VfGH vom 14.06.2010, B326/08

VfGH vom 14.06.2010, B326/08

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung der Beschwerdeführerin wegen unrechtmäßigen Aufenthalts; keine hinreichende Berücksichtigung ihrer Interessen am Verbleib im Bundesgebiet

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische

Staatsangehörige, reiste am illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag eine Asylantrag, welcher mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom (zugestellt am ) gemäß §§7 und 8 Asylgesetz 1997 rechtskräftig abgewiesen wurde. Seit hält sich die Beschwerdeführerin unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die Beschwerdeführerin heiratete am einen österreichischen Staatsangehörigen, mit dem sie seit einen gemeinsamen Sohn hat. Ihr Antrag vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Rahmen der Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehegatten gemäß § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (in Folge: NAG) wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen. Mit Beschluss vom , B2074/07, wurde die dagegen beim Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, (in Folge: FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom keine Folge gegeben.

Darin führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich die Beschwerdeführerin seit rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Während des Asylverfahrens habe die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsangehörigen geheiratet, mit dem sie ein gemeinsames Kind habe. Ihr sei daher eine entsprechende Integration zuzubilligen, die allerdings insofern zu relativieren sei, als die Beschwerdeführerin während der Dauer des Asylverfahrens nicht davon ausgehen konnte, nach Abschluss des Verfahrens in Österreich bleiben zu dürfen.

Die Ausweisung stelle zwar einen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben iSd § 66 Abs 1 FPG dar, erweise sich jedoch aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK als dringend geboten. Die durch den unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Denn es liefe dem öffentlichen Interesse grob zuwider, wenn ein Fremder bloß auf Grund von Tatsachen, die von ihm geschaffen wurden - nämlich der Nichtausreise trotz rechtkräftigen negativen Abschlusses des Asylverfahrens - den weiteren Aufenthalt erzwingen könnte.

3. Die Beschwerde behauptet die Verletzung von näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten - insbesondere die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander - und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Begründend wird insbesondere angeführt, dass die belangte Behörde auf Grund des intakten Familienlebens und des gemeinsamen Kindes, das die vsterreichische Staatsangehörigkeit besitze, sowie der langen Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet eine fehlerhafte Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK vorgenommen habe. Im Falle ihrer Ausreise wäre die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann und ihrem Kind getrennt und an der Führung eines gemeinsamen Familienlebens gehindert.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Interessenabwägung, insbesondere unter Bezugnahme auf die fehlende Integration der Beschwerdeführerin in Österreich, dargelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§53 Abs 1 und 66 Abs 1 FPG wurden nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof auch nicht entstanden.

Hinsichtlich der in der Beschwerde als verfassungswidrig gerügten Bestimmungen des NAG sei auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe VfSlg. 14.078/1995, 15.673/1999 und die dort zitierte Vorjudikatur zur Präjudizialität genereller Rechtsvorschriften) verwiesen.

2. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

3. Der belangten Behörde ist ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen.

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.223/2007 dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

3.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene - formelhafte - Begründung des angefochtenen Bescheides als unzureichend:

Die Beschwerdeführerin hält sich seit geraumer Zeit rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung - unter Beachtung des § 66 Abs 1 FPG - zutreffend auf § 53 Abs 1 FPG gestützt wurde.

Im Ergebnis ist die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin in Anbetracht der - durch die "Dauer des illegalen Aufenthalts" bewirkten - gravierenden Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens in seinem Gewicht aufgewogen werde. Zudem seien die Eheschließung und auch die Familiengründung zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sich die Beschwerderführerin ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste.

3.3. Die belangte Behörde hat bei der Interessenabwägung außer Acht gelassen, dass die auf Grund der Ausweisung drohende Trennung der Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind, das die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, entscheidungswesentlich mit Blick auf die gemäß Art 8 EMRK garantierten Rechte der Beschwerdeführerin ist. Die belangte Behörde hat dabei auch eine Auseinandersetzung mit den Folgen, die eine Ausweisung der Beschwerdeführerin und der damit verbundenen Trennung von Ehemann und Kleinkind mit sich brächte, unterlassen und beschränkt sich auf die bloße Feststellung, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in ihr Privat- und Familienleben dringend geboten ist. Die belangte Behörde setzt sich auch nicht mit der Frage der Zumutbarkeit des Familiennachzugs von österreichischen Staatsbürgern in das Herkunftsland der Beschwerdeführerin auseinander (vgl. ; ).

Die Schlussfolgerung der Behörde, dass die Nichterfüllung der Ausreiseverpflichtung aus dem Bundesgebiet nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages die öffentliche Ordnung derart gravierend beeinträchtigt, dass das gegenläufige persönliche Interesse der Beschwerdeführerin, nicht von der Kernfamilie getrennt zu werden, in einer Weise relativiert wird, die eine Ausweisung verfassungsrechtlich zulässig erscheinen lässt, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu teilen.

4. Dadurch, dass die Behörde die Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet nicht ausreichend abgewogen hat, wurde diese in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

Der Bescheid war daher schon deshalb aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß § 17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.