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OGH vom 26.05.2020, 10ObS21/20s

OGH vom 26.05.2020, 10ObS21/20s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Alice GaoGaller, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Alterspension (Korridorpension), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 117/19p19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 10 Cgs 38/19d14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Höhe der dem Kläger von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt mit Bescheid vom zuerkannten Korridorpension.

Der im November 1956 geborene Kläger erfüllt unstrittig die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Korridorpension (§ 4 Abs 2 APG) zum . Er war sowohl in Österreich als auch in Deutschland unselbständig erwerbstätig. In Österreich erwarb der Kläger bis zum Stichtag 559 Versicherungsmonate.

In Deutschland erwarb der Kläger vom bis zum gesamt 11 Monate an Pflichtversicherungszeiten. Mit Bescheid vom stellte der deutsche Rentenversicherungsträger Bayern Süd diese Zeiten als Versicherungszeiten fest. Er lehnte allerdings einen Rentenanspruch des Klägers nach deutschem Recht ab, weil die deutschen Versicherungszeiten weniger als ein Jahr betragen.

Mit Bescheid vom sprach die beklagte Pensionsversicherungsanstalt dem Kläger eine Korridorpension ab in Höhe von monatlich 2.629,24 EUR zu. Die in Deutschland vom Kläger erworbenen Versicherungszeiten sind bei der Berechnung dieser Pension nicht berücksichtigt.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung einer Korridorpension im gesetzlichen Ausmaß. Österreich müsse die deutschen Versicherungszeiten des Klägers nach den Art 52, 57 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge: VO 883/2004) bei der Pensionsberechnung berücksichtigen, weil es sich bei der Korridorpension um eine Alterspension handle. Gerade weil der Kläger auch in Deutschland Versicherungsmonate erworben habe, sei die Pension des Klägers nicht bloß auf Grundlage eines Pensionskontos nach dem APG zu berechnen.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass Zeiträume für die Berechnung der Alterspension nach dem APG keine Rolle spielen. Die Alterspension nach APG werde auch im Anhang VIII Teil 2 zur VO 883/2004 genannt. Die Regelungen des Art 52 VO 883/2004 über die anteilige Berechnung der Pension kämen daher gemäß Art 52 Abs 5 VO 883/2004 nicht zur Anwendung. Die vom Kläger in Deutschland erworbenen 11 Beitragsmonate seien daher bei der Berechnung seiner Pension nicht zu übernehmen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger die Korridorpension in Höhe von 2.629,24 EUR monatlich ab wie im Bescheid vom zu und wies das Mehrbegehren auf Zuerkennung einer höheren Korridorpension ab diesem Zeitpunkt ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte ebenso wie das Erstgericht den Standpunkt der beklagten Pensionsversicherungsanstalt. Die Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die VO 883/2004 in einem APG-Pensionsfall eine Einbeziehung ausländischer Versicherungszeiten in die Berechnung der Pension fordere.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung des Klagebegehrens begehrt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

In der Revision macht der Kläger ausschließlich geltend, dass auch das APG ein System sei, bei dem Zeiträume für die Berechnung der Leistung eine Rolle spielen. Die Aufnahme der Alterspension nach dem APG in Anhang VIII Teil 2 der VO 883/2004 durch Österreich sei daher unionsrechtswidrig und verstoße auch gegen den verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz sowie den Vertrauensgrundsatz. Dem ist entgegenzuhalten:

1.Österreichisches Recht:

1.1 Die Korridorpension ist eine Alterspension, deren Anspruch und Ausmaß das APG regelt (§ 1 Abs 1 Z 2, § 4 Abs 2 APG). Sie ermöglicht einen vorzeitigen Pensionsantritt ab dem 62. Lebensjahr, wenn 40 Versicherungsjahre (480 Versicherungsmonate) vorliegen und der Versicherte am Stichtag keiner mehr als geringfügigen Erwerbstätigkeit mehr nachgeht (dazu § 4 Abs 2 Z 2 und Abs 6 APG).

