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OGH vom 29.11.2016, 9ObA131/16d

OGH vom 29.11.2016, 9ObA131/16d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Mag. Petra Laback, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 15/16h 20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Unwirksamkeit einer Verwarnung ist nur dann feststellungsfähig iSd § 228 ZPO, wenn es sich bei der im Anlassfall ausgesprochenen schriftlichen Verwarnung der Beklagten nicht um eine bloße „schlichte“ Abmahnung, sondern um eine Disziplinarmaßnahme iSd § 102 ArbVG handelt (9 ObA 59/13m mwN; s auch RIS Justiz RS0101813, RS0039104).

Die Rechtsprechung differenziert dazu wie folgt: Während die „schlichte“ Abmahnung vor allem zukunftsbezogen gestaltet ist und der Arbeitgeber damit seine vertraglichen Rügerechte ausübt, den Arbeitnehmer zu vertragsgerechtem zukünftigen Verhalten anzuhalten und vor Konsequenzen für den Bestand oder Inhalt des Arbeitsverhältnisses bei weiteren Verletzungen zu warnen, ist die Disziplinarmaßnahme auf die Sanktionierung des beanstandeten Verhaltens selbst gerichtet (RIS Justiz RS0044168). Unter „Disziplinarmaßnahmen“ sind alle Maßnahmen des Betriebsinhabers (Arbeitgebers) zur Wahrung oder Wiederherstellung der betrieblichen Ordnung zu verstehen, mit denen dem Arbeitnehmer ein – rechtlich zulässiger – Nachteil zugefügt oder zumindest angedroht wird. Es kommen nicht nur Maßnahmen, die für den Arbeitnehmer unmittelbare rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile bewirken, in Betracht, sondern auch solche, durch die lediglich die sozialen Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, zB die Erteilung einer Rüge oder eines Verweises (RIS Justiz RS0051344). Ob eine „schlichte“ Verwarnung oder eine Disziplinarmaßnahme vorliegt, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RIS Justiz RS0129120 = 8 ObA 48/13m).

Für das Dienstverhältnis der Klägerin galt keine Disziplinarordnung. Sie bestreitet im Revisionsverfahren auch nicht, dass die an sie gerichteten Schreiben („Dienstenthebung/Vorbehalt dienstrechtlicher Maßnahmen“ vom , „Erinnerung an die Dienstpflichten/Abmahnung“, zugegangen am , „Schriftliche Abmahnung – Nebenbeschäftigung“ vom ) keine Disziplinarmaßnahmen darstellten. Sie meint aber im Wesentlichen, dass zwischen „schlichten“ und „echten“ Verwarnungen zu differenzieren sei und letztere entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen sehr wohl Gegenstand ihres Feststellungsbegehrens iSd § 228 ZPO sein könnten.

Diese Differenzierung ist der Rechtsprechung, in der die Abgrenzung zur disziplinären Verwarnung lückenlos mit dem Begriff der „schlichten“ Verwarnung erreicht wird, jedoch fremd. Entgegen der Ansicht der Klägerin trifft es auch nicht zu, dass die „schlichte“ Verwarnung nach der Entscheidung 9 ObA 359/93 nur eine solche sein könnte, die mit keiner Androhung von Konsequenzen verbunden wäre, ging diese Entscheidung doch davon aus, dass der dort verfahrensgegenständlichen Verwarnung unmittelbar keinerlei rechtliche Wirkungen zukamen. Auch das Argument, dass eine (schlichte) Verwarnung in Hinkunft von Bedeutung sein könne, weil in vielen Fällen der Ausspruch einer Kündigung oder Entlassung von einer vorangegangenen Ermahnung abhänge, führte dort nicht zur Bejahung eines rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung der Unwirksamkeit der Verwarnung. Im Hinblick auf ein Kündigungs- oder Entlassungsverfahren wurde vielmehr festgehalten, dass die Berechtigung der Verwarnung bzw das Gewicht des dieser zugrunde liegenden Verstoßes als Voraussetzung für die Berechtigung der Auflösungserklärung zu prüfen ist. An dieser Rechtsprechung wurde in späteren Entscheidungen festgehalten. Hervorzuheben ist daraus, dass auch die Androhung einer Konsequenz für den Bestand oder Inhalt des Arbeitsverhältnisses bei weiteren Verletzungen die Annahme einer schlichten Verwarnung nicht ausschließt (s die den Entscheidungen 9 ObA 51/95 und 9 ObA 2107/96k zugrunde liegenden Sachverhalte; RIS Justiz RS0044168).

Die Schreiben der Beklagten, die die Klägerin als „echte“ Verwarnungen erachtet, stellen danach „schlichte“ Verwarnungen dar, deren Wirksamkeit nach der Rechtsprechung eine nicht feststellungsfähige Rechtstatsache ist. Eine weitere Differenzierung von Verwarnungen ist nicht angezeigt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00131.16D.1129.000