zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 02.07.1987, B334/86

VfGH vom 02.07.1987, B334/86

Sammlungsnummer

11404

Leitsatz

Schuldspruch der OBOK wegen

Berufspflichtenverletzungen und Beeinträchtigungen von Ehre und Ansehen des Standes durch leichtfertigen Vorwurf des Mißbrauches der Amtsgewalt, leichtfertige Verdächtigungen wegen krimineller Handlungen, beleidigender Schreibweise bzw. durch Nichtabgabe der Beitragserklärungen; offenkundig beleidigende Ausdrucksweise; keine Willkür; kein Anhaltspunkt für eine Verletzung des Art 3 MRK; keine Bedenken gegen § 2 DSt; keine Verletzung im Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 13 Abs 1 StGG und Art 10 Abs 1 MRK; jedoch denkunmögliche Annahme, daß die Nichtabgabe der Beitragserklärungen eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes darstelle - Verletzung im Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung nach Art 6 StGG; hier Aufhebung des ganzen Bescheides

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland ist schuldig, dem Bf. die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom wurde Dr. P P in den verbundenen Rechtssachen D 13/81, D 18/82 und D 191/84 für schuldig erkannt:

"1.) als Rechtsvertreter des H F im Strafverfahren wegen Ehrenbeleidigung gegen K R beim BG. St. Pölten, 6 U 921/80 am eine Ablehnungserklärung beim BG. St. Pölten eingebracht (zu haben), in welcher nachstehendes ausgeführt wird:

'Bei der Behandlung der von mir erstatteten Strafanzeige gegen den Beschuldigten (R) wegen des Vergehens der Körperverletzung ist es nämlich zu Unkorrektheiten gekommen, die eindeutig als kriminell anzusehen sind. Das eben beschriebene kriminelle Verhalten im Bereiche der Bundespolizeidirektion St. Pölten hat dazu geführt, daß sich der Bezirksanwalt beim BG. St. Pölten dazu bringen lassen hat, die Einholung eines Gutachtens über die Dauer meiner verletzungsbedingten Geschäftsstörung zu beantragen.'

2.a.) in seiner Äußerung an den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. 3010/80 ausgeführt (zu haben):

'Ingesamt empfinde ich Ihr Schreiben vom (der Aufforderung zur Äußerung betreffend einen am in den St. Pöltner Nachrichten erschienenen Zeitungsartikel) als bedenklich. Der Verdacht einer willkürlichen Vorgangsweise (§302 StGB) scheint nicht völlig denkunmöglich',

b.) in seiner Äußerung vom an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, zu D 13/81 ausgeführt (zu haben):

'Auch der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, der das genannte Schreiben von Dr. S (d.i.d. Anzeige zu I.(1)) offenbar ohne förmliche Beschlußfassung dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland gleichsam unter der Hand zugespielt haben dürfte, hat irgendwelche konkreten Vorwürfe gegen mich nicht zu erheben vermocht'.

3.) in einer als Disziplinaranzeige bezeichneten Eingabe

an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien,

Niederösterreich und Burgenland vom zu D 11/82 zur

Person des Dr. H R, Rechtsanwalt in ... Wien, ..., folgende Sätze

und Ausdrücke verwendet (zu haben):

- 'in nicht mehr zu überbietender Unverfrorenheit meint

er (Dr. R) ... es wäre meine Aufgabe gewesen

...'


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
'Insgesamt erweckt das Schreiben des Angezeigten (Dr. R) den Eindruck, daß der Angezeigte versucht hat, meine Mandantschaft durch ein plumpes Überrumpelungs- und Einschüchterungsmanöver zur Befriedigung einer nicht anerkannten Forderung zu bringen' und


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
'Es entspringt aber einer mir äußerst widerwärtigen Gangstermentalität ...'


Tabelle in neuem Fenster öffnen
4.) trotz mehrfacher Aufforderung durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland für die Jahre 1980, 1982 und 1983 keine Beitragserklärung erstattet (zu haben)."

