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OGH vom 29.11.2016, 9ObA127/16s

OGH vom 29.11.2016, 9ObA127/16s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Maria Weidlinger, Rechtsanwältin in Schärding, gegen die beklagte Partei C***** A*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab, Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, wegen (zuletzt) Zustimmung zur Kündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 35/16b 44, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagte, begünstigter Behinderter und Behindertenvertrauensperson im Betrieb der Klägerin, bekämpft in seiner außerordentlichen Revision die letztlich wegen beharrlicher Pflichtenverletzung (§ 121 Z 3 ArbVG) erteilte gerichtliche Zustimmung der Vorinstanzen zur Kündigung seines Dienstverhältnisses. Er meint, es entspreche weder einer erkennbaren Absicht des Gesetzgebers noch der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wenn seine Rechtsposition ausschließlich auf arbeitsverfassungsrechtliche Kriterien im Sinne der §§ 120 f ArbVG iVm § 22a Abs 10 BEinstG hin überprüft werde und dabei die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des behinderten Dienstnehmers als Einzelperson im Sinne der Bestimmungen des BEinstG, insbesondere dessen § 8, zur Gänze außer Acht gelassen werde. Aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung zeigt der Beklagte damit jedoch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Gemäß § 22a Abs 10 BEinstG sind auf die persönlichen Rechte und Pflichten der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) die Bestimmungen des 4. Hauptstücks des II. Teils des ArbVG sinngemäß anzuwenden. Dazu zählt auch der besondere Kündigungs und Entlassungsschutz für Betriebsratsmitglieder nach den §§ 120 ff ArbVG. Nach dem Wortlaut des § 8 Abs 6 BEinstG finden die Abs 2 bis 4 leg cit – darunter auch die Notwendigkeit der Bedachtnahme des Behindertenausschusses auf die besondere Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers – auf das Dienstverhältnis eines Behinderten keine Anwendung, wenn ihm als Mitglied des Betriebsrats (Jugendvertrauensrats) bzw als Personalvertreter der besondere Kündigungsschutz aufgrund der §§ 120 und 121 ArbVG zusteht. Auch nach der Absicht des Gesetzgebers stellt der Kündigungsschutz für Mitglieder des Betriebsrats die äußerste Grenze des Bestandschutzes begünstigter Behinderter dar (RV 1518 BlgNR XX. GP 12). Daraus wird in der Literatur einhellig abgeleitet, dass in solchen Fällen der besondere Kündigungsschutz des BEinstG auf das Dienstverhältnis eines begünstigten Behinderten keine Anwendung findet ( Widy in Widy , BehinderteneinstellungsG 8 § 8 Erl 166; Löschnigg , Arbeitsrecht 12 8/216). Soweit der Beklagte auf die Entscheidung 9 ObA 127/12k verweist, wonach auf die sich aus dem BEinstG ergebenden Besonderheiten – im Mittelpunkt des BEinstG steht der Schutz des einzelnen behinderten Dienstnehmers und nicht das Interesse der Belegschaft als Ganzes – Bedacht zu nehmen ist (idS auch RV 1518 BlgNR XX. GP 12), übergeht er, dass jener Dienstnehmer zwar begünstigter Behinderter, nicht aber auch Behindertenvertrauensperson war. Im vorliegenden Fall ist es daher nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen die Notwendigkeit einer zusätzlichen Zustimmung des Behindertenausschusses zur Kündigung des Beklagten verneint haben.

2. Auch die Frage der Rechtzeitigkeit des Kündigungsausspruchs, die für gewöhnlich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden kann, wurde von den Vorinstanzen in nicht weiter korrekturbedürftiger Weise beantwortet. Es liegt kein (konkludenter) Verzicht auf die Geltendmachung von Kündigungs oder Entlassungsgründen vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in unmissverständlicher Weise, zB durch eine Suspendierung, zeigt, dass er aus dem Verhalten des Arbeitnehmers Konsequenzen ziehen werde und eine Weiterbeschäftigung als unzumutbar ansehe ( Pfeil in ZellKomm 2 § 25 AngG Rz 46 mwN). Dem Kläger wurden in der Phase seiner Dienstfreistellung verschiedene Lösungsmöglichkeiten angeboten und eine Supervision und Mediation, ua zur „Beziehungsklärung“ durchgeführt. Die Vorinstanzen hielten dazu fest, dass dies angesichts der erwiesenen Verfehlungen des Beklagten ausschließlich in seinem Interesse lag und ihm klar sein musste, dass seine Weiterbeschäftigung in der bisherigen Art für die Klägerin nicht mehr in Betracht kam. Andere Angebote wurden von ihm abgelehnt. Es ist danach vertretbar, wenn die Vorinstanzen die unmittelbar nach dem Abschlussgespräch der Mediation eingebrachte Klage auf Zustimmung zur Kündigung in dieser Konstellation als rechtzeitig erachteten.

3. Eine Eventualkündigung durch den Arbeitgeber während der Dauer des Kündigungsanfechtungsverfahrens iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG wird als zulässig angesehen ( Reissner in ZellKomm 2 § 20 AngG Rz 101; s auch RIS Justiz RS0109392 [T2]). Es bestehen aber auch allgemein gegen eine Eventualkündigung, die nur für den Fall ausgesprochen wird, dass das Dienstverhältnis überhaupt noch aufrecht ist, keine Bedenken (9 ObA 119/05y). Warum die Klägerin mit der Geltendmachung von Pflichtverfehlungen des Beklagten als Entlassungsgrund ihr Wahlrecht ausgeübt habe und dadurch – so der Beklagte – die Geltendmachung der gleichlautenden Kündigungsgründe mit der Abweisung des Entlassungsbegehrens verwirkt habe, ist nicht ersichtlich.

4. Die Revision ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00127.16S.1129.000