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VfGH vom 15.10.2004, b304/04

VfGH vom 15.10.2004, b304/04

Sammlungsnummer

17339

Leitsatz

Feststellung einer Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist iSd Europäischen Menschenrechtskonvention durch überlange Verfahrensdauer im Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt und Steuerberater wegen Verletzung von Standespflichten iZm einem Konkursverfahren; keine Verletzung des Klarheitsgebotes, kein Entzug des gesetzlichen Richters, keine Willkür

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem gemäß Art 6 Abs 1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden.

Der Bescheid wird im Strafausspruch aufgehoben.

Im Übrigen ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden. Insofern wird die Beschwerde abgewiesen.

Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 1.260,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und Steuerberater in Wien. Am wurde er von einer Richterin des Bezirksgerichtes Döbling beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien angezeigt. Der Anzeige lag ua. der Vorwurf zugrunde, dass der Beschwerdeführer, nachdem über das Vermögen eines (ehemaligen) Mandanten der Konkurs eröffnet wurde, beim Finanzamt für den 21. und 22. Bezirk in Wien die Überweisung eines Steuerguthabens dieses Mandanten auf das Konto der H. N. Wirtschaftstreuhand Ges.m.b.H. veranlasst habe. Der Beschwerdeführer wurde am vom Untersuchungskommissär des Disziplinarrats von dieser Anzeige verständigt und zur Abgabe einer "verantwortlichen Äußerung" aufgefordert (§27 Abs 2 DSt 1990). Am langte der vom Untersuchungskommissär verfasste Bericht beim Disziplinarrat ein. Im Einleitungsbeschluss vom , Zl. D 247/97, befand der Disziplinarrat, es sei

"Grund zur Disziplinarbehandlung [des Beschwerdeführers] hinsichtlich der [...] Vorwürfe [...], er habe

a) auf einem Briefpapier der H. N. Wirtschaftstreuhand Ges.m.b.H. mit Schreiben vom an das Finanzamt für den 21. und 22. Bezirk hinsichtlich des von ihm vormals vertretenen W. B., über welchen bereits mit Beschluß vom [...] des Bezirksgerichtes Döbling das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet wurde, die Überrechnung eines Finanzamtsguthabens in Höhe von

S 60.000,- auf das Steuerkonto Nr. [...] beim Finanzamt für Körperschaften lautend auf H. N. Wirtschaftstreuhand Ges.m.b.H. begehrt;

b) trotz Aufforderung der Masseverwalterin vom die Rücküberweisung erst am getätigt, dies zu einem Zeitpunkt zu dem die Masseverwalterin bereits die Klage gegen die H. N. Wirtschaftstreuhand Ges.m.b.H. in die Wege geleitet hätte".

Der Beschwerdeführer erhob gegen den Einleitungsbeschluss zunächst Beschwerde, zog diese aber wieder zurück.

Der Disziplinarrat beraumte für den eine Disziplinarverhandlung an. Für die Verfahren zu Zl. D 247/97 und zu Zl. D 143/97 war eine gemeinsame Disziplinarverhandlung vorgesehen. Letzterem Verfahren lag der Vorwurf zugrunde, dass der Beschwerdeführer trotz rechtskräftiger und vollstreckbarer Entscheidungen des Bezirksgerichtes Baden und des Landesgerichtes Wiener Neustadt die in einem Rechtsstreit der Gegenseite zugesprochenen Verfahrenskosten nicht fristgerecht bezahlt habe. Die gegnerische Partei ging daraufhin gegen den Beschwerdeführer mit Forderungs- und Fahrnisexekution vor.

Mit Schreiben vom lehnte der Beschwerdeführer zwei Mitglieder des Disziplinarrats ab und teilte darüber hinaus folgendes mit:

"Hinsichtlich D 143/97 erlaube ich mir nochmals darauf hinzuweisen, daß infolge eines präjudiziellen Verfahren[s] vor dem BG Baden angeregt wurde, hier das Verfahren bis zu dessen Erledigung zu unterbrechen".

Mit Beschluss des Disziplinarrats vom wurde die Verhandlung sowohl in der Disziplinarsache D 143/97 als auch in der Disziplinarsache D 247/97 "auf unbestimmte Zeit verlegt".