Er habe hiedurch zu 1. die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes, zu 2. und 3. das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes und zu 4. das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung begangen und werde hiefür gemäß § 12 Abs 1 litc DSt zur Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von zwei Monaten und zur anteiligen Tragung der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

1.2. Mit Erkenntnis vom , Z Bkd 76/85, wurde der von Dr. P P erhobenen Berufung teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , D 13/81, D 18/82 und D 191/84, das im übrigen unberührt blieb, wurde im Qualifikationsausspruch zu 4. dahin abgeändert, daß der Beschuldigte diesbezüglich des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig sei; im übrigen wurde der Berufung jedoch nicht Folge gegeben.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:

"Zu I. 1. des Erkenntnisses:

Der Berufungswerber verkennt in seinen Ausführungen, wie während des gesamten Disziplinarverfahrens, den Inhalt der gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Nicht die Ausschöpfung der im § 9 RAO eingeräumten Rechte, unumwunden und deutlich auf Fehlverhalten auch von staatlichen Organen hinzuweisen, wird ihm zum Vorwurf gemacht, sondern der Umstand, daß er ohne sachliche ausreichende Grundlagen die erhebenden Polizeibeamten eines eindeutig kriminellen Verhaltens bezichtigt hat. Der darin liegende Vorwurf des vorsätzlichen Mißbrauchs der Amtsgewalt war durch keine Information sachlich gedeckt; ...

Zu I. 2. a) und b) und 3. des Erkenntnisses:

Der Schuldspruch des Disziplinarrates zu diesen Fakten ist begründet, da diese auf einem ähnlichen Verhalten des Disziplinarbeschuldigten beruhen wie das Faktum I.1. des Erkenntnisses. Auch in diesen Fällen hat der Disziplinarbeschuldigte bloß aus einem in ihm entstandenen Verdacht und in einer weit über das zulässige Maß hinausschießenden Reaktion ohne Prüfung der Grundlagen und somit in unverantwortlicher Weise den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer und einen Kollegen krimineller Handlungen verdächtigt und letzteren gleichzeitig schwer beleidigt.

...

Zu I. 4. des Erkenntnisses:

Gemäß der auf Grund der §§51 und 53 RAO beschlossenen Umlagenordnung ... ist der Rechtsanwalt zur Abgabe der jährlichen Beitragserklärungen verpflichtet. Der Beschuldigte ist dieser Verpflichtung jedoch nicht nachgekommen und hat auch keine Gründe bekanntgegeben, warum er etwa dazu nicht in der Lage gewesen sei. Der Schuldspruch des Disziplinarrates ist daher auch zu diesem Punkt zu Recht erfolgt. Dennoch war hier der Berufung des Beschuldigten hinsichtlich der Qualifikationsfrage Folge zu geben. Nach ständiger Judikatur bildet die Nichtzahlung von Kammerbeiträgen und daher auch die Nichtabgabe der Beitragserklärungen keine Berufspflichtenverletzung, ... Der Beschuldigte ist deshalb der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig. ..."

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Bf. behauptet, durch diesen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 7 Abs 1 B-VG und 2 StGG, im Recht auf Unterlassung unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gemäß Art 3 MRK, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 MRK, im Recht "auf Einhaltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Delikte und der Strafen gemäß Art 7 Abs 1 MRK", sowie im Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art 13 StGG und Art 10 Abs 1 MRK verletzt zu sein. Gleichzeitig begehrt er die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung der Beschwerde deren Abtretung an den VwGH.