1.2 Mit der Einführung des Pensionskontos (§§ 10 ff APG) wurde die Pensionsberechnung in der österreichischen gesetzlichen Altersversicherung grundlegend geändert. Die Pension wird nicht mehr wie im Altrecht am Ende einer Versicherungskarriere, am Pensionsstichtag, nach den dann erworbenen Versicherungszeiten und Ersatzzeiten, auf Basis einer Bemessungsgrundlage und von Steigerungsbeträgen und zu dem am Stichtag geltenden Recht berechnet (vgl § 238 ff ASVG), sondern entwickelt sich entlang des Versicherungsverlaufs in einem Pensionskonto parallel zu dieser Versicherungskarriere (Pinggera/Pöltner/Stefanits, Das neue Pensionsrecht [2005] Rz 151). Das Ausmaß der Alterspension ergibt sich gemäß § 5 Abs 1 APG aus der bis zum Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) ermittelten Gesamtgutschrift (§ 11 Z 5 APG) geteilt durch 14.

1.3 Der Revisionswerber argumentiert, dass Zeiträume für die Berechnung der Pension eine Rolle spielten, weil die Summe der Beitragsgrundlagen im Sinn des § 11 Z 1 bis 3 APG auch vom Ausmaß der Versicherungszeiten, nämlich deren Anzahl abhinge. Diese Summe sei wiederum die Basis für die Ermittlung der Teilgutschrift eines Kalenderjahres. Sehr wohl würden daher Zeiträume für die Berechnung der Alterspension (Korridorpension) eine Rolle spielen. Dies trifft nicht zu:

1.4 Im Altrecht (§§ 238 ff ASVG) erfolgte die Pensionsberechnung nach dem Bemessungsgrundlagensystem. Für die Pensionshöhe war ua die Anzahl der erworbenen Versicherungsmonate (Beitrags- und Ersatzmonate) und die Höhe der Bemessungsgrundlage maßgeblich. Für die Bildung der Pensionsbemessungsgrundlage kam es auf die zeitliche Lagerung der Versicherungszeiten an: Der Zeitraum für die Bildung der Pensionsbemessungsgrundlage wurde von den 228 besten Monaten im Jahr 2007 schrittweise auf 480 Monate verlängert. Die Bemessungsgrundlage errechnete sich demnach aus einer bestimmten Zahl der höchsten aufgewerteten monatlichen Gesamtbeitragsgrundlagen. Die Entscheidung, aus welchen Jahren das versicherte Einkommen und damit die Beitragsgrundlagen zur Berechnung der Pension herangezogen werden, spielte daher die wichtigste Rolle für die Pensionshöhe (Tomandl, Sozialrecht7 Rz 254). Die Pension war ein bestimmter Prozentsatz der Gesamtbemessungsgrundlage (Steigerungsbetrag, vgl § 261 ASVG). Das Ausmaß der Pension war bei dieser Berechnung daher durch die Anzahl der Versicherungsmonate bestimmt (Milisits/Wolff, Handbuch zur gesetzlichen Pensionsversicherung in Österreich1 [2007] 188 ff [190]; Rainer/Pöltner in SV-Komm [166. Lfg] § 5 APG Rz 11), aber auch – wie ausgeführt – durch deren zeitliche Lage.

1.5 Die Pensionsberechnung nach dem Pensionskonto stellt hingegen weder zur Ermittlung eines Steigerungsprozentsatzes noch einer Bemessungsgrundlage auf Versicherungszeiten ab (§ 5 iVm § 10 ff APG;Rainer/Pöltner in SV-Komm [166. Lfg] § 5 APG Rz 20; 10 ObS 155/16s SSV-NF 31/3), auch deren zeitliche Lagerung spielt keine Rolle für die Pensionshöhe. Die Pension wird im Pensionskonto nach dem Bausteinprinzip aufgebaut: Der Versicherte bekommt für jedes Jahr Teilgutschriften ausgewiesen, die in der Folge zu einer Gesamtgutschrift addiert werden. Die Teilgutschrift beträgt 1,78 % der beitragspflichtigen Jahresbeitragsgrundlage, begrenzt mit der jeweiligen Höchstbeitragsgrundlage (dieser Prozentsatz resultiert aus der Formel, wonach im Alter von 65 Jahren nach 45 Versicherungsjahren ca 80 % des Durchschnittseinkommens als Pensionsleistung gebühren sollen). Pensionsbaustein für die monatliche Pension ist 1/14 der Gesamtgutschrift. Die Summe der Teilgutschriften, also die Gesamtgutschrift, wird am 1. 1. eines jeden Jahres mit der Aufwertungszahl (§ 108a ASVG) multipliziert. Die neue Teilgutschrift wird danach hinzugerechnet (detailliert, mit Beispielen etwa Milisits/Wolff, Handbuch zur gesetzlichen Pensionsversicherung in Österreich1 [2007] 202 ff; Tomandl, Sozialrecht7 Rz 259; Sonntag in Sonntag, ASVG10§ 261 ASVG Rz 11 ff). Die Höhe der Alterspension nach dem APG errechnet sich daher ausschließlich nach den eingezahlten Beiträgen und deren Aufwertung („Verzinsung“, Spiegel in SV-Komm [207. Lfg] Vor § 251a ASVG Rz 28).

