OGH vom 28.05.2013, 8ObA31/13m

OGH vom 28.05.2013, 8ObA31/13m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Mag. Johann Schneller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** K*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei B***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Dr. Heinrich Berger und Mag. Ulrich Berger, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, wegen Feststellung und Anfechtung (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision (samt Rekurs) der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 93/12m 19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 21 Cga 19/12i 15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision (samt Rekurs) wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab bei der Beklagten als Arbeiter in der Abteilung Strangpresse beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für Arbeiter der eisen und metallverarbeitenden Industrie anzuwenden. Mit Schreiben vom wurde der Kläger zum gekündigt. Der Betriebsrat der Beklagten widersprach der Kündigung, kam aber dem Verlangen des Klägers, die Kündigung anzufechten, nicht nach.

Die Abteilung Strangpresse ist bei der Beklagten im Dreischichtbetrieb organisiert. Bis April 2012 arbeiteten in jeder Schicht vier Arbeiter, seit Mai 2012 sind es nur mehr drei Arbeiter pro Schicht. Die Aufgaben der Arbeiter pro Schicht sind „arbeitsteilig“ verteilt, das heißt, jeder der Arbeitnehmer beherrscht jede der drei Tätigkeiten (Mischer, Prüfer und Presser) und wird auch für alle drei Tätigkeiten eingesetzt. Nur der Kläger arbeitete immer als Mischer.

Der Kündigung des Klägers liegen wirtschaftliche Gründe der Beklagten zugrunde. Die Geschäftsführung der Beklagten wollte jenes Personal halten, das eine hohe fachliche Qualifikation aufweist. Dabei sollte Leih und Stammpersonal gleich behandelt werden. Der Kläger wurde ausgewählt, weil dieser als Einziger nur für die Aufgabe als Mischer angelernt und einsetzbar war. Bis April 2012 waren in der Abteilung Strangpresse neun Stammarbeiter und drei Leiharbeiter tätig, seit Mai 2012 sind es noch acht Stammarbeiter und zwei Leiharbeiter. Nach der Kündigung des Klägers wurde kein neuer Leiharbeiter in der Abteilung Strangpresse aufgenommen.

Der Kläger begehrte die Feststellung des aufrechten Bestands seines Arbeitsverhältnisses (Hauptbegehren) sowie hilfsweise die Rechtsgestaltung, die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären (Eventualbegehren). Die Kündigung sei wegen § 2 Abs 3 AÜG nichtig. Diese Regel verbiete die Verdrängung der Stammbelegschaft. Der Arbeitsplatz des Klägers sei nicht weggefallen, weil die nach wie vor beschäftigten Leiharbeiter dieselbe Tätigkeit wie der Kläger ausübten. Die Kündigung sei auch sozialwidrig. Personenbezogene Kündigungsgründe lägen nicht vor.

Die Beklagte entgegnete, dass das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz die Sanktion der Nichtigkeit einer Kündigung nicht vorsehe. Außerdem liege keine Austauschkündigung vor. Der Kläger könne die Kündigung daher nur nach § 105 ArbVG anfechten.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt und stellte fest, dass das Dienstverhältnis des Klägers über den hinaus aufrecht fortbestehe. Durch den Einsatz überlassener Arbeitskräfte dürfe für die Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb keine Gefährdung der Arbeitsplätze bewirkt werden. Ein Verstoß gegen § 2 Abs 3 AÜG könne die Nichtigkeit der Kündigung begründen. Eine Austauschkündigung im engeren Sinn liege hier zwar nicht vor. Bei der Arbeitskräfteüberlassung sei aber das Einsparen von Personal nicht als betriebsbedingter Grund für eine Kündigung zu berücksichtigen, wenn vergleichbare Tätigkeiten im Betrieb weiterhin durch überlassene Arbeitskräfte ausgeführt würden. Dies sei hier zu bejahen, sodass die Gefährdung des Arbeitsplatzes des Klägers durch den Einsatz der Leiharbeiter offenkundig sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Hauptbegehren mit Teilurteil ab. Ein generelles Verbot, Stammarbeiter zu kündigen, solange Leiharbeiter beschäftigt werden, könne § 2 Abs 3 AÜG nicht entnommen werden. Erst wenn eine Situation eintrete, in der die Stammbelegschaft durch leichter freizusetzende Leiharbeitnehmer ersetzt werde, könne der Normzweck eine Nichtigkeitssanktion im Fall der Kündigung von Stammarbeitern gebieten. Eine solche Austauschkündigung liege hier nicht vor. Der Grund für die Kündigung des Klägers sei in Rationalisierungsmaßnahmen begründet gewesen. Das verpönte Motiv der Verdrängung des Klägers als Stammarbeiter sei nicht erkennbar. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung eines Stammarbeiters nichtig sei, wenn gleichzeitig Leiharbeitnehmer im selben Unternehmen beschäftigt seien, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision (samt Rekurs) des Klägers, die auf eine Stattgebung des Hauptbegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

In Ansehung des Eventualbegehrens war der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts entbehrlich. Bei dem vom Kläger erhobenen Rekurs handelt es sich in Wirklichkeit um kein eigenständiges, von der Entscheidung über das Hauptbegehren unabhängiges Rechtsmittel.

