OGH vom 30.03.2007, 16Ok3/07
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gerhard Kuras und Univ. Doz. Dr. Georg Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Erich Haas und Dr. Johannes Mraz als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, weitere Amtspartei: Bundeskartellanwalt, 1016 Wien, Schmerlingplatz 11, gegen die Antragsgegnerin Josef M*****, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. und Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, wegen Verhängung eines Zwangsgeldes gemäß § 35 Abs 1 lit c KartG, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom , GZ 29 Kt 106, 107/06-4, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichtes vom , 29 Kt 80/05-30, berichtigt durch den Beschluss des Erstgerichtes vom , 29 Kt 80/05-33, wurde der Antragsgegnerin gemäß § 11a Abs 3 WettbG aufgetragen, binnen 14 Tagen den dem Beschluss angeschlossenen Fragebogen der Bundeswettbewerbsbehörde, mit Ausnahme der Fragen 4, 8 und 9, zu beantworten. Die Entscheidung des Kartellobergerichtes, mit welcher die genannten Beschlüsse des Kartellgerichtes bestätigt wurden, wurde dem Rechtsvertreter der Antragsgegnerin am zugestellt.
Mit Antrag vom beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde unter anderem die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Antragsgegnerin gemäß § 35 Abs 1 lit c KartG, um sie zu zwingen, dem Auftrag des Kartellgerichtes nach § 11a Abs 3 WettbG gemäß den angeführten Aufträgen nachzukommen.
Das Erstgericht setzte mit dem angefochtenen Beschluss ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000 EUR für jeden Tag des Verzuges mit der Erfüllung des kartellgerichtlichen Auftrages, beginnend mit dem Tag nach erfolgter Zustellung dieses Beschlusses, fest. Gemäß § 35 Abs 1 lit c KartG habe das Kartellgericht gegen einen Unternehmer Zwangsgelder bis zu einem Höchstbetrag von 5 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten durchschnittlichen Tagesumsatzes für jeden Tag des Verzuges von dem in seiner Entscheidung bestimmten Zeitpunkt an festzusetzen, um ihn zu zwingen, einem Auftrag des Kartellgerichtes nach § 11a Abs 3 WettbG nachzukommen. Die Voraussetzungen zur Festsetzung des Zwangsgeldes seien gegeben, weil die aufgetragene Auskunftserteilung seit geraumer Zeit überfällig sei; Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe lägen nicht vor. Die Zusage der Antragsgegnerin, eine Auskunftserteilung sei bis möglich, biete keine ausreichende Sicherheit dafür, dass dies tatsächlich geschehe.
Aufgrund der evidenten, nachhaltigen und lange andauernden Verweigerung der Antragsgegnerin, dem kartellgerichtlichen Auftrag Folge zu leisten, sei das Zwangsgeld mit einem Tagessatz von 15.000 EUR festzusetzen. Dieser Betrag entspreche knapp unter 4 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten durchschnittlichen Tagesumsatzes der Antragsgegnerin. Die Tagesumsatz-Höhe errechne sich aus dem von der Antragsgegnerin selbst publizierten Jahresumsatz für 2005.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss als nichtig aufzuheben und das Verfahren bis zur Zustellung des angefochtenen Beschlusses am (richtig: ) als nichtig zu erklären, hilfsweise den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde zurück- oder abzuweisen; hilfsweise wird beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Kartellgericht die Ergänzung des Verfahrens aufzutragen.
Die Bundeswettbewerbsbehörde hat eine Rekursbeantwortung erstattet, in der sie die Zurückweisung des Rekurses beantragt; hilfsweise wird beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Vorweg ist festzuhalten, dass auf das vorliegende Verfahren - entgegen dem Rechtsstandpunkt der Rekurswerberin - das KartG 2005 anzuwenden ist. Das Verfahren über die Festsetzung und Verhängung eines Zwangsgeldes gemäß § 35 KartG ist ein selbständiges Verfahren, das als Tatbestandsvoraussetzung in § 35 Abs 1 lit c KartG vorsieht, dass einem Auftrag des Kartellgerichtes nach § 11a Abs 3 WettbG nicht nachgekommen wurde (vgl auch 16 Ok 10/05 zum Geldbußenverfahren).
