OGH vom 07.07.2017, 16Ok1/17h

OGH vom 07.07.2017, 16Ok1/17h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Rekursgericht in Kartellrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbs-behörde, 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerinnen 1. S*****gesellschaft mbH, 2. B***** Gesellschaft mbH, 3. S***** GesmbH, 4. S*****gesellschaft mbH, 5. S***** GmbH, 6. S***** GmbH, alle *****, alle vertreten durch Grassner, Lenz, Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Hausdurchsuchung gemäß § 12 Abs 1 und 3 WettbG über den Rekurs der Antragsgegnerinnen gegen den Hausdurchsuchungsbefehl des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom , GZ 27 Kt 5/17p-3, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin beantragte die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls gegen sechs dem selben Baukonzern angehörige Unternehmen. Aus den ihr vorliegenden Unterlagen ergebe sich der begründete Verdacht, dass es bei zahlreichen Vergabeverfahren betreffend Bauvorhaben zu kartellrechtswidrigen Absprachen zwischen der Erstantragsgegnerin und ihren Mitbewerbern gekommen sei. Im Wege eines Amtshilfeersuchens habe das Bundesamt für Korruptionsprävention und -bekämpfung („BAK“) zahlreiche Unterlagen und einen Anlassbericht vom übermittelt. Zentraler Bestandteil dieser Unterlagen sei ein im Zuge einer Hausdurchsuchung durch die Steuerfahndung Klagenfurt am bei einem Bauunternehmen sichergestellter Aktenordner. Dieser sei in insgesamt 54 Registerblätter/Bauvorhaben gegliedert. Darin fänden sich jeweils Blätter mit Tabellen und/oder handschriftlichen Notizen. Die handschriftlichen Notizen folgten alle einem ähnlichen Schema: Auflistung von Unternehmensnamen bzw -kürzel, Geldbeträge und Kalkulationen, Prozentpunkte neben den Geldbeträgen oder Unternehmensnamen sowie Anmerkungen (wie zB „Durchschnittspreise“, „gibt nicht ab“, „bezahlt“, „Topf“, „Schuld“, „Abtausch“). Aus der im Anlassbericht zusammengefassten Aufarbeitung ergebe sich der begründete Verdacht, dass mindestens 80 Vergabeverfahren durch wettbewerbswidrige Absprachen manipuliert worden seien.

Im Rahmen der Ermittlung der Ausschreibungs- und Zuschlagsentscheidungen habe das BAK noch nicht alle Bauvorhaben zuordnen können. Es sei aber davon auszugehen, dass es sich in allen Fällen um öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber handle und dass zum Teil auch nicht offene Verfahren betroffen gewesen seien. Konkret bestehe aufgrund der Unterlagen der Verdacht, dass die Erstantragsgegnerin bei Ausschreibungen von Bauvorhaben mit Mitbewerbern Angebote abgesprochen habe und dass Abschlagszahlungen geflossen seien. Diese Unterlagen umfassten den Zeitraum 2005 bis 2015. Es bestehe der Verdacht, dass die Erstantragsgegnerin auch über diesen Zeitraum hinaus an Absprachen beteiligt gewesen sei und dass es sich um eine fortgesetzte komplexe Zuwiderhandlung gegen das Kartellrecht handle, welche bis heute andauere.

Nach den Unterlagen hätten die Absprachen auch mit Mitarbeitern der Zweigniederlassungen der Erstantragsgegnerin in Graz und Villach stattgefunden, sodass sich insoweit die zur Erlangung der Informationen notwendigen Urkunden auch dort befinden könnten. Am Geschäftssitz der Erstantragsgegnerin hätten auch die Zweit- bis Sechstantragsgegnerinnen ihren Geschäftssitz. Der Hausdurchsuchungsbefehl sei daher auch gegen diese zu richten, weil nur damit eine willkürliche Zuordnung von Unterlagen zwischen den Konzerngesellschaften oder ein Verbringen von Unterlagen zwischen den Räumlichkeiten des Gebäudekomplexes unterbunden werden könne.

