OGH vom 22.02.2000, 10ObS21/00m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie durch die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Heinrich Lahounik (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Natascha E*****, ehemals Studentin, *****, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OEG in Wien, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, 1061 Wien, Linke Wienzeile 48-52, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Waisenpension und Rückforderung eines Überbezuges, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 29/99x-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 27 Cgs 237/94d-43 und 45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:
Es wird festgestellt, dass die von der beklagten Partei an die Klägerin für den Zeitraum bis vorschussweise ausbezahlte Waisenpension in der Höhe von insgesamt S 52.391,10 zu Recht gewährt wurde und die von der beklagten Partei behauptete Rückersatzpflicht der Klägerin für diese Leistung nicht zu Recht besteht.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 22.286,32 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 3.939,88 Umsatzsteuer und S 240,-- Barauslagen), die mit S 5.916,96 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 986,16 Umsatzsteuer) und die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am geborene Klägerin bezog von der beklagten Versicherungsanstalt der Eisenbahnen eine Waisenpension. Bereits am gab sie der beklagten Partei bekannt, dass sie bis Juli 1992 zur Schule gehen und unmittelbar nach den Sommerferien ab Oktober 1992 ein Studium an der Fachhochschule Regensburg aufnehmen werde. Sie ersuchte daher um Weitergewährung der Waisenpension. Diesem Antrag gab die beklagte Partei mit Bescheid vom dahin statt, dass sie die Waisenpension ab weitergewährte und aussprach, dass diese Weitergewährung (dem Grunde nach) für die Dauer der Hochschulausbildung, längstens aber bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres erfolge und bis zur Vorlage eines entsprechenden Studiennachweises eine "vorschussweise Leistung gegen jederzeitige Rückverrechnung" darstelle. In der Begründung dieses Bescheides führte die beklagte Partei, dass das genannte Studium die Arbeitskraft der Klägerin überwiegend beanspruche.
Mit Zulassungsbescheid der Fachhochschule Regensburg vom wurde der Klägerin für das Wintersemester 1992/93 ein Studienplatz im Studiengang Betriebswirtschaft zugeteilt. Am übermittelte die Klägerin der beklagte Partei die Studienbescheinigung für das Wintersemester 1992/93, in der auch bestätigt wurde, dass sie seit Studierende der Betriebswirtschaft sei, dieses Studium 8 Semester dauere und voraussichtlich 1996 beendet werde. In weiterer Folge übermittelte sie der beklagten Partei auch die Studienbescheinigung für das Sommersemester 1993.
Insgesamt war die Klägerin vom bis , also 4 Semester immatrikuliert. Am Ende des Sommersemesters 1994 wurde sie auf Grund endgültigen Nichtbestehens der Vordiplomprüfung für diesen Studiengang vom Studium der Fachhochschule Regensburg exmatrikuliert.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde die der Klägerin über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus weitergewährte Waisenpension mit entzogen. Der vom bis entstandene Überbezug von S 54.374,80 wurde zum Rückersatz vorgeschrieben und die Klägerin verpflichtet, diesen Betrag binnen 14 Tagen zu bezahlen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe einen Nachweis über den Studienerfolg an der Fachhochschule nicht erbringen können, weshalb die Voraussetzungen für die Anerkennung der Kindeseigenschaft und damit für die Gewährung der Waisenpension mit Ablauf des September 1992 weggefallen seien. Der durch Verletzung der gesetzlichen Meldevorschriften entstandene Überbezug sei rückzuerstatten.
