OGH vom 18.03.2016, 9ObA16/16t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** A*****, vertreten durch Dr. Christian Mahringer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei L***** L*****, vertreten durch die Hübel Payer Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen 976,25 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 62/15i 16, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 18 Cga 151/14i 12, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Begehren der klagenden Partei, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 976,25 EUR samt 9,08 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu bezahlen, abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.235,14 EUR (darin 205,86 EUR USt) bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens, die mit 435,60 EUR (darin 72,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 299,57 EUR (darin 49,93 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger war im Restaurant des Beklagten ab als Küchenhilfe beschäftigt. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass das Arbeitsverhältnis durch unberechtigten vorzeitigen Austritt des Klägers am endete. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (kurz: KollV) Anwendung.
Der Beklagte zahlte dem Kläger mit der Lohnabrechnung für den Juni 2014 an Jahresremuneration 1.236,41 EUR netto (das entspricht 1.540,77 EUR brutto). In der Lohnabrechnung für Juli 2014 nahm der Beklagte eine Rückverrechnung der ausbezahlten Jahresremuneration vor, weshalb der Kläger den ihm ohne Rückverrechnung zustehenden Lohn von 976,25 EUR netto nicht ausbezahlt erhielt.
Der Kläger begehrt vom Beklagten den abgerechneten, aber infolge Rückverrechnung der Jahresremuneration nicht ausbezahlten Lohn für Juli 2014 von 976,25 EUR netto sA. Eine Rückverrechnung der ausbezahlten Jahresremuneration sei nach dem KollV auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigten vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers nicht zulässig.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Nach dem KollV entfalle der Anspruch auf Jahresremuneration, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austrete. Der Anspruch auf Jahresremuneration werde in diesem Fall gar nicht erworben und die allenfalls bereits geleistete Jahresremuneration sei vom Arbeitnehmer auch ohne ausdrückliche Rückzahlungsverpflichtung zurückzubezahlen.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren mit der im Wesentlichen gleichlautenden Begründung statt. Da der KollV im dritten Satz des Art 14 lit g ausdrücklich vorsehe, dass bisher gezahlte höhere Jahresremunerationen aufrecht bleiben, sei eine Rückverrechnung der ausbezahlten Jahresremuneration unzulässig.
In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision des Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Die Revision des Beklagten ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Auslegung normativer Bestimmungen eines Kollektivvertrags objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen hat (RIS Justiz RS0010088) und dabei in erster Linie der Wortsinn auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen ist (RIS Justiz RS0010089). Auch der Grundsatz, dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten, entspricht ständiger Rechtsprechung (RIS Justiz RS0008828; RS0008897).
2. Der Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe für Arbeiter regelt die Jahresremuneration in Art 14:
„ a) Alle Arbeitnehmer (Arbeiter und Lehrlinge), die mindestens zwei Monate ununterbrochen im selben Betrieb beschäftigt sind, haben Anspruch auf Jahresremuneration in der Höhe von 230 Prozent des im jeweiligen Lohnübereinkommen festgelegten Mindestmonatslohnes, jedoch maximal bis zur Höhe des tatsächlich ins Verdienen gebrachten Lohnes für die Normalarbeitszeit. ...
(...)
d) Arbeitnehmer, die kein volles Jahr ununterbrochen im selben Betrieb beschäftigt sind, erhalten den ihrer Dienstzeit entsprechenden Teil der Jahresremuneration (1/52 pro Woche).
