OGH vom 28.04.2015, 8ObA28/15y

OGH vom 28.04.2015, 8ObA28/15y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Matthias Schachner in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Andrea L*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 14.220 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 59/14v 14, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 27 Cga 124/13w 10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 908,64 EUR (darin 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten seit als Flugbegleiterin beschäftigt. Wegen eines angekündigten Betriebsübergangs zum Stichtag , der unstrittig mit einer wesentlichen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen verbunden gewesen wäre, kündigte sie ihr Dienstverhältnis gemäß § 3 Abs 5 AVRAG am unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum .

Mit der Klage wird die Zahlung einer „Kündigungsentschädigung“ in Höhe jenes Entgelts begehrt, das die Klägerin vom bis bei aufrechtem Arbeitsverhältnis zur Beklagten verdienen hätte können. Begründet wird dieser Anspruch damit, dass die Beklagte das Dienstverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen und Termine frühestens zum auflösen hätte können. Die längere Kündigungsfrist und das auf diesen Zeitraum entfallende Entgelt seien Teil der in § 3 Abs 5 AVRAG genannten „Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung“ und auch dann zu wahren, wenn das Dienstverhältnis rechtlich bereits früher geendet habe. Eine Verkürzung dieser Ansprüche sei mit dem in § 3 Abs 5 AVRAG umgesetzten Zweck des Art 4 Z 2 der Betriebsübergangsrichtlinie nicht vereinbar.

Die beklagte Partei wandte ein, gemäß § 3 Abs 5 AVRAG sei der maßgebliche Zeitpunkt für die Berechnung aller Ansprüche jener der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Gesetzgeber habe die privilegierte Kündigung bewusst und völlig richtlinienkonform so gestaltet, dass davon keine Ansprüche auf Kündigungsentschädigung ausgelöst werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Im Lichte der Betriebsübergangsrichtlinie und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH C 396/07, Juuri ) sei § 3 Abs 5 AVRAG dahin auszulegen, dass die Ansprüche des Arbeitnehmers bei privilegierter Kündigung auch eine Ersatzleistung für den fiktiven Zeitraum einer vom Arbeitgeber einzuhaltenden längeren Kündigungsfrist umfassen.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

Aus § 3 Abs 5 AVRAG sei ein Anspruch auf Entschädigung über das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nicht abzuleiten. Der Schutzzweck der Betriebsübergangsrichtlinie bestehe darin, dem kündigenden Arbeitnehmer all jene Ansprüche zu erhalten, die sonst bei einer Dienstgeberkündigung zum Tragen kämen und ihrer Natur nach nur von der Beendigungsart, aber nicht von Gegenleistungen des Arbeitnehmers abhängen. Mit Ablauf des von der Klägerin selbst gewählten Kündigungstermins sei daher nicht nur ihre Arbeitspflicht, sondern auch die synallagmatisch damit verknüpfte Entgeltzahlungspflicht erloschen.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob § 3 Abs 5 AVRAG eine Grundlage für einen Anspruch auf Lohnzahlung für die fiktive Dauer einer vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist bietet, noch fehle.

In ihrer dagegen erhobenen Revision stellt die Klägerin den Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Auslegung des Art 4 Pkt 2 der Betriebsübergangsrichtlinie, in der Sache strebt sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung an.

Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Erwägungen zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof erachtet die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts für zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revision stellt nicht in Frage, dass es sich beim Klagsanspruch, entgegen der in der Klage gewählten Bezeichnung, nicht um einen Schadenersatzanspruch im Sinne einer Kündigungsentschädigung handelt. Sie leitet einen unmittelbaren Erfüllungsanspruch aus Art 4 Z 2 der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG ab, der lautet: „ Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist. “

Der EuGH hat allerdings zur Auslegung dieser Bestimmung in der Entscheidung C-396/07, Juuri festgehalten, dass Art 4 Pkt 2 der Betriebsübergangsrichtlinie nicht dahin verstanden werden könne, dass er implizit über die in ihm vorgesehene Zurechnungsregel hinaus ein einheitliches Schutzniveau für Arbeitnehmer geschaffen habe. Die wirtschaftlichen Folgen der Zurechnung der Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses regle er nicht, sodass die sich aus einer privilegierten Beendigung ergebenden Rechtsfolgen, wie Abfindungen oder Schadenersatz, nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu beurteilen seien (C-396/07 Rz 25, 26). Die Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung einer Richtlinie lasse aber die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (EuGH C 396/07, Juuri Rz 27; vgl auch C-14/83, Von Colson und Kamann Rz 15; C 268/06, Impact Rz 40).

Das nationale Gericht habe im Fall einer privilegierten Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen seiner Zuständigkeiten sicherzustellen, dass der Erwerber zumindest die Folgen trägt, die das anwendbare nationale Recht an die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber knüpft, wie die Zahlung des Arbeitslohns und die Gewährung anderer Vergünstigungen während der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist (C-396/07, Juuri Rz 35). Es bestehe jedoch keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Arbeitnehmern eine bestimmte Entschädigungsregelung zu garantieren, und folglich auch nicht die Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Modalitäten dieser Regelung den Modalitäten derjenigen Regelung entsprechen, die für Arbeitnehmer gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag rechtswidrig beendet, oder die für sie während der vom Arbeitgeber zu beachtenden Kündigungsfrist gilt (C-396/07, Juuri Rz 22).

