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OGH vom 17.09.1991, 10ObS214/91

OGH vom 17.09.1991, 10ObS214/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Stefan und Dr.Dietmar Strimitzer (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Zäzilia St*****, Landwirtin, *****, vertreten durch Dr.Alfred Haslinger, DDr.Heinz Mück, Dr.Peter Wagner und Dr.Walter Müller, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern (Landesstelle Oberösterreich), 1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Rs 14/91-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 9 Cgs 81/90-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 1.698,30 bestimmten Revisionskosten (darin S 283,05 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am geborene Klägerin arbeitete nach dem Besuch der Pflichtschule im landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Eltern. Auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Eltern besuchte sie vom bis die landwirtschaftliche Haushaltungsschule in W*****. Damals war dies die einzige Möglichkeit einer fachtheoretischen Ausbildung. Die heutige zweijährige landwirtschaftliche Fachschule gab es damals noch nicht. Der Unterricht war auch landwirtschaftlich ausgerichtet; es wurde sowohl theoretisch als auch praktisch unterrichtet. So war es üblich, daß je nach der Jahreszeit anfallende landwirtschaftliche Tätigkeiten, z.B. Stallarbeiten, Heuen usw durchgeführt wurden. Die Unterrichtsgegenstände waren Religion, Unterrichtssprache, Rechnen, Chemie, Physik, Nahrungsmittellehre, Ernährungslehre, Haushaltsungskunde, Gesundheitslehre, Kleinkinderpflege, Gartenbau, allgemeine Landwirtschaft, Viehhaltung, Milchwirtschaft, Geflügelwirtschaft, Kochen und Kochlehre, Hausarbeit, Handarbeit-Schnittzeichnen, Materialienkunde, Stallarbeit und Bürgerkunde. Die Schule wurde als Internat geführt; die Klägerin war in den Semester-, Weihnachts- und Osterferien und zu Allerheiligen zu Hause und half dann im elterlichen Betrieb mit. Die Wochenenden verbrachte sie im Internat. Nach Absolvierung dieser Schule arbeitete sie hauptberuflich im landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Eltern. Am übernahm sie den landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern ihres Mannes, der als Kraftfahrer unselbständig erwerbstätig war.

Auf Antrag der Klägerin vom stellte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern mit Bescheid vom fest, daß die Klägerin bis zum Stichtag 446 Versicherungsmonate für die Wartezeit und 417 Versicherungsmonate für die Leistungsbemessung erworben hat. Unberücksichtigt blieben dabei die Zeiten vom bis und vom 1.6. bis .

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem Begehren, ihr die zuletzt genannten Versicherungszeiten als Ersatzzeiten anzurechnen. Der Besuch der landwirtschaftlichen Haushaltungsschule von Oktober 1952 bis Juli 1953 sei eine Ergänzung zur praktischen Tätigkeit im elterlichen Betrieb gewesen und habe ihre hauptberufliche Beschäftigung in diesem Betrieb nicht unterbrochen, weshalb diese Zeit nach § 107 Abs 1 Z 1 BSVG als Ersatzzeit gelte. Die Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebes mit auf eigene Rechnung und Gefahr hätte nach § 2 BSVG die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründet. Da ihre Leistungsansprüche ausschließlich nach dem BSVG zu berechnen seien und die Beitrags- und Versicherungsfreiheit nach den damaligen Bestimmungen des LZVG außerhalb ihrer Einflußnahme gewesen sei, liege eine Ersatzzeit nach § 107 Abs 1 Z 1 BSVG vor. Die im Widerspruch dazu stehende Bestimmung des § 107 Abs 4 lit b BSVG erachte sie als verfassungswidrig.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Bei der von der Klägerin besuchten landwirtschaftlichen Haushaltungsschule habe es sich nicht um eine Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang gehandelt. Während des Schulbesuches habe keine hauptberufliche Beschäftigung der Klägerin in der elterlichen Landwirtschaft bestanden. Nach dem 1959 in Geltung gestandenen LZVG habe eine Pflichtversicherung als selbständiger Betriebsführer nur bestanden, wenn die selbständige Erwerbstätigkeit im Kalenderjahr durch mindestens acht Monate ausgeübt worden sei. Da die Klägerin diesen Zeitraum nicht erreicht habe, sei gemäß § 107 Abs 4 lit b BSVG die Anrechnung dieser Zeit als Ersatzzeit nach dem BSVG ausgeschlossen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für die Zeit des Schulbesuches könne von einer hauptberuflichen Tätigkeit im elterlichen Betrieb nicht die Rede sein, sie sei vielmehr durch den Schulbesuch unterbrochen worden. Eine Bestimmung, daß ein derartiger Schulbesuch bei einem Nutzen für die Tätigkeit in der elterlichen Landwirtschaft dieser Tätigkeit gleichzusetzen sei, finde sich im BSVG nicht. § 107 Abs 1 Z 7 (richtig Abs 7) BSVG könne deshalb nicht angewendet werden, weil dort der Besuch einer Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang vorausgesetzt sei. Nach dem 1959 in Geltung gestandenen LZVG habe eine Pflichtversicherung als selbständiger Betriebsführer nur bestanden, wenn die selbständige Erwerbstätigkeit durch mindestens acht Monate eines Jahres ausgeübt worden sei. Der geforderte Zeitraum liege bei der Klägerin nicht vor, weshalb die Anrechnung dieser Zeit als Ersatzzeit nicht erfolgen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.

