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VfGH vom 26.02.1987, B295/86

VfGH vom 26.02.1987, B295/86

Sammlungsnummer

11212

Leitsatz

Beschwerde gegen Festnahmen und Anhaltung, die der BPD Wien und der BPD Linz zuzurechnen sind; Zulässigkeit der Beschwerde, die nur eine, nicht jedoch die andere belangte Behörde benennt; Verhängung einer Arreststrafe wegen Übertretung des oö. VeranstaltungsG - Zuständigkeit der BPD Linz zum Vollzug nach § 12 Abs 1 VStG 1950; Übertragung des Strafvollzugs nach § 29a VStG an die BPD Wien entspricht dem Gesetz; Zuständigkeit beider Behörden - kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Bedenken gegen § 31 Abs 3 VStG 1950 idF BGBl. 299/1984 (betreffend Hemmung der Verjährungsfristen), insbesondere kein Widerspruch zu Art 7 Abs 1 MRK; zur Auslegung des § 31 Abs 3 VStG während der Übergangszeit; zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BG BGBl. 299/1984 () war noch keine Vollstreckungsverjährung eingetreten; Vorführung zum Strafantritt und Anhaltung im § 53 VStG gedeckt; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

Spruch

Der Bf. ist dadurch, daß er am durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien und am 27. und durch Organe der BPD Linz festgenommen und angehalten wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Bf. ist schuldig, dem Bund, zu Handen der Finanzprokuratur, die mit S 20.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die oö. Landesregierung verhängte über den Bf.

mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wegen Übertretung des oö. Veranstaltungsgesetzes eine (primäre) Arreststrafe von 14 Tagen, weil er als verantwortlicher Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH in der Zeit vom bis in Linz eine sogenannte "Peep-Show" erwerbsmäßig durchgeführt habe, ohne im Besitz einer Bewilligung der Behörde zu sein.

Dagegen erhob der Bf. Beschwerde an den VwGH, die bei diesem Gerichtshof am einlangte. Mit Erkenntnis vom , Zlen. 83/01/0491, 0493, wies der VwGH diese Beschwerde als unbegründet ab. Das Erkenntnis wurde dem Bf. am zugestellt.

b) Am forderte die Bundespolizeidirektion (BPD) Wien den Bf. gemäß § 53 Abs 1 VStG 1950 auf, die Arreststrafe anzutreten.

Da er dieser Aufforderung nicht nachkam, wurde er am um 09,30 Uhr von einem Kriminalbeamten der BPD Wien (der die BPD Linz gemäß § 29a VStG 1950 den Strafvollzug übertragen hatte) festgenommen und zur Vollstreckung der Verwaltungsarreststrafe von etwa 10,00 bis 17,00 Uhr im Polizeigefangenenhaus der BPD Wien angehalten. Die vorzeitige Entlassung erfolgte, weil "eine Vollziehung der Verwaltungsstrafe unter Berücksichtigung (des) § 31 VStG nach Ansicht der BPD Wien nicht zulässig" erschien.

Am um 17,45 Uhr wurde der Bf. zur Vollstreckung der (noch nicht verbüßten) Arreststrafe von einem Organ der BPD Linz festgenommen und sodann in das Gefangenenhaus dieser Behörde eingeliefert. Nachdem der VfGH der am dagegen erhobenen Beschwerde (s.u. I.2.) mit Beschluß vom selben Tag die aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte, wurde der Bf. am um 14,10 Uhr aus der Haft entlassen.

2. Die vorliegende, auf Art 144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich "gegen die Verhaftung vom und gegen die Verhaftung vom ".

Der Bf. behauptet, durch diese Verwaltungsakte im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein. Er begründet dies damit, daß die Vollstreckung der Arreststrafe nicht mehr zulässig gewesen sei. Es sei nämlich inzwischen Vollstreckungsverjährung iS des § 31 Abs 3 VStG 1950 eingetreten. Der letzte Satz dieser Gesetzesbestimmung sei erst durch die Nov. BGBl. 299/1984 eingeführt worden; er unterliege "als materiell-rechtliche Bestimmung dem Rückwirkungsverbot" (Art7 MRK). Die Verhaftungen seien daher gesetzlos erfolgt.

Der Bf. beantragt, die behauptete Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

3. Die BPD Linz und die BPD Wien als belangte Behörden (beide vertreten durch die Finanzprokuratur) erstatteten Gegenschriften, in denen sie begehren, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Zum Zeitpunkt der Anhaltungen sei noch nicht Vollstreckungsverjährung eingetreten.