2. Gemäß § 35 Abs 1 lit c KartG hat das Kartellgericht ua gegen einen Unternehmer Zwangsgelder bis zu einem Höchstbetrag von 5 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten durchschnittlichen Tagesumsatzes für jeden Tag des Verzugs von dem in seiner Entscheidung bestimmten Zeitpunkt an festzusetzen, um ihn zu zwingen, einem Auftrag des Kartellgerichtes nach § 11a Abs 3 WettbG nachzukommen. Diese Bestimmung übernimmt inhaltlich unverändert die in Art 24 VO 1/2003 enthaltene gemeinschaftsrechtliche Regelung, erweitert sie aber um die Möglichkeit der Verhängung von Zwangsgeldern durch das Kartellgericht selbst. Während aber nach Art 24 VO 1/2003 die Europäische Kommission ein Zwangsgeld verhängen kann, hat das Kartellgericht auf Antrag einer Amtspartei bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend ein Zwangsgeld zu verhängen. Zwangsgelder sind - zum Unterschied von Geldbußen - kein Sanktionsmittel wegen Zuwiderhandlungen, sondern sollen ein unterstützendes (Beuge-)Mittel zur Vollstreckung von Entscheidungen sein, die Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungsverpflichtungen aussprechen (Dalheimer/Feddersen/Miersch, EU-Kartellverfahrensverordnung Art 24 Rz 1; Mestmäcker/Schweizer, Europäisches Wettbewerbsrecht² § 21 Rz 2). Entsprechend dem auch präventiven Charakter des Zwangsgeldes soll damit gegenwärtiges oder künftiges Verhalten sanktioniert werden (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 331).
3.1. Das Verfahren zur Verhängung von Zwangsgeldern ist im Gesetz nicht näher geregelt. Aus § 38 KartG ergibt sich lediglich, dass das Außerstreitgesetz anzuwenden ist; außerdem normiert § 36 Abs 1 KartG das Antragsprinzip.
3.2. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof bereits zum Bußgeldverfahren des Kartellgesetzes idF vor der Novelle 2002 ausgesprochen (16 Ok 8/95), dass dieses Verfahren keinen strafrechtlichen Charakter hat und in etwa dem Zwangsstrafenverfahren des § 24 FBG zur Erzwingung von Eintragungen entspricht. Das nur äußerst rudimentär geregelte Bußgeldverfahren des Kartellgesetzes ist im Sinne des firmenbuchrechtlichen Zwangsstrafenverfahrens, das ebenfalls nach den Grundsätzen des Außerstreitverfahrens zu vollziehen sei, auszulegen; dieses Verfahren ist das im Kartellgesetz vorgesehene adäquate Mittel zur Erzwingung einer allfälligen Anzeigepflicht und tritt insofern an die Stelle der für den angestrebten Zweck weniger geeigneten Bestimmungen des AußStrG (§ 2 Abs 2 Z 5 und § 19 AußStrG 1854; vgl nunmehr § 79 AußStrG 2003; vgl auch Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 328). Diese Grundsätze sind auch auf § 35 KartG 2005 zu übertragen, zumal davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bekannt war. Außerdem ergibt sich aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (926 BlgNR 22. GP), dass die Verfahrensregelungen des Kartellgesetzes 1988 weitgehend unverändert übernommen werden sollten. Zu § 35 KartG wird ausgeführt, dass diese Regelung nach dem Vorbild des Gemeinschaftsrechts um die Möglichkeit der Verhängung von Zwangsgeldern durch das Kartellgericht selbst erweitert wurde; die Bestimmung übernehme dabei inhaltlich unverändert die in Art 24 VO 1/2003 enthaltene Regelung.