Das Erstgericht ordnete die Hausdurchsuchung gegen alle Antragsgegnerinnen wegen des Verdachts auf kartellrechtswidrige horizontale Absprachen gegen § 1 Abs 1 KartG bzw Art 101 AEUV sowie § 1 Abs 4 KartG zwischen „der Antragsgegnerin“ [gemeint: Erstantragsgegnerin] und Mitbewerbern bei Ausschreibungen für Bauvorhaben in den Geschäftsräumlichkeiten und Fahrzeugen der Antragsgegnerinnen in Linz sowie in den Zweigniederlassungen der Erstantragsgegnerin in Graz und Villach an.

Das Erstgericht nahm folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:

Die bei einer Wettbewerberin der Erstantragsgegnerin sichergestellten Unterlagen beziehen sich auf Ausschreibungen verschiedener Bauprojekte. In den Listen, in denen jeweils auch die Erstantragsgegnerin genannt ist, sind jeweils zur Anbotsstellung eingeladene bzw an Ausschreibungen teilnehmende Wettbewerber angeführt. Solche Listen wurden vor der Angebotslegung angefertigt, zumal bei einigen Wettbewerbern der Vermerk „gibt nicht ab“ (und nicht etwa: „hat nicht abgegeben“) angeführt ist. Dennoch sind bei den angebotslegenden Wettbewerbern bereits genaue Angebotssummen genannt. Weiters finden sich Vermerke über Durchschnittspreise und Berechnungen über bei einzelnen Unternehmensnamen angegebenen Prozentwerte. Zum Teil sind bei den Wettbewerbern auch Kontaktnamen und Kontakttelefonnummern angeführt. Auch finden sich neben Wettbewerbern Vermerke wie „hat etwas gut“. Weiters ist in einzelnen Unterlagen von einem „Topf“, einer „Schuld“ oder von einem „Abtausch“ die Rede.

Das Erstgericht zog daraus folgende Schlussfolgerungen: Aus den Unterlagen ergebe sich, dass jenes Unternehmen, bei dem die Unterlagen aufgefunden wurden, vor der Angebotslegung über die Preise der anderen Wettbewerber informiert gewesen sei und dass auch bereits bekannt gewesen sei, welches Unternehmen Bestbieter sein werde. Daraus ergebe sich die naheliegende Interpretation, dass von den Wettbewerbern vor Angebotslegung Angebote ausgetauscht bzw abgestimmt und Vereinbarungen getroffen worden seien, welches Unternehmen als Bestbieter den Zuschlag erhalten sollte. Weiters könnten die Unterlagen dahin interpretiert werden, dass der jeweils als Bestbieter vereinbarte Wettbewerber zu Gunsten höher bietender Wettbewerber bzw von einer Anbotslegung Abstand nehmender Wettbewerber Provisionen in einen „Topf“ einbringen sollte, in dem diese wechselseitig verrechnet werden sollten, und dass diese Provisionen in den Preis des Bestbieters einkalkuliert gewesen seien.

Aus dem Inhalt der Urkunden ergäben sich sehr konkrete Hinweise, dass den aufgefundenen Notizen wettbewerbswidrige Absprachen zugrunde lagen. Insgesamt ergebe sich der begründete Verdacht, dass es zwischen der Erstantragsgegnerin und ihren Mitbewerbern im Zusammenhang mit Ausschreibungen von Bauvorhaben jedenfalls dadurch zu kartellrechtswidrigen Absprachen gekommen sei, dass Angebotssummen ausgetauscht und abgestimmt sowie Abtauschzahlungen vereinbart und durchgeführt worden seien. Offensichtlich seien die Angebote so kalkuliert worden, dass vor dem offiziellen Bieterprozess zwischen den sich abstimmenden Unternehmen abgestimmt worden sei, wer den Zuschlag erhalten soll. Vor allem in Verfahren nach dem Billigstbieterprinzip sei es den beteiligten Unternehmen möglich gewesen, durch Abstimmung der Angebote einen Wettbewerb effektiv auszuschließen und einander gegenseitig zur Auftragserteilung zu verhelfen. Es sei daher ein für die Anordnung einer Hausdurchsuchung ausreichender, rational nachvollziehbarer Verdacht auf Bieterabsprachen gegeben. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, lägen in rechtlicher Hinsicht schwerwiegende „Kernverstöße“ gegen § 1 KartG bzw Art 101 AEUV vor.

Gegen die Zweit- bis Sechstantragsgegnerinnen bestehe zwar kein konkreter Tatverdacht. Da es sich aber um konzernverwandte Unternehmen der Erstantragsgegnerin handelt, die ihre Geschäftsräumlichkeiten im selben Gebäudekomplex haben, sei der Hausdurchsuchungsbefehl auch auf sie zu erstrecken, weil sonst die Gefahr bestünde, dass Geschäftsunterlagen der Erstantragsgegnerin durch willkürliche Zuordnung von Räumlichkeiten oder durch rasche Verbringung zwischen diesen der Durchsuchung entzogen werden könnten. Da die Unterlagen zum Teil auch auf die Zweigstellen der Erstantragsgegnerin in den Bundesländern Bezug nähmen, sei zu erwarten, dass sich auch in den Geschäftsräumlichkeiten der Erstantragsgegnerin in Graz und Klagenfurt Geschäftsunterlagen befänden, die der näheren Aufklärung des Verdachts dienten.

Um den Zweck der Aufklärung des begründeten Verdachts einer Beteiligung an einem kartellgesetzwidrigen Verhalten zu erreichen, sei eine Hausdurchsuchung – im Gegensatz zu einem Auskunftsverlangen – immer dann geeignet, wenn nach zur Aufklärung geeigneten Informationsquellen gesucht werden müsse, allenfalls auch, wenn die Vollständigkeit bereits vorhandener Unterlagen überprüft werden müsse. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Zwar reichten die vorgelegten Urkunden bereits zur Begründung eines rational nachvollziehbaren Verdachts aus. Es lägen aber noch keine näheren Erkenntnisse über die Art des Zustandekommens und den genauen Ablauf der Absprachen vor. Weiters liege der Verdacht nahe, dass die einzelnen Bauvorhaben, bei denen solche Absprachen bzw Abstimmungen zwischen der Erstantragsgegnerin und anderen Bauunternehmen zu vermuten seien, durch die bisher bekannten Unterlagen nur punktuell umrissen seien, sodass noch nach weiteren zur Aufklärung des Verdachts geeigneten Informationsquellen gesucht und die Urkundenlage auf ihre Vollständigkeit geprüft werden müsse. Auch der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang, in dem die aus den Unterlagen ersichtlichen Vorgänge stünden, sei näher aufzuklären. Auch sei zu erwarten, dass durch die Hausdurchsuchung weitere Hinweise und Beweismittel gewonnen werden könnten, durch die der Umfang der verbotenen Verhaltensweisen und der Kreis der an solchen Absprachen beteiligten Unternehmen festgestellt sowie der Tatzeitraum näher abgegrenzt werden könne.

Zweckmäßig sei eine Hausdurchsuchung insbesondere dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr bestehe. Wenn ein begründeter Verdacht bestehe, dass ein Kartell trotz ausdrücklichen Verbots fortgesetzt werde, sei regelmäßig die Besorgnis berechtigt, die Unternehmen versuchten, Beweismittel zu unterdrücken, sollten sie von den Erhebungen Kenntnis erlangen. Aus diesem Grund könne in derartigen Fällen in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung einer Hausdurchsuchung unverhältnismäßig sei.

Im vorliegenden Fall bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, dass die vermuteten kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen der Erstantragsgegnerin eingestellt worden sein könnten, sodass der Verdacht auf deren Fortsetzung begründet sei. Nicht zuletzt im Hinblick auf die mögliche Tragweite der vermuteten Wettbewerbsverstöße und das somit gegebene hohe Aufklärungsinteresse sei auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit und der Angemessenheit erfüllt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Antragsgegnerinnen mit dem Antrag, den angefochtenen Hausdurchsuchungsbefehl ersatzlos aufzuheben. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag, in eventu die Abänderung des Hausdurchsuchungsbefehls dahin, dass „dessen Umfang möglichst sachlich eingeschränkt“ werde, beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1.1. Die Rekurswerberinnen wehren sich gegen einen angeblichen „Generalverdacht“ gegen sämtliche ihrer Geschäftseinheiten. Der Hausdurchsuchungsbefehl sei nicht einmal ansatzweise sachlich beschränkt, sondern richte sich auf Durchsuchung sämtlicher Geschäftsräumlichkeiten und Fahrzeuge der Antragsgegnerinnen.

