, 22; 9 ObA 191/95).

Aus der Fürsorgepflicht des § 1157 ABGB ergibt sich unter anderem, daß der Dienstgeber das mit seiner unternehmerischen und betrieblichen Tätigkeit verbundene Schadensrisiko nicht ungeprüft und in jedem Falle auf den Dienstnehmer abwälzen darf (vgl Krejci in Rummel ABGB2 § 1157 Rdz 42). Zum unternehmerischen Risiko zählt zweifelsohne auch, daß Werkstücke im Zuge des Produktionsvorganges aus Unachtsamkeit beschädigt werden können. Selbst wenn man unterstellen wollte, daß die hier relevanten Mängel an den Werkstücken vom Kläger zu verantworten wären, ist es dem Dienstgeber gemäß § 7 Abs 1 DHG verwehrt, während des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses eine Aufrechnung von Ansprüchen gegen den dieser Maßnahme widersprechenden Dienstnehmer vorzunehmen. Nichts anderes beinhaltete aber die Weisung des Dienstgebers, die Werkstücke ohne zusätzliche Bezahlung nach St.Pölten zu führen, da damit dem Kläger zwar sein Grundlohn, nicht jedoch der kollektivvertraglich vorgesehene Zuschlag oder die Möglichkeit anderweitig "Akkordlohn" zu verdienen, gewahrt wurde. Durch die Befolgung der Weisung wäre es daher zu einer Einkommenseinbuße des Klägers und damit zu einer unzulässigen Umgehung der Bestimmung des § 7 Abs 1 DHG gekommen.

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf verwiesen, daß nach ständiger Rechtsprechung vor dem Ausspruch der Entlassung wegen Pflichtverletzung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber oder dessen Vertreter ermahnt oder wiederholt zur Erfüllung seiner Pflichten aufgefordert worden sein muß (4 Ob 17/83; RdW 1988, 204; SZ 61/105; 9 ObA 46/95). Gerade in einem Fall, in welchem der Dienstnehmer erkennbar einen nicht offenkundig willkürlichen und unbegründeten Rechtsstandpunkt einnimmt, kann eine derartige Ermahnung nicht als entbehrliche Formalität (vgl SZ 61/105; 9 ObA 109/95) angesehen werden.

Da somit der Kläger den ihm vorgeworfenen Entlassungsgrund nicht verwirklicht hat, war das erstgerichtliche Urteil, welches in der Höhe des zugesprochenen Betrages nicht bekämpft worden ist, wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO in Zusammenhalt mit §§ 2 Abs 1, 58a ASGG.