3.3. Schon aus dem Wortlaut des § 35 KartG ergibt sich, dass das Verfahren zur Festsetzung eines Zwangsgeldes zweistufig ausgestaltet ist (Solé aaO Rz 332). Ist nämlich der betroffene Unternehmer der Verpflichtung nachgekommen, zu deren Durchsetzung das Zwangsgeld festgesetzt wurde, kann das Kartellgericht die endgültige Höhe des Zwangsgeldes mit einem Betrag festsetzen, der unter jenem liegt, der sich aus der ursprünglichen Entscheidung ergeben würde. Das Gesetz sieht daher ausdrücklich zwei kartellgerichtliche Entscheidungen vor:
Einmal jene, mit der der „Tagessatz" festgesetzt wird, und - sobald der Verpflichtung nachgekommen wurde - die Festsetzung der tatsächlichen Höhe des Zwangsgeldes (Solé aaO Rz 332). Dabei kann nach herrschender Auffassung die endgültige Höhe des Zwangsgeldes auch mit „Null" festgesetzt werden. Dies wird damit begründet, dass nach der früheren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den - verfahrensrechtliche Pflichten betreffenden - Bußgeldbestimmungen des Kartellgesetzes idF vor der Novelle 2002 § 24 FBG herangezogen wurde (16 Ok 8/95, 16 Ok 5/97). Bei danach verhängten Zwangsstrafen sei zwar keine gnadenweise Nachsicht vorgesehen, es könne aber, sobald dem gerichtlichen Auftrag Folge geleistet wurde, ausgesprochen werden, dass die verhängte Strafe nicht vollstreckt werde (Solé aaO Rz 332 unter Berufung auf Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 24 Rz 128).
3.4. Zu § 24 FBG vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass die Androhung einer Ordnungsstrafe für den Fall der Nichtbefolgung der ergangenen Verfügung lediglich eine Belehrung und Warnung hinsichtlich der im Gesetz normierten Ungehorsamsfolgen sei, nicht aber schon eine der Anfechtung und Überprüfung zugängliche Verfügung des Gerichtes im Sinne des § 9 AußStrG 1854. Eine solche Entscheidung sei nicht der Rechtskraft fähig und gefährde die Rechtsstellung des Beteiligten noch nicht; diesem fehle daher eine Beschwer zur Erhebung eines Rechtsmittels (6 Ob 15/91 = EvBl 1992/70; RIS-Justiz RS0006399; Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 24 Rz 89 ff mwN). Eine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Beteiligten liegt darin nicht, steht es diesen doch frei, mit dem Rekurs gegen die Verhängung der Zwangsstrafe ihren Rechtsstandpunkt vorzubringen, wobei dem Rekurs in diesem Fall auch aufschiebende Wirkung zukommt (vgl Kodek aaO Rz 90).
3.5. Gleiches muss nach dem Gesagten in Anbetracht des Umstandes, dass die Festsetzung des Zwangsgeldes für die endgültige Festsetzung in keiner Weise bindend ist, auch für die Festsetzung des Zwangsgeldes nach § 35 KartG gelten. Dies entspricht auch der Rechtslage nach Art 24 VO 1/2003. Diese Bestimmung wird vom EuGH (Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, Slg 1989, 2859 Rz 56) und Lehre (de Bronett, Kommentar zum Europäischen Kartellverfahrensrecht Art 24 Rz 3) dahingehend verstanden, dass eine Entscheidung, in der die Kommission den Tagessatz eines Zwangsgeldes festsetze, keine Beschwer des Adressaten erhalte. Diese sei in der Verfügung enthalten, die der Zwangsgeldentscheidung zugrunde liege. Vor dem Erlass einer Entscheidung, in der die Kommission den Tagessatz eines Zwangsgeldes festsetze, würden somit weder die Adressaten, noch Dritte, noch der beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen gehört (EuGH aaO; de Bronett aaO). Eine Entscheidung, durch die die Kommission den Tagessatz eines Zwangsgeldes festsetze, könne nicht vollzogen werden (EuGH aaO). Daraus leitet de Bronett (aaO) ab, dass diese auch nicht losgelöst von der dadurch bewährten Verfügung beim EuG angefochten werden könne.
3.6. Im vorliegenden Fall hat die Rekurswerberin ohnedies Gelegenheit gehabt, den Beschluss des Kartellgerichtes vom , mit dem ihr gemäß § 11a Abs 3 WettbG aufgetragen wurde, binnen 14 Tagen bestimmte Fragen der Bundeswettbewerbsbehörde zu beantworten, anzufechten. Sie hat von dieser Möglichkeit auch - wenngleich erfolglos - Gebrauch gemacht (16 Ok 7, 8/06). Außerdem steht der Antragsgegnerin ein Rechtsmittel gegen die endgültige Festsetzung des Zwangsgeldes zu. Aus dieser Ausgestaltung des Verfahrens zur Festsetzung des Zwangsgeldes ergibt sich somit, dass für eine selbständige Anfechtung der Festsetzung der Höhe des Tagessatzes nach § 35 KartG kein Raum bleibt.
Der unzulässige Rekurs war daher zurückzuweisen.