1.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich nach ständiger Rechtsprechung der begründete Verdacht einer Zuwiderhandlung gegen die im Gesetz genannten wettbewerbsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich nicht gegen die Person richten muss, in deren Räumlichkeiten die Hausdurchsuchung anzuordnen ist. Insoweit kann es daher nicht auf die subjektive Tatseite dieser Person ankommen (RIS-Justiz RS0125748). Die Beteiligung des Adressaten des Hausdurchsuchungsbefehls an der kartellrechtswidrigen Absprache ist nicht Voraussetzung (RIS-Justiz RS0125748 [T2]). Ein Hausdurchsuchungsbefehl kann grundsätzlich auf Mutter- bzw Schwester- und Holdinggesellschaften mit gleichem Sitz erweitert werden (RIS-Justiz RS0125748 [T7, vgl auch T 8]). Der Oberste Gerichtshof hat auch die Ausdehnung eines Hausdurchsuchungsbefehls auf den gesamten Gebäudekomplex aufgrund der Konzern-zugehörigkeit gebilligt (RIS-Justiz RS0125748 [T8]).

2.1. Die Rekurswerberinnen beanstanden, dass Bauvorhaben „im Generellen“ und nicht nur aus spezifischen Sparten untersucht werden sollten. Insbesondere ergebe sich aus dem sichergestellten Aktenordner keine kartellrechtswidrige Vorgehensweise vor dem Jahr 2006. Der breite Tat- bzw Generalverdacht basiere auf einer Erkundungsbeweisführung.

2.2. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Nach ständiger Rechtsprechung ist, weil Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bewirken, an das Interesse an der Sachaufklärung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Auskunftsverlangen (RIS-Justiz RS0127268). In Anlehnung an Lehre und Rechtsprechung zur Hausdurchsuchung im Strafverfahren ist es für einen erfolgreichen Antrag auf Bewilligung einer Hausdurchsuchung erforderlich,

a) einen Verstoß gegen das Kartellgesetz in rechtlicher Hinsicht schlüssig zu behaupten,

b) Umstände darzutun, aus denen sich der begründete Verdacht ergibt, sowie

c) darzulegen, warum die Hausdurchsuchung zur Erhärtung dieses Verdachts erforderlich und verhältnismäßig ist (RIS-Justiz RS0127268 [T11]).

2.3. Selbst wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen (RIS-Justiz RS0127268 [T2]). Es darf auch nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind (RIS-Justiz RS0127268 [T3]).

2.4. Eine Hausdurchsuchung ist zur Erreichung des Aufklärungszwecks immer dann geeignet, wenn erst nach Informationsquellen gesucht werden muss bzw die Vollständigkeit bereits vorhandener Beweise überprüft werden soll, weil ein Auskunftsersuchen nach § 11a WettbG voraussetzt, dass die Unterlagen bereits bekannt sind bzw freiwillig zur Verfügung gestellt werden (RIS-Justiz RS0127268 [T4]).

2.5. Solange ein bestimmtes Verhalten als kartellrechtswidrig verfolgt werden darf, kann es auch mit allen der Ermittlungsbehörde zur Verfügung stehenden Ermittlungsmethoden aufgeklärt werden. Das Verhalten, das durch einen Hausdurchsuchungsbefehl aufgedeckt werden soll, muss daher kein aktuelles Geschehen, sondern kann auch ein in der Vergangenheit liegender abgeschlossener Sachverhalt sein (RIS-Justiz RS0129421).

3.1. Begründet ist ein Verdacht im Sinne des § 12 Abs 1 WettbG, wenn er sich rational nachvollziehbar dartun lässt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen Wettbewerbsbestimmungen vorliegt (RIS-Justiz RS0125748 [T1]). Ein „dringender“ Tatverdacht ist weder nach dem KartG bzw WettbG noch nach der StPO Voraussetzung für eine Hausdurchsuchung (RIS-Justiz RS0125748 [T4]).

