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OGH vom 15.12.2015, 14Os125/15m

OGH vom 15.12.2015, 14Os125/15m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ayndy D***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 12 Hv 3/15p des Landesgerichts Ried im Innkreis, über den auf das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , AZ 7 Bs 113/15i (ON 28 der Hv Akten), bezogenen Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im

außerordentlichen Weg die

Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens verfügt, das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , AZ 7 Bs 113/15i, aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom , GZ 12 Hv 3/15p 21, an das Oberlandesgericht Linz verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom , GZ 12 Hv 3/15p 21, wurde Ayndy D***** soweit hier wesentlich der Vergehen des Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB (A) sowie des Besitzes einer falschen besonders geschützten Urkunde nach § 224a StGB (B) schuldig erkannt und zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit einem zugleich gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und 4 StPO gefassten Beschluss wurde nach § 53 Abs 1 StGB eine dem Angeklagten zum AZ 27 U 479/09a des Bezirksgerichts Salzburg gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen und nach § 53 Abs 2 StGB vom Widerruf weiterer bedingter Strafnachsichten abgesehen (ON 21 S 3).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte mit Schriftsatz vom „volle“ Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 23), die in weiterer Folge unausgeführt blieb.

Die Ladung zur Berufungsverhandlung am wurde dem Angeklagten laut im Akt erliegender Hinterlegungsmitteilung nach erfolglosem Versuch persönlicher Zustellung am an seiner aktenkundigen Wohnadresse in S ***** durch Hinterlegung zugestellt (ON 27 S 5).

Die Sendung wurde am unbehoben an das Berufungsgericht retourniert (ON 27 S 7).

Zum Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung erschien Ayndy D***** nicht. Eine Prozesserklärung betreffend einen allfälligen Verzicht auf seine Teilnahme durch seinen anwesenden Verteidiger ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen (ON 27).

Ausgehend von der Richtigkeit der aktenkundigen Zustelladresse und der Wirksamkeit der Zustellung der Ladung durch Hinterlegung führte das Oberlandesgericht die Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durch. M it Urteil vom , AZ 7 Bs 114/15i (ON 28 der Hv Akten) hob es das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, „in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 10 StPO“ im Schuldspruch B, demgemäß auch im Strafausspruch sowie den gleichzeitig gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Absehen von Widerruf weiterer bedingter Strafnachsichten auf, erkannte Ayndy D***** wegen des ihm zum aufgehobenen Schuldspruch vorgeworfenen Täterverhaltens des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB schuldig und verurteilte ihn hiefür sowie für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruchs

zur Last liegende strafbare Handlung unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 223 Abs 2 StGB (erneut) zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der zu AZ 27 U 367/09f und AZ 27 U 479/09a des Bezirksgerichts Salzburg gewährten bedingten Strafnachsichten wurde unter einem abgewiesen, vom Widerruf der zu AZ 8 Hv 54/08t des Landesgerichts für Strafsachen Graz gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen (ON 27 S 3 f und ON 28).

Erst in einem an das Oberlandesgericht Linz gerichteten Schreiben vom behauptete der Verurteilte anlässlich seines Ersuchens um Haftunterbrechung, sich seit durchgehend in Haft zu befinden und daher weder eine Ladung zur Berufungsverhandlung am erhalten zu haben, noch sonst in Kenntnis von diesem Termin gesetzt worden zu sein (ON 34 S 3 f).

Nach einem durch Erhebungen des Landesgerichts Ried im Innkreis verifizierten Auszug aus dem VJ-Register verbüßt Ayndy D***** seit eine mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom , AZ 64 Hv 41/13z, über ihn verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten (ON 30, 31, 36).

Bei der Prüfung der Akten ergeben sich - wie die Generalprokuratur in ihrem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag zutreffend aufzeigt erhebliche Bedenken (§ 362 Abs 1 Z 2 StPO) gegen die Richtigkeit der dem Beschluss auf Durchführung der Berufungsverhandlung und dem Urteil des Oberlandesgerichts Linz zu Grunde gelegten Annahme, dem Angeklagten sei die Ladung zur Berufungsverhandlung (wirksam) durch

Hinterlegung zugestellt worden und die Voraussetzungen für eine Verhandlung und Urteilsfällung in dessen Abwesenheit seien gegeben gewesen.

Vielmehr indizieren die oben bezeichneten (nachträglich zum Akt gekommenen) Urkunden sowie die Erhebungen des Landesgerichts Ried im Innkreis, dass sich der Angeklagte seit dem durchgehend, sohin sowohl zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Ladung als auch am Tag der Berufungsverhandlung zu einem anderen Verfahren in Haft befand.

Gemäß § 489 Abs 1 StPO iVm § 471 StPO gelten für die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über Berufungen gegen Urteile des Einzelrichters des Landesgerichts soweit hier von Relevanz §§ 286 Abs 1, 294 StPO sinngemäß, für den Angeklagten daher unabhängig vom Gegenstand der Berufung stets § 294 Abs 5 zweiter Satz, nicht § 286 Abs 2 StPO.

Demzufolge ist ein nicht verhafteter Angeklagter (zusätzlich zu seinem Verteidiger) jedenfalls an einer regelmäßig genutzten Abgabestelle (vgl dazu RIS Justiz RS0083950, RS0083895) zu laden. Ein verhafteter Angeklagter ist ohne den in § 286 Abs 2 StPO genannten Beisatz vom Gerichtstag in Kenntnis zu setzen und seine Vorführung zu veranlassen, es sei denn, dieser hätte durch seinen Verteidiger ausdrücklich darauf verzichtet (vgl auch RIS Justiz RS0124107). Eine Verhandlung in Abwesenheit des verhafteten Angeklagten ist im Berufungsverfahren nur in diesem Fall zulässig, in Abwesenheit des auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten nur dann, wenn dieser trotz wirksamer Zustellung der Ladung unentschuldigt fernbleibt (§ 286 Abs 1 letzter Satz StPO) oder am Erscheinen gehindert war und durch seinen Verteidiger ausdrücklich auf die Teilnahme am Gerichtstag verzichtet hat (vgl zum Ganzen

Ratz , WK StPO § 294 Rz 14, § 296 Rz 2, § 471 Rz 2).

Keine dieser Voraussetzungen lag nach dem Vorgesagten vor.

Somit ist eine (nicht vom Obersten Gerichtshof getroffene) letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv bedenklichen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem betreffenden Gericht ein Rechtsfehler anzulasten wäre. Dies war durch Verfügung der außerordentlichen Wiederaufnahme auf die im Spruch ersichtliche Weise in analoger Anwendung des § 362 Abs 1 Z 2 StPO zu sanieren, (RIS-Justiz RS0117416; RS0117312 [T3]; Ratz , WK-StPO § 362 Rz 4).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00125.15M.1215.000