VfGH vom 06.06.1986, B304/86
Sammlungsnummer
10873
Leitsatz
ZivildienstG; mangelnde Glaubhaftmachung von Gewissensgründen; keine Verletzung des durch § 2 Abs 1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Verletzung im Gleichheitsrecht; keine Abtretung der Beschwerde an den VwGH im Hinblick auf Art 133 Z 4 B-VG
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) vom wurde der vom Bf. - unter Bezugnahme auf § 2 Abs 1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (ZDG) - gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - abgewiesen.
Dieser Berufungsbescheid wird - nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens - wie folgt begründet:
"Dem Gesamtvorbringen des Rechtsmittelwerbers" (des Bf. dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens) "sind zwar Gründe im Sinne des § 2 Abs 1 ZDG mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Auch in der Verhandlung zweiter Instanz ist es ihm aber nicht gelungen, diese Gründe glaubhaft zu machen, wie das Gesetz (§6 Abs 2 ZDG) es verlangt.
Infolge der komplexen Natur der freien Beweiswürdigung (vgl. etwa VfGH B128/83 und B304/83) können zwar nicht alle Erwägungen, die den Senat zu dieser Ansicht geführt haben, im einzelnen wiedergegeben werden, zumal sich wesentliche Entscheidungsprämissen - wie beispielsweise die Ausdrucksbewegungen des Antragstellers während des mit ihm geführten rund 40 minütigen Gespräches - der Verbalisierung weitestgehend entziehen.
Gerade die Summe dieser Ausdrucksbewegungen sowie die floskelhafte, eingelernt wirkende Redeweise und die Unsicherheit des Ausdrucks brachten den Senat, der über reichhaltige Vergleichsmöglichkeiten verfügt, zur Überzeugung, beim Antragsteller handle es sich nicht um einen jungen Mann, der eine gefestigte innere Einstellung zum Ausdruck bringt, der also auf der Basis einer echten persönlichen Überzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich und vorbehaltslos ablehnt. Vielmehr wirkte er eher wie ein Student, der wohl vorbereitet auf entsprechende Fragen eingelerntes Wissensgut wiedergibt, ohne sich damit im Innersten zu identifizieren.
Daß überdies auch seine behauptete religiöse Motivation relativ unsubstantiiert blieb und daß das gleiche für die Angaben des Rechtsmittelwerbers zu der von ihm bevorzugten gewaltfreien Landesverteidigung gilt, war gegenüber seinem unglaubwürdigen Gesamteindruck nur von nebengeordneter, nicht tragender Bedeutung, rundet aber das Bild in Richtung mangelnder persönlicher Anteilnahme.
Bei der Würdigung der Person und des Vorbringens des Antragstellers wurde mitgewürdigt, daß er an einer Friedenskundgebung in Graz sowie am Steirischen Katholikentag mitwirkte sowie daß er seine schwerkranke Großmutter aufmerksam und intensiv betreut, wie dies in der Bestätigung des Arztes Dr. S vom bescheinigt wird.
All dies war aber im Sinne eines spezifischen Zusammenhanges mit der vom Zivildienstgesetz geforderten inneren Einstellung nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung gewonnenen Gesamteindruck des Senates - siehe oben - entscheidend zu verändern.
Mangels der materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung muß der sonach unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."
2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte, an den VfGH gerichtete Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs 1 ZDG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.
3. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt eine Verletzung des in § 2 Abs 1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 8787/1980, 9732/1983).
b) aa) Die ZDOK gelangte zum Ergebnis, dem Bf. sei die im § 2 Abs 1 ZDG vorausgesetzte Glaubhaftmachung, daß er die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen aus Gewissensgründen ablehne, nicht gelungen.
bb) Der Bf. erblickt einen Verstoß gegen § 2 Abs 1 ZDG vor allem darin, daß seine Befragung über die geltend gemachten Gewissensgründe in der Verhandlung vor der ZDOK nicht ausreichend gewesen sei. Er sei nicht verpflichtet gewesen, die behaupteten Gewissensgründe zu beweisen, sondern nur, sie glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung von Gewissensgründen könne nicht auf die Art und Weise des mündlichen Vorbringens reduziert werden.
cc) Verfahrensverstöße gravierender Natur, die allein nach der Judikatur des VfGH (s. die vorstehende lita) unter dem Aspekt des § 2 Abs 1 ZDG Bedeutung erlangen, werden aber mit dieser Beschwerdebehauptung - nach Lage des Falles - keineswegs aufgezeigt; hat doch der Bf. seinen Standpunkt laut (unbestritten gebliebenem) Inhalt der Verhandlungsniederschrift vom durchaus klar und unmißverständlich vorzutragen vermocht.
Der VfGH kann der ZDOK nach Lagerung des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs 2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des § 6 Abs 2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Judikatur des OGH, wonach - grundsätzlich - keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren persönlichen Eindrucks gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person - näher - zu begründen; zB aus jüngerer Zeit: , 10 Os 86/82; s. dazu VfSlg. 9573/1982, 9785/1983).
An diesem Ergebnis ändert das erst in diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren vorgelegte Schreiben des I E nichts.
Abschließend folgt daraus, daß das im § 2 Abs 1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung nicht verletzt wurde.
2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesbestimmungen unter dem Aspekt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes wurden nicht geltend gemacht und kamen - aus der Sicht dieses Beschwerdefalles - auch sonst nicht hervor. Bei dieser Betrachtung schied im übrigen die Vorschrift des § 2 Abs 1 ZDG, da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, von vornherein aus.
Da es auch an jeglichen Anhaltspunkten dafür fehlt, daß die bel. Beh. dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte, könnte das - vom Bf. relevierte - Gleichheitsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur dann verletzt sein, wenn der angefochtene Bescheid ein Willkürakt wäre. Es finden sich jedoch keine wie immer gearteten Hinweise dafür, daß die bel. Beh. bei ihrer Entscheidung von subjektiven, in der Person des Bf. gelegenen Momenten bestimmt oder von anderen unsachlichen Erwägungen geleitet worden sei.
Daher ergibt sich, daß der Bf. auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht verletzt wurde.
3. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.
4. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen, weil im Hinblick auf die Einrichtung der ZDOK und ihrer Senate als Kollegialbehörden iS des Art 133 Z 4 B-VG ein Fall vorliegt, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (vgl. zB VfSlg. 9171/1981).
Fundstelle(n):
YAAAD-95189