3.2. Ob ein begründeter Verdacht im Sinne des § 12 WettbG vorliegt, ist durch eine rechtliche Würdigung der tatsächlichen verdachtsbegründend behaupteten Umstände zu ermitteln und daher im Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof überprüfbar (RIS-Justiz RS0125748 [T5]). Die Frage, ob ein hinreichend begründeter Verdacht in tatsächlicher Hinsicht vorliegt, ist jedoch eine solche der Beweiswürdigung, die nach § 49 Abs 3 KartG im kartellrechtlichen Rechtsmittelverfahren nur eingeschränkt bekämpfbar ist (vgl zur Rechtslage vor dem KaWeRÄG 2017 RIS-Justiz RS0125748 [T6]).

3.3. Das Vorbringen, wonach es an einem festgestellten Tatverdacht hinsichtlich konkreter Zuwiderhandlungen fehle, geht ins Leere. Vielmehr ergab sich aus den in Kärnten sichergestellten Unterlagen ein ganz massiver Verdacht jahrelanger systematischer kartellrechtswidriger Absprachen in großem Umfang in zumindest 80 (nach der Rekursbeantwortung sogar 93) Fällen. In diesen Fällen ist die Zuordnung zur Erstantragsgegnerin unproblematisch, weil diese stets namentlich oder mit einem Namenskürzel bezeichnet ist. Schon die Intensität der Zuwiderhandlung und das dabei offensichtlich verwendete ausgeklügelte System spricht gegen die Annahme, die kartellrechtswidrigen Absprachen hätten sich auf Tiefbauvorhaben im Raum Kärnten bzw Steiermark beschränkt.

3.4. Dazu kommt, dass noch nicht alle Bauvorhaben zu einzelnen Sparten zugeordnet werden konnten, sind doch in den sichergestellten Unterlagen einige Projekte nur ganz allgemein umschrieben, ohne dass sich daraus eine Zuordnung zu Hochbau, Straßenbau, Brückenbau oder anderen Tiefbausparten ableiten ließe. Auch ist noch nicht bekannt, gegen welche anderen Projekte jeweils ein „Abtausch“ erfolgte. Hier ist darauf zu verweisen, dass auch einzelne der anderen nach den Unterlagen an den Absprachen beteiligten Gesellschaften in mehreren Sparten tätig sind, sodass für die Annahme, die Absprachen hätten sich nur auf bestimmte Sparten bezogen, derzeit keine Grundlage besteht.

3.5. Was den räumlichen Umfang des Hausdurchsuchungsbefehls anlangt, ist darauf zu verweisen, dass die sichergestellten Unterlagen keineswegs nur auf Kärnten und die Steiermark Bezug nehmen. Vielmehr finden sich mehrere Verweise auf Bauvorhaben in anderen Bundesländern. So wird auf ein Projekt in „NÖ“ verwiesen. Eine ausdrücklich genannte Auftraggeberin hat ihren Sitz in Wien; weitere in den Unterlagen angeführten Baustellen befinden sich offenbar in Niederösterreich. Zudem sind auch die anderen in den Unterlagen genannten Unternehmen überwiegend in ganz Österreich tätig, sodass für die Annahme, die Absprachen hätten sich auf lediglich zwei Bundesländer bezogen, keine Grundlage besteht.

3.6. Dem Rekurs ist auch kein plausibles Argument zu entnehmen, warum die Erstantragsgegnerin, gegen die nach den sichergestellten Unterlagen ein Tatverdacht besteht, jahrelang an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt gewesen zu sein, diese Absprachen – die Bestätigung dieses Verdachts unterstellt – auf zwei Bundesländer und einen einzigen Sektor (Tiefbauvorhaben) beschränkt haben sollte.

Gleiches gilt für die Argumentation im Rekurs, die sichergestellten Unterlagen stützten einen Tatverdacht nicht schon ab 2005, sondern erst ab 2006. Wiederum ist dem Rekurs nicht ansatzweise zu entnehmen, warum allenfalls verwirklichte kartellrechtswidrige Aktivitäten der Erstantragsgegnerin gerade im Jahr 2006 begonnen haben sollen. Wenn das Erstgericht aufgrund der vorgelegten – die Erstantragsgegnerin massiv belastenden – Unterlagen davon ausging, dass ein Verdacht ihrer Beteiligung an kartellrechtswidrigen Absprachen auch in anderen Bereichen bzw an anderen Orten bestehe, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

4. Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Beschluss daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0160OK00001.17H.0707.000
Schlagworte:
Hausdurchsuchung II,25 Kartellobergericht

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