VfGH vom 30.06.1993, B295/93
Sammlungsnummer
13488
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Übertragung eines Disziplinarverfahrens gegen ein Mitglied eines Disziplinarrates wegen möglicher Befangenheit der übrigen Mitglieder an einen anderen Disziplinarrat
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Dr. L ist Mitglied des Disziplinarrates der Salzburger Rechtsanwaltskammer. Wegen Nichterledigung von Disziplinarakten stellte der Kammeranwalt der Salzburger Rechtsanwaltskammer den Antrag auf Bestellung eines Untersuchungskommissärs und gleichzeitige Übertragung der Disziplinarsache an den Disziplinarrat der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, um bei der Beurteilung des Sachverhaltes jeden Anschein der Befangenheit von vornherein zu vermeiden. Dr. L sprach sich dagegen aus, weil die Mitglieder des Disziplinarrates der Salzburger Rechtsanwaltskammer nicht befangen seien und weil die Delegierung für ihn aufgrund der Entfernung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden wäre.
2. Mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom , Z 11 Bkd 3/92-7, wurde dem Delegierungsantrag des Kammeranwaltes des Disziplinarrates der Salzburger Rechtsanwaltskammer Folge gegeben und sowohl die Vornahme der Disziplinaruntersuchung als auch die Durchführung der Verhandlung dem Disziplinarrat der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer übertragen.
Begründend wurde ausgeführt, daß es sich bei dem Disziplinarbeschuldigten um ein Mitglied des Disziplinarrates der Salzburger Rechtsanwaltskammer handle, weshalb die Durchführung des Disziplinarverfahrens vor dem Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer wegen der möglichen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrates nicht zweckmäßig sei; es bestehe somit ein wichtiger Grund im Sinne des § 25 Abs 1 DSt 1990 (Disziplinarstatut 1990), die Disziplinarsache einer anderen Rechtsanwaltskammer zu übertragen.
3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten, in welcher die Verletzung des gemäß Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein fair trial gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3.2. Des weiteren wurde der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 85 Abs 2 VerfGG zuzuerkennen.
Mit Beschluß vom , B295/93-3, ist der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Dieser Beschluß wurde sowohl dem Beschwerdeführer als auch der OBDK nachweislich zugestellt.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
5.1. Zur behaupteten Verletzung des gemäß Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein fair trial wird vom Beschwerdeführer geltend gemacht, daß der angefochtene Bescheid in nichtöffentlicher Sitzung nach Anhörung der Generalprokuratur ergangen sei, ohne daß dem Beschwerdeführer der Inhalt dieser Stellungnahme des Generalprokurators bekanntgegeben worden wäre. Außerdem sei ihm auch nicht das Recht zu einer abschließenden Stellungnahme eingeräumt worden. Da von ihm auch der Zeitpunkt der Abgabe der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht hätte vorhergesehen werden können, sei eine angemessene Verteidigung nicht möglich gewesen.
5.2. Die Beschwerde ist nicht begründet.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits zum DSt 1872 mehrmals ausgesprochen hat, ist aufgrund der Schwere der im DSt angedrohten Strafen Art 6 EMRK im Disziplinarverfahren gegen Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter zu beachten (VfSlg. 11776/1988, 11840/1988); dies trifft auch im Hinblick auf die vergleichbaren, hier maßgeblichen Bestimmungen für das DSt 1990 zu.
Der angefochtene Bescheid stützt sich in meritorischer Hinsicht auf § 25 Abs 1 DSt 1990. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesagt, daß er gegen diese Bestimmung und zum inhaltsgleichen § 27 Abs 1 und 2 DSt 1872 - auch unter den Aspekten des Art 6 EMRK - keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt (vgl. zuletzt und die dort zitierte Vorjudikatur).
Die behauptete Verletzung des Rechtes auf ein fair trial im Sinne des Art 6 EMRK durch die belangte Behörde liegt aber ebenfalls nicht vor; dies schon deshalb, weil die Stellungnahme der Generalprokuratur keine Ausführungen enthalten hat, die unter dem Aspekt der Waffengleichheit ein In-Kenntnis-Setzen des Beschwerdeführers erforderlich gemacht hätten (vgl. VfSlg. 12589/1990); festzuhalten ist weiters, daß dem Generalprokurator - wie sich aus den in den Akten erliegenden Verfügungen der OBDK ergibt - der Entscheidungsentwurf nicht zur Kenntnis gelangt ist.
Eine Verletzung der durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte ist auch sonst nicht hervorgekommen.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.