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VfGH vom 10.06.1991, B323/90

VfGH vom 10.06.1991, B323/90

Sammlungsnummer

12698

Leitsatz

Keine Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die neuerliche Verurteilung durch den - nun gesetzmäßig zusammengesetzten - Disziplinarrat wegen überhöhter Honorarforderungen; keine Willkür; unzulässige Verweisung auf einen anderen Schriftsatz

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zlen. D 29/75, D 42/77, D 60/78, D 115/78, D 122/78 und D 19/82 wurde der Beschwerdeführer des verfassungsgerichtlichen Verfahrens in fünf Fällen einer Berufspflichtenverletzung und in sechs Fällen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes für schuldig befunden und hiefür zu einer Geldbuße von S 95.000,-- verurteilt. Der dagegen vom Disziplinarbeschuldigten erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom , Z Bkd 89/86-19, keine Folge gegeben.

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

3. Zur Vorgeschichte:

Die Disziplinarsachen D 29/75, D 42/77 und D 60/78 waren bereits Gegenstand eines Bescheides der OBDK vom , der vor dem Verfassungsgerichtshof mit Beschwerde bekämpft wurde. Diesbezüglich genügt es daher, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B370/81, zu verweisen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid der OBDK vom wegen Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgehoben, weil die Disziplinarbehörde erster Instanz zufolge einer gesetzwidrigen Fassung der Geschäftsordnung (s. VfSlg. 9756/1983) nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war.

Infolge des Erkenntnisses vom , B370/81, hat die OBDK - wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt - mit Bescheid vom das Erkenntnis des Disziplinarrates vom , D 29/75, D 42/77 und D 60/78, aufgehoben und die Disziplinarsachen zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland hat in der Folge die soeben erwähnten Disziplinarsachen mit den Disziplinarsachen D 115/78, D 122/78 und D 19/82 zur gemeinsamen Entscheidung in der Sache verbunden. Das hierüber ergangene Erkenntnis vom ist Gegenstand des Bescheides der OBDK vom , Z Bkd 89/86-19, der nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten ist.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1.1. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, daß der angefochtene Bescheid in drei Fällen einen Schuldspruch bestätige, der bereits Gegenstand des ersten Rechtsganges gewesen sei (vgl. oben 3.).

Da der Verfassungsgerichtshof das den ersten Rechtsgang abschließende Disziplinarerkenntnis der OBDK vom nach Durchführung eines die angewendeten Bestimmungen der Geschäftsordnung beseitigenden Verordnungsprüfungsverfahrens aufgehoben habe, stehe dem Beschwerdeführer die "Ergreiferprämie" zu. Ein nachträglich erlassenes neues Gesetz dürfe nicht auf Anlaßfälle angewendet werden. Im vorliegenden Fall habe die Disziplinarbehörde aufgrund der geänderten Rechtslage ein neues Disziplinargericht gebildet, das ihn wegen der bereits im ersten Rechtsgang verfolgten Tatbestände neuerlich verurteilt habe. Das bekämpfte Erkenntnis der OBDK sei mit Verfassungswidrigkeit belastet, da es darauf hinauslaufe, daß das Recht des Beschwerdeführers auf die "Ergreiferprämie" umgangen werde.

Dazu komme, daß hinsichtlich aller Fakten, die bereits Gegenstand des ersten Rechtsganges waren, Verjährung eingetreten sei, da die zugrundeliegenden Einleitungsbeschlüsse von einer Behörde erlassen wurden, die - wie sich aus dem Erkenntnis VfSlg. 9756/1983 ergebe - rechtlich nicht existent gewesen sei. Wie sich aus dem Erkenntnis der OBDK vom , Z Bkd 68/85, dem eine gleiche Fallkonstellation zugrunde lag, ergebe, seien die gegen ihn im ersten Rechtsgang gefaßten Einleitungsbeschlüsse nichtig, sodaß er hinsichtlich der ihm dort zum Vorwurf gemachten Disziplinarvergehen wegen Verjährung hätte freigesprochen werden müssen.

4.1.2. Mit diesen Ausführungen zielt der Beschwerdeführer der Sache nach darauf ab, daß der angefochtene Bescheid ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletze, weil hinsichtlich der Fakten, die bereits Gegenstand des ersten Rechtsganges waren, rechtlich existente Einleitungsbeschlüsse nicht vorlägen. Dies trifft jedoch schon deshalb nicht zu, weil die für eine disziplinäre Ahndung vorausgesetzte Konkretisierung der gegen den Beschwerdeführer erhobenen Anschuldigungen jedenfalls vorlag, sodaß im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 5523/1967) die Disziplinarbehörde nicht ohne entsprechende Anschuldigung entschieden hat. Damit geht auch der Vorwurf ins Leere, daß die Einleitungsbeschlüsse von einer Behörde gefaßt worden seien, die nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war. Bei einem Einleitungsbeschluß handelt es sich nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. insbesondere die eingehende Begründung in VfSlg. 9425/1982, sowie weiters VfSlg. 10944/1986 und 11515/1987) um eine schlichte Verfahrensanordnung, durch die ein unmittelbarer Eingriff in Rechte nicht stattfindet; die rechtliche Bedeutung eines Einleitungsbeschlusses liegt allein darin, daß ein Disziplinarverfahren aufgrund einer für die disziplinäre Ahndung vorausgesetzten konkretisierten Anschuldigung (vgl. auch VfSlg. 11350/1987) seinen Fortgang nehmen kann (vgl. weiters die bereits zitierten Erkenntnisse VfSlg. 9425/1982 und 11515/1987). Mit Recht ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid der von ihr im Erkenntnis vom , Z Bkd 68/85, vertretenen Ansicht nicht mehr gefolgt.

