TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 02.12.2003, 10ObS208/03s

OGH vom 02.12.2003, 10ObS208/03s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Monika M*****, vertreten durch Prof. Dr. Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Hinterbliebenenleistungen, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 54/03g-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 35 Cgs 182/02k-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

2. Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beim "Österreichischen Bergrettungsdienst, Land Vorarlberg" (im Folgenden ÖBRD) handelt es sich um einen eingetragenen Verein. Er ist gemeinnützig, unpolitisch und unabhängig; seine Tätigkeit ist nicht auf Gewinn gerichtet. Nach den §§ 2 und 3 der Satzungen ist es Zweck des ÖBRD, im unwegsamen, insbesondere alpinen Gelände Verunglückten, Vermissten oder sonst in Not Geratenen zu helfen, diese zu retten, zu bergen und abzutransportieren, weiters im Katastrophenfall und bei allgemeiner Gefahr Hilfe zu leisten. Der ÖBRD kann noch weitere, seiner Zweckbestimmung ähnliche Tätigkeiten ausüben, zB Pisten- und Loipendienste, Krankentransporte, Dienste bei Sport und öffentlichen Veranstaltungen, Tierrettung, Fels- und Eisräumung und dergleichen. Die Erfüllung seiner Aufgaben strebt der ÖBRD durch jedes ihm geeignet erscheinende Mittel an, zB Auswahl, Ausbildung, Fortbildung und Bereithaltung von Bergrettungsleuten an geeigneten Orten, Mitwirkung bei der landesweiten Rettungs- und Feuerwehrleitstelle, Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Versicherung der Mitglieder, Mitwirkung bei der Entwicklung und Verbesserung von Bergungsmethoden und der Unfallverhütung.

Ingo M*****, der Ehegatte der Klägerin, ordnete am als Leiter der ÖBRD-Ortsstelle P***** für eine Übung der Ortsstelle P***** an. Die Übung bestand in einem organisierten abendlichen Aufstieg auf den Gipfel der V*****. Zeit und Ort der Übung wurden deshalb gewählt, um auf der V***** das "Sonnwendfeuer" entzünden zu können, ein seit Jahren im Zusammenhang mit anderen örtlichen Veranstaltungen der Gemeinde und anderer Verbände durch die Ortsstelle des ÖBRD gepflegtes Brauchtum.

Am Aufstieg nahmen neun Bergrettungsleute der ÖBRD-Ortsstelle P***** und drei Nichtmitglieder (Angehörige) teil. Auf dem Gipfel der V***** angekommen wollte Ingo M***** ein Gruppenfoto der um das Gipfelkreuz gelagerten Teilnehmer machen. Nach dem Einrichten des Fotoapparats und dem Drücken des Selbstauslösers war er im Begriff, sich zur Gruppe zurück zu begeben, um auf dem Foto dabei zu sein. Als er dabei einen massiven Felsblock, der zuvor schon mehrfach durch Personen belastet gewesen war, überquerte, löste sich dieser, worauf Ingo M***** etwa 300 m tief in die Nordwand der V***** abstürzte und hiebei den Tod fand.

Ingo M***** war als Mitglied des ÖBRD in die Zusatzversicherung in die Unfallversicherung gemäß § 22a ASVG einbezogen.

Mit Bescheid vom hat die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen mit der Begründung abgelehnt, dass kein Arbeitsunfall iSd ASVG vorliege. Der Unfall habe sich bei einer traditionellen Brauchtumsveranstaltung ereignet, die nicht dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterliege.

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin auf Gewährung von Versicherungsleistungen nach dem ASVG (insbesondere Witwenrente und Teilersatz der Bestattungskosten) ab. Die Aufnahme eines "Gipfelfotos" anlässlich einer Übung der Bergrettung sei zwar durchaus üblich und angebracht; eine im Gesetz oder in den Statuten normierte Verpflichtung dazu bestehe aber nicht, und zwar auch dann nicht, wenn die Aufnahme eines Gipfelfotos als sittliche oder ethische Verpflichtung oder als im vitalen Interesse der Bergrettung als Organisation (Vereinschronik) gelegen angesehen werden sollte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 10 ObS 63/92(SSV-NF 6/123) dargelegt, dass der Gesetzgeber die nach § 176 Abs 1 Z 7 ASVG versicherten Tätigkeiten nur auf Unfälle beschränken habe wollen, die sich bei der Ausbildung, bei den Übungen oder beim Einsatzfall ereigneten, wobei der Versicherungsschutz abgesehen vom Einzelfall davon abhängig sei, dass die Teilnahme an einer der Ausbildung oder der Übung dienenden Veranstaltung zu den Pflichten gehöre, die den Mitgliedern der in § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG erwähnten Vereinen und Verbänden obliege. Für den Unfallversicherungsschutz reiche es im konkreten Fall nicht aus, dass Ingo M***** als Leiter der Ortsstelle P***** des ÖBRD den Aufstieg auf die V***** als Übung im Rahmen der Ortsstelle ausgeschrieben habe, sondern es wäre auch die verpflichtende Teilnahme erforderlich gewesen. Darüber hinaus habe es sich bei der Veranstaltung nicht um eine Übung iSd § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG gehandelt, sondern um eine Veranstaltung der Brauchtumspflege und somit eine private Veranstaltung.

