OGH vom 11.11.2010, 12Os79/10z

OGH vom 11.11.2010, 12Os79/10z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Friedrich B***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Geschworenengericht vom , GZ 9 Hv 23/08x 37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch V./ und demzufolge im Strafausspruch, nicht jedoch im Privatbeteiligtenausspruch, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte auf die teilkassatorische Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über seine Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Friedrich B***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 (erg: Abs 1 und) Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl 1998/153 (in einem Fall) und der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1998/153 (I./1./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1998/153 (I./2./), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 (erg: Abs 1 und) Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl 1998/153 (in einem Fall) und der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 1998/153 (II./), der Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 (III./), der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 (IV./) und der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (V./) schuldig erkannt.

Danach hat er in R*****

I./ an nachangeführten Unmündigen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen oder von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, und zwar

1./ von Sommer 1999 bis Ende 1999 dadurch, dass er die am geborene Sissi B***** wiederholt am Geschlechtsteil betastete und sie an seinem Glied teilweise bis zum Samenerguss masturbieren ließ, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung der Sissi B*****, nämlich eine Persönlichkeitsstörung der unmündigen Person zur Folge hatte,

2./ von Sommer 1999 bis Juli 2000 und von Sommer 2001 bis Mai 2003 die am geborene Laura B***** wiederholt dadurch, dass er sie am Geschlechtsteil betastete, an ihrer Brust und ihrer Scheide leckte und sie an seinem Glied teilweise bis zum Samenerguss masturbieren ließ;

II./ zwischen Sommer 1999 und Juli 2000 und von Sommer 2001 bis Mai 2003 mit der am geborenen, mithin unmündigen Laura B***** dadurch, dass er einen Finger in ihre Scheide einführte und wiederholt hin und her bewegte und einen Oralverkehr, teilweise bis zum Samenerguss, an sich vornehmen ließ, dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Persönlichkeitsstörung der Laura B***** zu Folge hatte;

III./ von Sommer 1999 bis Juli 2000 und von Sommer 2001 bis Mai 2003 dadurch, dass er wiederholt Sissi B***** bei den unter Punkt I./1./ angeführten Tathandlungen festhielt, Laura B***** bei den unter I./2./ angeführten Tathandlungen festhielt oder gegen die Wand drückte, sohin mit Gewalt zur Duldung bzw Vornahme geschlechtlicher Handlungen genötigt;

IV./ von Sommer 1999 bis Juli 2000 und von Sommer 2001 bis Mai 2003 dadurch, dass er Laura B***** bei den unter II./ angeführten Tathandlungen festhielt und gegen die Wand drückte, diese mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt;

V./ von Sommer 1999 bis Ende 1999 Sissi B***** und von Sommer 1999 bis Juli 2000 und Sommer 2001 bis Mai 2003 Laura B***** wiederholt durch die Äußerung, wenn sie wegen der unter „I./ bis V./“ angeführten Tathandlungen etwas weitererzähle, werde etwas passieren, sohin „mit Gewalt“ zur Unterlassung einer Mitteilung über die Vorfälle an die Eltern bzw die Polizei genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 6, 9, 10a und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführt bloß teilweise Berechtigung zukommt.

Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer in seiner den Schuldspruch V./ betreffenden Rechtsrüge (Z 11 lit a) einen Rechtsfehler mangels Feststellungen auf. Nach den durch die Bejahung der Hauptfragen 9 und 10 konstatierten entscheidenden Tatsachen, die der rechtlichen Unterstellung nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO zu Grunde zu legen sind (Wiedergabe des Wahrspruchs; Ratz , WK StPO § 281 Rz 613 iVm 581), hat der Beschwerdeführer Sissi und Laura B***** durch die wiederholte Äußerung, wenn sie wegen der unter den Hauptfragen 1./ bis 8./ angeführten Tathandlungen etwas weitererzählten, werde „etwas passieren“, sohin allenfalls durch gefährliche Drohung und nicht wie im Urteilsspruch verfehlt angeführt durch Gewalt zur Unterlassung einer Mitteilung über die Vorfälle an die Eltern bzw die Polizei genötigt. Es fehlen jedoch die für die rechtliche Unterstellung unter den Tatbestand der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB unabdingbaren Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Äußerungen, nämlich ob der Angeklagte (auch) mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen (§ 74 Z 5 StGB) gedroht hat (vgl hiezu Jerabek in WK² § 74 Rz 34; RIS-Justiz RS0092588).

Bereits dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen führt zur Kassation des Schuldspruchs V./. Auf das weitere darauf gerichtete Rechtsmittelvorbringen war daher nicht einzugehen.

Im Übrigen geht die Nichtigkeitsbeschwerde fehl:

Soweit die Rüge in Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 des § 345 Abs 1 StPO einen Freispruch wegen der vom Schwurgerichtshof dem Schuldspruch trotz Bejahung der entsprechenden Hauptfragen 7 und 8 mangels Strafbarkeit zu den Tatzeitpunkten nicht zu Grunde gelegten (vgl US 4 und 10) Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB fordert, ist sie mangels schuldigsprechenden Erkenntnisses, das die hier relevanten, mit Nichtigkeitssanktion bewehrten Bestimmungen des § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO ohnedies ausschließlich zum Gegenstand haben, nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt. Im Übrigen ist der vermisste Freispruch von den in Rede stehenden idealkonkurrierenden Vergehen zu Recht unterblieben, hätte sich ein solcher doch auf eine Tat (im materiellen Sinn), also auf ein unter Anklage gestelltes historisches Geschehen und nicht auf eine weitere vom Ankläger für begründet erachtete rechtliche Kategorie zu beziehen (vgl Lendl , WK StPO § 259 Rz 1 f).

