VfGH vom 19.06.1996, B3047/95
Sammlungsnummer
14516
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch willkürliche Abweisung des Antrags auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft; keine Interessenabwägung bei Ausübung des der Behörde eingeräumten freien Ermessens
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,--bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, lebt seit dem Jahre 1977 in Österreich.
Am suchte er um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an.
Die Wiener Landesregierung wies dieses Ansuchen mit Bescheid vom gemäß den §§10 und 11 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG 1985) ab.
Sie begründete dies im wesentlichen wie folgt:
"Im durchgeführten Ermittlungsverfahren wurde bekannt, daß betreffend Herrn .....(der Beschwerdeführer) folgende Vormerkungen aufscheinen:
Im Mai 1984 erfolgte eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft
Wr. Neustadt wegen verschiedener Geschäftseinbrüche, an denen
auch ..... (der Beschwerdeführer) beteiligt war; das Verfahren
wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.
Im Juli 1990 wurde Herr ....... (der Beschwerdeführer) wegen
des Verdachtes der falschen Zeugenaussage vor Gericht zur Anzeige gebracht; das Verfahren endete mit einem Freispruch.
Im selben Jahr wurde er wegen Begünstigung bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt; das Verfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.
Im Jahre 1991 erfolge Anzeigeerstattung gegen Herrn .... (der Beschwerdeführer) wegen Verdachtes der Sachbeschädigung (unbefugtes Plakatieren); dieses Verfahren endete mit einem Freispruch.
Gemäß § 10 Abs 1 StbG kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er die in dieser Bestimmung angeführten allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt.
Darüber hinaus hat sich die Behörde bei Ausübung des ihr eingeräumten freien Ermesssens gemäß § 11 StbG von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten des Bewerbers leiten zu lassen.
Im vorliegenden Fall besteht kein Rechtsanspruch auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, vielmehr liegt die Verleihung gemäß § 10 StbG im Ermessen der Behörde.
Die Verleihungsbehörde hat somit erwogen:
Wiewohl alle Anzeigen gegen Herrn ..... (der Beschwerdeführer) entweder mit Einstellung des Verfahrens oder einem Freispruch endeten, können diese aber trotzdem, insbesondere in Ansehung der Anklagepunkte darauf hinweisen, daß beim Genannten eine gewisse Bereitschaft vorhanden ist, persönliche Interessen über die Bestimmungen österreichischer Rechtsnormen zu stellen. Herr D scheint nicht willens zu sein, sich den Gesetzen eines demokratischen Rechtsstaates unterordnen zu wollen und kann daher ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung nicht erblickt werden.
Im vorliegenden Fall besteht zwar kein Einbürgerungshindernis im Sinne des § 10 Abs 1 Z. 6 StbG, jedoch schließt die permanente Mißachtung der österreichischen Rechtsordnung aus, daß die Verleihungsbehörde von dem ihr eingeräumten freien Ermessen positiven Gebraucht macht."
2. Gegen diesen Bescheid erhebt der Beschwerdeführer die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
Die Behörde sei willkürlich vorgegangen, indem sie die für die Einbürgerung des Beschwerdeführers sprechenden Argumente völlig außer Acht gelassen habe; weiters habe sie gegen die in Art 6 Abs 2 EMRK verfassungsgesetzlich verankerte Unschuldsvermutung verstoßen.
3. Die Wiener Landesregierung als jene Behörde, die den bekämpften Bescheid erlassen hat, legte den Akt des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner neueren Judikatur (, B2318/94, B1691/95, B434/94) die Meinung, daß ArtI Abs 1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, (auch) das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot enthält, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Eine Verletzung des durch dieses Bundesverfassungsgesetz verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander liegt auch dann vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
2. Daher ist zu untersuchen, ob die Behörde gegenüber dem Beschwerdeführer willkürlich vorgegangen ist.
Dies ist zu bejahen:
a) Gemäß § 10 Abs 1 StbG 1985 kann die (österreichische)
Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit
mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im
Gebiet der Republik hat (Z1) und kein Einbürgerungshindernis
nach den Z 2 bis 8 vorliegt. Auf die Einbürgerung nach dieser
Gesetzesbestimmung besteht kein Rechtsanspruch. Es steht vielmehr
(wenn kein Einbürgerungshindernis gegeben ist) im Ermessen der
Behörde, dem Ansuchen zu entsprechen oder nicht. Die negative
Entscheidung muß jedoch ausreichend i.S. des Art 130 Abs 2 B-VG
begründet sein (vgl. z.B. Zl. 876/78 = ZfVB
1979/446, Zl. 85/01/0337 = ZfVB 1987/194; VwGH
Zl. 86/01/0202 = ZfVB 1987/1699).
Die Behörde hat sich dem § 11 erster Satz StbG 1985 zufolge bei Ausübung des ihr im § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen.
b) Der angefochtene Bescheid wird ausschließlich damit begründet, daß gegen den Beschwerdeführer gerichtliche Strafverfahren anhängig waren; daraus sei - ungeachtet dessen, daß alle diese Verfahren eingestellt wurden oder mit Freispruch endeten - zu schließen, daß der Beschwerdeführer nicht willens sei, sich den Gesetzen eines demokratischen Rechtsstaates unterzuordnen; daher könne ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung nicht erblickt werden.
Die Behörde hat das Gesetz völlig verfehlt angewendet:
Aus § 11 erster Satz StbG 1985 ist nicht - wie sie meint - abzuleiten, daß die Einbürgerung im öffentlichen Interesse liegen müsse, sondern nur, daß die Interessen des Einbürgerungswerbers an einer positiven Erledigung seines Antrages gegen die dagegen sprechenden öffentlichen Interessen abzuwägen sind.
Das Gesetz räumt der Behörde bei Beurteilung dieser Frage zwar einen weiten Spielraum ein. Die von der Wiener Landesregierung hier gewählte Begründung ist aber gänzlich ungeeignet, eine derartige Interessenabwägung nachvollziehbar darzutun. Die Behörde hat sich nämlich damit begnügt, darauf hinzuweisen, daß gegen den Beschwerdeführer Strafverfahren anhängig waren und daß diese für den Beschwerdeführer positiv ausgingen. Sie hat es unterlassen, aus den Strafakten oder aus anderen dem Verwaltungsakt entnehmbaren Verfahrensergebnissen konkrete Feststellungen zu treffen und Schlußfolgerungen zu ziehen, die - ungeachtet der erfolgten Verfahrenseinstellungen und Freisprüche - aus öffentlichen Interessen gegen eine Einbürgerung sprechen würden.
Die der Behörde unterlaufenen Fehler sind derart gravierend, daß sie als (objektive) Willkür beurteilt werden müssen.
Der Beschwerdeführer wurde also im verfassungsgesetzlich gewährleisten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt. Der Bescheid war mithin aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.