II. Der VfGH hat erwogen:

1.a) Die bekämpften Festnahmen und Anhaltungen stellen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, die nach Art 144 Abs 1 zweiter Satz beim VfGH bekämpfbar sind (s. zB VfSlg. 10051/1984).

b) Die Verhaftung vom ist der BPD Wien, jene vom 27./ der BPD Linz zuzurechnen. Der Umstand, daß die Beschwerde als bel. Beh. nur die BPD Linz, nicht aber auch die BPD Wien nennt, ändert nichts daran, daß auch die gegen die erstgenannten Verwaltungsakte gerichtete Beschwerde zulässig ist (vgl. zB VfSlg. 3042/1956, 8689/1979, 8961/1980).

2.Über den Bf. war von der BPD Linz (rechtskräftig) eine Arreststrafe wegen Übertretung des oö.

Veranstaltungsgesetzes - also in einer Angelegenheit der Landesverwaltung - verhängt worden.

Die Zuständigkeit der BPD Linz zum Vollzug der Arreststrafe ergibt sich aus § 12 Abs 1 VStG 1950.

Die BPD Linz übertrug nach § 29a VStG 1950 den Strafvollzug der BPD Wien, da der Bf. inzwischen in Wien Aufenthalt genommen hatte. Diese Übertragung entsprach dem Gesetz, da sich die im letzten Satz des § 29a VStG 1950 enthaltene Einschränkung (wonach in den Angelegenheiten der Landesverwaltung das Strafverfahren nur auf eine Behörde im selben Bundesland übertragen werden darf) - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Mayer, Die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden im Vollstreckungsverfahren, Wien 1974, S 90 ff., insbes. S 104 bis

106) - nicht auch auf die Übertragung des Strafvollzuges bezieht (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze9, Wien 1983, Anm. 46).

Beide Behörden waren also zur Vollstreckung der Arreststrafe zuständig; der Bf. wurde nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3.a) Gemäß § 31 Abs 3 VStG 1950 darf eine verhängte Verwaltungsstrafe nicht mehr vollstreckt werden, wenn seit dem im Abs 2 bezeichneten Zeitpunkt drei Jahre verstrichen sind. Nach Abs 2 ist dies - soweit hier maßgebend - jener Zeitpunkt, "an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat".

Mit der VStG-Nov. 1984, BGBl. 299, wurde dem § 31 Abs 3 VStG 1950 folgender zweiter Satz angefügt:

"Die Zeit eines Verfahrens vor dem VfGH oder dem VwGH ist in diese" (dreijährige) "Frist nicht einzurechnen."

Dem ArtII der VStG-Nov. 1984 zufolge trat dieses BG mit in Kraft. Übergangsbestimmungen enthält dieses Gesetz nicht.

Im Ausschußbericht (348 BlgNR, 16. GP) heißt es zum angefügten zweiten Satz:

"Diese Zeit beginnt mit dem Einlangen der Beschwerde beim Gerichtshof und endet mit der Zustellung der Entscheidung an den Bf."

b) Der VwGH hat sich - unter Verwertung früherer Judikatur - im Erkenntnis vom , Zl. 85/02/0163, mit der Frage der Anwendung des § 31 Abs 3 zweiter Satz VStG 1950 während des Übergangszeitraumes befaßt. Der damalige Bf. hatte behauptet, daß Vollstreckungsverjährung eingetreten sei; der durch die VStG-Nov. 1984 eingefügte zweite Satz des § 31 Abs 3 komme im Beschwerdefall nicht zur Anwendung, weil diese Neuregelung erst nach dem im Jahre 1982 gelegenen Tatzeitpunkt (nämlich mit ) in Kraft getreten sei. Auf dieses Beschwerdevorbringen erwiderte der VwGH:

"Richtig ist, daß der VwGH - worauf der Bf. verweist - mit Erkenntnis vom , Zl. 84/03/0008, ausgesprochen hat, daß die mit in Kraft getretene Bestimmung des § 31 Abs 3 zweiter Satz VStG 1950 auf Taten, die bereits vor ihrem Inkrafttreten verjährt sind, keine Anwendung zu finden vermag, diese Voraussetzung aber im vorliegenden Beschwerdefall nicht zutrifft:

Dem weiteren Erkenntnis des Zl. 85/18/0229, lag der Sachverhalt zugrunde, daß zwar am noch keine Vollstreckungsverjährung eingetreten war, jedoch die Zeit, in der ein Verfahren vor dem VwGH anhängig war, zur Gänze vor dem gelegen ist. Der VwGH hat in diesem Fal den Standpunkt vertreten, daß durch dieses verwaltungsgerichtliche Verfahren eine Fristenhemmung deshalb nicht eintreten konnte, weil die betreffende Bestimmung erst nach Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Kraft getreten ist. Überträgt man diese Gedanken auf den vorliegenden Beschwerdefall, so kann der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein.

