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VfGH vom 21.11.2013, B323/2013

VfGH vom 21.11.2013, B323/2013

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Bescheides in einem dem Anlassfall gleichzuhaltenden Fall

Spruch

I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856, – bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exe kution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Am beantragte die beteiligte Partei – nachdem der Umweltsenat mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom festgestellt hatte, dass das gegenständliche Vorhaben nicht dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 und der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliege – bei der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung gemäß §§31 ff. Eisenbahngesetz 1957, BGBl I 60, idF BGBl I 125/2006, (in Folge: EisbG) für das gegenständliche Vorhaben und legte dem Antrag einen Bauentwurf sowie gemäß § 31a EisbG ein von der beteiligten Partei beauftragtes Gutachten über projektrelevante Fachgebiete (Eisen bahnbautechnik, Straßenverkehrstechnik, Konstruktiver Ingenieurbau, Eisenbahn betrieb, Sicherungs technik, Traktionsstromanlagen, Elektrische Energie versorgung 50 Hz, Lärm schutz, Erschüt terungen und Körperschall, Geotechnik, Hydrogeologie und Grundwasser, Wasserbau und Ökologie) bei.

Weiters beantragte die beteiligte Partei die Erteilung der Rodungsbewilligung gemäß §§17 ff. Forstgesetz, BGBl 440/1975, idF BGBl I 55/2007. Auf Ersuchen der belangten Behörde wurde ein forsttechnischer Amtssachverständiger vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft beigestellt.

Die belangte Behörde beraumte für den eine mündliche Verhandlung an, indem sie die von der beteiligten Partei bekannt gegebenen Verfahrensparteien durch persönliche Verständigung zur Verhandlung lud und die Kundmachung an den Amtstafeln der betroffenen Gemeinden veranlasste. Vor und während der mündlichen Verhandlung gaben unter anderen die beschwerdeführenden Parteien Stellungnahmen zum gegenständlichen Projekt ab und erhoben näher bestimmte Einwendungen. Die beteiligte Partei nahm im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu den abgegebenen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten, unter anderem jenen der beschwerdeführenden Parteien, Stellung und stellte insbesondere in Aussicht, zu den vorgebrachten, befürchteten Auswirkungen auf die Drainagesysteme "ergänzende Ausführungen" vorzulegen.

Mit Stellungnahmen und Antragspräzisierungen vom und legte die beteiligte Partei unter anderem ein von ihr beauftragtes, ergänzendes Gutachten gemäß § 31a EisbG vor.

2. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom erteilte die belangte Behörde der beteiligten Partei die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung für das beantragte Projekt und stellte diesbezüglich ein Überwiegen des öffentlichen Interesses fest (Spruchpunkt I.); weiters erteilte die belangte Behörde – geknüpft an die Einhaltung von Auflagen – die unbefristete Rodungsbewilligung für näher bestimmte Waldflächen, soweit sie den Antrag nicht mangels Wald eigenschaft zurückwies (Spruchpunkt II.). Des Weiteren sprach die belangte Behörde über die Ein wendungen der Verfahrensparteien (Spruchpunkt III.) und über die Kosten (Spruchpunkt IV.) ab.

Die Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baubewilligung begründete die belangte Behörde – auf das hier Wesentliche zusammengefasst – wie folgt: Aus dem gemäß § 31a EisbG vorgelegten Gutachten ergebe sich, dass das gegenständliche Bauvorhaben jedenfalls unter Berücksichtigung der Sicherheit und Ordnung des Betriebes der Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn und des Verkehrs auf der Eisenbahn unter Einhaltung der Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes dem Stand der Technik entspreche. Seitens der Behörde erscheine das nunmehr verbesserte Gutachten vollständig, schlüssig und nachvollziehbar; es werde von der inhaltlichen Richtigkeit (gemäß § 31a EisbG) des Gutachtens ausgegangen. Das dargelegte öffentliche Interesse am gegenständlichen Projekt überwiege die mit der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte verbundenen Nachteile von Parteien. Die erhobenen Einwendungen wies die belangte Behörde zurück bzw. ab; soweit sich diese auf Fragen bezogen, die im von der beteiligten Partei gemäß § 31a EisbG vorgelegten Gutachten behandelt wurden, verwies die belangte Behörde auf das Gutachten.

