OGH vom 28.02.2012, 8Ob2/12w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als (Revisions )Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M***** K*****, vertreten durch Mag. Michael Berger Wiegele, Rechtsanwalt in Eugendorf, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch die Zumtobel Kronberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen 12.660 EUR sA, über „den Revisionsrekurs bzw die Revision“ der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom , GZ 2 R 75/11d 26, mit dem das Rechtsmittel gegen die (in die Urteilsausfertigung aufgenommene) Zuständigkeitsentscheidung des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 4 Cg 64/10s 22, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem als „ordentlicher Revisionsrekurs bzw ordentliche Revision“ bezeichneten Rechtsmittel wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 838,44 EUR (darin enthalten 139,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Rechtsmittelbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger brachte die dem Verfahren zugrunde liegende Mahnklage beim Landesgericht Salzburg ein. Darin waren zwei auf unterschiedlichen Rechnungen beruhende Werklohnforderungen über jeweils weniger als 10.000 EUR angeführt. Das Landesgericht Salzburg ging davon aus, dass die Forderungen nicht gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen seien. Aus diesem Grund sprach es aus, dass es sachlich unzuständig sei, und wies die Klage a limine zurück. Über Antrag des Klägers hob das Landesgericht Salzburg in der Folge gemäß § 230a ZPO die Zurückweisung der Klage auf und überwies die Rechtssache an das Bezirksgericht Salzburg. Im dortigen Verfahren erhob die Beklagte in ihrem Einspruch die Einrede der (sachlichen) Unzuständigkeit des Bezirksgerichts, weil die Ansprüche aus einem einheitlichen Auftrag resultierten und daher zusammenzurechnen seien. Das Bezirksgericht Salzburg verwarf zunächst diese Unzuständigkeitseinrede. Dieser Beschluss wurde über Rekurs der Beklagten aufgehoben. Daraufhin beantragte der Kläger in der nächstfolgenden Streitverhandlung gemäß § 261 Abs 6 ZPO die (Rück )Überweisung der Rechtssache an das Landesgericht Salzburg. Diesem Antrag wurde vom Bezirksgericht Salzburg entsprochen. In der Streitverhandlung vor dem nunmehrigen Erstgericht vertrat die Beklagte - nach dem Vortrag des beiderseitigen Prozessvorbringens - die Rechtsansicht, dass das Landesgericht Salzburg mit der Zurückweisung der Klage a limine rechtskräftig seine Unzuständigkeit ausgesprochen habe. Sie lasse sich daher nur „unter Vorbehalt“ in den Streit ein, weil ein verneinender Zuständigkeitskonflikt vorliege. Vor Schluss der mündlichen Verhandlung stellte die Beklagte den Antrag auf Zurückweisung der Klage wegen Unzuständigkeit.
Das Erstgericht wies (mit in die Urteilsausfertigung aufgenommenem Beschluss) den Antrag der Beklagten auf Zurückweisung der Klage ab. Gleichzeitig gab es dem Klagebegehren statt. Zur Zuständigkeitsfrage führte es aus, dass die beiden eingeklagten Rechnungen einen einheitlichen Auftrag betreffen würden, weshalb die Ansprüche zusammenzurechnen seien. Aus diesem Grund sei der Akt zu übernehmen gewesen. Ein negativer Kompetenzkonflikt liege nicht vor.
Das Berufungsgericht wies das (in der Berufung der Beklagten enthaltene) Rechtsmittel gegen die Zuständigkeitsentscheidung zurück. Die Berufung wende sich inhaltlich auch gegen den Zuständigkeitsbeschluss des Erstgerichts. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung sei gemäß § 45 JN unzulässig. Dabei handle es sich nämlich um eine Entscheidung, mit der das Erstgericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht habe. Diese Rechtslage habe einerseits zur Folge, dass das in der Berufung enthaltene Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen sei. Andererseits stehe die mit der angefochtenen Entscheidung ausgesprochene Bejahung der sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichts auch der Wahrnehmung einer Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 3 ZPO im Rahmen der Bekämpfung des in der Hauptsache ergangenen Urteils entgegen. Über Antrag der Beklagten auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs erklärte das Berufungsgericht „den ordentlichen Revisionsrekurs und die ordentliche Revision“ nachträglich für zulässig.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zuständigkeitsfrage richtet sich „der ordentliche Revisionsrekurs bzw die ordentliche Revision“ der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen.