2.2. Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1.1. Eine Verletzung des Gleichheitsgebotes wird vom Bf. behauptet, weil die bel. Beh. willkürlich vorgegangen sei. Im angefochtenen Bescheid würden Textstellen seiner Eingaben aus dem Zusammenhang gerissen bewertet, wobei ihm der Gebrauch des Wortes "kriminell" offenbar schon für sich allein als Verfehlung angelastet werde, obwohl dieses laut Duden nichts anderes als straffällig bedeute. Der von ihm erhobene Vorwurf stütze sich vor allem darauf, daß die bel. Beh. ihre Ansicht überhaupt nicht begründet habe. Die im angefochtenen Erkenntnis enthaltenen Wendungen seien nämlich als Leerformeln zu bezeichnen, die eine Begründung nicht ersetzen könnten. Dazu komme, daß dem von ihm namens seines Mandanten erhobenen Vorwurf zu Grunde liege, daß die Polizeibeamten Zeugen die falsche Belehrung erteilt hätten, sie würden unter Eid aussagen, was eindeutig als rechtswidrig zu bezeichnen sei. Da in der Strafanzeige auf § 83 Abs 2 StGB hingewiesen wurde, sei das Wort "kriminell" gerechtfertigt verwendet worden. Ebenso werde ihm im angefochtenen Erkenntnis ohne Begründung angelastet, den Vorwurf eines vorsätzlichen Mißbrauches der Amtsgewalt erhoben zu haben, ohne daß dieser in der Information sachliche Deckung gefunden hätte. Tatsächlich habe der Bf. alle Möglichkeiten zur Prüfung des maßgeblichen Sachverhaltes ausgeschöpft; die bel. Beh. zeige auch gar nicht auf, durch welche Maßnahmen er eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes herbeiführen hätte können. Im Zuge der Erhebungen zum Disziplinarverfahren D 13/81 sei nicht einmal mitgeteilt worden, was ihm konkret vorgeworfen werde. Der bel. Beh. sei schließlich entgegenzuhalten, daß sich auch Organe eines Selbstverwaltungskörpers in einem demokratischen Staat Kritik gefallen lassen müssen. Bei der Beurteilung seiner Äußerungen über den Kammerfunktionär Dr. R sei des weiteren zu berücksichtigen, daß der Genannte mit der wahrheitswidrigen Behauptung, die Forderung seiner Mandantschaft sei im Ausgleich anerkannt worden, eine Zahlung von 45 % dieser Forderungen erwirken wollte. Als willkürlich empfindet der Bf., daß im Disziplinarverfahren zu D 13/81 zweieinhalb Jahre keine Veranlassungen getroffen worden seien, sodaß es nach seiner Ansicht zu einer Verschweigung des Anklagerechtes gekommen sei. Dazu komme, daß die ihm angelasteten Verfehlungen - insbesondere die Nichtabgabe von Beitragserklärungen - über den Bereich der Kammerorganisation gar nicht hinausgedrungen seien, sodaß auch schon deshalb eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Anwaltsstandes wegen denkunmöglicher Anwendung des Gesetzes verneint werden müsse. Die über den Bf. verhängte Strafe sei aber auch "weit übertrieben", da er ja lediglich Beleidigungen von Polizisten sowie von Kammerfunktionären und das Unterlassen der Abgabe von Beitragserklärungen zu verantworten hätte. Im gesamten Bereich der inländischen Rechtsordnung würden wegen solcher Vergehen "äußerstenfalls geringfügige Geldbußen" verhängt.

3.1.2. Bei der aus der Sicht dieser Beschwerdesache gegebenen und auch vom Bf. nicht in Zweifel gezogenen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides könnte eine Verletzung des Bf. im Gleichheitsrecht gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985) nach der Lage des Falles nur stattgefunden haben, wenn die bel. Beh. Willkür geübt hätte. Ein solches Verhalten könnte ihr etwa vorgeworfen werden, wenn sie den Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt hätte, oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderem Maße mit den Rechtsvorschriften im Widerspruch stünde (zB VfSlg. 10337/1985). Nichts dergleichen ist der bel. Beh. jedoch anzulasten.

Die Beschwerde macht im wesentlichen geltend, daß die bel. Beh. ihre Ansicht, daß die im Schuldspruch wiedergegebenen schriftlichen Äußerungen des Bf. als Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu werten seien, "überhaupt nicht begründet hat". Hiezu genügt es jedoch, die vom Bf. verwendeten Formulierungen hervorzuheben, nämlich die in bezug auf Sicherheitsbeamte gebrauchten Wendungen, es sei "zu Körperverletzungen gekommen, die eindeutig als kriminell anzusehen sind", weiters die in bezug auf eine Standesbehörde abgegebene Erklärung des Bf., er empfinde "Ihr Schreiben ... als bedenklich. Der Verdacht einer willkürlichen Vorgangsweise (§302 StGB) scheint nicht völlig denkunmöglich" und die genannte Standesbehörde habe das in Frage stehende Schreiben dem Disziplinarrat "gleichsam unter der Hand zugespielt", sowie schließlich die in bezug auf einen Kollegen verwendeten Ausdrücke "in nicht mehr zu überbietender Unverfrorenheit" und "ein plumpes Überrumplungs- und Einschüchterungsmanöver" sowie "es entspringt aber einer mir äußerst widerwärtigen Gangstermentalität ...". Es ist festzuhalten, daß es an Mutwillen grenzt, den völlig eindeutigen Sinn derartiger Auslassungen in Frage zu stellen und an ihrer Eignung zu zweifeln, Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes zu beeinträchtigen (vgl. ). Schon das verwendete Vokabular sowie der hiebei in anwaltlichen Schriftsätzen verwendete Wortsinn unterstellt den Adressaten ein kraß rücksichtsloses, rechtswidriges, ja strafbares Vorgehen. Es ist nicht unschlüssig, den Gebrauch solcher Wendungen sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als eine Beeinträchtigung des Standesansehens zu werten; selbst wenn diese Wertung verfehlt wäre, hätte dies der VfGH im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilung des angefochtenen Bescheides nicht aufzugreifen (). Damit erübrigte es sich, auf die weiteren Ausführungen des Bf. im gegebenen Zusammenhang einzugehen; Willkür und damit eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ist der bel. Beh. offenkundig nicht anzulasten.

