OGH vom 07.05.2019, 10ObS22/19m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag.a C*****, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, vertreten durch Dr. Helmut Destaller, Dr. Gerald Mader und Mag. Philipp Pall, Rechtsanwälte in Graz, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 68/18a-9, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin bezog anlässlich der Geburt ihres Sohnes F***** am einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Rückforderung von 1.920 EUR an Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vom 12. 11. bis .
Die Klägerin hat im Verwaltungsverfahren der beklagten Partei bis zum Ablauf des zweiten auf das betreffende Kalenderjahr folgenden Kalenderjahres keinen Zuordnungsnachweis (steuerliche Abgrenzung) darüber erbracht, in welchem Ausmaß Einkünfte aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer Steuerberatungs GmbH vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind.
Mit vom widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes mit der Begründung, mangels der Erbringung eines Zuordnungsnachweises sei von den Einkünften aus selbständiger Arbeit im gesamten Jahr 2013 auszugehen. Die Höhe dieser Einkünfte habe 30.117,55 EUR betragen, sodass sich der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte für das Jahr 2013 mit 39.152,82 EUR errechne. Dieser Betrag überschreite die für das Jahr 2013 bestehende Grenze der Einkünfte von 6.100 EUR um 33.052,82 EUR. Für den Zeitraum bis ergebe sich ein Betrag an zu Unrecht empfangener Leistung in Höhe von 1.920 EUR.
Das gab dem Klagebegehren auf Feststellung, dass der Anspruch auf Rückersatz nicht zu Recht bestehe, statt.
Es stellte aufgrund der im Gerichtsverfahren vorgelegten steuerlichen Abgrenzung fest, dass die von der Klägerin in den Monaten November und Dezember 2013 erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit jeweils 248,51 EUR betrugen. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass auf Grundlage der Zuordnungserklärung der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte im Jahr 2013 die Zuverdienstgrenze nicht überschreite.
Das gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Nach der Entscheidung 10 ObS 146/17v vom ist es dem Kinderbetreuungsgeldwerber trotz Unterlassung einer fristgerechten Zuordnungserklärung gemäß § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG nicht verwehrt, im gerichtlichen Verfahren über eine Rückforderung gemäß § 31 Abs 2 Satz 2 KBGG darzulegen, dass er die Zuverdienstgrenze während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld nicht überschritten hat. Als Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anspruchsvoraussetzungen für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld seit der Novelle BGBl I 2009/116 in § 24 KBGG geregelt sind, während § 8 KBGG (auf den § 24 Abs 1 Z 3 KBGG hinsichtlich der negativen Anspruchsvoraussetzung der Nichtüberschreitung der Zuverdienstgrenze verweist), lediglich regle, welche Einkünfte als maßgebliche Einkünfte für die Beurteilung des Erreichens der Zuverdienstgrenze maßgeblich seien. Auch die in § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG eröffnete Möglichkeit, bis zum Ablauf des zweiten auf das betreffende Kalenderjahr folgenden Kalenderjahres dem Krankenversicherungsträger nachzuweisen, in welchem Ausmaß Einkünfte vor oder nach dem Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind bzw das Unterbleiben eines derartigen Nachweises (Zuordnungserklärung) sei in § 24 Abs 1 Z 3 KBGG (idF BGBl I 2011/139) nicht als Anspruchsvoraussetzung formuliert.
