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VfGH vom 26.02.1996, B3338/95

VfGH vom 26.02.1996, B3338/95

Sammlungsnummer

14414

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit durch die Versagung der Erteilung der Nachsicht vom Befähigungsnachweis für die Ausübung des Handelsgewerbes; verfassungswidrige Gesetzesauslegung durch bloßes Abstellen auf die "Erfüllung" des Befähigungsnachweises

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der Beschwerdeführer, der in der Zeit vom bis das Gewerbe "Einziehung von Forderungen" ausgeübt und dieses sodann ruhend gemeldet hat, beantragte im März 1994 beim Magistrat der Stadt Graz unter Vorlage von Zeugnissen betreffend Buchhaltung und Lohnverrechnung die Erteilung der Nachsicht vom Befähigungsnachweis für die Ausübung des Handelsgewerbes.

b) Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Graz vom wurde die begehrte Nachsicht verweigert, weil die im § 28 Abs 1 GewO 1994 geforderten Voraussetzungen nicht gegeben seien. Auch wenn eine hinreichende tatsächliche Befähigung angenommen werden könnte, sei vom Nachsichtswerber das Vorliegen eines gemäß § 28 Abs 1 Z 2 lita GewO 1994 vorgesehenen Ausnahmegrundes nicht geltend gemacht worden.

c) Der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom keine Folge gegeben und die beantragte Nachsicht verweigert.

Begründend führte der Landeshauptmann aus:

"Gemäß § 28 Abs 1 Z. 1 GewO 1994 ist die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen, wenn nach dem Bildungsgang und der bisherigen Tätigkeit des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, daß er die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen (volle Befähigung) besitzt und keine Ausschlußgründe vorliegen.

Gemäß § 155 Abs 2 GewO 1994 wird als Befähigungsnachweis für das uneingeschränkte Handelsgewerbe die mindestens 3-jährige befugte Ausübung eines gebundenen Gewerbes, für die der Nachweis der erfolgreich abgelegten Unternehmerprüfung nicht vorgeschrieben ist, anerkannt.

Der Berufungswerber hat das Gewerbe der Einziehung fremder Forderungen laut Auszug aus dem Gewerberegister des Magistrates Graz vom bis (Tag der Ruhendmeldung) ausgeübt. Er hat es daher lediglich 2 Jahre, und nicht wie im § 155 Abs 2 GewO 1994 erforderlich, 3 Jahre ausgeübt.

Er erfüllt daher den Befähigungsnachweis nicht, sodaß spruchgemäß zu entscheiden war."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Erwerbsausübungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird dem Beschwerdeführer die Nachsicht von der Erbringung eines Befähigungsnachweises versagt. Ein solcher Bescheid greift in den Schutzbereich des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit ein (vgl. etwa VfSlg. 13094/1992 und ).

Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 10413/1985, 12098/1989) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, wenn er auf einer dem Grundrecht der Erwerbsfreiheit widersprechenden Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die belangte Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begeht, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie einem Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt, der, hätte ihn das Gesetz, dieses als die Erwerbsfreiheit verletzend verfassungswidrig machen würde (vgl. VfSlg. 10386/1985, 12098/1989, 13560/1993 und ).

2. a) Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 13094/1992 dargetan hat, liegt eine Regelung, die geeignet ist, einen gewissen Standard fachlicher Leistungen zu sichern, im öffentlichen Interesse; es kann daher dem Gewerberechtsgesetzgeber unter dem Gesichtspunkt der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Erwerbsausübungsfreiheit an sich nicht entgegengetreten werden, wenn er zu diesem Zweck den Nachweis entsprechender Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen verlangt. Der Gerichtshof hat dabei die Zulässigkeit der Standardisierung von Ausbildungsgängen und Prüfungsanforderungen, die das Befähigungsnachweissystem des Gewerberechts insgesamt prägt, nicht in Zweifel gezogen, jedoch betont, daß angesichts dieser Standardisierung Nachsichtsregelungen vorhanden sein müssen, die die Ausübung eines Gewerbes auch dann ermöglichen, wenn zwar der standardisierte Befähigungsnachweis nicht erbracht wird, aber auf andere Weise sichergestellt ist, daß die notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Gewerbeausübung vorhanden sind.

