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OGH vom 22.12.1997, 8ObA273/97y

OGH vom 22.12.1997, 8ObA273/97y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Rohrer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter MR Mag.Norbert Riedl und Rat Dipl.Ing.Werner Conrad in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Brigitte W*****, vertreten durch Dr.Georg Grießer, Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei N*****, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 55.422,76 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 32/97t-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 21 Cga 378/96b-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 29.583,28 (darin S 2.943,88 USt und S 11.920,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Verfahren aller drei Instanzen binnnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Ab dem befand sich die Klägerin im Krankenstand, ihr Entgeltanspruch endete mit . Wegen Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension wurde die Klägerin gemäß § 32 Abs 2 DO.A mit Wirksamkeit ab in den Ruhestand versetzt. Das Urlaubsjahr der Klägerin ist mit dem Kalenderjahr ident. Die Beklagte zahlte der Klägerin die für das Urlaubsjahr 1994 beanspruchte Urlaubsentschädigung nicht aus.

Mit ihrer am beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, die Beklagte zur Zahlung dieser Urlaubsentschädigung in der unbestrittenen Höhe von S 55.422,76 schuldig zu erkennen.

Die Beklagte wendete dagegen ein, daß zwar seit dem Sozialrechtsänderungsgesetz 1995 ein ungekürzter Urlaubsanspruch auch für Zeiten, in denen kein Anspruch auf Entgelt bestehe, anzuerkennen sei. Diese Gesetzesänderung sei jedoch erst mit in Kraft getreten und gelte ab dem Urlaubsjahr, welches im Jahr 1994 begonnen habe. Die rückwirkende Änderung des Urlaubsgesetzes werde von der Lehre dahingehend ausgelegt, daß davon lediglich jene Urlaubsjahre erfaßt sein sollten, die frühestens am begonnen haben. Damit stehe der Klägerin aber ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung für das Jahr 1994 nicht zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß gemäß § 2 Abs 2 UrlG idF BGBl 832/1995 der Urlaubsanspruch durch Zeiten, in denen kein Anspruch auf Entgelt bestehe, nicht verkürzt werde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt sei. Nach der Übergangsbestimmung des § 19 Abs 3 UrlG idF BGBl 832/1995 trete diese Bestimmung mit in Kraft und gelte ab dem Urlaubsjahr, das im Jahr 1994 begonnen habe. Die Interpretation des Wortsinnes dieser Bestimmung lasse keine Einschränkung dahin erkennen, daß die rückwirkende Einführung des § 2 Abs 2 letzter Satz UrlG auf Urlaubsjahre beschränkt bleiben solle, welche ab dem begonnen hätten. Vielmehr ergebe die reine am Wortsinn orientierte Auslegung, daß sich der Geltungsbereich auf jedes Urlaubsjahr erstrecke, welches im Jahre 1994 begonnen habe, somit auch auf jenes, dessen Beginn auf den gefallen sei. Jeder andere Wille des Gesetzgebers wäre von diesem zweifellos ausdrücklich im Gesetz verankert worden.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Die Gesetzesauslegung des Ersgerichtes sei zu billigen. Da das Urlaubsjahr der Klägerin unstrittig mit dem Kalenderjahr ident sei und das Dienstverhältnis mit durch Versetzung in den Ruhestand geendet habe, seien die Voraussetzungen der Übergangsregelung des § 19 Abs 3 UrlG für die Anwendbarkeit des § 2 Abs 2 letzter Satz UrlG gegeben. Eine Beschränkung der Wirksamkeit der novellierten Bestimmung auf Urlaubsjahre, die erst zu einem späteren Zeitpunkt im Lauf des Jahres 1994 begonnen hätten, widerspreche dem klaren Wortlaut der Übergangsregelung.

Der dagegen erhobenen Revision der Beklagten kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich jüngst in seinen Entscheidungen 8 ObA 92/97f und 9 ObA 72/97x mit der hier zu behandelnden Frage der Rückwirkung der durch BGBl 832/1995 novellierten Bestimmungen des Urlaubsgesetzes befaßt und ist dort zu dem Ergebnis gekommen, daß nur jene Dienstverhältnisse betroffen seien, die seit dem Inkrafttreten des Sozialrechtsänderungsgesetzes 1995 (SRÄG 1995) am beendet wurden. In beiden Urteilen wurde auf die ausführliche Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien 9 Ra 360/96 (in ihren wesentlichen Teilen veröffentlicht in ecolex 1997, 252) verwiesen. Dort wurde einleitend festgehalten, daß die zu lösende Rechtsfrage nicht den Urlaubsanspruch als solchen, also den Anspruch, in der für den Urlaub vorgesehenen Zeit die Verwirklichung der Urlaubszwecke wie Wiederherstellung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers usw. zu gewährleisten, betreffe, sondern das anstelle des Naturalurlaubs tretende Surrogat der Urlaubsentschädigung im Sinne des § 9 UrlG. Es verwies darauf, daß die vor der Novelle

ergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes 9 ObA 38/94 =

DRdA 1995, 336 und 8 ObA 279/94 = DRdA 1995, 339, nicht nur als

aufgrund entgeltfreier Zeitperioden verfügte Aliquotierung des Urlaubsanspruches verstanden werden, sondern ihr auch das Verständnis beigelegt werden könne, daß die Berechnung des Urlaubsentgelts mangels Entgeltsanspruches in den relevanten Zeiträumen eine Urlaubsentschädigung in der Höhe "Null" ergebe, wie dies auch Kuderna in MKK UrlG2 Rz 3 zu § 9 annehme und die übrige Literatur weitgehend billige. Das Entstehen eines Anspruches auf Urlaubsentschädigung hänge von zwei Bedingungen ab, und zwar einerseits dem Entstehen des Urlaubsanspruchs und andererseits der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einer bestimmten Weise vor Verbrauch des Urlaubs. Da die Urlaubsgesetznovelle im § 19 Abs 3 UrlG nur bezüglich der einen Bedingung "Entstehen eines Urlaubsanspruchs", nicht aber bezüglich der Bedingung "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" eine Rückwirkung anordne, könne gefolgert werden, daß die Novelle nur dann auf Urlaubsentschädigungen anzuwenden sei, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem Inkrafttreten der Novelle am beendet wurde.

Vonkilch besprach diese Entscheidung in seinem Aufsatz "Zur 'Rückwirkung' der Urlaubsgesetznovelle auf Urlaubsentschädigungen bei Dienstverhältnissen, die vor dem aufgelöst wurden" (RdW 1997, 406). Er billigte die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien insoweit, als der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von grundlegender Bedeutung sei. Zu diesem Zeitpunkt könne der Anspruch auf Urlaubsentschädigung seiner Surrogatfunktion entsprechend erst entstehen und dieser Zeitpunkt sei auch für den Anspruch auf Urlaubsentschädigung insoferne normativ entscheidend, als der Anspruch wesentlich von der Art der Beendigung abhänge. Es sprächen daher gute Gründe dafür, das zum Zeitpunkt der Beendigung eines bestimmten Arbeitsverhältnisses in Kraft stehende Recht für die Frage der Urlaubsentschädigung als maßgeblich anzusehen. Anderes habe lediglich zu gelten, wenn es sich bei der Rechtsänderung um eine authentische Interpretation des Gesetzgebers im Sinne des § 8 ABGB handle. Da eine authentische Interpretation nur ausspreche, was immer schon verbindlich war, komme ihr ipso iure "Rückwirkung" zu, d.h. sie müsse auch ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers im Einzelfall bei allen noch zu entscheidenden Rechtsfällen angewendet werden. Nur wenn der Novelle BGBl 832/1995 der Charakter einer authentischen Interpretation zu versagen wäre, sei der Ansicht des Oberlandesgerichtes Wien zuzustimmen.

Daß das SRÄG 1995 seiner Zielsetzung nach als authentische Interpretation der bereits bisher in Geltung gestandenen Rechtslage anzusehen sei, wird von Vonkilch "Zur Wirkung der Urlaubsgesetznovelle auf laufende und abgeschlossene Verfahren" (ecolex 1996, 905), Andexlinger "Gegenreform im Urlaubsrecht" (ecolex 1996, 39) und Müller "Zur Rückwirkung von Rechtsprechung und Urlaubsaliquotierung bei Krankheit" (ecolex 1996, 190), jeweils allerdings ohne eingehende Erörterung des Problems vertreten. Kuderna "Die durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz vorgenommenen Ergänzungen der §§ 2, 9, 10 und 19 des Urlaubsgesetzes" (DRdA 1996, 465 ff) vertritt in seinem die vor der Novelle ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in ungewöhnlich polemischer Art kritisierenden Aufsatz die Ansicht, daß die von der Novelle erfaßten Normen des Urlaubsgesetzes als zwingendes Recht rückwirkend ab derart anzuwenden seien, daß von diesem Zeitpunkt an Entscheidungen über Ansprüche nach der alten vor dem geltenden Rechtslage unabhängig vom Ergebnis der Entscheidung ausgeschlossen seien. In materiellrechtlicher Hinsicht würden von den novellierten Normen jene Ansprüche betroffen, die in dem im Jahr 1994 begonnenen Urlaubsjahr wurzeln, somit frühestens am entstanden seien. Der Verfasser kommt im Zusammenhang mit der Problematik der Rückwirkung nicht auf die Rechtsfigur der authentischen Interpretation zurück, sondern meint im Ergebnis, daß in Anbetracht der Judikaturdivergenzen ein schützenswertes Vertrauen der Rechtsanwender nicht bestanden habe, weshalb die Rückwirkung verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Schrank "Zur Beseitigung der Aliquotierungsjudikatur durch die UrlG-Nov - eine Replik" (ecolex 1996, 290) sieht ebenfalls offenkundig keinen Fall authentischer Interpretation, sondern führt aus, daß das besondere Inkrafttretensdatum einen normativen Sinn haben müsse. Dieser könne nur darin liegen, daß die Rückwirkung nur Urlaubsjahre treffe, die am noch aufrecht waren oder gewesen wären, was die im selben Satz angeordnete Geltung ab dem Urlaubsjahr, das im Jahr 1994 begonnen habe, auf Urlaubsjahre beschränke, die frühestens am begonnen haben. Mit dieser Auslegung würde die Rückwirkungsproblematik zwar nicht beseitigt, aber doch wesentlich entschärft.