2. Die Revisionsausführungen geben keinen Anlass von dieser ausführlich begründeten Entscheidung, zu der keine gegenteiligen Entscheidungen vorliegen und die bisher im Schrifttum keine Kritik erfahren hat, abzugehen:
2.1 Dies trifft insbesondere auf das Argument zu, die in 10 ObS 146/17v vertretene Ansicht führe infolge der in den § 24 Abs 1 Z 3 und 8 KBGG verwendeten unterschiedlichen Terminologie (Bezugszeitraum, Anspruchsmonat) zu „unsystematischen Ergebnissen“, die nur dann vermieden werden könnten, wenn auch § 8 KBGG (samt der in dessen Abs 1 Z 2 Satz 3 enthaltenen Zweijahresfrist) als anspruchsrelevant angesehen werde:
2.1.1 § 24 Abs 1 KBGG (in der auf den gegenständlichen Fall anzuwendenden Fassung BGBl I 2011/139) regelt das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens und ist mit „Anspruchsberechtigung“ überschrieben. Diese Regelung stellt ihrer Konzeption nach bei der Anspruchsberechtigung auf die laufende Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen im Bezugszeitraum ab (also nicht auf einen bestimmten Stichtag: RS0124614). Die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht, ist grundsätzlich anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten in diesem Zeitraum zu beurteilen (RS0124614 [T1]).
2.1.2 Nach § 24 Abs 1 Z 3 erster Satzteil KBGG ist ua Anspruchsvoraussetzung, dass „während des Bezuges des Kinderbetreuungsgeldes“ keine Erwerbseinkünfte erzielt werden, wobei sich ein Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte von (im vorliegenden Fall) 6.100 EUR nicht schädlich auswirkt.
2.1.3 In § 24 Abs 1 Z 3 KBGG wird hinsichtlich des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte pro Kalenderjahr auf § 8 Abs 1 KBGG verwiesen, mit dem der Inhalt der „maßgeblichen Einkünfte“ definiert wird, die im Kalenderjahr den Grenzbetrag nicht überschreiten dürfen. § 8 KBGG regelt somit, welche Einkünfte als maßgeblich heranzuziehen sind und wie diese zu ermitteln sind (10 ObS 27/14i; Sonntag in Sonntag/Schober/Konecny,KBGG2 [2017] § 8 Rz 2).
2.1.4 Mit dem Bundesgesetz BGBl I 2013/117 sollte die Inanspruchnahme des Kinderbetreuungsgeldes weiter erleichtert werden (ErläutRV 2336 BlgNR 24. GP 1).
§ 8 Abs 1 Z 1 vierter Satz KBGG lautet in der auf Bezugszeiträume ab anzuwendenden (§ 50 Abs 6 KBGG) Fassung BGBl I 2013/117:
„Besteht der Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes für den ganzen Kalendermonat, so zählt dieser Kalendermonat zum Anspruchszeitraum, andernfalls ist dieser Kalendermonat nicht in den Anspruchszeitraum einzubeziehen.“
Damit wird der zunächst in § 8 Abs 1 Z 1 erster Satz definierte Anspruchszeitraum (Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes) eingegrenzt. Die in den Rumpfmonaten anfallenden Einkünfte haben bei der Zuverdienstberechnung unberücksichtigt zu bleiben. Diese Regelung gilt zufolge § 8 Abs 1 Z 2 letzter Satz KBGG auch für die Ermittlung des maßgeblichen Einkommens aus anderen Einkünften (§§ 21 bis 23 EStG 1988). Der Zurechnungsnachweis (§ 8 Abs 1 Z 2 dritter Satz KBGG) hat sich demnach auf die vollen Kalendermonate zu beziehen.
2.1.5 § 24 Abs 1 Z 3 erster Satzteil KBGG stellt jedoch weiterhin unverändert darauf ab, dass „während des Bezuges des Kinderbetreuungsgeldes“ keine Erwerbseinkünfte erzielt werden. Mangels einer entsprechenden Klarstellung oder Anpassung der Terminologie muss aus dem in § 24 Abs 1 Z 3 zweiter Satzteil enthaltenen Verweis auf § 8 KBGG abgeleitet werden, dass bei der Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte für Bezugszeiträume ab nur jene Einkünfte zu berücksichtigen sind, die in den im Bezugs- bzw Anspruchszeitraum liegenden „vollen“ Kalendermonaten (Anspruchsmonaten) erzielt wurden. Diese Gesetzeslage lässt aber nicht die von der Revisionswerberin gewünschte Schlussfolgerung zu, die Anspruchsvoraussetzungen auf Kinderbetreuungsgeld seien nicht (nur) in § 24 KBGG, sondern zugleich auch in § 8 KBGG festgelegt.