2. Der Revision ist beizupflichten, dass die Formulierung dieser Erwägungen des EuGH, soweit sie sich auf die Ansprüche während der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist beziehen, für den hier zu beurteilenden Fall auf den ersten Blick verschiedene Interpretationen erlaubt. Sie kann aber jedenfalls nur vor dem Hintergrund des konkreten (vom hier vorliegenen abweichenden) Anlassfalls und des darauf anwendbaren (finnischen) nationalen Arbeitsrechts verstanden werden (siehe dazu näher die Anm Gahleitners zur zitierten Entscheidung in DRdA 2009, 289 ff [292 f]). Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren muss der scheinbare Widerspruch aber nicht aufgelöst werden, weil dem Klagebegehren selbst nach der von der Klägerin vertretenen und für den Arbeitnehmerstandpunkt günstigsten Auslegung dieser Erwägungen kein Erfolg beschieden sein kann. Ein Vorabentscheidungsersuchen hat daher zu unterbleiben (vgl RIS-Justiz RS0082949 [T4]).

3. Nach § 3 Abs 5 AVRAG, durch den Art 4 Pkt 2 der Betriebsübergangsrichtlinie in das österreichische Recht umgesetzt wurde, kann der Arbeitnehmer „innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, ab dem er die qualifizierte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen erkannte oder erkennen musste, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen oder der kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine lösen. Dem Arbeitnehmer stehen die zum Zeitpunkt einer solchen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührenden Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung zu“.

4. Der Anwendung dieser Bestimmung steht es nicht entgegen, dass das Dienstverhältnis der Klägerin bereits zum , also vor dem Betriebsübergang, beendet war. Eine privilegierte Kündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG kann, wenn die objektiven und subjektiven Voraussetzungen vorliegen, auch schon vor dem Betriebsübergang gegenüber dem Veräußerer ausgesprochen werden (8 ObA 41/10b mwN). Der Schutzzweck der Betriebsübergangsrichtlinie (vgl EuGH Rs C-386/09, Briot ) gebietet hier (so wie in den Fällen der verpönten Arbeitgeberkündigung wegen Betriebsübergangs) eine Erstreckung ihrer Wirkungen auf die Vorbereitungsphase.

5. Indem § 3 Abs 5 AVRAG fordert, dass die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine einzuhalten sind, stellt er klar, dass ein verschlechternder Betriebsübergang kein wichtiger Grund für einen berechtigten vorzeitigen Austritt ist.

Arbeitsrechtliche Kündigungsfristen sind Mindestfristen und werden auch dann „eingehalten“, wenn die Kündigung nicht zum frühesten aller möglichen Beendigungstermine ausgesprochen wird. Wollte man daher der Beurteilung die Entscheidung des EuGH im Sinne ihrer Auslegung durch die Klägerin zugrunde legen, könnte dies nach dem Wortlaut des Gesetzes und im Lichte der Richtlinie nur zur Folge haben, dass der nach § 3 Abs 5 AVRAG kündigende Arbeitnehmer nicht auf die für ihn selbst geltenden gesetzlichen bzw kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine beschränkt, sondern berechtigt ist, auch die für den Arbeitgeber geltenden längeren Fristen bzw späteren Termine in Anspruch zu nehmen (vgl auch Gahleitner aaO).

Der Arbeitnehmer, der von einer privilegierten Kündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG Gebrauch machen will, muss diese Erklärung zur Wahrung des Privilegs rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist abgeben und die für ihn geltenden Fristen und Termine als Mindesterfordernis einhalten, darüber hinaus kann er aber den tatsächlichen Beendigungstermin selbst wählen (insoweit missverständlich Reissner , Die begünstigte Kündigung des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang, ZAS 2002, 104 ff [104]).

Die Entgelt- und Beendigungsansprüche des privilegiert kündigenden Arbeitnehmers sind aber nach dem klaren Wortlaut § 3 Abs 5 AVRAG zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung zu beurteilen. Löst ein Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis rechtmäßig vorzeitig auf, entfällt mit der Beendigung der Arbeitspflicht auch der synallagmatische Entgeltanspruch.

Der von der Klägerin begehrte abstrakte „Erfüllungsanspruch“ (für einen Zeitraum nach dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses) findet in § 3 Abs 5 AVRAG keine Grundlage. Dieses Ergebnis könnte auch auf dem Weg einer Analogie zu § 29 Abs 1 AngG nicht erreicht werden. Es ist zwar der Kündigungsanlass der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen, aber nicht die Verkürzung der Kündigungsfrist.

Die Betriebsübergangsrichtlinie stellt es den Mitgliedstaaten frei, die Rechtsfolgen der begünstigten Kündigung nicht wie jene einer rechtswidrigen Arbeitgeberkündigung zu regeln (Rs C 396/07, Juuri Rz 22). Der Mindestschutz der Richtlinie, nämlich der Anspruch auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu den Bedingungen einer Arbeitgeberkündigung ist dem Arbeitnehmer durch die Regelung des § 3 Abs 5 AVRAG auch in Ansehung der Kündigungsfrist gewahrt. Die Rechtsfolgen der privilegierten Kündigung sind jeweils diejenigen einer rechtmäßigen Arbeitgeberkündigung zum Stichtag der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Revision war daher keine Folge zu geben.

6. Dem Antrag auf Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung des Art 4 Pkt 2 der Betriebsübergangsrichtlinie war aus den dargelegten Gründen nicht näherzutreten. Da eine Prozesspartei nach ständiger Rechtsprechung keinen verfahrensrechtlichen Anspruch hat, die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu beantragen, ist der Antrag zurückzuweisen (RIS Justiz RS0058452 [T5, T 14, T 21]).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG,§§ 41 und 50 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00028.15Y.0428.000