In den bereits zitierten Urteilen des Obersten Gerichtshofes 8 ObA 92/97f und 9 ObA 72/97x wurde im SRÄG 1995 unter anderem deshalb keine authentische Interpretation gesehen, weil der Gesetzgeber eine ausdrückliche Stellungnahme zur geänderten Rechtsprechung und ihrer Richtigkeit vermieden habe. Zwar ist es zutreffend, daß eine authentische Auslegung auch schlüssig erfolgen kann, dies ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn der "disponierende Teil" eines Gesetzes logisch eine Aussage über das bestehende Recht in sich schließt (JBl 1991, 44; Posch in Schwimann ABGB2 Rz 3 zu § 8). In Anbetracht der auch von Kuderna (aaO 468) bei der Behandlung des § 9 UrlG aF zugestandenen Notwendigkeit des Bestehens eines die Fortzahlung ermöglichenden Entgeltanspruchs für die Zeit von der Entstehung des nicht verbrauchten Urlaubsanspruchs bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses für das Zurechtbestehen des Erfüllungsanspruches auf Urlaubsentschädigung (Kuderna, UrlG2 § 9 Rz 3) kann aber von einer bloßen Aussage über bestehendes Recht nicht mehr ausgegangen werden. Vielmehr ist insbesondere durch die Anfügung des letzten Satzes im § 9 Abs 1 UrlG durch das SRÄG 1995 eine Weiterentwicklung in Richtung weg von der Auffassung über die Doppelnatur des Urlaubsanspruches erfolgt (Kuderna aaO 469).

Aus der Bestimmung des § 8 ABGB ergibt sich, daß authentische Interpretationen nur dann auf alle noch zu entscheidenden Rechtsfälle anzuwenden sind, sofern der Gesetzgeber nichts anderes verfügt hat (EvBl 1957/125; 9 ObS 41/87; JBl 1988, 397 ua). Eine derartige abweichende Anordnung des Gesetzgebers liegt aber gerade im gegenständlichen Falle vor, in dem er die Rückwirkung im bereits mehrfach dargestellten Sinn geregelt hat. Wie in den beiden vorzitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen ausgeführt, wäre im Falle einer tatsächlich beabsichtigten authentischen Interpretation mit unbeschränkter Rückwirkung eine Übergangsregelung schlechthin entbehrlich, denn die Anwendung des als richtig verstandenen Rechts dürfte nicht von zeitlichen Zufälligkeiten abhängig gemacht werden. Selbst wenn daher die unmittelbar vor der Novelle gelegene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes den Gesetzgeber zum Tätigwerden bewogen hat, war diesem jedenfalls die weitere Konkretisierung des sozialen Schutzgedankens ein höheres Anliegen als im Wege einer bloß (demgegenüber umfänglich eingeschränkten) authentischen Interpretation mit unbegrenzter Rückwirkung einen lückenlosen Anschluß an die ältere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes herzustellen.

Tatsächlich führt auch diese Gesetzesauslegung zu dem einem umsichtigen Gesetzgeber ohneweiteres zuzusinnenden Ergebnis, eine leicht zu handhabende praktikable Regelung zu schaffen. Dies wäre wohl dann nicht der Fall, wenn eine gesetzliche Regelung zu dem Ergebnis führen müßte, alle vor dem beendeten Arbeitsverhältnisse einer neuerlichen "Endabrechnung zu unterziehen". Nur diese eingeschränkte Sichtweise der vom Gesetz angeordneten Rückwirkung ermöglicht es auch, dieses als verfassungskonform anzusehen (8 ObA 92/97f, 9 ObA 72/97x).

Der erkennende Senat hält daher an der bereits in den Entscheidungen 8 ObA 92/97f und 9 ObA 72/97x dargestellten Rechtsansicht fest.

Ausgehend von der somit zugrundezulegenden Rechtslage vor dem SRÄG 1995 steht der Klägerin aber der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Bei richtigem Verständnis der vor der Novelle ergangenen Entscheidungen 9 ObA 38/94 = DRdA 1995, 336 und 8 ObA 279/94 = DRdA 1995, 339 (vgl hiezu Adamovic "Die Novelle zum Urlaubsgesetz - Eine Verwirrung?" RdW 1996, 118) bestand nämlich nach der alten Gesetzeslage ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung dann nicht, wenn im letzten Urlaubsjahr überhaupt kein Entgeltanspruch bestand, also auch nicht im Zeitpunkt des Entstehens des Urlaubsanspruchs zu Beginn des neuen Urlaubsjahres. An dieser unter anderem im Ergebnis auch von Kuderna (aaO 472) gebilligten Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof auch weiterhin festgehalten (DRdA 1996, 521; 9 ObA 2299/96w; 9 ObA 2305/96b).

Der Revision ist daher Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.