Mit Beschluss des Disziplinarrats vom wurde die Disziplinarverhandlung für den neuerlich anberaumt. Mit Erkenntnis des Disziplinarrats vom wurde der Beschwerdeführer von dem zu D 143/97 erhobenen Vorwurf freigesprochen. Hinsichtlich des zu D 247/97 erhobenen Vorwurfs wurde er schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen zu haben, weil er auf einem Briefpapier der H. N. Wirtschaftstreuhand Ges.m.b.H. mit Schreiben vom an das Finanzamt für den 21. und 22. Bezirk für den von ihm vormals vertretenen W. B., über welchen bereits mit Beschluss vom des BG Döbling das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet wurde, die Überrechnung eines Finanzamtsguthabens in der Höhe von S 60.000,- auf das Steuerkonto Nr. [...] beim Finanzamt für Körperschaften lautend auf H. N. Wirtschaftstreuhand Ges.m.b.H. begehrt habe. Über ihn wurde deswegen eine Geldbuße in Höhe von € 1.000,- verhängt und er wurde zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet.

Seiner dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) vom keine Folge gegeben.

2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG), auf angemessene Verfahrensdauer iSd. Art 6 EMRK sowie in seinem Recht, nicht ohne eine dem Klarheitsgebot des Art 7 EMRK entsprechende gesetzliche Grundlage bestraft zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer behauptet, dass seiner Bestrafung das aus Art 7 EMRK erfließende Klarheitsgebot entgegensteht. Nach seiner Auffassung bestünden im konkreten Fall "im Sinne des Art 7 EMRK weder inhaltlich determinierte 'verfestigte Standesauffassungen', noch gesetzliche Regelungen, gegen welche der Beschwerdeführer verstoßen hätte".

1.2. Im Disziplinarverfahren ist das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Klarheitsgebot nicht verletzt worden. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11776/1988 darlegte, muss einer Verurteilung nach § 1 DSt 1990 - verfassungskonform im Sinne des Art 7 EMRK - zugrunde liegen, dass sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen - wozu allenfalls Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur Bedeutung besitzen - ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen. Dem aus Art 7 EMRK erfließenden Gebot entspricht die Behörde jedenfalls (auch) dann nicht, wenn sie sich - statt zu benennen, gegen welche konkrete Berufs- oder Standespflichten ein inkriminiertes Verhalten verstößt - mit Rechtsprechungshinweisen begnügt (vgl. VfSlg. 11776/1988, 13012/1992, 13233/1992, 14699/1996, 15323/1998, 15903/2000, 15956/2000, 16168/2001, 16353/2001, 16432/2002, 16482/2002, 16610/2002; ; , B424/03; , B1196/03, ua.).

Der angefochtene Bescheid begnügt sich nicht mit einem pauschalen Verweis auf die allgemein gefasste Bestimmung des § 1 DSt 1990 oder mit Rechtsprechungshinweisen. Er stützt sich vielmehr auf den - die Standespflichten präzisierenden - § 10 RL-BA (betreffend die Treuepflicht des Rechtsanwalts zu seiner Partei) sowie auf die Regelungen der Konkursordnung (im Folgenden: KO) zur Zulässigkeit der Verfügung über die Konkursmasse nach Konkurseröffnung. Vor diesem Hintergrund hat sich die belangte Behörde jedenfalls im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Deutung dieser Rechtsvorschrift für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich dass er sich durch sein Verhalten dem Risiko einer Bestrafung aussetzt (vgl. Thienel, Art 7 EMRK, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Rz. 17 [1999]).

2.1. Eine Verletzung in seinem gemäß Art 83 Abs 2 B-VG gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erblickt der Beschwerdeführer darin, dass er nach dem Disziplinarrecht der Rechtsanwälte bestraft wurde, obwohl er die ihm vorgeworfene Handlung in seiner Eigenschaft als Wirtschaftstreuhänder gesetzt habe. Als Wirtschaftstreuhänder unterliege er der Disziplinargewalt der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Rechtsanwälte seien zwar grundsätzlich auch für ihr "außerberufliches" Verhalten standesrechtlichen Pflichten unterworfen. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen diese "außerberufliche" Tätigkeit des Rechtsanwaltes einer eigenen standesrechtlichen Disziplinargewalt (der Kammer der Wirtschaftstreuhänder) unterliege, sei aber ausschließlich diese Disziplinargewalt zur Verfolgung der Tat zuständig; für eine "doppelte" disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit bestehe kein Raum. Es könne vorkommen, dass ein Verhalten in einer Hinsicht disziplinarrechtlich geradezu geboten sei (hier die entsprechend sorgsame steuerliche Vertretung des Mandanten), und gleichzeitig aus Sicht des Standesrechts der Rechtsanwälte disziplinarrechtlich verfolgt werde.