2.2 Die Entscheidung 10 ObS 146/17v erging zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld. Es bestand daher kein Anlass, eine Aussage dazu zu treffen, welche Rechtsfolgen die Unterlassung einer Zuordnungserklärung durch einen selbständig erwerbstätigen Elternteil bei Bezug von pauschalem Kinderbetreuungsgeld hat. Die Ansicht der Revisionswerberin aus der Entscheidung 10 ObS 146/17v bzw aus der dort dargelegten Auslegung des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG lasse sich (im Umkehrschluss) ableiten, dass Bezieher von pauschalem Kinderbetreuungsgeld mangels fristgerechten Nachweises der Abgrenzung der Einkünfte bzw bei Übersehen der Zweijahresfrist die Möglichkeit zur Vornahme einer Zuordnungserklärung endgültig verloren hätten, findet in der Entscheidung keine Deckung. Eine derartige Aussage wurde nicht getroffen und widerspräche im Übrigen § 24e KBGG und der dort angeordneten Geltung des § 8 KBGG sowohl für das pauschale als auch für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld. Das Argument, das Hinwegsetzen über § 24e KBGG führe zu einer ungerechtfertigten (und verfassungswidrigen) Ungleichbehandlung von Beziehern des einkommensabhängigen und von Beziehern des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes geht daher ins Leere.
2.3 Auch mit dem Verweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 8 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2011/139 (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4 f) und die dort dargelegte Motivation des Gesetzgebers, durch Einführung der Zweijahresfrist unnötige sozialgerichtliche Verfahren und die damit verbundenen (die Krankenversicherungsträger treffenden) Verfahrenskosten zu vermeiden, zeigt die Revisionswerberin keine neuen Argumente auf. Die in den Gesetzesmaterialien enthaltene Aussage, eine Versäumung der in § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG genannten Frist solle dazu führen, dass im Verfahren vor dem Sozialgericht kein Zuordnungsnachweis mehr erbracht werden könne, findet – wie bereits in der Entscheidung 10 ObS 146/17v ausgeführt – im Wortlaut des § 24 KBGG keine Grundlage. Bloße Äußerungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens stellen keine authentische Interpretation iSd § 8 ABGB dar (10 ObS 74/17f mwN).
2.4 Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Entscheidung Ra 2018/03/0085 des Verwaltungsgerichtshofs kann ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung führen:
2.4.1 In diesem Verfahren hatte der Krankenversicherungsträger mit Bescheid den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Zweijahresfrist zum Nachweis einer Abgrenzung iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung (W198 2147924-1/4E), der Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen gerichtete außerordentliche Revision zurück. Er teilte die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Zweijahresfrist stelle eine materiell-rechtliche Präklusivfrist dar, bei deren Versäumung der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld im den Grenzbetrag übersteigenden Ausmaß untergehe, was zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags führe.
2.4.2 Eine – nach Ansicht der Revisionswerberin gegebene – Bindung an diese Rechtsansicht für die im sozialgerichtlichen Verfahren tätig werdenden Gerichte besteht nicht. Nach ständiger neuerer Rechtsprechung entfaltet nur der Spruch rechtsgestaltender Bescheide einer Verwaltungsbehörde Bindungswirkung für die Gerichte (RS0037015), nicht aber die Begründung des Bescheids bzw die auf einen bestimmten Sachverhalt gestützte Beurteilung der Rechtsfrage (RS0036981 [T8]). Im Übrigen liefe die von der Revisionswerberin gewünschte Bindungswirkung auf eine partielle Bindung der Gerichte im sozialgerichtlichen Verfahren an Teilergebnisse des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens hinaus (Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995] 45 mwN).
3. Zusammenfassend gelingt es der Revisionswerberin nicht, mit neuen Argumenten erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung 10 ObS 146/17v zu wecken, weshalb die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist (RS0103384).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00022.19M.0507.000 |
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