1.1 Voranzustellen ist, dass Gegenstand des Revisionsverfahrens nur das Feststellungsbegehren ist. Es geht daher nur um die Frage, ob die Kündigung des Klägers wegen eines Zusammenhangs mit der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern iSd § 2 Abs 3 AÜG iVm § 879 ABGB nichtig ist. Die Anfechtung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit ist nicht Thema des Revisionsverfahrens.

1.2 Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Schutzbestimmung des § 2 Abs 3 AÜG so ausgelegt werden müsse, dass auch im Fall von Rationalisierungsmaßnahmen die Arbeitsverhältnisse der Stammarbeiter vorrangig zu schützen seien und daher die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern jedenfalls dann aufzuheben sei, wenn die Tätigkeit, für die der Leiharbeitnehmer eingesetzt werde, auch vom zu kündigenden Stammarbeitnehmer ausgeübt werden könne. Dazu verweist er darauf, dass er nach einer entsprechenden Einweisung als Prüfer (nicht aber auch als Presser) hätte eingesetzt werden können.

Es stellt sich also die Frage, ob bei Wegfall eines Arbeitsplatzes aus Rationalisierungsgründen ein Stammarbeitnehmer einen ebenfalls schon beschäftigten Leiharbeitnehmer verdrängen kann, wenn der Stammarbeitnehmer eine vergleichbare Tätigkeit wie der Leiharbeitnehmer ausübt oder nach einer Umschulung die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers ausüben könnte.

2.1 Nach § 2 Abs 3 AÜG darf durch den Einsatz überlassener Arbeitskräfte für die Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb keine Beeinträchtigungen der Lohn und Arbeitsbedingungen und keine Gefährdung der Arbeitsplätze bewirkt werden.

Sacherer (in Sacherer/Schwarz , Arbeitskräfte überlassungsgesetz² 107) führt aus, eine Kündigung werde „in der Regel“ wegen Verstoßes gegen ein ausdrückliches gesetzliches Verbot nichtig sein (§ 879 ABGB), wenn Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb (auch durch Änderungskündigung) gekündigt würden, obwohl vergleichbare Tätigkeiten im Betrieb (weiterhin) durch überlassene Arbeitskräfte ausgeführt würden. Darüber hinaus werde in einem Anfechtungsverfahren wegen Sozialwidrigkeit gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG der Arbeitgeber oft nur schwer in der Lage sein, betriebliche Gründe für die Kündigung gemäß lit b dieser Bestimmung nachzuweisen, wenn er im Betrieb für vergleichbare Tätigkeiten überlassene Arbeitskräfte zumindest zeitweise verwende.

Tomandl (Arbeitskräfteüberlassung 42) verweist auf die Ansicht von Sacherer . Zudem führt er aus, die Ziele des AÜG nach § 2 leg cit bestünden im Schutz der überlassenen Arbeitskräfte und in der Vermeidung arbeitsmarktpolitisch nachteiliger Entwicklungen. Mit dem Schutz der Stammarbeitnehmer nach § 2 Abs 3 AÜG werde die Zielsetzung der Vermeidung arbeitsmarktpolitisch nachteiliger Entwicklungen durch den Einsatz von überlassenen Arbeitskräften konkretisiert ( Tomandl , Arbeitskräfteüberlassung 39 und 41).

Schindler (in ZellKomm² § 2 AÜG Rz 16) vertritt die Auffassung, dass die Kündigung von Stammarbeitnehmern „in der Regel“ betrieblich nicht gerechtfertigt sein könne (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG), sofern im Unternehmen überlassene Arbeitskräfte beschäftigt würden, deren Tätigkeit der gekündigte Arbeitnehmer gegebenenfalls nach zumutbarer Umschulung übernehmen könne. Würden Stammarbeitnehmer gekündigt und durch den Einsatz einer überlassenen Arbeitskraft ersetzt , so sei eine solche Kündigung wegen Verstoßes gegen § 2 Abs 3 AÜG nichtig, dies unabhängig von der voraussichtlichen Dauer des Einsatzes der überlassenen Arbeitskraft, weil jegliche Austauschkündigung gegen das ausdrückliche gesetzliche Verbot verstoße. Zudem weist er darauf hin, dass § 2 Abs 2 und 3 AÜG zwei grundsätzliche Anordnungen zur Erreichung der in Abs 1 leg cit genannten Ziele enthielten.