Für die Klägerin sei auch aus der Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes auf alle Tätigkeiten im Rahmen des gesetzlichen oder satzungsmäßigen Wirkungsbereiches der einschlägigen Organisationen (53. und 55. ASVG-Novelle) nichts zu gewinnen. Die Veranstaltung vom habe nämlich keine Tätigkeiten beinhaltet, die der ÖBRD im Rahmen seines gesetzlichen oder satzungsmäßigen Wirkungsbereiches zu erfüllen habe. Insbesondere lägen auch keine Verfahrensergebnisse in die Richtung vor, dass die Teilnahme des ÖBRD an der Brauchtumsveranstaltung "Sonnwendfeuer" am der Aufbringung von zur Erfüllung der altruistischen Aufgaben des ÖBRD erforderlichen Mittel gedient hätte, sodass eine Qualifikation der Veranstaltung als Versicherungsschutz begründende "Umgebungstätigkeit" ausscheide.

Da schon die Bergtour, in deren Zuge sich der tödliche Unfall ereignet habe, keine einen Versicherungsschutz iSd § 176 Abs 1 Z 7 lit a oder b ASVG begründende Tätigkeit dargestellt habe, könne es dahingestellt bleiben, ob das unmittelbar unfallauslösende Fotografieren im Gipfelbereich zu einer Unterbrechung des vom Gesetz geforderten inneren Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit geführt habe.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, da sich das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung an einer gefestigten höchstgerichtlichen Rechtsprechung und an einer im Übrigen klaren Gesetzeslage orientiert habe.

Entgegen dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, da eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der mit der 55. ASVG-Novelle, BGBl I 1998/138, neu geschaffenen Bestimmung des § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG fehlt; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei ist verspätet.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision der Klägerin:

§ 176 Abs 1 Z 7 ASVG idF vor der 53. ASVG-Novelle stellte den Arbeitsunfällen Unfälle gleich, die sich in Ausübung der den Mitgliedern von freiwilligen Feuerwehren, des Österreichischen Bergrettungsdienstes und vergleichbaren Hilfs- und Rettungsorganisationen im Rahmen der Ausbildung der Übungen und des Einsatzfalls obliegenden Pflichten, bei Tätigkeiten von freiwilligen Helfern dieser Organisationen im Einzelfall sowie bei Tätigkeiten im Rahmen organisierter Rettungsdienste im Einsatzfall ereignen, sofern diese Organisationen nach ihrer Zweckbestimmung auf Einsätze zur Leistung erster ärztlicher Hilfe in Notfällen im Inland ausgerichtet sind und nicht Gewinnerzielung bezwecken.

Mit der 53. ASVG-Novelle (SRÄG 1996, BGBl 1996/411) erhielt der frühere Text des § 176 Abs 1 Z 7 ASVG die Bezeichnung lit a und es wurde folgende lit b angefügt:

"bei Tätigkeiten, die die Mitglieder der in lit. a genannten Organisationen darüber hinaus in Vollziehung von gesetzlich übertragenen Aufgaben ausüben, wenn die Mitglieder in die Zusatzversicherung gemäß § 22a einbezogen sind und aus dieser Tätigkeit keine Bezüge erhalten."

In den Gesetzesmaterialien (RV 214 BlgNR 20. GP) wird die Novellierung damit begründet, dass vor allem sichergestellt werden soll, dass im Rahmen der institutionalisierten Gefahrenhilfe auch jene Tätigkeiten geschützt sind, die der eigentlichen Erfüllung des Gesetzesauftrages vorangehen oder nachfolgen. Voraussetzung für den erweiterten Unfallversicherungsschutz solle sein, dass für den jeweiligen Personenkreis eine Zusatzversicherung in der Unfallversicherung gemäß § 22a ASVG besteht und dass aus der Tätigkeit keine Bezüge gebühren. Der beitragsfreie Unfallversicherungsschutz des § 176 Abs 1 Z 7 ASVG, der altruistische Tätigkeiten schützt, solle durch die Gesetzesänderung jedoch nicht berührt werden. Auch der Oberste Gerichtshof hat zu dieser Novellierung des § 176 Abs 1 Z 7 ASVG durch das SRÄG 1996 ausgesprochen, dass es Zweck der Ausweitung des Versicherungsschutzes (auf Tätigkeiten im Rahmen der institutionalisierten Gefahrenhilfe, die der eigentlichen Erfüllung des Gesetzesauftrages vorangehen oder nachfolgen) war, weitere Tätigkeiten neu in den Unfallversicherungsschutz einzubeziehen, die bisher nicht geschützt waren, weil sie nicht unter Ausbildung, Übung oder Einsatz subsumierbar sind (10 ObS 312/97y = ARD 4928/11/98; RIS-Justiz RS0109066).

