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OGH vom 22.12.2009, 11Os186/09a

OGH vom 22.12.2009, 11Os186/09a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer, in der Strafsache gegen Manfred K***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom , GZ 18 Hv 109/09a-41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Manfred K***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I./) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (II./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat Manfred K***** zu jeweils nicht genauer feststellbaren Zeitpunkten in A***** bzw E*****

I./ mit der am geborenen, somit unmündigen Kathrin K***** den Beischlaf sowie dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er

1./ von 1999 bis 2003 in unzähligen Angriffen versuchte, mit seinem Penis in ihre Scheide einzudringen sowie seinen Finger und seine Zunge in ihre Scheide einführte,

2./ im Jahr 2002 seinen erigierten Penis in ihren Mund einführte; 3./ im Jahr 2003 einmal mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog, wobei eine der Tathandlungen ab einem nicht feststellbaren Zeitpunkt eine schwere Körperverletzung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine generalisierte Angststörung mit starker Ausprägung einer sozialen Angst und „eine im Entstehen begriffene" Persönlichkeitsentwicklungsstörung zur Folge hatte; II./ Kathrin K***** durch die zu I./ und III./ beschriebenen Tathandlungen mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie beim ersten Übergriff an der Hand zurückhielt, als sie flüchten wollte, sie am Nachthemd zu Boden zog und bei den folgenden Übergriffen einen Saft zu trinken gab, der sie einschläferte und bewegungsunfähig machte;

III./ durch die zu I./3./ beschriebenen Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Kathrin K***** mit dieser geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 5 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Diese schlägt fehl. Die Verfahrensrüge (Z 5) beanstandet eine dem ungerügt gebliebenen Protokoll der Hauptverhandlung vom (ON 40 S 19) jedoch nicht zu entnehmende „nicht ordnungsgemäße bzw einseitige Belehrung" der Zeugin Hannelore S*****, der Mutter des Angeklagten, über das ihr zustehende Entschlagungsrecht, weil ihr das Beweisthema nicht bekanntgegeben worden sei. Dabei übersieht der Angeklagte, dass er sich - wenn das Gericht einem Zeugen die Befreiung von der Pflicht zur Aussage (§ 156 StPO) zubilligt und eine Partei der Meinung ist, es läge kein rechtlich anerkannter Grund oder auch nur eine unrichtige Belehrung dafür vor - dagegen durch einen begründeten Antrag, dem Zeugen kein solches Recht einzuräumen, zur Wehr setzen muss. Denn nur die abschlägige (Senats-)Entscheidung (§ 238 StPO) kann als Anknüpfungspunkt der Verfahrensrüge nach § 345 Abs 1 Z 5 StPO dienen (Kirchbacher, WK-StPO § 159 Rz 28; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 362, 364; RIS-Justiz RS0113906).

Ebenso verfehlt kritisiert der Angeklagte die Entschlagung der Zeugin Maria K*****, die vorerst auf ihr Aussagebefreiungsrecht (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) verzichtet hatte, diesen Verzicht aber - wenn auch erst nach Belehrung gemäß § 161 Abs 1 StPO - unter Berufung auf die kontradiktorische Vernehmung (ON 5) widerrief. Weder er noch sein Verteidiger hatten in der Hauptverhandlung in diesem Zusammenhang einen Antrag gestellt, sondern vielmehr „keinen Einwand" gegen die von der Zeugin begehrte Vorführung des Videobands erhoben (ON 40 S 24), weswegen die Verfahrensrüge auch diesbezüglich ins Leere geht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302, 480).

Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung solch erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0119583).

Durch Erörterung einer einzelnen, isoliert betrachteten Passage in der Aussage der Zeugin Kathrin K***** anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung - in Form abweichender Beweiswertbetrachtungen versucht der Angeklagte - unter Missachtung deren in der Hauptverhandlung verlesenen (ON 40 S 28) Angaben vor der Polizei (ON 2 S 19) über den ihr eingeflößten „Saft" die Richtigkeit der Erwägungen der Geschworenen, die verpflichtet sind (§ 258 Abs 2 iVm § 302 Abs 1 StPO), alle Beweise nicht nur einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit auf ihre Beweiskraft zu prüfen und auch den persönlichen Eindruck der Vernommenen zu verwerten (Philipp, WK-StPO § 325 Rz 3), in Zweifel zu ziehen.

Indem der Angeklagte weiters bloß die Behauptung aufstellt, die Herkunft des starken und „sicher" rezeptpflichtigen Schlafmittels sei ungeklärt geblieben, unterlässt er die gebotene Bezugnahme auf konkretes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial oder solche - ebenfalls konkret zu bezeichnende - Beweismittel, die so rechtzeitig zum Akt gekommen sind, dass sie in der Hauptverhandlung noch hätten vorkommen können und rechtens hätten vorkommen dürfen, und dass sie Anlass zur Durchführung von Beweisaufnahmen gegeben hätten (RIS-Justiz RS0104982; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481). Weder mit der Berufung auf den - im Übrigen für die Schuldfrage nicht relevanten - konkreten Tatzeitraum durch den Hinweis auf seine häufige arbeitsbedingte Abwesenheit noch durch die Hervorhebung der Aussage einer Lehrerin der Kathrin K*****, sie hätte keine Anzeichen eines sexuellen Missbrauchs bemerkt, gelingt es dem Angeklagten, beim Obersten Gerichtshof sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Wahrspruch zugrunde liegenden Feststellungen zu wecken (RIS-Justiz RS0117446). Insgesamt unternimmt er nur einen zur Darlegung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ungeeigneten Angriff auf die Lösung von Tatfragen nach Art einer im Rechtsmittelverfahren gegen kollegialgerichtliche Urteile gesetzlich nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur (§ 24 StPO) - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.