Mit seiner Rechtsmittelbeantwortung beantragt der Kläger, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
1. Das vorliegende Rechtsmittel ist im Sinn des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig. Die Anfechtbarkeit einer in die Entscheidung über die Hauptsache aufgenommenen Entscheidung des Erstgerichts über eine Prozesseinrede richtet sich gemäß § 261 Abs 3 ZPO danach, welches Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache offen steht. Die Beklagte konnte die vom Erstgericht gefällte und in seine Hauptsachenentscheidung aufgenommene Zuständigkeitsentscheidung (Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede) nur mit Berufung (als Teil davon) bekämpfen. Der Ausnahmefall, dass die Hauptsachenentscheidung nicht angefochten wurde, liegt nicht vor. Die zutreffend in Beschlussform ergangene Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der es den Teil der Berufung zur Verwerfung der Prozesseinrede durch das Erstgericht zurückwies, unterliegt § 519 Abs 1 Z 1 ZPO (vgl dazu 8 Ob 33/08y). Die Zurückweisung der Berufung bzw eines Teils davon aus formellen Gründen durch das Berufungsgericht führt zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.
2. Der (Revisions-)Rekurs der Beklagten ist aber nicht berechtigt.
Die Beklagte vertritt den Standpunkt, dass - mit dem Beschluss über die Zurückweisung der Klage a limine - bereits ein rechtskräftiger und gemäß § 46 Abs 1 JN bindender Beschluss über die Unzuständigkeit des Landesgerichts Salzburg vorliege. Die Nichtbeachtung dieses Prozesshindernisses stelle einen Nichtigkeitsgrund gemäß § 477 ZPO dar. Das Berufungsgericht thematisiert die Frage, ob der Rechtsmittelausschluss des § 45 erster Fall JN auch dann gelte, wenn die zuständigkeitsbejahende Entscheidung erst nach Eintritt eines negativen Kompetenzkonflikts iSd § 47 JN gefällt und der Kompetenzkonflikt im Ergebnis von einem funktionell unzuständigen Gericht gelöst werde.
3.1 Nach § 45 JN können nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen über die sachliche Zuständigkeit nur mehr beschränkt angefochten werden. Die Bejahung der Zuständigkeit ist nicht, der Ausspruch der Unzuständigkeit nur dann bekämpfbar, wenn das (nach dem Beschluss) sachlich zuständige Gericht seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat (8 Ob 128/08v).
Nach der Rechtsprechung macht es für die Anwendung des § 45 JN keinen Unterschied, mit welcher Begründung sie erfolgt. Ein Rechtsmittel ist selbst dann ausgeschlossen, wenn ein gravierender Verfahrensverstoß ins Treffen geführt wird (RIS Justiz RS0103687; RS0046318). Eine bejahende sachliche Zuständigkeitsentscheidung ist selbst dann bindend, wenn sie nicht ausdrücklich erfolgt, sondern in der Sachentscheidung implizit enthalten ist (RIS Justiz RS0046339; RS0042095). Liegt ein Anfechtungsausschluss vor, so kann die sachliche Unzuständigkeit auch im Berufungs und Revisionsverfahren nicht mehr aufgegriffen werden (vgl RIS Justiz RS0046350; RS0046430). § 45 JN gelangt auch dann zur Anwendung, wenn die Zuständigkeitsentscheidung von der zweiten Instanz gefällt wird (RIS Justiz RS0046328).
3.2 Den vom Erstgericht abgewiesenen Antrag auf Zurückweisung der Klage bezog die Beklagte auf die Unzuständigkeit des Landesgerichts Salzburg. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Erstgericht mit der Abweisung dieses Antrags zum Ausdruck gebracht habe, dass es sich im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten für sachlich zuständig erachte, und damit seine sachliche Zuständigkeit bejaht habe, ist zutreffend. Die Beklagte stellt auch gar nicht in Abrede, dass das Erstgericht die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit verworfen hat und es sich bei dieser Entscheidung um eine Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit nach Eintritt der Streitanhängigkeit handelt.
