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VfGH vom 28.02.1980, B295/78

VfGH vom 28.02.1980, B295/78

Sammlungsnummer

8738

Leitsatz

AVG 1950 § 63 Abs 3; Entzug des gesetzlichen Richters durch gesetzwidrige Zurückweisung einer Berufung

Spruch

Die Bescheide werden aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Die Beschwerdeführer stehen als Hauptschul- bzw. Volksschullehrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Vbg.

Für das Schuljahr 1976/77 wurden ihre Gesamtbeurteilungen wie folgt festgesetzt:

Mit Bescheid der Lehrerdienstbeschreibungskommission bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom jene der Beschwerdeführerin B. M. mit "entsprechend";

mit Bescheid der Lehrerdienstbeschreibungskommission bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom jene des Beschwerdeführers G. St. mit "entsprechend";

mit Bescheid der Lehrerdienstbeschreibungskommission bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom jene des Beschwerdeführers K. S. mit "gut";

mit Bescheid der Lehrerdienstbeschreibungskommission bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom jene des Beschwerdeführers F. W. mit "gut".

b) Gegen diese Bescheide haben die vier Beschwerdeführer Berufung erhoben.

Die Dienstbeschreibungsoberkommission beim Amt der Vbg. Landesregierung hat mit Bescheiden vom diese Berufungen wegen Fehlens eines Berufungsantrages als unzulässig zurückgewiesen.

2. Gegen diese Berufungsbescheide wenden sich die vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt wird.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Die angefochtenen Bescheide haben die Weigerung der belangten Dienstbeschreibungsoberkommission zum Inhalt, anläßlich der Berufungen der Beschwerdeführer Sachentscheidungen zu treffen.

Richtig erkennen die Beschwerdeführer, daß diese Weigerung sie im Falle der Rechtswidrigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB Erk. vom B252/76) im geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt hätte.

Eine solche Rechtsverletzung hat, wie die folgenden Ausführungen nachweisen, in der Tat stattgefunden.

b) Die angefochtenen Bescheide werden im wesentlichen wie folgt begründet:

"Gemäß § 4 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes sind die Bestimmungen des AVG 1950 auch auf das Verfahren in Dienstbeschreibungsangelegenheiten anzuwenden, wenn die Gesetze und Verordnungen dafür kein besonderes Verfahren vorschreiben. Der § 54 LDG bestimmt lediglich, daß der beurteilte Landeslehrer gegen die Gesamtbeurteilung Berufung erheben kann, ohne hiefür bestimmte Verfahrensvorschriften zu normieren. Die gemäß § 4 Abs 4 des Landeslehrer-Diensthoheitsgesetzes eingerichtete Dienstbeschreibungsoberkommission hatte daher die Bestimmungen des AVG 1950 anzuwenden. Der § 63 Abs 3 AVG 1950 bestimmt, daß eine Berufung den Bescheid, gegen den sie sich richtet, zu bezeichnen und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat. Mit dieser Bestimmung sollte keinesfalls ein dem Geist des AVG fremder übertriebener Formalismus in das Verwaltungsverfahren eingeführt werden, doch ist der Sinn dieser Bestimmung, daß einerseits das Berufungsbegehren, andererseits die Begründung hiefür ersichtlich sein müssen. Es muß nicht unbedingt eine formell einwandfrei ausdrückliche Formulierung des Berufungsantrages gefordert werden, doch muß aus den Berufungsausführungen unzweifelhaft hervorgehen, welche Entscheidung der Berufungswerber begehrt."

In den Bescheidbegründungen wird sodann dargetan, daß nach Ansicht der Dienstbeschreibungsoberkommission in den Berufungen ein Berufungsantrag fehle.

c) In erster und in zweiter Instanz haben die zuständigen Behörden entschieden (vgl. § 4 des Vbg. Landeslehrer-Diensthoheitsgesetzes. LGBl. 34/1964, idF der Nov. LGBl. 25/1976).

Die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide der Lehrerdienstbeschreibungskommission wurden im Dezember 1977 erhoben. Die Frage, ob diesen Rechtsmitteln der Charakter von dem Gesetz entsprechenden Berufungen zukommt, ist anhand der Rechtslage zu diesem Zeitpunkt zu beurteilen.

Damals galt § 1 Abs 3 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes, BGBl. 54/1958 (DVG). Die durch § 133 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1977 (BDG 1977) verfügte Änderung des § 1 Abs 3 DVG trat erst mit (§144 Abs 1 Z 2 BDG 1977) in Kraft.