Die Revision der Klägerin ist zulässig (§ 46 Abs 3 ASGG; SSV-NF 1/18 ua), aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Hinsichtlich der Zeit von Oktober 1952 bis Juli 1953 hält die Revisionswerberin (wie auch in der Berufung) an ihrem Rechtsstandpunkt fest, daß diese Zeit des Besuches einer landwirtschaftlichen Haushaltungsschule zwar nicht gemäß § 107 Abs 7 BSVG, aber nach § 107 Abs 1 Z 1 BSVG als Ersatzzeit festzustellen gewesen wäre. Die landwirtschaftliche Haushaltungsschule hätte nach den damals gültigen Ausbildungsmöglichkeiten der heutigen landwirtschaftlichen Lehrausbildung entsprochen. Ob die theoretische Ausbildung in Form aufeinanderfolgender Kurse oder in einem einzigen Lehrgang absolviert werde, dürfe dabei keine Rolle spielen. Für die Nichtunterbrechnung der hauptberuflichen Beschäftigung durch einen derartigen Lehrgang spreche auch, daß die "enge" Bestimmung des LZVG über die Versicherungspflicht der Kinder eines Landwirtes im BSVG bewußt nicht übernommen worden sei: Nach dem LZVG sei Voraussetzung für die Versicherungspflicht gewesen, daß die Kinder regelmäßig im elterlichen Betrieb beschäftigt waren und hauptberuflich keiner anderen Beschäftigung nachgingen, wobei überdies die regelmäßige Beschäftigung in einem Kalenderjahr länger als sechs Monate dauern mußte. Diese enge Regelung sei im BSVG aufgegeben worden.

Den Argumenten der Revisionswerberin ist nicht zu folgen. Eine Ersatzzeit nach § 107 Abs 1 Z 1 BSVG könnte nur dann vorliegen, wenn es sich um eine nach Vollendung des 15.Lebensjahres im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegte Zeit einer Beschäftigung gehandelt hätte, die bei früherem Wirksamkeitsbeginn der Bestimmungen des BSVG über die Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung die Pflichtversicherung nach dem BSVG begründet hätte. Dies wäre nach § 2 Abs 1 Z 2 BSVG nur dann der Fall, wenn die dort genannten Kinder hauptberuflich im landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Eltern beschäftigt waren. Der erkennende Senat teilt die Ansicht der Vorinstanzen, daß ein Schüler, der mit Ausnahme der Ferien die gesamte Zeit in einem Schulinternat verbringt, während dieser Zeit nicht hauptberuflich in einem landwirtschaftlichen Betrieb - und schon gar nicht im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern - tätig sein kann, dies selbst dann nicht, wenn während der Schulzeit auch theoretische und praktische Kenntnisse für die sonst hauptberuflich ausgeübte Beschäftigung vermittelt werden. Der Einfluß eines Schulbesuches auf die Anerkennung von Ersatzzeiten ist in § 107 Abs 7 BSVG geregelt. Danach gelten als Ersatzzeiten die Zeiten, in denen nach Vollendung des 15. Lebensjahres eine inländische öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete mittlere Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang, eine höhere Schule, Akademie oder verwandte Lehranstalt oder eine inländische Hochschule bzw Kunstakademie oder Kunsthochschule in dem für die betreffende Schul(Studien)art vorgeschriebenen normalen Ausbildungs(Studien)gang besucht wurde. Daß die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist nicht strittig. Eine hauptberufliche Beschäftigung im Betrieb der Eltern iS des § 2 Abs 1 Z 2 BSVG deshalb anzunehmen, weil der Schulbesuch der Klägerin nur acht Monate dauerte, kommt jedoch nicht in Betracht. Die von der Revisionswerberin herangezogenen Vergleiche mit der Lehrlingsausbildung schlagen schon deshalb nicht durch, weil sich die Klägerin weder nach den Prozeßbehauptungen noch nach den Feststellungen in einer Lehrausbildung befand. Zu der Frage, wie Zeiten der Beschäftigung als Lehrling im elterlichen Betrieb zu berücksichtigen sind (vgl SSV-NF 4/18), braucht daher im vorliegenden Fall nicht Stellung genommen zu werden. Die Vorinstanzen haben vielmehr zu Recht die Anerkennung der Schulzeit der Klägerin von Oktober 1952 bis Juli 1953 als Ersatzzeit abgelehnt.