3.2.1. Unter Hinweis auf seine Ausführungen zur behaupteten Verletzung des Gleichheitsgebotes behauptet der Bf. weiters eine "Verletzung des Rechts auf Schutz vor unmenschlicher Strafe gemäß Art 3 MRK". Der Vollzug der über ihn verhängten Strafe würde dazu führen, daß die Existenz des Bf. wegen nicht besonders schwerwiegender Beleidigungen und des Unterlassens der Abgabe von Beitragserklärungen vernichtet würde.

3.2.2. Gemäß Art 3 MRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Dem VfGH ist unerfindlich, inwiefern der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in den aus Art 3 MRK erfließenden Rechten verletzt sein sollte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der angefochtene Bescheid einen Inhalt hätte, durch den ein die Menschenwürde beeinträchtigender, als eine gröbliche Mißachtung des Bf. zu qualifizierender Akt von der bel. Beh. gesetzt worden wäre; nur ein solches Verhalten aber würde sich als Verletzung des Art 3 MRK darstellen (vgl. VfSlg. 8145/1977, 9385/1982; ).

3.3.1. Unter Verweisung auf sein Vorbringen zum Gleichheitssatz behauptet der Bf. auch, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 MRK verletzt zu sein. Insbesondere sei ihm "zumindest zunächst im Verfahren zu D 13/81 nicht mitgeteilt worden, welcher konkrete Vorwurf" gegen ihn erhoben werde. Dazu komme, daß das zitierte Disziplinarverfahren erst nach einem Stillstand von zweieinhalb Jahren wieder fortgesetzt worden sei.

3.3.2. Der VfGH stellt zunächst fest, daß dem Bf. mit Einleitungsbeschluß des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom eröffnet wurde, daß Grund zu seiner Disziplinarbehandlung wegen der Äußerungen bestehe, die schließlich mit Erkenntnis des Disziplinarrates vom zu seiner Verurteilung führten. Wieso der Bf. bei diesem Sachverhalt die Behauptung aufstellt, daß ihm im Verfahren D 13/81 nicht mitgeteilt worden sei, welcher konkrete Vorwurf gegen ihn erhoben werde, ist unerfindlich. Da die Beschwerdeausführungen somit schon vom Ansatz her verfehlt sind, erübrigte es sich, auf das Vorbringen weiter einzugehen. Soweit der Bf. im gegebenen Zusammenhang schließlich darauf verweist, daß das Disziplinarverfahren erst nach einem Stillstand von zweieinhalb Jahren fortgesetzt worden sei - gemeint ist wohl, daß der Einleitungsbeschluß erst mit einer solchen Verzögerung gefaßt wurde -, ist auch hieraus offenkundig für die Beschwerde nichts zu gewinnen; in die Verfassungssphäre reicht auch dies jedenfalls nicht.

3.4.1. Der Bf. meint weiters, im Recht "auf Einhaltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Delikte und der Strafen gemäß Art 7 Abs 1 MRK" verletzt zu sein, weil nach dem Wortlaut der materiell-rechtlich zu Grunde liegenden Bestimmungen auch wegen geringfügiger Disziplinardelikte die längste im Gesetz vorgesehene Strafe verhängt werden dürfe.

3.4.2. Sollte dieses Vorbringen als Geltendmachung von Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2 DSt zu werten sein, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des VfGH zur Unbedenklichkeit dieser Gesetzesstelle zu verweisen (vgl. zB und die dort zitierte Vorjudikatur, sowie im Zusammenhang mit Art 7 MRK im besonderen VfSlg. 6762/1972, 7814/1976 und 7907/1976).

Soweit der Bf. meint, aus der Aufzählung der Disziplinarstrafen in § 12 Abs 1 DSt ließe sich ableiten, daß auch für das geringste Disziplinarvergehen die schwerste Strafe verhängt werden könnte, übersieht er den Abs 2 leg. cit, welcher die maßgeblichen Kriterien für die Strafbemessung festlegt. Für den Fall des Bf. - er glaubt, zu streng bestraft worden zu sein - ergibt sich hieraus lediglich eine Frage der richtigen Anwendung des Gesetzes, die vom VfGH jedoch nicht zu beurteilen ist.

