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OGH vom 21.02.2002, 8ObA30/02y

OGH vom 21.02.2002, 8ObA30/02y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Elmar Peterlunger und ADir. Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johannes K*****, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in Lilienfeld, wider die beklagte Partei I*****gmbH, *****, vertreten durch Dr. Martin Prokopp & Mag. Andrea Willmitzer, Rechtsanwälte in Baden, wegen 5.938,81 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom , GZ 7 Ra 341/01w-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 33 Cga 49/00s-24, abgeändert wurde, in öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung der Berufungsverhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens.

Text

Begründung:

Der seit als kaufmännischer Angestellter bei dem Beklagten beschäftigte Kläger war bereits ein Jahr danach allein für den Bereich des Einkaufs verantwortlich, wobei die Lieferscheine und Rechnungen vom Geschäftsführer nur noch darauf überprüft wurden, ob sie vom Kläger einer Überprüfung unterworfen worden waren. Da die Beklagte mit der Fertigung von Schraub- und Pressverbindungen im Bereich der Heizungs- und Sanitäranlagen tätig ist, benötigt sie als Rohmaterial dafür Stangen und Pressgußteile. Diese können entweder zum Vollpreis oder zu einem sogenannten Umarbeitungspreis bezogen werden; letzterer liegt weit unter dem Vollpreis und beträgt nur etwa ein Drittel des Vollpreises, da als Voraussetzung für den Umarbeitungspreis 110 % Späne an den Lieferanten geliefert werden müssen.

Nachdem die Beklagte in finanzielle Schwierigkeiten kam und im ersten Halbjahr 1999 das Ausgleichsverfahren eröffnet wurde, waren Lieferanten nur bereit, Rohmaterial zum Vollpreis zu liefern. Ende Juni 1999 ging jedoch ein Schreiben an alle Lieferanten, in dem die Übernahme der Beklagten durch einen neuen Eigentümer bekannt gegeben und die Lieferanten aufgefordert wurden, eine Belieferung zu den normalen Geschäftsbedingungen durchzuführen. Auch die Mitarbeiter der Beklagten wurden im Rahmen einer Betriebsversammlung im Juli 1999 darauf hingewiesen, dass sie nunmehr keine "Einschüchterungen" durch Lieferanten mehr hinzunehmen hätten, da ja die Finanzkraft des neuen Eigentümers hinter ihnen stehen würde.

Trotz dieser maßgeblichen Änderungen kaufte der Kläger weiterhin das Rohmaterial zum Vollpreis von einem bestimmten Lieferanten, obwohl ihm ein anderer Lieferant, der bereits mit der neuen Muttergesellschaft in ständiger Geschäftsverbindung stand, das Rohmaterial zum Umarbeitungspreis anbot. Die Anrufe des Einkaufsleiters der Muttergesellschaft hatten wenig Erfolg und bei einem vom Kläger im September 1999 geführten Gespräch mit dem Einkaufsleiter der Muttergesellschaft weigerte sich der Kläger, die Einkaufsmodalitäten der Beklagten offenzulegen.

Bei seinem bisherigen Lieferanten hatte der Kläger 1999 noch im Juli

32.700 kg, im August 45.940 kg, im September 16.100 kg sowie weitere 2.062 und 997 kg, im Oktober 15.000 kg und im November 400 kg zum Vollpreis bezogen. Gleiches gilt auch für die Bestellungen des Klägers vom neuen Lieferanten im Juli 1999 über 2.044 kg und im August 1999 über 942 kg.

