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VfGH vom 28.09.1998, B3109/97

VfGH vom 28.09.1998, B3109/97

Sammlungsnummer

15242

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht im Sinne der Menschenrechtskonvention durch die Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates über eine Polizeistrafe wegen Übertretung des Meldegesetzes; berechtigte Zweifel an Unabhängigkeit und struktureller Unparteilichkeit des zuständigen UVS-Mitgliedes aufgrund dessen Zugehörigkeit zur Bundespolizeidirektion Wien (karenzierter Beamter)

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen auf Gesetz beruhenden Gericht im Sinne des Art 6 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 20.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die Bundespolizeidirektion (BPD) Wien erkannte mit Straferkenntnis vom den Beschwerdeführer schuldig, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 8 Meldegesetz begangen zu haben, daß er sich als Unterkunftgeber zu Unrecht geweigert habe, die ausgefüllten Meldezettel seiner Mieter zu unterschreiben. Über ihn wurden eine Geldstrafe und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.

b) Der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) Wien gab durch sein Mitglied Mag. K. mit Bescheid vom der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Der UVS Wien legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides verteidigt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Der Beschwerdeführer bringt in erster Linie - unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B2434/95 - vor, in dem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verletzt worden zu sein. Der UVS Wien habe nämlich über die Berufung durch sein Mitglied Mag. K. entschieden, der Beamter der BPD Wien sei und daher in enger Beziehung zu jener Behörde stehe, die in erster Instanz entschieden habe.

b) Mit diesem Vorwurf ist der Beschwerdeführer im Recht:

aa) Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EGMR zum Begriff des "Tribunals im Sinne des Art 6 EMRK" (vgl. z.B. EGMR Nr. 20/1986/118/167 - Belilos gegen Schweiz - EuGRZ 1989, 21 ff) kommt der Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Fall zum Ergebnis, daß das einzelne Mitglied des UVS Wien, das die bekämpfte Entscheidung getroffen hat (wiewohl die Geschäftsverteilung die Entscheidung durch ein anderes Mitglied nicht ausgeschlossen hätte) dem daraus abzuleitenden Erfordernis der "Unabhängigkeit und strukturellen Unparteilichkeit" nicht entspricht (vgl. ).

bb) Zwar ist ein Mitglied des UVS bei Besorgung der ihm (gemäß Art 129a und 129b B-VG) zukommenden Aufgaben an keine Weisungen gebunden (Art129b Abs 2 erster Satz B-VG; § 5 Abs 1 UVS-G Wien); ferner hat es vor Antritt seines Amtes die gesetzmäßige - somit auch die unabhängige - und gewissenhafte Erfüllung seiner Amtspflichten zu geloben (§4 Abs 5 UVS-G Wien); schließlich darf es vor Ablauf der - sechsjährigen (§4 Abs 1 UVS-G Wien) - Bestellungsdauer nur aus den in den dienstrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Gründen und nur auf Beschluß der Vollversammlung seines Amtes enthoben werden (§6 Abs 1 UVS-G Wien; siehe auch § 6 Abs 2 leg. cit.).

cc) Ebenso trifft aber auch zu, daß es sich bei dem im vorliegenden Fall zur Entscheidung berufenen einzelnen Mitglied des UVS Wien um einen - wenn man die Diktion des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Nr. 20/1986/118/167 - Belilos gegen Schweiz - EuGRZ 1989, 21 ff hierher überträgt - "aus der Polizeidirektion hervorgegangene(n) höhere(n) Beamte(n handelt), der berufen sein kann, dort erneut andere Aufgaben wahrzunehmen". Somit "können" aber - jedenfalls soweit es, so wie hier, um ein Verfahren geht, in dem die Bundespolizeidirektion Wien Partei ist - "(d)ie seiner Gerichtsbarkeit unterworfenen Personen ... versucht sein, in ihm ein Mitglied des Polizeidienstes zu sehen, (das) dessen Hierarchie eingeordnet und mit seinen Kollegen solidarisch ist. Eine solche Situation könnte das Vertrauen in Frage stellen, das Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft vermitteln sollten."

dd) Maßgeblich war für den EGMR, daß das betreffende "Mitglied der Polizeikommission ein aus der Polizeidirektion hervorgegangener höherer Beamter ist, der berufen sein kann, dort erneut andere Aufgaben wahrzunehmen". Daran anknüpfend stellte der EGMR fest, daß die der Gerichtsbarkeit der Polizeikommission unterworfenen Personen versucht sein könnten, "in ihm ein Mitglied des Polizeidienstes zu sehen, der dessen Hierarchie eingeordnet und mit seinen Kollegen solidarisch ist". Dieser "äußere Anschein" wird aber auch im vorliegenden Fall eines auf Dauer seiner bloß befristeten Zugehörigkeit zum UVS karenzierten Beamten des Bundes im Personalstand der Bundespolizeidirektion Wien, der als einzelnes Mitglied des UVS Wien u.a. über die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen eben dieser Behörde zu befinden hat, nicht auszuschließen sein.

ee) Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß der Beschwerdeführer berechtigterweise einige Zweifel hinsichtlich der Unabhängigkeit und strukturellen Unparteilichkeit des zuständigen UVS-Mitgliedes empfinden konnte.

c) Der Beschwerdeführer wurde durch den bekämpften Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen auf Gesetz beruhenden Gericht im Sinne des Art 6 EMRK verletzt.

Der Bescheid war sohin aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.