3.3 Da eine bejahende Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit vorliegt und der Rechtsmittelausschluss nach § 45 JN in diesem Fall nach Streitanhängigkeit umfassend gilt, hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel gegen die Zuständigkeitsentscheidung zu Recht zurückgewiesen. Der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts steht mit der Rechtslage somit im Einklang.
4.1 Zur Begründung des „Zulässigkeitsausspruchs“ wird ergänzend darauf hingewiesen, dass ein vom Berufungsgericht angesprochener negativer Kompetenzkonflikt nicht vorliegt. Ein solcher könnte nur dann bestehen, wenn die Zuständigkeit der betroffenen Gerichte nicht anhand der (lückenhaften) Regelungen zur Bindungswirkung nach § 46 JN geklärt werden kann. Im Anlassfall liegt mit Rücksicht auf die erwähnte Bestimmung des § 46 JN, die für die sachliche Unzuständigkeit und entsprechende Überweisungsbeschlüsse gilt, ein solcher Fall aber nicht vor (vgl Ballon in Fasching/Konecny 2 § 47 JN Rz 6).
Die Bindungswirkung einer Überweisung nach § 230a ZPO verwehrt dem zweiten Gericht (an das überwiesen wurde) aufgrund der Sonderregelung im letzten Satz (nur) eine amtswegige Wahrnehmung seiner Unzuständigkeit; eine amtswegige Rücküberweisung ist damit ausgeschlossen. Im Fall einer Einrede der Unzuständigkeit ist das zweite Gericht aber auch zur neuerlichen Überweisung (Rücküberweisung) gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das (ursprünglich) überweisende Gericht berechtigt (RIS Justiz RS0039113). An einen solchen Beschluss ist das erste Gericht nach § 46 JN jedoch gebunden, weil die Ausnahmeregelung des § 230a ZPO im nunmehr zweiseitigen Verfahren nicht mehr zur Anwendung gelangt (vgl RIS Justiz RS0039122). Der Beklagte hatte hier vor der Überweisung bereits Gelegenheit, zur Frage der Zuständigkeit Stellung zu nehmen. Im Gegensatz zur eingeschränkten Bindungswirkung des Überweisungsbeschlusses nach § 230a ZPO entfaltet ein über Einrede des Beklagten gefasster Überweisungsbeschluss nach § 261 Abs 6 ZPO somit die Bindungswirkung, dass das Gericht, an das überwiesen wurde, an den Ausspruch des überweisenden Gerichts über dessen Unzuständigkeit nach § 46 JN gebunden ist. Die Bindung gilt auch bei einer inhaltlich falschen Lösung der Zuständigkeitsfrage (RIS Justiz RS0119034; Ballon aaO § 46 JN Rz 9).
Nach diesen Grundsätzen war das Landesgericht Salzburg an den Überweisungsbeschluss des Bezirksgerichts Salzburg nach § 261 Abs 6 ZPO, der die sachliche Unzuständigkeit betraf, somit gemäß § 46 JN gebunden. Das Erstgericht hat seine Zuständigkeit zutreffend auch akzeptiert.
4.2 Zum (Revisions )Rekurs der Beklagten ist anzumerken, dass der Bejahung der Zuständigkeit durch das Erstgericht nicht ein - in Form der Zurückweisung der Klage a limine - rechtskräftiger und bindender Beschluss über die Unzuständigkeit des Landesgerichts Salzburg entgegen gestanden ist. Der Beschluss auf Zurückweisung der Klage a limine entfaltet nämlich keine Bindungswirkung ( Ballon aaO § 46 JN Rz 9). Dies ist insbesondere für den Beklagten von Bedeutung, weil er im weiteren Verfahren die Zuständigkeitsfrage relevieren kann. Die Verneinung der Bindungswirkung gilt aber keineswegs ausschließlich für den Beklagten. Außerdem bezieht sich die gerichtliche Kognition bei einem Zurückweisungsbeschluss a limine auf die Zurückweisung der Klage. Die Beklagte kann sich daher auch nicht darauf berufen, dass trotz Aufhebung der Klagszurückweisung nach § 230a ZPO durch den Zurückweisungsbeschluss a limine ein bindender Ausspruch über die Unzuständigkeit aufrecht geblieben sei.
5. Insgesamt war dem als „Revisionsrekurs bzw Revision“ bezeichneten Rechtsmittel der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.