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VfGH vom 26.06.2008, B304/07

VfGH vom 26.06.2008, B304/07

Sammlungsnummer

18509

Leitsatz

Feststellung einer Verletzung im Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist durch neuerliche Versagung der Feststellung keiner Verletzung öffentlicher Interessen an der Erhaltung des Landschaftsbildes durch die Errichtung einer Steganlage vor einem Seeufergrundstück

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist im verfassungsgesetzlich

gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist nach Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden.

2. Insoweit wird der Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, abgewiesen.

II. 1. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

2. Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III. Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 1260,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der nunmehrige Beschwerdeführer stellte am bei

der Bezirkshauptmannschaft V. (BH) einen Antrag auf bescheidmäßige Feststellung, dass durch die Errichtung einer Steganlage vor seinem Seeufergrundstück öffentliche Interessen an der Erhaltung des Landschaftsbildes nicht verletzt werden. Mit Bescheid vom wies die BH den Antrag ab; der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde von der Oö. Landesregierung mit Bescheid vom keine Folge gegeben. Gegen diesen Bescheid erhob der nunmehrige Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom , B1303/02, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde, der mit Erkenntnis vom den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat. Mit dem nun angefochtenen Ersatzbescheid der Oö. Landesregierung vom wurde der Berufung abermals keine Folge gegeben.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet. Durch die Verfahrensdauer von fast acht Jahren, die ausschließlich auf das grob mangelhafte Ermittlungsverfahren und somit das Verschulden der belangten Behörde zurückzuführen sei, sei auch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt; insbesondere habe sie das Verfahren unverzüglich nach Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes fortgeführt.

II. Die - zulässige - Beschwerde ist teilweise begründet:

1. Art 6 Abs 1 EMRK bestimmt u.a., dass jedermann "Anspruch

darauf [hat], daß seine Sache ... innerhalb einer angemessenen Frist

gehört wird, und zwar von einem ... Gericht, das über zivilrechtliche

Ansprüche und Verpflichtungen ... zu entscheiden hat".

1.1. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, welche die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, ist auch die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer relevant (vgl. VfSlg. 17.307/2004; 17.582/2005; 17.644/2005).

Nicht eine lange Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnis staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des EGMR ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK anzunehmen wäre (vgl. VfSlg. 16.385/2001 mH auf die Rechtsprechung des EGMR).

Im vorliegenden Fall sind seit dem Beginn des Verfahrens mit der Antragstellung am bis zum Endzeitpunkt der Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof (Zustellung des im fortgesetzten Verfahren ergangenen Bescheides der Oö. Landesregierung am ) knapp über sieben Jahre und sechs Monate vergangen.

1.2. Da dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden kann, wenn er zur Durchsetzung seiner Rechte - überdies erfolgreich - Rechtsmittel ergreift, kann die Verfahrensverzögerung nicht der Sphäre des Beschwerdeführers zugerechnet werden. Die Länge des Verfahrens ist daher allein auf das Handeln staatlicher Organe zurückzuführen.

Da nach der Aktenlage weder Art und Umfang des Sachverhalts noch die zu beurteilenden Rechtsfragen die Behandlung dieser Rechtssache ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lassen und sich im vorliegenden Verfahren auch keine weiteren besonderen Umstände ergeben haben, welche die Dauer des Verfahrens rechtfertigen könnten, ist die Dauer des Verfahrens von knapp über sieben Jahren und 6 Monaten nicht mehr als angemessen im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK zu qualifizieren (vgl. EGMR , Fall Kolb ua., Appl. 35021/97

ua., Z 54 = ÖJZ 2003, 814 f.; EGMR , Fall Yavuz, Appl.

46549/99, Z 38 = ÖJZ 2005, 156). Nach der Judikatur des EGMR sind auch

Verfahrensverzögerungen, die auf eine länger andauernde Belastung einzelner Instanzen zurückzuführen sind, allenfalls als ein struktureller Mangel der Gerichtsorganisation zu qualifizieren, der jedoch nicht als Rechtfertigungsgrund gelten kann (vgl. VfSlg. 16.385/2001).

Der Beschwerdeführer ist daher in seinem durch Art 6 Abs 1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden.

1.3. Durch die (begehrte) Aufhebung des das (bisherige) überlange Verfahren (vorläufig) abschließenden, angefochtenen Bescheids würde diese Rechtsverletzung aber nicht beseitigt, sondern im Gegenteil sogar insoweit verschärft werden, als das Ende des Verfahrens noch weiter verzögert werden würde. Der Verfassungsgerichtshof hat sich deshalb auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist nach Art 6 Abs 1 EMRK stattgefunden hat; insoweit ist folglich der Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, abzuweisen (vgl. VfSlg. 17.307/2004, 17.644/2005).

2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Ein solcher Fall liegt hier - abgesehen von der Verletzung des Art 6 abs. 1 EMRK - vor: Die anderen behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften behauptet wird, lässt ihr Vorbringen angesichts der Vollziehbarkeit des Gesetzes vor dem Hintergrund seines eindeutigen Zweckes (vgl. zur iSd Art 18 Abs 1 und 2 B-VG hinreichenden Bestimmtheit des diesbezüglich dem Oö. Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001 durchaus vergleichbaren Oö. Naturschutzgesetzes 1964 VfSlg. 8209/1977) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Da die Angelegenheit auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs 3 Z 1 VfGG).

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer nur zum Teil durchgedrungen ist (vgl. VfSlg. 17.644/2005). Im zugesprochenen Betrag sind € 180,-- an USt und eine Eingabengebühr gem. § 17a VfGG von € 180,-- enthalten.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz bzw. Abs 3 Z 1 VfGG).