Soweit der Beschwerdeführer aber aus dem Erkenntnis der OBDK vom , Z Bkd 68/85, ableitet, die belangte Behörde hätte ihm gegenüber in gleicher Weise vorzugehen gehabt wie gegenüber dem Disziplinarbeschuldigten des genannten Verfahrens, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach ein Anspruch auf ein gleiches Fehlverhalten, wie der Beschwerdeführer es für ein anderes Verfahren behauptet, nicht ableitbar ist (vgl. zB VfSlg. 11435/1987).

Verfehlt ist aber auch der Beschwerdevorwurf, daß der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer die "Ergreiferprämie" verweigere. Die Annahme der Beschwerde, daß die Feststellung der Gesetzwidrigkeit des § 6 Abs 2 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, der die Zusammensetzung des Disziplinarsenates betraf, auch einer weiteren disziplinären Verfolgung des Beschwerdeführers durch eine gesetzmäßig zusammengesetzte Behörde entgegengestanden wäre, ist schon vom Ansatz her völlig verfehlt, sodaß es einer weiteren Auseinandersetzung hiemit nicht bedarf (auch der Beschwerdeführer ist sich dessen bewußt, daß die gesetzwidrige Bestimmung ihm gegenüber im fortgesetzten Verfahren nicht angewendet wurde).

Die in diesem Zusammenhang behaupteten Verfassungswidrigkeiten liegen somit nicht vor.

Auf weitere Beschwerdegründe im Zusammenhang mit den Disziplinarsachen D 29/75, D 42/77 und D 60/78 war nicht mehr einzugehen, weil der Beschwerdeführer in der vorliegenden Beschwerde diesbezüglich nur darauf verweist, daß "im übrigen ... die Beschwerdegründe ... entsprechend den Beschwerdeausführungen im Verfahren B370/81 neuerlich wiederholt und vorgebracht" werden, diese Verweisung auf einen anderen (in einem vor dem Verfassungsgerichtshof nicht verbundenen Verfahren erstatteten) Schriftsatz aber nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unzulässig ist (vgl. zB VfSlg. 8602/1979, 11611/1988).

4.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, weil er im Verfahren D 19/82 verurteilt worden sei und ihm damit angelastet werde, daß ihm Kosten, die er mit einer Kostenklage begehrt habe, nicht zugestanden wären, obwohl seinem Antrag auf Überprüfung seines Honoraranspruches durch einen Sachverständigen nicht entsprochen worden sei.

4.2.2. Auch dieser Vorwurf ist offenkundig verfehlt.

Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen könnte die behauptete Gleichheitsverletzung nur vorliegen, wenn die Behörde Willkür geübt hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985).

Von all dem kann jedoch keine Rede sein. Ausgehend von den Feststellungen der Disziplinarbehörde erster Instanz, denen die belangte Behörde - vertretbarerweise - folgt, hält sie der Berufung des Disziplinarbeschuldigten entgegen, daß keine überzeugenden Argumente gegen die vom Disziplinarrat ausführlich begründete, sowohl mit den Denkgesetzen als auch mit der allgemeinen Lebenserfahrung im Einklang stehende Beweiswürdigung vorgebracht wurden. Die in der Berufung ansatzweise erkennbare Beweisrüge habe sich in allgemeinen Hinweisen erschöpft, daß die Darstellung des Disziplinarbeschuldigten wirklich glaubhaft sei und daß nicht übersehen werden dürfe, daß seine Honorarschuldnerin - gegen diese hatte er ein Pauschalhonorar von S 5 Mio eingeklagt, den Rechtsstreit jedoch sodann mit S 378.000,-- verglichen - die Sache vielleicht "nicht mehr so im Kopf" habe. Der Beschwerdeführer habe selbst zugestanden, möglicherweise im Beweisnotstand zu sein. Der Disziplinarbeschuldigte habe weder im Verfahren vor dem Disziplinarrat ein substantiiertes Vorbringen erstattet noch in seiner Berufung auch nur ansatzweise eine Berechnung vorgelegt, aus der sich die seiner Meinung nach berechtigte Honorarforderung gemäß den autonomen Honorarrichtlinien ergebe.

Aus dieser auszugsweise wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, daß die belangte Behörde sich mit den Vorbringen des Beschwerdeführers jedenfalls vertretbar auseinandergesetzt hat und daß der angefochtene Bescheid unter sachlicher Würdigung der Vorbringen des Beschwerdeführers erlassen wurde.

Auch die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt somit nicht vor.

4.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.