2.Unionsrecht:

2.1 Der Kläger hat Versicherungszeiten in Österreich und in Deutschland erworben. Er stützt seinen Anspruch auf die Berücksichtigung der in Deutschland erworbenen Zeiten und der diesen zugrunde liegenden Bemessungsgrundlagen bei dessen Berechnung. Die VO 883/2004 ist auf den vorliegenden Fall unstrittig anwendbar.

2.2 Die Alterspension gemäß § 4 Abs 2 APG (Korridorpension) hat den Zweck, den Lebensunterhalt von Versicherten sicherzustellen, die bei Erreichen eines bestimmten Alters ihre Beschäftigung aufgegeben haben und nicht mehr verpflichtet sind, der Arbeitsmarktverwaltung zur Verfügung zu stehen. Es handelt sich daher um eine Leistung bei Alter im Sinn des Art 3 Abs 1 lit d VO 883/2004 (EuGH C-171/82, Valentini, Rn 14).

2.3 Die Koordinierung der Altersrenten regeln – neben den allgemeinen Bestimmungen der VO 883/2004 – die Art 50 ff VO 883/2004. Die Feststellung der Leistungen durch anteilige Berechnung regelt, worauf die Vorinstanzen verwiesen haben, Art 52 VO 883/2004. Im konkreten Fall ist jedoch Art 57 VO 883/2004 zu beachten, weil der Kläger Versicherungszeiten in der Dauer von weniger als einem Jahr in Deutschland erworben hat. Art 57 Abs 2 VO 883/2004 sieht vor, dass solche Zeiten, wenn sie im Mitgliedstaat, in dem sie erbracht wurden, wie im vorliegenden Fall keinen Leistungsanspruch auslösen, zur Berechnung des theoretischen Betrags der Leistung (Art 52 Abs 1 lit b sublit i VO 883/2004) vom zuständigen Träger des betroffenen Mitgliedstaats (im vorliegenden Fall wäre das die Beklagte) zu berücksichtigen sind.

2.4 Dazu haben bereits die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt, dass weder Art 52 Abs 1 bis 3 VO 883/2004 noch Art 57 VO 883/2004 im vorliegenden Fall anwendbar sind. Dies ergibt sich aus Art 52 Abs 5 VO 883/2004, wonach die anteilige Berechnung der Alterspension gemäß Art 52 Abs 1 bis 3 VO 883/2004 nicht auf Systeme angewandt wird, bei denen Zeiträume für die Berechnung keine Rolle spielen, sofern diese Systeme in Anhang VIII Teil 2 zur VO 883/2004 genannt sind. In diesen Fällen hat die betroffene Person Anspruch auf die gemäß den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats berechnete Leistung. Parallel dazu ordnet auch Art 57 Abs 4 VO 883/2004 an, dass dieser Artikel nicht für die in Teil 2 des Anhangs VIII aufgeführten Systeme gilt.

2.5 Für die Berechnung der Alterspension (Korridorpension) nach dem APG spielen, wie ausgeführt, Zeiträume keine Rolle. Die Alterspensionen auf Grundlage eines Pensionskontos nach dem APG sind ausdrücklich im Anhang VIII Teil 2 VO 883/2004 genannt. Der Kläger hat daher, wie die Vorinstanzen zutreffend ausführten, Anspruch auf eine Korridorpension nach den österreichischen Rechtsvorschriften gemäß Art 52 Abs 5 letzter Satz VO 883/2004. Art 57 VO 883/2004 ist in seinem Fall nicht anwendbar.