(...)
g) Der Anspruch auf Jahresremuneration entfällt, wenn ein Arbeitnehmer gemäß § 82 Gewerbeordnung 1859 entlassen wird oder ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder die vorgesehene Kündigungsfrist nicht einhält. Die Jahresremuneration darf nicht den Umsatzprozenten entnommen werden. Bisher gezahlte höhere Jahresremunerationen bleiben aufrecht. “
3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach auch im Zusammenhang mit dem hier anzuwendenden Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe für Arbeiter ausgesprochen, dass es den Kollektivvertragsparteien unbenommen ist, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen, auf die kein gesetzlicher Anspruch besteht, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Ist vorgesehen, dass wie hier bei einem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers ohne wichtigen Grund der Anspruch entfällt, bedeutet dies, dass dieser Anspruch bei einem unberechtigten vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers gar nicht erworben ist (9 ObA 6/15w; RIS Justiz RS0048332). Sieht der Kollektivvertrag nichts anderes vor, dann ist in diesen Fällen eine bereits enthaltene Jahresremuneration (bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr [9 ObA 140/07i]) auch ohne ausdrückliche Rückzahlungsverpflichtung zurückzuzahlen (9 ObA 40/95; 9 ObA 97/08t; 9 ObA 82/13v ua; RIS Justiz RS0048332; vgl Steinlechner/Weiß , Kollektivverträge für das Hotel- und Gastgewerbe für Arbeiter und Angestellte 113).
4.1. Einen Ausschluss dieser Art 14 lit g erster Satz KollV immanenten Rückzahlungsverpflichtung sieht der Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe für Arbeiter nicht vor. Die Bestimmung des Art 14 lit g dritter Satz KollV, dass bisher gezahlte höhere Jahresremunerationen aufrecht bleiben, bezieht sich schon aufgrund des Wortlauts „höhere Jahresremuneration“ nicht auf den grundsätzlich dem Arbeitnehmer nach Art 14 lit a bis f KollV zustehenden Anspruch auf Jahresremuneration, dessen Entfall Art 14 lit g erster Satz KollV unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich festlegt.
4.2. Dieses schon vom Wortsinn ausgehende Auslegungsergebnis bestätigt aber auch die systematische Interpretation des Art 14 lit g KollV, weil die Regelung des Art 14 lit g dritter Satz KollV, auf den ua der Kläger pocht, eben dem zweiten und nicht dem ersten Satz des Art 14 lit g KollV folgt. Über den Zusammenhang zwischen zweiten und dritten Satz des Art 14 lit g KollV, die nicht unbedingt systemkonform in der Regelung des Entfalls der Jahresremuneration bei bestimmten Beendigungsarten enthalten zu sein scheinen, muss hier nicht weiter spekuliert werden. Ein Zusammenhang mit dem ersten Satz des Art 14 lit g KollV ist jedenfalls nicht ersichtlich.
4.3. Das von den Vorinstanzen vertretene Auslegungsergebnis hätte zur Folge, dass jene Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis erst nach Auszahlung der Jahresremuneration auf eine der nach Art 14 lit g erster Satz KollV verpönten Arten beenden, gegenüber jenen Arbeitnehmern unsachlich bevorzugt würden, die ihr Arbeitsverhältnis vor Auszahlung der Jahresremuneration auf diese Weise beendet haben. Dies kann nach dem Grundsatz, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten, nicht angenommen werden.
5. Zusammengefasst ist Art 14 lit g des Kollektivvertrags für das Hotel- und Gastgewerbe für Arbeiter dahin auszulegen, dass der Anspruch auf Jahresremuneration entfällt, wenn ein Arbeitnehmer gemäß § 82 Gewerbeordnung 1859 entlassen wird oder ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder die vorgesehene Kündigungsfrist nicht einhält. Dies ist nicht davon abhängig, ob die Jahresremuneration bereits bezahlt wurde. In den genannten Beendigungsfällen wird dieser Anspruch gar nicht erworben, eine bereits enthaltene Jahresremuneration ist vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen.
Der Revision des Beklagten war daher Folge zu geben und das Klagebegehren in Abänderung der klagsstattgebenden Entscheidung der Vorinstanzen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Für die Berufung gebührt ein ERV Zuschlag lediglich in Höhe von 1,80 EUR (RIS Justiz RS0126594 [T1]).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00016.16T.0318.000