Nach Geppert (Arbeitskräfteüberlassungsgesetz 40) fehlt es an den eine Kündigung rechtfertigenden betrieblichen Erfordernissen iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG, wenn Überlassungskräfte im Beschäftigerbetrieb eingesetzt und deshalb einzelne der in diesem sonst tätigen Arbeitnehmer gekündigt werden.

2.2 Der Oberste Gerichtshof schließt sich der Ansicht an, dass eine Austauschkündigung derart, dass ein Stammarbeitnehmer gekündigt und auf seinem Arbeitsplatz durch einen Leiharbeitnehmer ersetzt wird, wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 879 Abs 1 ABGB iVm § 2 Abs 3 AÜG nichtig ist.

Eine Austauschkündigung in diesem Sinn liegt hier unstrittig nicht vor. Es wurde also nicht der Kläger durch einen Leiharbeitnehmer ersetzt . Vielmehr hat das Erstgericht festgestellt, dass nach der Kündigung des Klägers kein neuer Leiharbeiter in der Abteilung Strangpresse aufgenommen wurde.

2.3 Auch sonst kann im Anlassfall aufgrund der Weiterbeschäftigung von Leiharbeitnehmern nicht von einer Nichtigkeitssanktion der Kündigung des Klägers ausgegangen werden.

Nach den Feststellungen werden die Aufgaben in jeder Schicht arbeitsteilig erbracht, das heißt, jeder der (früher vier und jetzt drei) Arbeiter pro Schicht, gleichgültig ob Stamm oder Leiharbeiter, übten alle drei Tätigkeiten als Mischer, Prüfer und Presser aus. In diesem Sinn hat auch der Kläger selbst vorgebracht, dass es in der Abteilung Strangpresse keinen fixen Arbeitsplatz gegeben habe. Der Kläger war aber der Einzige, der nur eine Tätigkeit, nämlich jene als Mischer, ausgeübt hat. Wird die Tätigkeit in der Abteilung Strangpresse als Gesamttätigkeit angesehen, so kann sich der Kläger aufgrund seines eingeschränkten Einsatzbereichs nicht auf die Ausübung einer vergleichbaren Tätigkeit berufen.

Darüber hinaus ist entscheidend, dass der Kündigung des Klägers Rationalisierungsmaßnahmen im Betrieb der Beklagten zugrunde liegen. In der Abteilung Strangpresse sind seit Mai 2012 nicht mehr vier, sondern nur mehr drei Arbeitnehmer pro Schicht (im Dreischichtbetrieb) tätig. Die Arbeitnehmer in dieser Abteilung wurden um einen Stammarbeitnehmer und einen Leiharbeitnehmer reduziert. Bei genauer Betrachtung wurde unter anderem in der Schicht des Klägers ein Arbeitsplatz eingespart, und zwar jener des Klägers. Dieser Arbeitsplatz ist daher weggefallen. In dieser Schicht arbeitete und arbeitet nach wie vor ein Leiharbeitnehmer.

Die Beklagte kann sich auch auf einen sachlichen Grund für die Auswahl des Klägers zur Kündigung berufen. Der Kläger war als Einziger nur als Mischer einsetzbar. Eine Tätigkeit als Presser kam nicht in Betracht. Nur als Prüfer hätte er eingeschult werden können. Die Wichtigkeit der arbeitsteiligen Arbeitsweise in der Abteilung Strangpresse für die Beklagte, also der Umstand, dass jeder Arbeitnehmer pro Schicht alle Arbeiten beherrscht, wird vom Kläger nicht entkräftet. Vielmehr weist er in seinem Vorbringen selbst darauf hin, dass es in der in Rede stehenden Abteilung keinen fixen Arbeitsplatz gegeben habe. Nach den Feststellungen war die Beklagte bemüht, Stamm und Leiharbeitnehmer aus Anlass der Rationalisierung gleich zu behandeln.

2.4 In der konkreten Situation des Anlassfalls kann nach den dargestellten Grundsätzen nicht von einer Nichtigkeitssanktion der Kündigung des Klägers als Stammarbeitnehmer ausgegangen werden. Die Kündigung des Klägers stellt sich aufgrund der ihr zu Grunde liegenden sachlichen Rechtfertigung auch nicht als Verdrängung von Stammarbeitnehmern dar.

3.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Eine Austauschkündigung, bei der ein Stammarbeitnehmer gekündigt und auf seinem Arbeitsplatz durch einen Leiharbeitnehmer ersetzt wird, ist nichtig. Liegen der Kündigung eines Stammarbeitnehmers bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers aber sachliche und für den Beschäftigerbetrieb wichtige Gründe, wie etwa Rationalisierungsmaßnahmen, zugrunde, so ist die Kündigung des Stammarbeitnehmers im Allgemeinen nicht mit Nichtigkeit bedroht.

3.2 Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision des Klägers war daher der Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 und 392 Abs 2 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:008OBA00031.13M.0528.000