3.Zur behaupteten Unionsrechtswidrigkeit der Aufnahme der Alterspension nach dem APG in Anhang VIII Teil 2 VO 883/2004 durch Österreich:

3.1 Das bloß koordinierende Sozialrecht der Europäischen Union schafft kein einheitliches, harmonisiertes „Europäisches Sozialversicherungssystem“. Zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer normiert als eines von zwei Grundprinzipien Art 48 lit a AEUV die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen.

3.2 Art 48 AEUV bildet als Ermächtigungsnorm die Rechtsgrundlage für die Schaffung der VO 883/2004. Mit der VO 883/2004 wird jedoch kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen. Sie lässt vielmehr unterschiedliche nationale Systeme bestehen und soll diese nur koordinieren, um die wirksame Ausübung der Freizügigkeit (Art 45 ff AEUV) sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten sind daher nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig (EuGH C-29/19, Bundesargentur für Arbeit, Rn 39 mwH).

3.3 Daraus folgt, dass einem Erwerbstätigen nicht garantiert ist, dass die Ausweitung seiner Tätigkeit auf mehr als einen Mitgliedstaat oder deren Verlagerung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist (EuGH C-134/18, Vester, Rn 32). Schon daher kann sich der Kläger im hier eröffneten Anwendungsbereich des koordinierenden Rechts der sozialen Sicherheit der Europäischen Union nicht auf eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art 20 GRC berufen. Denn die Situation des Klägers ist mit der Situation einer durchgehend in Österreich versicherungspflichtig unselbständig erwerbstätigen Person in diesem Bereich nicht über die vom Primärrecht in Art 48 AEUV vorgegebenen Grundprinzipien der Koordinierung hinaus zu vergleichen (zur Prüfungsstruktur der allgemeinen Gleichheitsprüfung Köchle/Pavlidis in Holoubek/Lienbacher, GRC² [2019] Art 20 Rz 22).

3.4 Gemäß Art 6 VO 883/2004 – der das dargestellte Grundprinzip des Art 48 lit a AEUV umsetzt – hat der Träger eines Mitgliedstaats die Zurücklegung von Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat im gegebenen Zusammenhang nur insofern zu berücksichtigen, als nach seinen eigenen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben des Anspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig sind. Die Berücksichtigung fremder Versicherungszeiten (vgl zu diesem Begriff Art 1 lit t VO 883/2004) weist gegenüber der Sachverhaltsgleichstellung gemäß Art 5 VO 883/2004 die Besonderheit auf, dass diese nur in den in der Vorschrift genannten eingeschränkten Funktionen erfolgt, nämlich im Rahmen anspruchsbegründender und anspruchserhaltender Normen, die bestimmte Mindestzeiten der versicherungsrechtlichen oder territorialen Zugehörigkeit voraussetzen (Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 [2018] Art 6 VO 883/2004 Rn 3).

3.5 Die Zusammenrechnung von Zeiten aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten beschränkt sich daher bereits unionsrechtlich auf das „Ob“ eines Rentenanspruchs. Dagegen ist das Gebot der Zusammenrechnung auf den Leistungsumfang, das „Wie viel“ nicht zu erstrecken (Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union7, Rn 210). Trotz des Gebots der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, wird die Leistungshöhe von jedem Träger daher gesondert aufgrund der nach dessen Recht zurückgelegten Zeiten ermittelt. Erwägungsgrund 10 der VO 883/2004 formuliert in diesem Zusammenhang: „Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind, sollten deshalb nur durch die Anwendung des Grundsatzes der Zusammenrechnung der Zeiten berücksichtigt werden.“ Eine Übernahme fremder Versicherungslasten aus in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten ist nur ausnahmsweise angeordnet (Art 44 Abs 2, 57 Abs 2 VO 883/2004; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 6 VO 883/2004 Rn 3; ähnlich Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 6 VO 883/2004 Rz 13).

3.6Zwischenergebnis: Das Primärrecht der Union gibt nicht vor, dass Versicherungszeiten aus anderen Mitgliedstaaten zur Wahrung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch zum Zweck der Berechnung der Leistung zu übernehmen sind. Eine Übernahme fremder Versicherungslasten erfolgt nur in den von der VO 883/2004 normierten Ausnahmsfällen. Im Hinblick auf das dargestellte System der Berechnung der Alterspension nach dem APG und den klaren Wortlaut des Art 52 Abs 5 VO 883/2004 besteht daher keine Veranlassung zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Frage, ob die Aufnahme der Alterspension nach dem APG in Anhang VIII Teil 2 der VO 883/2004 durch Österreich unionsrechtskonform oder unionsrechtswidrig erfolgte.