Die Klägerin bezog folgende monatliche Leistungen an Waisenpension:
bis S 1.860,90, bis S 1.935,30, bis S 1.983,70, insgesamt S 54.374,80.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin festzustellen, dass die beklagte Partei zur Gewährung der Waisenpension im gesamten dargestellten Zeitraum verpflichtet sei, nicht aber die Klägerin zum Rückersatz eines Überbezuges. Sie habe ihr Studium ernsthaft betrieben und sich nach Kräften um einen Studienerfolg bemüht, an sämtlichen Vorlesungen teilgenommen und sich auf die Prüfungen vorbereitet, wenngleich sie diese nur zum Teil bestanden habe. Sie habe auch eine Förderung nach dem deutschen Bundesausbildungsförderungsgesetz bezogen und jedenfalls die Waisenpension gutgläubig verbraucht.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Kindeseigenschaft für die verfahrensgegenständlichen Monate sei nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nicht gegeben, weil die Klägerin die erforderlichen Prüfungen nicht bestanden und damit ihr Studium nicht ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs 1 lit b FamLAG betrieben habe.
Das Erstgericht stellt - im zweiten Rechtsgang - fest, dass die an die Klägerin für den Zeitraum bis (erstes Studienjahr) vorschussweise ausbezahlte Waisenpension von insgesamt S 26.796,60 zu Recht gewährt worden sei. Die Klägerin sei jedoch verpflichtet, die Waisenpension für den Zeitraum bis (zweites Studienjahr) von S 25.594,50 binnen 14 Tagen an die beklagte Partei zurückzuzahlen. Das jeweilige Mehrbegehren wurde nicht ausdrücklich abgewiesen. Das Begehren für den Monat September 1994 (S 1.983,70) ist bereits durch das im ersten Rechtsgang erlassene Urteil (ON 19) rechtskräftig abgewiesen.
Rechtlich ging das Erstgericht, insoweit der vom Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss vom , 9 Rs 244/96k (ON 25) überbundenen Rechtsansicht folgend, von § 252 Abs 2 Z 1 ASVG idF des SRÄG 1992 aus und meinte, die Kindeseigenschaft der Klägerin sei mangels eines ernsthaft und zielstrebig betriebenen Studiums nur im zweiten Studienjahr weggefallen, nicht aber bereits im ersten, weshalb die Waisenpension bis gebühre, nicht aber für den darauf folgenden Zeitraum.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass die Klägerin im zweiten Studienjahr mangels entsprechender Prüfungsergebnisse nicht nachweisen könne, dass sie ihre Ausbildung gemäß § 2 Abs 1 lit b FamLAG ernsthaft und zielstrebig betrieben habe. Daher komme ihr für diesen Zeitraum keine Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG zu. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 107 ASVG zur Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen werde nicht mehr bestritten.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem sinngemäßen Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer vollen Stattgebung des Begehrens abzuändern oder hilfsweise aufzuheben.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Ergebnis berechtigt.
Die Vorinstanzen haben die hier einschlägige Bestimmung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in der Fassung des SRÄG 1992 (BGBl 474) angewendet, dabei aber auf die Übergangsbestimmung des § 548 Abs 5 ASVG idF dieses Gesetzes nicht Bedacht genommen, die lautet:
"(5) § 252 Abs 2 Z 1 erster Halbsatz in der vor dem geltenden Fassung ist in allen Fällen weiter anzuwenden, in denen das Kind das 18. Lebensjahr vor dem vollendet hat und eine im § 1 des Studienförderungsgesetzes 1983, BGBl Nr 436, genannte Einrichtung besucht hat."
Diese Übergangsbestimmung, die zunächst weder im Initiativantrag betreffend das SRÄG 1992 (362/A) noch im Ausschussbericht enthalten war (vgl 631 BlgNR 18. GP, 4), sollte sicherstellen, dass für Kinder, die das 18. Lebensjahr vor dem bereits vollendet haben und ein ordentliches Studium betreiben, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres die Angehörigen- bzw Kindeseigenschaft nach der bisher geltenden Rechtslage beurteilt wird (Teschner/Widlar, ASVG 54. ErgLfg 1271 Anm 6b zu § 252). § 252 Abs 2 Z 1 ASVG lautete in der am geltenden Fassung:
"Die Kindeseigenschaft besteht auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind
1. sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres; die Kindeseigenschaft verlängert sich höchstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Berufsausbildung über das 25. Lebensjahr hinaus andauert, das Kind ein ordentliches Studium betreibt und eine Studiendauer im Sinne des § 2 Abs 3 des Studienförderungsgesetzes 1983 ohne wichtige Gründe nicht überschreitet."