3.5.1. Der Bf. behauptet schließlich, der angefochtene Bescheid verletze ihn im Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art 13 StGG und Art 10 Abs 1 MRK. Eine Kritik an

Polizeibeamten und Organen der Selbstverwaltung müsse in einem demokratischen Staat erlaubt sein. Wäre die von der bel. Beh. vertretene Ansicht richtig, so würde es eine im Sinne des Standards der demokratischen europäischen Staaten funktionierende Rechtsanwaltschaft nicht mehr geben.

3.5.2. Nach Art 13 Abs 1 StGG hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellungen seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist zwar nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, doch darf auch ein solches Gesetz keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt des Grundrechtes einschränkt (vgl. VfSlg. 6166/1970). Eine nähere Bestimmung dieses Wesensgehaltes findet sich nunmehr in Art 10 MRK. Diese Bestimmung bekräftigt den Anspruch auf freie Meinungsäußerung und stellt klar, daß dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten über Ideen einschließt, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft zB zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind. Da sich die im angefochtenen Erkenntnis ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe über den Bf. auf ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Gesetz stützen kann (s. im gegebenen Zusammenhang VfSlg. 9160/1981), könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 7907/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur). Ein solcher Fehler kann der bel. Beh., die auf Grund der verwendeten Wortfolgen den Tatbestand eines Disziplinarvergehens angenommen hat, jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der VfGH hiebei nicht zu prüfen. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung ist der Bf. also ebenfalls nicht verletzt worden.

3.6. Der VfGH hatte weiter zu beurteilen, ob der Bf. durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt wird.

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird mit Rücksicht auf den in Art 6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nur verletzt, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige V in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10413/1985).

Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen trifft dies nur zu, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hat. Dies ist im Ergebnis aus folgenden Gründen zu bejahen: Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom wurde der Bf. - auch - für schuldig befunden, trotz mehrfacher Aufforderung durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland für die Jahre 1980, 1982 und 1983 keine Beitragserklärung erstattet zu haben; dies wurde als Berufspflichtenverletzung qualifiziert. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Ausspruch dahin abgeändert, daß der Beschuldigte sich durch dieses Verhalten des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig gemacht habe. Hiezu wurde begründend ausgeführt:

"Gemäß der aufgrund der §§51 und 53 RAO beschlossenen Umlagenordnung der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland ist der Rechtsanwalt zur Abgabe der jährlichen Beitragserklärungen verpflichtet. Der Beschuldigte ist dieser Verpflichtung jedoch nicht nachgekommen und hat auch keine Gründe bekanntgegeben, warum er etwa dazu nicht in der Lage gewesen sei. Der Schuldspruch des Disziplinarrates ist daher auch zu diesem Punkt zu Recht erfolgt. Dennoch war hier der Berufung des Beschuldigten hinsichtlich der Qualifikationsfrage Folge zu geben. Nach ständiger Judikatur bildet die Nichtzahlung von Kammerbeiträgen und daher auch die Nichtabgabe der Beitragserklärungen keine Berufspflichtenverletzung, da der Rechtsanwalt hier nicht in Ausübung seines Berufes als Parteienvertreter handelt, sondern in 'eigener Sache'. Der Beschuldigte ist deshalb der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig. Insoweit war das angefochtene Erkenntnis abzuändern."

Der VfGH erachtet diese Beurteilung der bel. Beh., mit der in der schlichten Nichtbefolgung eines von Kammerorganen erteilten Auftrages zur Abgabe der Beitragserklärung eine Verletzung des Standesansehens erblickt wurde, für denkunmöglich; dies auch dann, wenn wiederholten Aufforderungen nicht entsprochen wurde.

Daß der Sachverhalt als Berufspflichtenverletzung zu qualifizieren wäre, hat die bel. Beh. im angefochtenen Bescheid selbst ausgeschlossen.

Da mit dem angefochtenen Bescheid eine Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von 2 Monaten verfügt wurde, greift er in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der freien Erwerbsausübung ein; der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid, da die bel. Beh. das Gesetz denkunmöglich angewendet hat, in diesem Recht verletzt. Dieser ist daher aufzuheben, obschon die Verurteilung auch wegen anderer Disziplinarvergehen ergangen ist, da der angefochtene Bescheid abgesehen von der eben erörterten Änderung des Qualifikationsausspruches - den erstinstanzlichen Bescheid zur Gänze bestätigt. Es konnte daher die festgestellte Verfassungswidrigkeit nur dadurch beseitigt werden, daß der angefochtene Bescheid insgesamt aufgehoben wird.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 1.000,-enthalten.

5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.