Hinsichtlich des Zeitraumes vom 1.6. bis beharrt die Revisionswerberin auf ihrem Standpunkt, daß eine Anrechnung dieser Zeit als Ersatzzeit nach § 107 Abs 1 Z 1 BSVG erfolgen müsse, weil bei schon damaliger Geltung des BSVG Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach § 2 Abs 1 Z 1 BSVG bestanden hätte. Die Ausnahmebestimmung des § 107 Abs 4 lit b BSVG stelle gegenüber der Grundregel des Abs 1 eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung dar; darauf würden sich die schon in der Berufung geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gründen.

Auch diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Gemäß § 107 Abs 4 lit b BSVG gelten Zeiten gemäß Abs 1 Z 1 leg cit nicht als Ersatzzeiten, wenn während dieser Zeiten eine Erwerbstätigkeit bzw Beschäftigung ausgeübt wurde, die gemäß § 4 Abs 1 LZVG Pflichtversicherung nicht begründet hatte. Wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt hat, handelt es sich bei der zuletzt zitierten Bestimmung des § 107 Abs 4 lit b BSVG um eine Ausnahme von § 107 Abs 1 Z 1 BSVG. Diese Ausnahmebestimmung wurde erst durch die 6.BSVG-Novelle (BGBl 1982/649) in den § 107 BSVG eingefügt. Das Oberlandesgericht Wien als damals letzte Instanz in Leistungsstreitsachen hatte in seiner Entscheidung vom , SSV 22/23, den Erwerb von Ersatzzeiten auch für jene Zeiten bejaht, in denen zwar nach § 4 Abs 1 Z 1 LZVG Pflichtversicherung nicht bestanden hatte, weil in einem Kalenderjahr nicht mindestens acht Monate hindurch die Voraussetzungen gegeben waren, jedoch nach dem BSVG, in dem diese Einschränkung nicht mehr vorgesehen ist, Pflichtversicherung gegeben gewesen wäre. Diese durch den Wortlaut des § 107 Abs 1 Z 1 BSVG gedeckte Rechtsansicht entsprach jedoch nicht jenen Vorstellungen, die nach der in allen Ersatzzeitenregelungen zum Ausdruck kommenden Absicht des Gesetzgebers zu gelten hätten:

Darnach sollte es ausgeschlossen sein, daß Ersatzzeiten für den Zeitraum der Geltung des LZVG auch dann angerechnet werden können, wenn nach diesem Gesetz keine Pflichtversicherung bestanden hat. Dieser Grundsatz sollte in der Neufassung des § 107 Abs 4 (lit b) erster Satz BSVG deutlich zum Ausdruck gebracht werden (EB zur RV der 6.BSVGNov 1312 BlgNR 15.GP, 13). Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien SSV 22/23, die eine Ersatzzeitenanrechnung ohne Berücksichtigung des § 4 Abs 1 Z 1 LZVG bejahte, ist damit überholt, weil gerade sie - als den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht entsprechend - zu der genannten Gesetzesänderung Anlaß gab (OLG Wien SSV 24/96). Der erkennende Senat vermag in dieser Regelung eine unsachliche Differenzierung nicht zu erkennen, so daß er die von der Revisionswerberin behaupteten, jedoch nicht näher dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt. Nach § 4 Abs 1 Z 1 LZVG war für die Pflichtversicherung Voraussetzung, daß im Kalenderjahr mindestens durch acht Monate die die Pflichtversicherung auslösende Tätigkeit ausgeübt wurde. Da dies bei der Klägerin im Jahr 1959 nicht der Fall war, kann die Zeit vom 1.6 bis nicht als Ersatzzeit iS des § 107 BSVG gelten.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage iS des § 46 Abs 1 Z 1 ASGG abhing, entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin die Hälfte ihrer Revisionskosten zuzusprechen (SSV-NF 4/19, 84 ua).