3. In der dagegen gemäß Art 144 B-VG erhobenen Beschwerde behaupten die beschwerdeführenden Parteien die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und begründen dies unter anderem damit, dass die belangte Behörde die Aussagen der Gutachter, ohne sie auf ihre logische Deduzierbarkeit zu prüfen, einfach übernommen und ihrem Bescheid zugrunde gelegt habe. Die belangte Behörde sei auch befangen: Das von der beteiligten Partei vorgelegte Gutachten gemäß § 31a EisbG sei von der Schienen infrastruktur-Dienst leistungsgesellschaft mbH erstattet worden, deren Eigen tümer der Bund (vertreten durch die belangte Behörde) sei. Ein solches "In-Sich-Geschäft" bedeute Willkür für die normunterworfenen Parteien, die kaum die Möglichkeit hätten, dem Gutachten auf inhaltlicher Ebene entgegen zu treten.

4. Die belangte Behörde übermittelte die Verwaltungsakten und erstattete eine Gegenschrift, in der sie mit näherer Begründung die Abweisung bzw. die Ablehnung der Beschwerde beantragt. Zum "§31a-Gutachten" führt sie unter anderem aus, dass sie dieses wie jedes andere Gutachten als Beweismittel behandelt und geprüft habe; die belangte Behörde habe auch Mängel darin festgestellt und deren Behebung veranlasst. Der Umstand, dass der Bund Eigentümer jener Gesellschaft sei, die das Gutachten erstellt habe, habe keinen Einfluss auf deren Unbefangenheit. Amtssachverständige und "benannte Stellen" seien in § 31a Abs 2 EisbG explizit als Gutachter zugelassen. Es liege keine Befangenheit der Behörde oder der Gutachter vor.

5. Die beteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie die Abweisung, in eventu die Ablehnung der Beschwerde beantragt. Darin führt sie unter anderem aus, dass § 31a letzter Satz EisbG nicht verfassungswidrig sei; die Bestimmung entbinde die Behörde nicht von der Verpflichtung, gegebenenfalls inhaltliche Mängel des "§31a-Gutachtens" aufzugreifen und einer weiteren fachlichen Beurteilung zuzuführen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G118/2012, den letzten Satz des § 31a Abs 1 Eisenbahngesetz 1957, BGBl 60, idF BGBl I 125/2006, als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art 140 Abs 7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

3. Dem in Art 140 Abs 7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988); darüber hinaus muss der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).

4. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am ; der dieses Gesetzesprüfungsverfahren einleitende Beschluss wurde am bekannt gemacht. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; da der ihr zugrunde liegende, das Verwaltungsverfahren auslösende Antrag ausweislich der Verwaltungsakten auch vor Bekanntgabe des Prüfungsbeschlusses, nämlich am , gestellt worden ist, ist der ihr zugrunde liegende Fall somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

5. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an:

Unter Hinweis auf den mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G118/2012, als verfassungswidrig aufgehobenen § 31a EisbG ging die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid von der inhaltlichen Richtigkeit des von der beteiligten Partei vorgelegten Gutachtens gemäß § 31a EisbG aus; das Gutachten erscheine der belangten Behörde vollständig und schlüssig. Mit einer bloßen Prüfung auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit (im Sinne von Widerspruchsfreiheit) ist dem Rechtsstaatsprinzip jedoch nicht Genüge getan (vgl. das aufhebende Erkenntnis ). An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand, dass die beteiligte Partei aus eigenem auf Grund der Verhandlungsergebnisse eine Ergänzung zum "§31a EisbG-Gutachten" vorgelegt hat, nichts zu ändern.

Eine eigenständige Auseinandersetzung der belangten Behörde mit den im "§31a EisbG-Gutachten" behandelten Fragen oder ergänzende Erhebungen der belangten Behörde selbst sind für den Verfassungs gerichtshof aus dem angefochtenen Bescheid und den vorgelegten Verwaltungs akten nicht ersichtlich. Hinsichtlich der die im "§31a EisbG-Gutachten" behandelten Fragen betreffenden Einwendungen von Nebenparteien verwies die belangte Behörde nur auf das Gutachten; eine fachliche Bewertung bzw. Würdigung der darin enthaltenen Aussagen ist für den Verfassungsgerichthof nicht ersichtlich. Es ist daher nach Lage des Falles jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Anwendung der aufgehobenen Gesetzesbestimmung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien nachteilig war.

III. Ergebnis

1. Die beschwerde führenden Parteien wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt. Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den antragsgemäß zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.