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OGH vom 16.03.2006, 15Os95/05t

OGH vom 16.03.2006, 15Os95/05t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nandor P***** wegen des Finanzvergehens des Schmuggels und der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach §§ 11 zweiter Fall, 35 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom , GZ 37 S Hv 37/05f-67, nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Nandor P***** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Finanzvergehens des Schmuggels und der Hinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgaben nach §§ 35 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG in Tateinheit mit dem Finanzvergehen des vorsätzlichen Eingriffs in die Rechte des Tabakmonopols nach § 44 Abs 1 lit b FinStrG als Bestimmungstäter nach § 11 zweiter Fall FinStrG schuldig erkannt. Danach hat er „an einem noch festzustellenden Ort in der Zeit von 1998 bis Juni 2000 in wiederholten Angriffen den abgesondert verfolgten Ferenc B***** sowie weitere, unbekannte Täter dadurch bestimmt, eingangsabgabenpflichtige Waren, nämlich 4.000 Stangen Zigaretten im Wert von 121.363,63 Euro, die zugleich Gegenstände des Tabakmonopols waren, vorsätzlich vorschriftswidrig in das Zollgebiet zu verbringen, dass er ihnen auftrug, diese mit Lastkraftwagen aus Ungarn über die Grenze nach Baden zu transportieren, wobei es ihm darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (gewerbsmäßige Begehung)."

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Zu Unrecht reklamiert die Verfahrensrüge (Z 4) die Abweisung des in der Hauptverhandlung am gestellten Beweisantrages auf Ausforschung und Vernehmung des Ferenc B***** verbunden mit dem vorweg erklärten Widerspruch gegen eine Verlesung dessen früherer Angaben (S 19/II).

Das Erstgericht wies den Antrag unter Hinweis auf „§ 252 Abs 1 Z 1 2. Alternative StPO" ab (S 45/II).

Wie sich aus den Akten ergibt, wurde vom Erstgericht durchaus versucht, Ferenc B***** eine Ladung zur Hauptverhandlung zuzustellen (S 3 m); der Zeuge ist aber unbekannt verzogen (ON 65/II). Schon im Strafverfahren gegen Ferenc B***** beim Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 42 Hv 76/03z wurde wiederholt vergeblich versucht, dem Genannten, auch im Rechtshilfeweg über die ungarischen Behörden, eine Aufforderung zur Bezahlung der Geldstrafe und des Wertersatzes zuzustellen. Die Nachforschungen ergaben, dass Ferenc B***** unbekannten Ortes verzogen ist. Seit ist er zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben (ON 71 des genannten, hier schon während der Hauptverhandlung angeschlossenen Aktes). Der Antrag zielte demnach auf eine nicht durchführbare Beweisaufnahme ab, weshalb er zu Recht abgewiesen wurde (Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 31 mwN).

Demnach wurden durch die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme die sich aus Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK ergebenden Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt. Die Tatrichter nahmen übrigens in Ansehung früherer Angaben des Ferenc B*****, die nach dem Gesagten gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO zulässig verlesen wurden, auf Kontrollbeweise besonders Bedacht (vgl US 8; S 217/I).

In der Mängelrüge werden Undeutlichkeit und Unvollständigkeit (Z 5 erster und zweiter Fall) mit dem Vorbringen geltend gemacht, dass der Tatort aus dem Urteil nicht hervorgehe und bei den Feststellungen zur Tathandlung nicht darauf eingegangen worden sei, ob der Angeklagte über Lastkraftwagen verfügt habe, woher die inkriminierten Zigaretten stammen, wer der Fahrer gewesen sei „und weshalb es des Ferenc B***** bedurfte".

Ein Begründungsmangel muss den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache betreffen. Eine Tatsache ist entscheidend, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens in den Entscheidungsgründen entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch oder - im Fall gerichtlicher Strafbarkeit - darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet wurde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399).

Auf den Handlungsort kommt es in einem Fall wie dem vorliegenden nicht an: Nach § 5 Abs 1 FinStrG ist ein Finanzvergehen nur strafbar, wenn es im Inland begangen ist. Nach § 5 Abs 2 FinStrG ist das Finanzvergehen unter anderem dann im Inland begangen, wenn der dem Tatbild entsprechende Erfolg im Inland eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen. Demnach hat der Tatort hier keine Bedeutung für die Strafbarkeit des Angeklagten. Unvollständigkeit im Sinn der Z 5 liegt vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (WK-StPO § 281 Rz 421). Ein solcher Begründungsmangel wird aber mit dem erwähnten Beschwerdevorbringen nicht aufgezeigt.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit dem Vorbringen, dass eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen B***** nicht stattgefunden habe, dass dieser den Angeklagten „außerhalb des Protokolls" als Organisator des Zigarettenschmuggels genannt und dass dem Angeklagten die abgesondert nach dem Finanzstrafgesetz verurteilten Mittäter Helmut H***** und Ferenc B***** nicht bekannt gewesen wären, keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofes gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Der Beschwerdeführer übergeht, dass B***** in einer Niederschrift bestätigte, auf einem ihm vorgehaltenen Lichtbild den Angeklagten zu erkennen (S 227/I, 35 f/II), und dass den im Urteil zitierten Erhebungen zufolge im Mobiltelefon des Ferenc B***** eine dem Angeklagten zugewiesene ungarische Mobiltelefonnummer gespeichert war (S 217/I).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung des Verteidigers bei nicht öffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO). Ein Anlass zu einem Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO ist übrigens nicht gegeben:

Das Finanzstrafgesetz dient dem Schutz des Anspruchs auf die in § 2 Abs 1 FinStrG genannten Abgaben und dem Schutz von Finanzmonopolen des Bundes (EBRV 295 BlgNR 8. GP 49, 54).