Hingegen bezog dann der Kläger im September 1999 von seinem bisherigen Lieferanten 14.400 kg zum Umarbeitungspreis und im Oktober 1999 auch von dem neuen Lieferanten über 45.000 kg zum Umarbeitungspreis. Bei der Überprüfung durch einen Kontrolleur im November 1999 fielen diesem Unklarheiten im Einkauf auf, die dann zu einem Gespräch im Dezember 1999 führten, bei dem der Kläger behauptete, dass ihm die Lieferanten zum Einkauf zu Vollpreisen gezwungen hätten. Daraufhin wurden weitere Recherchen angestellt, mit deren Ergebnis der Kläger dann am konfrontiert wurde und erneut behauptete, kein Lieferant wäre bereit gewesen zum Umarbeitungspreis zu liefern, woraufhin die Entlassung des Klägers erfolgte.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage S 81.719,81 sA an Kündigungsentschädigung samt Sonderzahlungen, Urlaubszuschuss sowie Weihnachtsremuneration und Urlaubsabfindung. Er stützt sich dabei im Wesentlichen darauf, dass die Entlassung unberechtigt erfolgt sei, der Geschäftsführer habe immer von den Einkäufen gewusst und diese auch abgezeichnet. Der Kläger sei nie verwarnt worden. Ab Oktober 1999 hätte er auch bei seinem alten Lieferanten nicht mehr zu Vollpreisen eingekauft. Ein allfälliger Schadenersatzanspruch der Beklagten sei verfristet.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass sie dem Kläger zu Recht wegen Vertrauensunwürdigkeit und Untreue entlassen habe, da er auch nachdem der Liquiditätsengpass beendet gewesen sei zu dem höheren Vollpreis eingekauft habe. Insgesamt ergebe sich daraus ein Schaden vom 580.000,-- S, der auch in compensando eingewendet werde. Jedenfalls treffe den Kläger ein Mitverschulden, da er Rechtfertigungsgründe nicht rechtzeitig geltend gemacht habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es ging dabei davon aus, dass der Kläger allein für den Einkaufsbereich verantwortlich gewesen sei. Trotz Überwindung der Liquititätsprobleme und anderer Möglichkeiten habe er weiter teurer zum Vollpreis eingekauft und sich damit als des Vertrauens des Arbeitgebers unwürdig erwiesen. Da der konkrete Schaden erst bei dem Gespräch vom festgestellt worden sei, sei die Entlassung auch rechtzeitig ausgesprochen worden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers folge und änderte das gerichtliche Urteil dahin ab, dass es die Forderung als zu Recht bestehend erkannte, hingegen die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und die Beklagte daher zur Zahlung der geltend gemachten Forderung verpflichtete. Das Berufungsgericht stellte dabei ergänzend die konkreten Einkäufe im Jahre 1999 fest. Es ging - offenbar irrtümlich - davon aus, dass der Kläger erst im Oktober 1999 (und nicht wie richtig 1998) die alleinige Kompetenz für den Bereich des Einkaufs übernommen habe. Die Einkäufe bis dahin könnten dem Kläger gar nicht vorgehalten werden. Im Oktober und November 1999 habe der Kläger aber ohnehin nur geringe Mengen zum Vollkaufpreis eingekauft; im Übrigen seien die Einkäufe des Klägers dem Geschäftsführer bekannt gewesen. Es liege im Ergebnis weder einer Vertrauensunwürdigkeit noch eine Untreue im Sinne des § 27 Z 1 AngG vor; ebenso wenig sei eine Grundlage für Schadenersatzansprüche der Beklagten vorhanden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist schon gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG jedenfalls zulässig und auch berechtigt. Unzutreffend releviert die Beklagte aber insoweit einen Mangel des Berufungsverfahrens als sie geltend macht, dass auch noch Feststellungen darüber zu treffen gewesen wären, dass der neue Lieferant bereit gewesen wäre, auf "offene Rechnung" zu liefern. Die Frage, welche Feststellungen ausgehend von einem konkreten Vorbringen zu treffen ist, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (vgl Kodek in Rechberger ZPO2 § 471 Rz 6). Auch die weitere Frage, inwieweit hier die Auftragsvergaben an den neuen Lieferanten vorweg zu Vollpreisen darauf zurückzuführen sei, dass gar keine Späne vorhanden waren, zeigt keinen konkreten Mangel des Berufungsverfahrens auf, sondern wird nur allenfalls im fortgesetzten Verfahren im Rahmen der Beweiswürdigung hinsichtlich der im Zusammenhang stehenden Feststellungen zu prüfen sein.

