OGH vom 27.05.2020, 8ObA31/20x

OGH vom 27.05.2020, 8ObA31/20x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. TarmannPrentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** W*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch RSF Schachermayer Füssel Rechtsanwälte in Linz, wegen 1.280,17 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 76/19x17, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 43 Cga 32/19h13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 62,92 EUR USt) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom bis bei der Beklagten als Lehrling im Sinn des BAG und ab als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstnehmerkündigung. Der Kläger befand sich vom bis und vom bis zum im Krankenstand.

Im Verfahren ist strittig, ob das für die Entstehung eines jährlich neuen Entgeltfortzahlungsanspruchs gemäß § 8 AngG maßgebliche Arbeitsjahr des Klägers mit 1. September, dem ersten Tag des Lehrverhältnisses, oder mit 1. Juli, dem ersten Tag des Angestelltenverhältnisses, begonnen hat.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die beim selben Arbeitgeber absolvierte Lehrzeit sei in den Anwartschaftszeitraum nach § 8 Abs 1 AngG einzurechnen, sodass folgerichtig der Beginn des Lehrverhältnisses auch weierhin den Beginn des Arbeitsjahrs markiere. Er habe daher ab einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des Klagsbetrags erworben. Die Beklagte wandte ein, für die Ermittlung des Arbeitsjahrs nach § 8 Abs 2 AngG sei der Beginn des Angestelltendienstverhältnisses maßgeblich.

Das wies das Klagebegehren ab.

Das gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die maßgebliche Frage, wann im Falle der lückenlosen Übernahme eines Lehrlings in ein Angestelltendienstverhältnis der jährliche Stichtag für den Entgeltfortzahlungsanspruch ausgelöst wird, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechng noch nicht behandelt worden sei.

Das Recht der Lehrlingsausbildung sei ein zentral im BAG geregeltes, qualifiziertes Arbeitsrecht, in dem die Bestimmungen des allgemeinen Arbeitsrechts subsidiär Anwendung fänden. Insbesondere regle § 17a BAG auch eigens die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und gewähre dem Lehrling den Anspruch auf Fortzahlung der Lehrlingsentschädigung in der Dauer von acht Wochen in voller Höhe und für weitere vier Wochen als Teilentgelt.

Die Parteien seien darin einig, dass die Lehrzeit des Klägers auf die anspruchserhöhende Wartezeit nach § 8 Abs 1 AngG anzurechnen sei. Dies bedeute aber nicht, dass sich auch der Stichtag für den Beginn des Arbeitsjahrs nach der Lehrzeit richten müsse. Nach der Ausbildungszeit sei ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden.

Nach § 8 Abs 1 AngG bestehe ein Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall nach einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von zehn Wochen in vollem Umfang und für weitere vier Wochen im halben Umfang. Nach § 8 Abs 1 AngG komme es für Ansprüche aufgrund dieses Gesetzes auf den Antritt des Angestelltenverhältnisses an. Lehrlinge seien nach § 5 AngG vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Entgegen der Ansicht des Klägers sei die Heranziehung dieses Stichtags auch grundsätzlich nicht benachteiligend, sondern könne sich je nach Konstellation der Krankenstände auch zum Vorteil des Angestellten auswirken.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die des Klägers, mit der er – ohne konkreten Rechtsmittelantrag, aber erkennbar – ihre Abänderung im klagsstattgebenden Sinn anstrebt. Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Nach § 8 Abs 1 AngG behält ein Angestellter, wenn er nach Antritt des Dienstverhältnisses durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert ist, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, seinen Anspruch auf das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen. Der Anspruch auf das Entgelt beträgt, wenn das Dienstverhältnis ein Jahr gedauert hat, jedenfalls acht Wochen; es erhöht sich auf die Dauer von zehn Wochen, wenn es fünfzehn Jahre, und auf zwölf Wochen, wenn es fünfundzwanzig Jahre ununterbrochen gedauert hat. Durch je weitere vier Wochen behält der Angestellte den Anspruch auf das halbe Entgelt.

Nach § 8 Abs 2 AngG besteht bei wiederholter Dienstverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) innerhalb eines Arbeitsjahrs ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nur insoweit, als die Dauer des Anspruchs gemäß Abs 1 noch nicht erschöpft ist (§ 8 Abs 2).

2. Die in der Literatur kontrovers diskutierte Frage, ob Vordienstzeiten eines Lehrverhältnisses nicht nur auf Anspruchszeiträume nach dem EFZG, sondern auch auf solche nach § 8 AngG anzurechnen sind (ua Reissner in ZellKomm³ § 8 AngG Rz 91 mwN; Schrenk, Angleichung und Erhöhung des Entgeltfortzahlungsanspruchs per – Sonderfragen zu Angestellten und Lehrlingen, ARD 6603/4/2018 ua), ist hier nicht weiter zu behandeln, weil die Beklagte die maßgebliche Gesamtdienstzeit nicht bestritten hat und die Anrechnung aufgrund der hier bereits 15 Jahre übersteigenden Dauer des Angestelltendienstverhältnisses auch keine Anspruchserhöhung bewirkt.

3. Die Einrechnung von Vordienstzeiten für die Ermittlung dienszeitabhängiger Ansprüche, sei es durch Gesetz oder Vereinbarung, ändert aber grundsätzlich nichts am Lauf eines Arbeitsjahrs (RS0077291; 8 ObS 14/95).