2.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass die behauptete Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann gegeben wäre, wenn der Disziplinarrat und (ihm folgend) die OBDK eine Zuständigkeit in Anspruch genommen hätten, die ihnen nicht zukommt. Der vom Beschwerdeführer angesprochene Umstand, dass ein und derselbe Sachverhalt sowohl als Disziplinarvergehen nach dem DSt 1990 als auch als Disziplinarvergehen nach dem Berufsrecht der Wirtschaftstreuhänder beurteilt werden könne, vermag nicht darzutun, dass der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien unzuständig wäre, dieses Verhalten (allenfalls kumulativ) - unter dem Blickwinkel der besonderen Standesregeln für Rechtsanwälte - zu beurteilen. Der Umstand, dass ein Rechtsanwalt aufgrund seiner Eigenschaft als Wirtschaftstreuhänder zusätzlichen Berufspflichten unterliegt, bewirkt keine Änderung in den Zuständigkeiten der Disziplinarbehörden. Im Beschwerdefall ist auch nicht hervorgekommen, dass die Disziplinarbehörden ihre Zuständigkeit überschritten oder den Beschwerdeführer sonst in seinem gemäß Art 83 Abs 2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt hätten. Die Frage, ob das konkrete Verhalten des Beschwerdeführers aus Sicht des Berufsrechts der Wirtschaftstreuhänder "geradezu geboten" gewesen wäre, betrifft nicht die Zuständigkeit der Behörden, sondern allenfalls die Beurteilung der Schuld und damit die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung, welche das in Art 83 Abs 2 B-VG gewährleistete Recht aber nicht berührt (vgl. VfSlg. 7559/1975, 7645/1975, 10167/1984, 10240/1984 ua.).

3.1. Nach Auffassung des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde Willkür geübt, weil er berechtigt gewesen sei, durch einen \berweisungsantrag an das Finanzamt die Überweisung einer Geldsumme vom Konto des Gemeinschuldners auf das Konto seiner Steuerberatungsgesellschaft zu erwirken. Die Überweisung sei als Entgelt für die von der Steuerberatungskanzlei an den Gemeinschuldner erbrachte Leistung zu qualifizieren. Im Sinne der KO liege eine sogenannte "kongruente Deckung" vor, weil vereinbart gewesen sei, dass die Vertretungstätigkeit der Steuerberatungsgesellschaft gegen das durch Überweisung des Steuerguthabens zu leistende Entgelt erfolge. Eine Begünstigung im Sinne der KO liege dann nicht vor, "wenn die Sicherstellung Forderungen betrifft, die im funktionellen Synallagma gleichzeitig oder danach begründet wurden, sodass die Sicherstellung nur einen Teil des schuldbegründenden Rechtsgeschäfts darstellt". In diesen Fällen komme daher auch eine Anfechtung nach § 30 Abs 1 Z 1 KO nicht in Frage. Näher führt er dazu aus:

"Damit handelt es sich bei den Zug um Zug für die erbrachten Leistungen vom dadurch bewirkten Steuerguthaben zu begleichenden Honorar der Steuerberatungsgesellschaft nicht um eine Verfügung über Vermögen, über welches gemäß § 1 KO nur dem Masseverwalter rechtmäßig eine Verfügung zusteht. Vielmehr bildet dieses durch die Tätigkeit der Steuerberatungsgesellschaft neu generierte Vermögen einen 'kongruenten Deckungsfonds', auf den die Steuerberatungsgesellschaft konkursrechtlich einwandfrei (Zug um Zug) greifen durfte. Denn was die Konkursordnung als 'anfechtungsfestes Rechtsgeschäft' qualifiziert, kann von der belangten Behörde nicht als 'Griff auf konkursverfangenes Vermögen' eingestuft werden. Der Beschwerdeführer hat daher gerade nicht unrechtmäßig und eben nicht auf 'konkursverfangenes' Vermögen gegriffen, sondern im Gegenteil durch die Tätigkeit der Steuerberatungsgesellschaft das konkursverfangene Vermögen vermehrt.