Die Klägerin fällt unter die zitierte Übergangsbestimmung: Sie hat nicht nur ihr 18. Lebensjahr vor dem vollendet, sondern auch eine der im § 1 StudFG 1983, BGBl 436, genannten Einrichtungen (österreichische Universitäten, Akademie oder Kunsthochschulen usw) vergleichbare Einrichtung besucht, nämlich die - auch nach zutreffender Auffassung der beklagten Partei und der Vorinstanzen - einer österreichischen Universität gleichzuhaltende bundesdeutsche "Fachhochschule Regensburg", eine Hochschule für Technik, Wirtschaft und Sozialwesen, um dort Betriebswirtschaft zu studieren. Die Anspruchsberechtigung auf Waisenpension muss auch dann gegeben sein, wenn sich "Kinder" im Rahmen der geltenden Altersgrenze im Ausland in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden (vgl AB 631 BlgNR 18. GP, 1 hinsichtlich der Krankenversicherung). Da die Klägerin die Absicht ihres Studiums an der genannten Fachhochschule bereits im März 1992 gefasst und auch der beklagten Partei mitgeteilt hatte, kann ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass das Wintersemester 1992/93 erst am , also nach den Sommerferien und damit nach dem oben dargestellten gesetzlichen Stichtag begann. Diesen Standpunkt hat die beklagte Partei übrigens schon in ihrem Bescheid vom anerkannt, mit dem sie der Klägerin die Waisenpension ab "für die Dauer der Hochschulausbildung" weitergewährte und auch zugab, dass das Studium die Arbeitskraft überwiegend beanspruche.
Für den vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegenden Anspruch der Klägerin ist daher § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in der Fassung vor dem SRÄG 1992 maßgeblich, und zwar nur der erste Halbsatz. Danach bestand ihre Kindeseigenschaft weiter, solange sie sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befand, die ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchte. Weitere Voraussetzungen wie etwa Einhalten einer bestimmten Studiendauer iSd StudFG oder ein bestimmter Studienerfolg im Sinne des FamLAG kommen hier nicht zum Tragen, insbesondere kommt es auf das Vorliegen der weiteren Voraussetzung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG idF SRÄG 1992 für eine Verlängerung der Kindeseigenschaft über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus, dass der/die Betreffende ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs 1 lit b des FamLAG betreibt, im vorliegenden Fall nicht an.
Da sich die Klägerin vier Semester lang in einer Hochschulausbildung befand, die unstrittig ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchte, waren ihre Kindeseigenschaft und damit ihr Anspruch auf Weitergewährung der Waisenpension gegeben (vgl SSV-NF 1/39, 1/57, 4/62, 6/47, 7/20 ua). Damit besteht aber auch keine Verpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung der Leistungen.
Die Revision ist daher im Ergebnis berechtigt. Die Urteile der Vorinstanzen waren entsprechend abzuändern. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Waisenpension der Klägerin in der Vergangenheit bereits ausbezahlt wurde, wenngleich nur als Vorschuss, weshalb es keines neuerlichen Zuspruchs bedurfte und dem zutreffend gestellten Begehren auf Feststellung, die Gewährung der Pension sei zu Recht erfolgt, stattzugeben war. Was die im Bescheid auferlegte Rückzahlungspflicht betrifft, so ist das dagegen erhobene Klagebegehren als negatives Feststellungsbegehren aufzufassen, dass die von der beklagten Partei behauptete Rückersatzpflicht nicht zu Recht bestehe (SSV-NF 4/37, 6/143 ua; 10 ObS 28/99m, 10 ObS 68/99v).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.