b) Diesem Erfordernis trägt nun § 28 GewO 1994 Rechnung, auf dessen Abs 1 die belangte Behörde ihren abweislichen Bescheid stützt und demzufolge unter bestimmten Voraussetzungen eine Nachsicht vom vorgesehenen Befähigungsnachweis zu erteilen ist:

Ist nach dem Bildungsgang oder der bisherigen Tätigkeit anzunehmen, daß der Nachsichtswerber die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse Fähigkeiten und Erfahrungen (die sogenannte volle Befähigung) besitzt und liegen keine Ausschlußgründe vor, ist ihm die Nachsicht ohne weiteres zu erteilen. Verfügt der Nachsichtswerber aber bloß über eine hinreichende tatsächliche Befähigung, also "immerhin über so viel Kenntnisse und Erfahrungen ..., die als erforderlich erachtet werden, um Leistungen erbringen zu können, welche in der Regel von Inhabern des betreffenden Gewerbes verlangt werden" (Rill,

Das Gewerberecht: Grundfragen, Grundsätze und Standort im Rechtssystem, in: Korinek (Hrsg.), Gewerberecht, 1995, 1 ff., hic: 11 (im Anschluß an die verwaltungsgerichtliche Judikatur zur gleichartigen Vorschrift der GewO 1973)), so ist ihm die Nachsicht zu erteilen, wenn die Erbringung des Befähigungsnachweises aus in der Person des Nachsichtswerbers gelegenen Gründen nicht zumutbar ist oder örtliche Gegebenheiten für die Nachsichtserteilung sprechen ().

c) Indem die belangte Behörde ihren - die Gewährung eben dieser Nachsicht versagenden - Bescheid ausschließlich auf den Umstand stützt, daß der Beschwerdeführer den in § 155 Abs 2 GewO 1994 geregelten Befähigungsnachweis nicht "erfüllt", verkennt sie den - unter b) wiedergegebenen - Inhalt des § 28 Abs 1 GewO 1994. Denn es ist der wesentliche und angesichts des Grundrechts der Erwerbsfreiheit auch erforderliche (vgl. Pkt. II.2.a) Gehalt der Nachsichtsregelung, daß sie einen Gewerbeantritt auch dann ermöglicht, wenn zwar nicht der für das angestrebte Gewerbe vorgesehene Befähigungsnachweis erbracht wurde, aber die notwendige Befähigung auf andere Weise sichergestellt ist.

Da die Behörde im bekämpften Bescheid die begehrte Nachsicht bloß aus dem Grund abgelehnt hat, daß der Befähigungsnachweis nicht erbracht wurde, hat sie § 28 Abs 1 GewO 1994 jede eigenständige Bedeutung genommen und dieser Vorschrift zu Unrecht einen Inhalt unterstellt, der sie verfassungswidrig machen würde. Von dieser grundlegend verfehlten Auffassung ausgehend, hat sie keinerlei Prüfung der Voraussetzungen vorgenommen, wie dies § 28 Abs 1 GewO 1994 vorschreibt, und damit das Gesetz verfassungswidrig angewendet, was den Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 10386/1985, 10413/1985, ) mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die belangte Behörde erst in ihrer Gegenschrift darauf hinweist, daß "der Besuch von Kursen ohne abschließende Prüfung ... keinen Nachweis für den Erwerb von für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnissen" darstellt, und damit versucht, ein weiteres Begründungselement quasi nachzureichen, das im Hinblick darauf auf seine Tauglichkeit nicht zu prüfen war.

d) Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.

4. Die Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen werden.