4.Zur behaupteten Verletzung des unionsrechtlichen Vertrauensschutzes:

4.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes Teil der Unionsrechtsordnung und muss von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Regelungen der Union beachtet werden (EuGH C-62/00, Marks & Spencer, Rn 44 mwH; Jarass, GRC² Einl Rn 37 ff). Dieser Grundsatz lässt es nicht zu, dass einem Berechtigten durch eine Änderung der anwendbaren Regelung rückwirkend ein auf der Grundlage der früheren Regelung erworbenes Recht genommen wird (EuGH C-107/10, Enel Maritsa Iztok 3, Rn 39 mwH). Dementsprechend sind die Vorschriften des materiellen Unionsrechts so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (EuGH C-334/07, Kommission/Freistaat Sachsen, Rn 44).

4.2 Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch beruht nicht auf einer Änderung einer Rechtslage, die ihm ein auf Grundlage der früheren Rechtslage erworbenes Recht genommen hätte. Das APG bildet das Kernstück der Pensionsharmonisierung 2005 (Art 1 des Pensionsharmonisierungsgesetzes BGBl I 2004/142). Es trat am in Kraft (§ 16 Abs 1 APG) und gilt für Versicherte, die – wie der Kläger – nach dem geboren wurden. Art 52 Abs 5 und 57 Abs 4 VO 883/2004 wurden mit der Verordnung (EG) Nr 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom geschaffen und traten am in Kraft. Erst nach diesem Zeitpunkt erwarb der Kläger Versicherungszeiten in Deutschland. Die behauptete – und im Übrigen auch nicht weiter begründete – Verletzung des unionsrechtlichen Vertrauensschutzes durch die Aufnahme der Alterspension nach dem APG in Anhang VIII Teil 2 der VO 883/2004 liegt nicht vor.

5.Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit:

5.1 Der Kläger macht geltend, dass die Aufnahme der Alterspension nach dem APG in Anhang VIII Teil 2 der VO 883/2004 gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und den daraus resultierenden Vertrauensschutz verstoße. Die Pensionsansprüche des Klägers stellten keinen als Härtefall allenfalls zu tolerierenden und nur atypisch und ausnahmsweise vorkommenden Einzelfall dar, weil auch zahlreiche andere Menschen einige Monate ihres Lebens im Ausland berufstätig seien. Auch verwaltungsökonomische Überlegungen könnten die Aufnahme der Alterspension nach dem APG in Anhang VIII Teil 2 VO 883/2004 nicht rechtfertigen.

5.2 Der Anhang VIII Teil 2 der VO 883/2004 ist Teil des sekundären Unionsrechts, das in Österreich geltendes Recht, aber nicht Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung ist. Aus diesem Grund kann sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Normenkontrolle sein (Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht [2007] Rz 2776 und 2969). Es fehlt daher an einer Grundlage für die vom Kläger behauptete „Verfassungswidrigkeit“ einer Norm des sekundären Unionsrechts. Die Verfassungswidrigkeit einer österreichischen Norm macht der Kläger nicht geltend.

6.Für den vorliegenden Sachverhalt folgt daraus:

6.1 Die Beklagte hat die Höhe der dem Kläger gebührenden Korridorpension zutreffend nach österreichischem Recht errechnet. Die für den Anspruch auf Korridorpension erforderlichen Versicherungszeiten hat der Kläger bereits in Österreich erworben, sodass eine gemäß Art 6 VO 883/2004 vorgesehene Zusammenrechnung von Versicherungszeiten auch aus anderen Mitgliedstaaten für das Entstehen des Anspruchs nicht erforderlich ist.

6.2 Eine Übernahme der Versicherungslast für die die Dauer von einem Jahr nicht erreichenden deutschen Versicherungszeiten gemäß Art 57 Abs 2 VO 883/2004 hat im vorliegenden Fall nicht zu erfolgen, weil die Korridorpension als Alterspension nach APG im Anhang VIII Teil 2 zur VO 883/2004 genannt ist, sodass Art 57 VO 883/2004 gemäß seinem Absatz 4 nicht anwendbar ist.

6.3 Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00021.20S.0526.000

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