Mit der 55. ASVG-Novelle (BGBl I 1998/138) wurde § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG in folgender Weise geändert:

"bei Tätigkeiten, die die Mitglieder der in lit. a genannten Organisationen darüber hinaus im Rahmen ihres gesetzlichen oder satzungsmäßigen Wirkungsbereiches ausüben, wenn sie für diese Tätigkeiten keine Bezüge erhalten, in die Zusatzversicherung in der Unfallversicherung einbezogen sind und einen Antrag gemäß § 22a Abs 4 erster Satz stellen;"

Nach den Gesetzesmaterialien (RV 1234 BlgNR 20. GP) soll sich der erweiterte Unfallversicherungsschutz auf Unfälle erstrecken, die Mitglieder der in § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG genannten Organisationen etwa auch in Ausübung von Aktivitäten, die in den jeweiligen Satzungen (Statuten usw) der Organisationen festgeschrieben sind und der Aufbringung der Mittel zur Erfüllung ihrer altruistischen Aufgaben dienen ("Umgebungstätigkeiten"), Versicherungsschutz genießen.

Nach seinen Satzungen ist es Zweck des Vereins "Österreichischen Bergrettungsdienst, Land Vorarlberg", im unwegsamen, insbesondere alpinen Gelände Verunglückten, Vermissten oder sonst in Not Geratenen zu helfen, diese zu retten, zu bergen und abzutransportieren, weiters im Katastrophenfall und bei allgemeiner Gefahr Hilfe zu leisten. Der ÖBRD kann noch weitere, seiner Zweckbestimmung ähnliche Tätigkeiten ausüben, zB Pisten- und Loipendienste, Krankentransporte, Dienste bei Sport und öffentlichen Veranstaltungen, Tierrettung, Fels- und Eisräumung und dergleichen. Die Erfüllung seiner Aufgaben strebt der ÖBRD durch jedes ihm geeignet erscheinende Mittel an, zB Auswahl, Ausbildung, Fortbildung und Bereithaltung von Bergrettungsleuten an geeigneten Orten, Mitwirkung bei der landesweiten Rettungs- und Feuerwehrleitstelle, Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Versicherung der Mitglieder, Mitwirkung bei der Entwicklung und Verbesserung von Bergungsmethoden und der Unfallverhütung.

Von diesen satzungsmäßigen Aktivitäten des Vereins ist die Mitwirkung an örtlichen Brauchtumsveranstaltungen nicht umfasst. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, stellt die im Zusammenhang mit der Sonnwendfeier organisierte Bergtour der Ortsstelle P***** auf die V***** keine vom Versicherungsschutz umfasste satzungsmäßige "Umgebungstätigkeit" dar, die der Aufbringung der Mittel für die altruistische Tätigkeit dient (vgl zum Unfallversicherungsschutz bei Waldfesten und Werbeveranstaltungen der Feuerwehr - bei allerdings nicht gänzlich vergleichbarer Rechtslage - Wiester in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 3, 93./99. Lfg § 2 Rz 611). Dass der ÖBRD durch solche Aktivitäten indirekt zu finanziellen Förderungen gelangen könnte, ändert nichts daran, dass der auch im Fall des § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG erforderliche unmittelbare Zusammenhang mit dem satzungsmäßigen Wirkungsbereich (und der Aufbringung der dafür erforderlichen Mittel) nicht besteht. Im Übrigen ist es auch nicht möglich, durch die Bezeichnung der Aktivität als Übung den Versicherungsschutz zu kreieren, wenn es sich tatsächlich nicht um eine Übung im Sinne eines Verfahrens zur Aneignung und zur Verbesserung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch (wiederholtes) Vollziehen bestimmter Tätigkeiten handelt, die für einen möglichen Einsatz von Bedeutung sein können und die nicht mit den allgemeinen ohne besondere Ausbildung jedermann eigenen Fähigkeiten durchgeführt werden können (10 ObS 312/97y = ARD 4928/11/98 [Unfall beim Zurückschneiden der Äste in einem privaten Anwesen durch ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr]; vgl auch SSV-NF 4/112).

Da die Vorinstanzen zu Recht die Voraussetzungen für die begehrten Hinterbliebenenleistungen verneint haben, ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Zur - verspäteten - Revisionsbeantwortung der beklagten Partei:

Gemäß § 507a Abs 2 Z 3 iVm § 508a Abs 2 ZPO begann die Frist für die Revisionsbeantwortung mit der Zustellung des Freistellungsbeschlusses () zu laufen. Gemäß § 507a Abs 3 Z 2 ZPO wäre die Revisionsbeantwortung nicht, wie von der beklagten Partei vorgenommen, beim Erstgericht, sondern beim Obersten Gerichtshof einzubringen gewesen. Zufolge der falschen Adressierung reichte daher die am erfolgte Postaufgabe für die Annahme der Rechtzeitigkeit nicht aus, vielmehr wäre in diesem Fall das rechtzeitige Einlangen der Revisionsbeantwortung beim Obersten Gerichtshof erforderlich gewesen (Gitschthaler in Rechberger, ZPO² § 126 Rz 16). Im Zeitpunkt des Einlangens beim Obersten Gerichtshof () war die Revisionsbeantwortungsfrist aber bereits abgelaufen.