§1 Abs 1 DVG bestimmt, daß auf das Verfahren in Angelegenheiten des öffentlich-rechtlichen Dienst-, Ruhe- oder Versorgungsverhältnisses ua. zu den Ländern die Bestimmungen des AVG 1950 mit den nachstehenden Abweichungen anzuwenden sind.

§1 Abs 3 DVG in der erwähnten Fassung hat gelautet:

"Auf das Verfahren in Disziplinar-(Dienststraf-)Angelegenheiten und in Qualifikations-(Dienstbeschreibungs-)Angelegenheiten finden die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes keine Anwendung, wenn die Gesetze und Verordnungen dafür ein besonderes Verfahren vorschreiben."

Nun sieht das VI. Hauptstück (§§50 ff.) des Landeslehrer-Dienstgesetzes, BGBl. 245/1962, in der (hier maßgeblichen) Fassung vor dem (mit erfolgten) Inkrafttreten der Nov. BGBl. 261/1978 (ArtIV Abs 1 dieser Nov.) - also idF der Nov. BGBl. 288/1969 und 306/1975 - ein besonderes Verfahren für die Dienstbeschreibung vor.

§54 leg. cit. enthält Vorschriften über die Berufung. Nach Abs 1 kann gegen die Gesamtbeurteilung der beurteilte Landeslehrer Berufung erheben. Nach Abs 2 ist die Berufung binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen und von dieser der zur Berufungsentscheidung zuständigen Behörde vorzulegen. Nach Abs 3 ist gegen die Entscheidung über die Berufung kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. Dem Abs 4 zufolge ist die rechtskräftige Gesamtbeurteilung in den Standesausweis einzutragen.

Der VfGH hat im Erk. vom , B252/76, S 6 ausgeführt, daß § 1 Abs 3 DVG (in der vor der Änderung durch § 133 BDG 1977 geltenden Fassung) die Anwendung der Bestimmungen des DVG in Qualifikations-(Dienstbeschreibungs-)Angelegenheiten bereits dann ausschließe, wenn die Gesetze und Verordnungen dafür ein besonderes Verfahren, also eine verfahrensrechtliche Regelung überhaupt vorsehen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob im Hinblick auf die Regelung des § 54 Landeslehrer-Dienstgesetz diese Überlegungen des VfGH auf die vorliegenden Fälle übertragbar sind und daher § 1 Abs 1 DVG iVm § 63 Abs 3 AVG 1950 hier überhaupt nicht anzuwenden war. Denn selbst wenn in diesen Fällen die zitierte Bestimmung des AVG (wonach eine Berufung den Bescheid, gegen den sie sich richtet, zu bezeichnen und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat) heranzuziehen war, wurden die Berufungen zu Unrecht zurückgewiesen:

Der VfGH hat in seiner Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der ständigen Judikatur des VwGH ausgedrückt, daß einer zwar als "Berufung" bezeichneten Eingabe, die keinen begründeten Berufungsantrag enthält, ein wesentlicher Bestandteil fehle; es mangle einer derartigen Eingabe der Charakter einer Berufung iS des AVG (vgl. zB und die dort zitierte Vorjudikatur). Die Rechtsprechung des VfGH und des VwGH hat jedoch stets betont, daß die erwähnte Gesetzesbestimmung nicht formalistisch ausgelegt werden darf. Es genügt, daß die Berufung erkennen läßt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. die bei Mannlicher - Quell, Das Verwaltungsverfahren, 8. Aufl., s. Anm. 10 zu § 63 Abs 3 AVG und die auf S 919 und 925 zitierte Judikatur).

Die in Rede stehenden vier Berufungen bezeichnen die Bescheide, gegen die sie sich richten, und enthalten ausführliche Begründungen. Formelle Berufungsanträge werden zwar nicht gestellt, jedoch ergibt sich aus den Berufungen ganz eindeutig, daß die Beschwerdeführer eine Verbesserung ihrer Gesamtbeurteilungen für das Schuljahr 1976/77 anstreben, auch wenn sie nicht anführen, welche konkrete bessere Note sie als richtig ansehen. Nach § 52 Landeslehrer-Dienstgesetz in der maßgeblichen Fassung (s. o. II.1.c) waren für die Gesamtbeurteilung folgende Bezeichnungen zu verwenden: "Ausgezeichnet, sehr gut, gut, entsprechend, nicht entsprechend".

Es war also ohne weiteres zu erkennen, was die Berufungswerber (die nunmehrigen Beschwerdeführer) angestrebt haben.

d) Die belangte Behörde hat sohin die von den Beschwerdeführern erhobenen Berufungen zu Unrecht zurückgewiesen und sie dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Die Bescheide waren aus diesem Grunde aufzuheben.