Die Ansicht der belangten Behörde läuft demgegenüber darauf hinaus, dass der Beschwerdeführer die Tätigkeit der Steuerberatungsgesellschaft einstellen und damit hätte in Kauf nehmen müssen, dass das entsprechende Guthaben nicht entsteht, der von der Steuerberatungsgesellschaft vertretene Mandant daher im Konkurs noch schlechter dagestanden wäre. Damit hätte der Beschwerdeführer aber seine Treuepflichten gegenüber seinem steuerlichen Mandanten verletzen müssen."

Schließlich behauptet der Beschwerdeführer:

"In seiner Funktion als steuerlicher Vertreter war der Beschwerdeführer verpflichtet, seinen Mandanten steuerlich nach bestem Wissen und Gewissen zu vertreten und im Rahmen der Rechtsordnung alles Zumutbare zu tun, um die steuerliche Belastung des Mandanten gesetzeskonform möglichst gering zu halten. Insbesondere war er verpflichtet, angesichts des anstehenden Schuldenregulierungsverfahrens alles zu unternehmen, um die vermögensrechtliche Stellung seines Mandanten in steuerlicher Hinsicht so gut wie irgend möglich zu gestalten. Hätte der Beschwerdeführer nicht die einschlägigen Aufbuchungs- und Bilanzerstellungsarbeiten durch die Steuerberatungsgesellschaft für den Mandanten erbracht, hätte der Masseverwalter im Schuldenregulierungsverfahren diese Arbeiten vornehmen bzw durch einen dazu befugten Steuerberater oder Wirtschaftstreuhänder vornehmen lassen müssen. Auch für die Tätigkeit des Masseverwalters bzw des von ihm beauftragten Steuerberaters wäre ein entsprechendes Honorar angefallen, das die durch die Tätigkeit des Masseverwalters oder des Steuerberaters vermehrte Konkursmasse entsprechend wiederum geschmälert hätte, ja selbst wenn es zu keiner Vermehrung der Konkursmasse gekommen wäre, hätten Masseverwalter bzw der von ihm beauftragte Steuerberater ihren Honoraranspruch vorab aus der Konkursmasse als Masseforderung befriedigen können. Schon dieser Vergleich zeigt im Übrigen, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers in keiner Weise zu einer Schmälerung der Konkursmasse führen konnte und insoweit auch kein Versuch vorliegen kann, auf konkursverfangenes Vermögen zu Gunsten Dritter zu greifen."

3.2. Dieses Vorbringen vermag eine grobe - Willkür indizierende - Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun. Entgegen seinem Vorbringen wurde dem Beschwerdeführer im Disziplinarverfahren nicht vorgeworfen, dass er seinen Mandanten vor Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens beraten und vertreten hat. Entgegen seinen Behauptungen geht die belangte Behörde auch nicht davon aus, dass er für diese Tätigkeiten keinen Entgeltanspruch hat. Vorgeworfen wird ihm ausschließlich, dass er nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen seines Mandanten (unter Nichtbeachtung der KO) eigenmächtig auf dessen Vermögen gegriffen hat. Die Argumentation des Beschwerdeführers übersieht, dass die inkriminierte Rechtshandlung nach Konkurseröffnung gesetzt wurde. Das Beschwerdevorbringen ist daher von vornherein nicht geeignet, die Beurteilung der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer versucht habe, "unrechtmäßig auf konkursverfangenes Vermögen zu greifen, über welches gemäß § 1 KO mit Ausnahme des Masseverwalters niemandem mehr rechtmäßig eine Verfügung zusteht", als willkürlich darzustellen.

4. Die Beschwerde ist jedoch insofern berechtigt, als sie die Dauer des Disziplinarverfahrens bemängelt:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat das Verfahren vor den Disziplinarbehörden der Rechtsanwälte die Entscheidung über eine "strafrechtliche Anklage" im Sinne des Art 6 EMRK zum Gegenstand (vgl. VfSlg. 11512/1987, 15495/1999, 15840/2000, 16268/2001, ua.). Die Beschwerde ist daher im Lichte der besonderen Garantien des Art 6 Abs 1 EMRK zu beurteilen. Demnach besteht ein Anspruch auf Erledigung eines Strafverfahrens binnen "angemessener Frist". Nach dieser Rechtsprechung berechnet sich der Beginn der zu beurteilenden Verfahrensdauer mit jenem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer (hier: im Wege der Aufforderung des Untersuchungskommissärs zur Äußerung) Kenntnis von der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung erlangt hat (vgl. VfSlg. 16268/2001 und 16436/2002, sowie Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention2, Rz. 138 zu Art 6 EMRK und die dort zitierte Judikatur des EGMR, sowie EGMR vom , Fall Coëme ua. gegen Belgien, Zl. 32492/96, Rn. 133, und EGMR vom , Malek gg. Österreich, ÖJZ 2003/39).