Die Revision begründet ihren davon abweichenden Standpunkt zunächst damit, dass das Arbeitsjahr für die Berechnung des Urlaubsanspruchs eines Angestellten mit dem Eintrittsdatum in ein im selben Betrieb absolviertes Lehrverhältnis beginne und für die Entgeltfortzahlung nichts anderes gelten könne.

Dieser begehrten Gleichstellung des Urlaubsjahrs mit dem für die Entgeltfortzahlung maßgeblichen Arbeitsjahr stehen aber die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der beiden Ansprüche entgegen.

Nach § 1 Abs 1 UrlG erstreckt sich der Anwendungsbereich dieses Gesetzes auf Arbeitnehmer aller Art, deren Arbeitsverhältnis auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht. Zu diesem Kreis gehören nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung auch die in einem Berufsausbildungsverhältnis nach dem BAG stehenden Lehrlinge (Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3§ 1 UrlG Rz 9 mwN; § 34 Abs 2 BAG).

Nach § 2 Abs 3 UrlG sind alle bei demselben Arbeitgeber in unmittelbar vorangegangenen Arbeits- und Lehrverhältnissen zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen, sodass im Fall der Übernahme eines Lehrlings als Arbeiter oder Angestellter für das Entstehen des Urlaubsanspruchs weder eine Anwartschaftszeit nach § 2 Abs 2 UrlG neu erfüllt werden muss, noch ein neues Arbeitsjahr beginnt (RS0077333; RS0077267 = 9 ObA 171/88).

Im Gegensatz dazu enthält § 8 Abs 2 AngG nicht nur keine vergleichbare Zusammenrechnungsbestimmung, vielmehr sind Lehrlinge nach § 5 leg cit vom Geltungsbereich des Angestelltengesetzes generell ausgenommen. Der Gesetzgeber hat, wie bereits die Vorinstanzen herausgestrichen haben, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Lehrlinge, Arbeiter und Angestellte jeweils gesondert und abschließend geregelt. An dieser Trennung hat sich auch mit der Novelle des Angestelltengesetzes BGBl I 2017/153, mit der eine grundsätzliche Angleichung der Entgeltfortzahlungsbestimmungen des Angestellten an jene des Arbeiters und eine Ausweitung des Entgeltfortzahlungszeitraums für Lehrlinge vorgenommen wurde, nichts geändert. Der auf § 8 AngG gegründete Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat zwar den gleichen Regelungsgegenstand wie der Fortzahlungsanspruch nach § 17a BAG, ist mit diesem aber nicht ident.

4. Der Anspruch nach § 8 AngG entsteht nach Antritt des Dienstverhältnisses. Beim Übertritt vom Lehrverhältnis in das Angestelltenverhältnis beginnt er neu und unabhängig davon, ob der nach § 17a BAG zur Verfügung stehende Entgelfortzahlungszeitraum im vorangegangenen Lehrverhältnis bereits ausgeschöpft war (ua Reissner in ZellKomm³ § 8 AngG Rz 91; vgl auch zum Arbeitsverhältnis: ARD 5992/13/2009). Weicht der Übertrittsstichtag vom Stichtag des Beginns des Lehrverhältnisses ab, resultiert für den früheren Lehrling und nunmehrigen Angestellten daraus der Vorteil, dass innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums zweimal ein Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht.

Mit dem Argument, dass der Lehrling nach § 18 Abs 1 BAG drei Monate im erlernten Beruf „weiterzuverwenden“ sei (nunmehr nach BGBl I 18/2020: „weiter zu beschäftigen“), weshalb der Stichtag des Eintritts in das Lehrverhältnis maßgeblich sein müsse, vermag die Revision nicht zu überzeugen. Mit dieser Regelung wird dem Dienstgeber für einen begrenzten Zeitraum ein Kontrahierungszwang auferlegt. Der Verweis auf § 14 Abs 1 oder § 14 Abs 2 lit e BAG stellt dabei aber auch klar, dass das diesem Gesetz unterliegende Lehrverhältnis bei Beginn der Weiterbeschäftigungszeit beendet ist, ohne dass eine Anordnung über die arbeitsrechtliche Qualifikation des danach zu begründenden Vertragsverhältnisses getroffen wird.

5. Soweit die Revision sich zuletzt auf eine schlüssig getroffene Vereinbarung der Streitteile über den Stichtag 1. 9. als Beginn des nach § 8 AngG maßgeblichen Arbeitsjahrs stützt, verstößt sie gegen das Neuerungsverbot. Ein vom Arbeitsjahr abweichender Anspruchszeitraum für die Entgeltfortzahlung kann nach § 8 Abs 9 AngG auch nicht durch Einzelvertrag, sondern nur durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung und nur mit dem Beginn eines Kalenderjahrs festgelegt werden.

6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Anrechnung der beim selben Arbeitgeber absolvierten Lehrzeit als Vordienstzeit nichts daran ändert, dass das nächste Arbeitsjahr im Sinn dieser Bestimmung jeweils mit dem Jahrestag des Eintritts in das Angestelltendienstverhältnis beginnt.

7. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG41 und 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00031.20X.0527.000

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