Daran vermag auch die für das Verfahren vor den Geschworenengerichten geltende Sondervorschrift des § 337 letzter Fall StPO, derzufolge der Schwurgerichtshof sofort ein freisprechendes Urteil zu fällen hat, wenn er der Meinung ist, dass die Tat, die der Angeklagte nach dem Ausspruch der Geschworenen begangen hat, nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, nichts zu ändern, weil auch in dem hier aktuellen Fall nicht von einer rechtlichen Qualifikation, sondern nur von einem unter Anklage gestellten historischen Geschehen freigesprochen werden darf (vgl [zu § 336 StPO]11 Os 46/95).

Das das Unterbleiben einer uneigentlichen Zusatzfrage gemäß § 316 StPO monierende Vorbringen der Interrogationsrüge (Z 6) orientiert sich nicht am Verfahrensrecht, weil der Beschwerdeführer nicht darlegt, aus welchem Grund es entgegen dem Gesetzeswortlaut (§§ 317 Abs 2, 330 Abs 2 StPO) nicht zulässig gewesen sein sollte, (bloß jeweils) eine Hauptfrage in Richtung qualifizierter Tatbegehung (in Richtung § 206 Abs 3 erster Fall und § 207 Abs 3 erster Fall StGB) zu stellen, wurden die Geschworenen doch ausdrücklich dahingehend belehrt, Fragen einschränkend beantworten zu können (vgl Rechtsbelehrung S 2; RIS-Justiz RS0122944).

Mit dem aus der Behauptung, für die in Ansehung der qualifizierten Folgen der Taten unterschiedliche Beantwortung der Hauptfragen 1 und 2 gebe es keine plausible Erklärung, vielmehr stehe diese „Ungleichbehandlung“ im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. G*****, abgeleiteten Einwand einer Undeutlichkeit bzw Widersprüchlichkeit des Wahrspruchs (Z 9) verfehlt der Beschwerdeführer die gesetzmäßige Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes. Ein Nichtigkeit begründender innerer Widerspruch oder eine solche Undeutlichkeit können nämlich nur aus dem Verdikt selbst, nicht jedoch aus dessen Vergleich mit den tatsächlichen (oder vom Beschwerdeführer angenommenen) Ergebnissen des Beweisverfahrens abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0100971, RS0101005, RS0101010).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) richtet sich gegen die unterschiedliche Zuordnung der Tatfolgen bei den beiden Opfern zu den dem Angeklagten zur Last liegenden Tathandlungen, sei es doch „in keiner Weise nachvollziehbar und plausibel“ sowie mit nicht näher konkretisierten Ausführungen des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. G***** nicht in Einklang zu bringen, weshalb bei Sissi B***** bereits die nicht einem Beischlaf gleichzuhaltenden geschlechtlichen Handlungen zu einer schweren Verletzung geführt haben sollen, nicht aber bei Laura B*****, bei der diese erst der nach § 206 StGB beurteilten Delinquenz zugerechnet wurde, sowie überhaupt gegen die Annahme dieser qualifizierten Tatfolgen, habe der genannte Sachverständige doch nicht „ausschließen“ können, dass die bei den beiden Opfern diagnostizierte Persönlichkeitsentwicklungsstörung auch auf das absolut zerrüttete soziale Umfeld und die Familienverhältnisse zurückzuführen sei.

Weiters könnten die Angaben der Belastungszeuginnen nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht der Wahrheit entsprechen, weil gegen die behaupteten annähernd täglichen Übergriffe die tatsächlichen Wohnverhältnisse sowie die eingeschränkte physiologische Leistungsfähigkeit des Angeklagten sprächen, dessen stark getrübtes Verhältnis zur Kindesmutter die Behauptung sexueller Übergriffe erklären würde, bei Laura B***** „möglicherweise“ auch Eifersucht (auf ihren Bruder) eine Rolle spiele und angesichts eines aus dem Kontext gelösten Details ihrer Ausführungen das Gutachten der Sachverständigen Dr. O***** kritisch zu hinterfragen sei.

Der geltend gemachte formelle Nichtigkeitsgrund greift seinem Wesen nach jedoch erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erhebliche Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt wird dadurch nicht eröffnet (RIS Justiz RS0119583; Ratz , WK StPO § 281 Rz 470 ff).

Der Umstand, dass wie vorliegend aus den den Geschworenen vorgeführten Beweisen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können, ist für sich nicht geeignet, erhebliche Bedenken im Sinne dieses Nichtigkeitsgrundes darzutun. Im Übrigen übergeht der Beschwerdeführer die im Hinblick auf die Tatfolgen unterschiedliche Bewertung der Tathandlungen und der Tatopfer durch den Sachverständigen Univ. Prof. Dr. G***** (ON 36/S 17, 21 f). Im Ergebnis bekämpft der Beschwerdeführer - wie insbesondere mit seinen Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Belastungszeuginnen - bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Das Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher in seinem Schuldspruch V./ und demzufolge im Strafausspruch, nicht jedoch in dem auf den Schuldsprüchen nach dem 10. Abschnitt des besonderen Teils des StGB fußenden Adhäsionserkenntnis, aufzuheben (§§ 285e, 344 StPO) und in diesem Umfang an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde gleichfalls bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 2, 344 StPO).

Der Beschwerdeführer war mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe auf diese Entscheidung zu verweisen.

Über seine Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden haben.

Soweit Schuldsprüche gegen den Angeklagten nach der zu den Tatzeitpunkten geltenden Rechtslage ergingen, obwohl die jeweiligen Bestimmungen nicht günstiger waren als nach dem derzeit geltenden Recht (§ 207 Abs 1; § 206 Abs 1; § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB; vgl RIS Justiz RS0112939), ist dem Angeklagten kein Nachteil erwachsen, sodass ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO nicht geboten ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.