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OGH vom 16.11.1995, 8Ob19/95

OGH vom 16.11.1995, 8Ob19/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Konkurssache der Antragstellerin Gita C*****, vertreten durch Dr.Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 46 R 199, 213/95-9, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom , GZ 9 S 2/95-4 und 5, bestätigt wurden, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird, insoweit er den angefochtenen Beschluß in seinem die einstweilige Vorkehrung des Erstgerichtes (ON 5) bestätigenden Teil bekämpft, zurückgewiesen.

Im übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin begehrte mit ihrem an das Handelsgericht Wien gerichteten Antrag vom , über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen und erklärte sich zum Erlag eines Kostenvorschusses bereit.

Das Handelsgericht Wien sprach mit Beschluß ON 3 seine Unzuständigkeit aus, überwies die Rechtssache gemäß § 44 JN an das nicht offenbar unzuständige Erstgericht und vertrat den Standpunkt, die Antragstellerin betreibe kein Unternehmen im Sinne des § 1 Abs 2 KSchG.

Das Erstgericht erklärte sich mit dem Beschluß ON 4 für unzuständig, da nach dem Inhalt des Antrages die Gewerberechtigung der Antragstellerin weiter aufrecht bestehe, Dienstverhältnisse von Arbeitnehmern nicht gekündigt seien und das Warenlager durch einen Kommissionär abverkauft werde. Es sei daher davon auszugehen, daß die Antragstellerin ein - wenngleich in Liquidation befindliches - Unternehmen betreibe, sodaß die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes gemäß § 182 KO nicht gegeben sei. Das Bezirksgericht sei an die nicht rechtskräftige Entscheidung des Handelsgerichtes nicht gebunden, da diese Entscheidung offenkundig der Sach- und Rechtslage widerstreite und klare Zuständigkeitsregeln verletze. Mit dem Beschluß ON 5 traf das Erstgericht gemäß § 73 KO § 44 Abs 3 JN einstweilige Vorkehrungen zur Sicherung des Vermögens der Antragstellerin.

Alle drei Beschlüsse wurden der Antragstellerin vom Erstgericht gleichzeitig zugestellt.

Der Beschluß des Handelsgerichtes Wien ON 3 blieb unangefochten.

Das Gericht zweiter Instanz gab den gegen die Beschlüsse des Erstgerichtes ON 4 und ON 5 erhobenen Rekursen der Antragstellerin mit dem angefochtenen Beschluß nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und daß der Revisionsrekurs zulässig sei. Das Erstgericht habe infolge Unternehmereigenschaft der Antragstellerin zu Recht seine Zuständigkeit verneint. Auch die angeordneten einstweiligen Vorkehrungen seien nicht zu beanstanden. Das Verwertungs- und Verfügungsverbot über das Warenlager sei der Sicherung der Masse dienlich, ein überwiegendes Interesse am sofortigen Verkauf der Ware sei nicht ersichtlich.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den rekursgerichtlichen Beschluß erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin ist insoweit er sich gegen die Bestätigung der erstinstanzlichen Anordnung einstweiliger Vorkehrungen richtet unzulässig.

Aufgrund der der Anordnung des § 44 Abs 3 JN vorgehenden (§ 171 KO) Bestimmung des § 73 Abs 1 KO sind im Falle, daß der Konkurs nicht sofort eröffnet werden kann und der Antrag nicht offenbar unbegründet ist, zur Sicherung der Masse dienliche einstweilige Vorkehrungen anzuordnen. Gemäß § 73 Abs 5 KO entscheidet über Rekurse gegen Beschlüsse, mit denen einstweilige Vorkehrungen angeordnet, geändert oder aufgehoben werden, das Oberlandesgericht endgültig. Diese gemäß § 181 KO auch im Konkurs- und Schuldenregulierungsverfahren natürlicher Personen anzuwendende Gesetzesstelle ist unter Berücksichtigung der Zuständigkeitsregel des § 182 KO nunmehr dahin auszulegen, daß das jeweils übergeordnete Landesgericht unanfechtbar entscheidet. Der Revisionsrekurs ist in Ansehung einstweiliger Vorkehrungen daher auch dann unzulässig, wenn in den Fällen der Zuständigkeit gemäß § 182 KO in zweiter Instanz ein Landesgericht eingeschritten ist.

Darüber hinaus kommt dem Revisionsrekurs Berechtigung zu.