Das Finanzvergehen nach § 44 Abs 1 lit b FinStrG verwirklicht, wer zu seinem oder eines anderen Vorteil vorsätzlich Monopolgegenstände einem monopolrechtlichen Einfuhr- oder Ausfuhrverbot zuwider ein- oder ausführt.

Nach den Bestimmungen des Tabakmonopolgesetzes 1996 sind Tabakerzeugnisse im Monopolgebiet dem Bund als Monopolgegenstände vorbehalten (§ 1 Abs 1 TabMG 1996). Monopolgebiet ist das Bundesgebiet, ausgenommen das Gebiet der Ortsgemeinden Jungholz (Tirol) und Mittelberg (Vorarlberg; § 1 Abs 3 TabMG 1996). Mit wurden die monopolrechtlichen Bestimmungen durch Aufhebung der §§ 2 und 4 TabMG 1996 gelockert. Seither sind die Überführung von Tabakerzeugnissen in den zollrechtlich freien Verkehr zu gewerblichen Zwecken im Monopolgebiet und die gewerbliche Herstellung von Tabakerzeugnissen im Monopolgebiet nicht mehr durch das Tabakmonopolgesetz beschränkt (Art VII Z 1 und 3 des 2. AbgabenänderungsG 2002, BGBl I 2002/132). Nach dem gesetztes Verhalten wird daher nicht von § 44 Abs 1 lit b FinStrG erfasst.

Das hier in Rede stehende Verhalten fand jedoch davor statt, nämlich in der Zeit von 1998 bis Juni 2000. Das Urteil erster Instanz wurde nach der Änderung des Tabakmonopolgesetzes gefällt. Laut § 4 Abs 2 FinStrG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung erster Instanz geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre. Diese mit § 3 Abs 2 der Regierungsvorlage zum FinStrG übereinstimmende Regelung (295 BlgNR 8. GP 1) verankert den Grundsatz, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn sie zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war (§ 4 Abs 1 FinStrG), und den weiteren Grundsatz der Nichtrückwirkung strengeren Rechtes (vgl § 4 Abs 2 FinStrG) uneingeschränkt auch für Finanzvergehen (EBRV 295 BlgNR 8. GP 54).

§ 4 Abs 2 FinStrG regelt demnach die Anwendung des materiellen Finanzstrafrechts bei Änderungen, Aufhebungen und Ergänzungen desselben, sofern keine hievon abweichenden Übergangsbestimmungen erlassen werden. Wenn das zur Zeit der Entscheidung erster Instanz geltende Strafrecht für den Täter günstiger ist, wirkt es zurück. Daher wirkt auch die ersatzlose Aufhebung eines finanzstrafrechtlichen Tatbestandes und einer ebensolchen Qualifikationsbestimmung zurück. Der Grundsatz der Rückwirkung der ersatzlosen Aufhebung von Normen zwischen der Tat und der Entscheidung erster Instanz gilt nicht bei außerstrafrechtlichen Gesetzen (Dorazil/Harbich FinStrG § 4 Anm 2 und 5):

Unbeachtlich bleibt nach § 4 Abs 2 FinStrG eine Änderung außerstrafrechtlicher Gesetze ohne Änderung der strafrechtlichen Bewertung menschlichen Verhaltens (dazu anschaulich Dorazil/Harbich FinStrG § 4 Anm 5 Punkt b; vgl die zahlreichen Nachweise aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes bei Dorazil/Harbich FinStrG § 4 E 50 ff;

ausführlich 11 Os 130/90 = SSt 61/49; Rudolphi, SK StGB26 § 2 Rz 8c;

Fellner, Kommentar zum Finanzstrafgesetz § 4 Rz 9, Seiler/Seiler, Kommentar zum Finanzstrafgesetz § 4 Rz 8 ff, je mwN). Vor dem begangene, von § 44 Abs 1 lit b FinStrG erfasste Monopolverstöße bleiben somit strafbar (Seiler/Seiler, aaO § 44 Rz 8; aM die vereinzelt gebliebenen Entscheidungen 14 Os 23/02, 14 Os 43/04 und 11 Os 112/04).

Daher wurde im vorliegenden Fall zu Recht auf die Fassung des Tabakmonopolgesetzes zur Tatzeit (1998 bis Juni 2000) abgestellt und die Strafbarkeit des Angeklagten nach §§ 11 zweiter Fall, 44 Abs 1 lit b FinStrG zutreffend bejaht.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.