Berechtigt macht die Revision aber geltend, dass das Berufungsgericht sich bei seinen Feststellungen zu den Einkäufen auch mit der, von der der Beklagten ja auch beantragten Einvernahme des Geschäftsführers der Beklagten auseinandergesetzt hat, ohne diesen jedoch selbst zu vernehmen oder auch nur dessen Aussagen zu verlesen. Nach dem im Hinblick auf § 488 Abs 2 ZPO auch für das für das Berufungsverfahren maßgeblichen § 281a ZPO kann jedoch von der neuerlichen Einvernahme des Zeugen nur dann Abstand genommen und das Protokoll über seine bisherige Einvernahme verlesen werden, wenn die an diesem Verfahren beteiligten Parteien nicht ausdrücklich das Gegenteil beantragen oder das Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht. Im Zusammenhang damit sieht auch § 488 Abs 4 ZPO vor, dass die Rechtswirksamkeit eines Einverständnisses mit der Verwertung des Protokolls über die unmittelbare Beweisaufnahme voraussetzt, dass bei den Parteien Klarheit über die als bedenklich erachteten oder vermissten Feststellungen besteht (vgl RIS-Justiz RS0040339, RS00420096; Kodek in Rechberger ZPO2 § 488 Rz 4 zur Beweisergänzung). Nun ist wohl im Hinblick auf den verkündeten Beschluss auf "Beweisergänzung" zur Frage der Preise der Bestellungen und Verlesung der Urkunden ausreichend klar, welche Feststellungen das Berufungsgericht ergänzend zu treffen beabsichtigte. Dem entsprechend hätte das Berufungsgericht sich auch auf die Verlesung die vom Erstgericht unmittelbar aufgenommenen Einvernahmen stützen können, soweit es die Parteien unterliessen, einen Antrag auf unmittelbare Beweisaufnahme zu stellen (vgl MGA ZPO15 § 488 E 23 = MietSlg 49.665, RIS-Justiz RS0042213, RS0040329). Das Berufungsgericht hat aber nach der korrigierten Fassung des Protokolls über die Einvernahmen über die mündliche Berufungsverhandlung überhaupt von einer Verlesung der Protokolle über die Einvernahmen Abstand genommen, diese aber dann im Rahmen der Beweiswürdigung behandelt. Diesbezüglich war also für die Parteien nicht ausreichend klar, welche Beweismittel das Berufungsgericht seinen Feststellungen zugrunde legen würde. Insoweit blieb das Berufungsverfahren mangelhaft. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang allerdings noch einen Verstoß gegen § 473a ZPO releviert, ist sie darauf zu verweisen, dass diese Bestimmung schon nach dem klaren Wortlaut Feststellungen, die vom Berufungsgericht selbst getroffen werden, nicht erfasst (vgl RIS-Justiz RS0111366; vgl auch allgemein zum Umfang der Rügepflicht bei einer - wie hier - ordnungsgemäß ausgeführten Rechtsrüge RIS-Justiz RS00113473 mwN). Im Ergebnis wesentlich ist aber vor allem, dass das Berufungsgericht - offensichtlich irrtümlich - davon ausgegangen ist, dass der Kläger erst im Oktober 1999 die Verantwortung für den Einkauf übernommen hat, während dies bereits im Oktober 1998 der Fall war. Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt nach ständiger Rechtsprechung jede Handlung und Unterlassung des Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers als unwürdig erscheinen lasst, weil der Arbeitgeber befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen wird und dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet werden (vgl RIS-Justiz RS0029547 mzwN etwa zuletzt ). Bei Angestellten mit leitender Stellung ist ein strenger Maßstab hinsichtlich der Vertrauensunwürdigkeit anzulegen (vgl mwN, etwa RdW 2001, 171 ua). Für die Verwirklichung des Entlassungsgrundes ist schon Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers ausreichend, eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich (vgl etwa mzwN, etwa RIS-Justiz RS0029531 ua).

Hingegen ist bei dem Entlassungsgrund der Untreue nach § 27 Z 1 AngG ein vorsätzlicher und pflichtwidriger Verstoß gegen dienstliche Interessen des Arbeitgebers erforderlich (vgl RIS-Justiz RS0029506 mzwN, etwa RdW 1992, 249 ua).

Nach den vom Erstgericht getroffenen und insoweit vom Berufungsgericht nicht abgeänderten Feststellungen hat der Kläger, obwohl im Juni 1999 ein Rundschreiben an die Lieferanten erging und die Arbeitnehmer im Juli 1999 darauf hingewiesen wurden, keine "Einschüchterungen" durch Lieferanten hinzunehmen und der neue Lieferant auch bereit war zum wesentlich günstigeren Umarbeitungspreis (ca ein Drittel des Vollpreises) zu liefern bei seinem alten Lieferanten auch noch im Juli bis September 1999 im großem Umfang zum höheren Vollkaufpreis bestellt. Damit hatte er aber eindeutig gegen die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers verstoßen, sodass die Entlassung als berechtigt anzusehen wäre. Der Kläger hat jedoch die Feststellungen hinsichtlich der Bereitschaft, des neuen Lieferanten zum günstigeren Preis zu liefern, in seiner Berufung bekämpft. Insoweit blieb die Berufung jedoch vom Berufungsgericht unbehandelt, sodass auch aus diesem Grund das Verfahren an das Berufungsgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen war.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass unerörtert blieb, inwieweit im Klagebegehren auch von der Berechtigung der Entlassung unabhängige Ansprüche - etwa auf Urlaubsabfindung - enthalten sind. Dem erst nach Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 6 DHG erhobenen Aufrechnungseinwand der Beklagten steht allenfalls die Verfristung entgegen (vgl MGA

Arbeitsrecht DHG § 6 E 16 mwN = JBl 1987, 127 [P. Bydlinski] = Arb

10.544 = SZ 59/137 ua).

Insgesamt war daher der Revision der Beklagten Folge zu geben und das Verfahren zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 2 ASGG, 52 ZPO.