Gemäß § 46 Abs 1 JN ist dann, wenn die Unzuständigkeit eines Gerichtes aufgrund der Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit rechtskräftig ausgesprochen wurde, diese Entscheidung für jedes Gericht bindend, bei welchem die Rechtssache in der Folge anhängig wird. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß die Überweisung nach § 44 JN zumindest insoweit eine nach § 46 JN bindende Zuständigkeitsentscheidung enthält, als das Gericht, an das überwiesen wurde, seine Zuständigkeit nicht deshalb ablehnen kann, weil das überweisende Gericht zuständig ist. Über die Zuständigkeitsentscheidung hinaus kommt auch dem Ausspruch der Überweisung an ein anderes Gericht bindende Wirkung zu, da anderenfalls die der Prozeßökonomie dienende Bestimmung des zuständigen Gerichtes sinnlos wäre (SZ 40/97; JBl 1977, 99; EvBl 1980/52; EvBl 1980/123).

Durch die ZVN 1983 wurde in § 44 Abs 2 JN angeordnet, daß die Parteien von dem Überweisungsbeschluß durch das Gericht zu verständigen sind, an das die Sache überwiesen worden ist. Der Überweisungsbeschluß ist daher bei seinem Einlangen beim Adressatgericht regelmäßig noch nicht rechtskräftig, woraus Fucik in RZ 1985, 240 FN 91 a die Schlußfolgerung zieht, daß das Adressatgericht an den noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Überweisungsbeschluß nicht gebunden sei und daß es daher seine Unzuständigkeit aussprechen könne. Dieser Ansicht folgte der Oberste Gerichtshof in EFSlg 66.858 nicht und führte aus, daß bei der Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes auf die Bindung an den ersten Beschluß Bedacht zu nehmen sei und zwar unabhängig von dessen Richtigkeit. Dieser Bindungswirkung könne das Gericht, an das die Sache überwiesen wurde, auch nicht dadurch entgehen, daß es seinen Unzuständigkeitsbeschluß noch vor Eintritt der Rechtskraft des Überweisungsbeschlusses fasse. Von dieser Ansicht abzugehen sieht sich der Oberste Gerichtshof auch unter Berücksichtigung der wiederholenden Ausführungen Fuciks in Rechberger ZPO Rz 4 zu § 44 JN nicht veranlaßt. Die Vorschriften über die Bindung an rechtkräftiger Entscheidungen über die Zuständigkeit und an Überweisungsbeschlüsse, wie sie etwa in § 46 Abs 1 JN,§ 261 Abs 6 ZPO und § 474 Abs 1 ZPO iVm § 499 ZPO enthalten sind, haben den Zweck, Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen, wobei der Gesetzgeber in Kauf nimmt, daß allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird. Diesem Grundgedanken des Gesetzes widerspräche es aber, wenn das Gericht, an welches die Rechtssache überwiesen wurde, vor Rechtskraft des von ihm zuzustellenden Überweisungsbeschlusses seine Unzuständigkeit aussprechen könnte und so die Grundlage für einen vom Gesetzgeber nicht gewünschten negativen Kompetenzkonflikt geschaffen würde. Es kann nicht angehen, daß es in der Hand des Adressatgerichtes liegt, durch Wahl des Zustellzeitpunktes auf die Bindungswirkung des Überweisungsbeschlusses Einfluß zu nehmen. Daß der Hinweis Fuciks aaO, die Entscheidung des Zuständigkeitsstreites habe im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens zu erfolgen, zu keiner befriedigenden Lösung führen kann, zeigt gerade der gegenständliche Fall, da bei Außerachtlassung der Bindungswirkung der Oberste Gerichtshof den angefochtenen Beschluß auf dessen sachliche Richtigkeit zu prüfen hätte und im Falle der Bestätigung der Akt sodann durch das Erstgericht dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt gemäß § 47 Abs 1 JN vorzulegen wäre. Dieser die rechtssuchende Partei erheblich belastende Verfahrensaufwand würde aber gerade in Gegensatz zu dem bereits dargestellten Wunsch des Gesetzgebers, Zuständigkeitsstreitigkeiten möglichst ökonomisch zu erledigen, stehen.

Der Lösungsansatz für den Bereich der Verfahrensüberweisung gemäß § 44 JN ist aus § 46 Abs 2 JN zu gewinnen. Danach kann schon vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung eines Bezirksgerichtes über seine mit Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gegebene Unzuständigkeit die Rechtssache beim Gerichtshof erster Instanz angebracht werden, für welchen die über die Zuständigkeit erflossene Entscheidung des Bezirksgerichtes solange maßgebend bleibt, als sie nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird. § 46 Abs 1 JN ist in diesem Sinne berichtigend dahin auszulegen, daß im Falle der Überweisung nach § 44 Abs 1 JN der Überweisungsbeschluß für das Adressatgericht solange maßgebend bleibt, als dieser nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird.

Ohne daß die sachliche Richtigkeit des formal dem Gesetz entsprechenden Überweisungsbeschlusses des Handelsgerichtes Wien zu prüfen wäre, ist daher dessen bindende Wirkung wahrzunehmen und dem Revisionsrekurs Folge zu geben.