Die Aufforderung zur Äußerung durch den Untersuchungskommissär erging laut Akteninhalt am .

Das Verfahren endete in erster Instanz mit dem Disziplinarerkenntnis vom und wurde in zweiter Instanz mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossen, der dem Beschwerdeführer am zugestellt wurde. Insgesamt betrug die Verfahrensdauer mehr als 6 Jahre und ein Monat.

Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer sind nach der Rechtsprechung des EGMR die Bedeutung des Verfahrens für den Beschwerdeführer, der Grad der Komplexität des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der Behörden zu berücksichtigen (vgl. zB EGMR , Deumeland, EuGRZ 1988, 20; EGMR , Frydlender, Slg. 2000-VII).

Der EGMR hat mit Urteil vom (Malek gg. Österreich, ÖJZ 2003/39) eine Verletzung von Art 6 Abs 1 EMRK in einem Fall festgestellt, in dem das Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt insgesamt mehr als 6 Jahre und 9 Monate gedauert hat.

Im Fall des Beschwerdeführers fällt Folgendes ins Gewicht:

Die Vertagungsbitte des Beschwerdeführers vom bezog sich ausschließlich auf das Disziplinarverfahren zu Zahl D 143/97, welches mit dem (beschwerdegegenständlichen) Verfahren zu D 247/97 verbunden worden war, obwohl die jeweiligen Sachverhalte (mit Ausnahme der Person des Beschuldigten) keinerlei inhaltlichen Zusammenhang aufwiesen. Der Umstand, dass der Disziplinarrat die Verhandlung im Jahr 1999 auf unbestimmte Zeit vertagte und erst 2003 wieder anberaumte, ist aus Sicht des im Verfahren zu Zahl D 247/97 zu beurteilenden Sachverhalts sachlich nicht zu erklären. Das abzuwartende Zivilverfahren, auf welches der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz hingewiesen hat, betraf ausschließlich den im Verfahren zu D 143/97 zu beurteilenden Vorwurf. Zwischen August 1998 und Jänner 2003 hat der Disziplinarrat nach dem Inhalt der Verwaltungsakten keine Verfahrensschritte unternommen (insbesondere hat er angesichts der sich abzeichnenden langen Verfahrensdauer im Verfahren zu D 247/97 die beiden Verfahren nicht nach der subsidiär anzuwendenden Bestimmung des § 57 Abs 1 StPO getrennt), obwohl der Beschwerdeführer die "Unterbrechung" des Disziplinarverfahrens nur hinsichtlich des Verfahrens D 143/97 angeregt hatte (vgl. dazu auch das - für das Rechtsanwalts-Disziplinarrecht nicht einschlägige - Urteil des Obersten Gerichtshofes vom , Ds 12/03-12). Das Verfahren wurde vom Beschwerdeführer nicht verzögert; eine besondere Komplexität des Falles ist nicht ersichtlich.

Der Verfassungsgerichtshof erachtet die Dauer des Disziplinarverfahrens gegen den Beschwerdeführer nicht als "angemessen" im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK.

5. Der angefochtene Bescheid war nur im Umfang des Strafausspruchs aufzuheben, weil die festgestellte Rechtsverletzung den Ausspruch über die Schuld unberührt lässt und eine Änderung nur im Rahmen der Strafbemessung gemäß § 16 Abs 6 DSt 1990 (arg. "insbesondere") in Betracht kommt, insbesondere durch verfassungskonforme Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer als Milderungsgrund unter sinngemäßer Anwendung des § 34 Abs 2 StGB (vgl. VfSlg. 16385/2001).

6. Ob die belangte Behörde (im Umfang des Ausspruchs über die Schuld) das Gesetz hingegen in jeder Hinsicht richtig angewendet hat, ist vom Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Beschwerde gemäß Art 144 B-VG nicht zu beurteilen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10659/1985, 12915/1991, 14408/1996).

7. Da der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in keinem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist und angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen, war die Beschwerde im Übrigen abzuweisen.

8. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Sie beruht auf dem Umstand, dass die Beschwerde nur teilweise erfolgreich war (vgl. VfSlg. 14492/1996, 16385/2001). Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 180,- enthalten.

9. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Fundstelle(n):
NAAAD-95132