Das bereits erwähnte, die gegenständliche Verwaltungsstrafsache betreffende Verfahren vor dem VwGH zur Zl. 84/02/0163 war vom (Einlangen der Beschwerde) bis (Zustellung des Erkenntnisses) anhängig. Selbst wenn man die Zeit bis unberücksichtigt läßt, ist doch davon auszugehen, daß am das verwaltungsgerichtliche Verfahren noch anhängig war und dieses bis andauerte, sodaß jedenfalls die nach dem liegende Zeit nicht in die Verjährungsfrist einzurechnen ist. Das hat aber zur Folge, daß die Verjährungsfrist des § 31 Abs 3 VStG 1950 im Beschwerdefall noch nicht am endete, sondern ihr Ende mindestens entsprechend dem zuletzt genannten Zeitraum und damit auf einen Zeitpunkt nach Erlassung des angefochtenen Bescheides, welche nach dem Beschwerdevorbringen mit dessen Zustellung am anzunehmen ist, hinausgeschoben wurde. § 1 Abs 2 VStG 1950 hindert nicht eine derartige Auslegung, weil - entgegen der Ansicht des Bf. - diese Bestimmung lediglich mit der Beurteilung der Frage, welche Norm bei Verhängung der Strafe heranzuziehen ist, im Zusammenhang steht.

. . ."

c) Der VfGH schließt sich der Rechtsmeinung des VwGH an.

Auch bei diesem Inhalt des Gesetzes bestehen - unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles - gegen § 31 Abs 3 VStG 1950 keine verfassungsrechtlichen Bedenken; insbesondere erblickt der VfGH nicht den vom Bf. angenommenen - Widerspruch zu Art 7 Abs 1 MRK; diese - in Verfassungsrang stehende - Bestimmung bezieht sich auf das Verbot rückwirkender Strafbestimmungen und rückwirkender Strafverschärfungen, nicht aber auf Vorschriften über Verjährungsfristen. Art 7 Abs 1 MRK stellt für den Bereich des Verwaltungsstrafrechtes die explizite verfassungsrechtliche Garantie dessen dar, was einfachgesetzlich in § 1 VStG 1950 enthalten ist (s. Ermacora/Nowak/Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention, Wien 1983, S 368, 4.1.).

d) Für den vorliegenden Fall bedeutet diese Gesetzesauslegung:

Der nach § 31 Abs 2 VStG 1950 maßgebende Zeitpunkt des Beginnes der Frist iS des Abs 3 ist hier der (vgl. zum Beginn der Verjährungsfrist bei einem fortgesetzten

Delikt zB Zl. 86/18/0051, 52 und Zl. 86/18/0040, 0041).

Zum Zeitpunkt des Inkraftretens der VStG-Nov. 1984 () war also noch keine Vollstreckungsverjährung eingetreten.

Das Verfahren vor dem VwGH in dieser Sache war vom bis anhängig. Es war also - ausgehend von der oben dargestellten Auslegung des § 31 Abs 3 VStG während der Übergangszeit - die zwischen dem (Inkrafttreten der VStG-Nov. 1984) und dem Tag der Zustellung des Verwaltungsgerichtshoferkenntnisses () liegende Zeit nicht in die Verjährungsfrist einzurechnen.

Das bedeutet, daß die Verjährungsfrist nicht am endete, sondern daß ihr Ende jedenfalls um diesen Zeitraum (drei Monate und 13 Tage) - sohin jedenfalls bis zum - hinausgeschoben wurde.

Am 11. und war also noch nicht Vollstreckungsverjährung eingetreten.

Da der Bf. - ungeachtet vorausgegangener Aufforderung iS des § 53 Abs 1 VStG 1950 - die über ihn verhängte rechtskräftige Arreststrafe nicht angetreten hatte, waren die Vorführungen zum Strafantritt und die Anhaltungen im Gesetz gedeckt.

Der Bf. wurde sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG.