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OGH vom 16.12.2008, 11Os170/08x

OGH vom 16.12.2008, 11Os170/08x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gebert als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ernst H***** wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Abs 1 Z 1) StGB, AZ 3 U 189/07d des Bezirksgerichts Kufstein, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Kufstein vom , GZ 3 U 189/07d-31, sowie die Begründung des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom , AZ 21 Bl 165/08k (ON 35 der U-Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 3 U 189/07d des Bezirksgerichts Kufstein verletzen das Gesetz

1. der Beschluss des Bezirksgerichts Kufstein vom , GZ 3 U 189/07d-31, in § 57 Abs 2 und Abs 3 iVm § 58 Abs 3 Z 2 StGB;

2. der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom , AZ 21 Bl 165/08k (ON 35), mit dem in seiner Begründung vertretenen Standpunkt, das anzuwendende Recht sei auf der Grundlage von § 323 StGB zu ermitteln, in Art VI des Bundesgesetzes mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Strafgesetzbuch, das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Finanzstrafgesetz geändert werden, BGBl I 2007/93 (sog. Strafprozessreformbegleitgesetz I).

Text

Gründe:

Im Strafverfahren AZ 3 U 189/07d des Bezirksgerichts Kufstein liegt dem deutschen Staatsangehörigen Ernst H***** aufgrund des Antrags auf Bestrafung der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom , 75 BAZ 743/07h (ON 5 der U-Akten), das (am begangene) Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Abs 1 Z 1) StGB zur Last. Infolge eines fehlgeschlagenen Ladungsversuchs zu der für den anberaumten Hauptverhandlung (ON 6, 11) wurde der (gerichtlich noch nicht vernommene) Beschuldigte aufgrund des Ersuchens des Bezirksgerichts Kufstein vom (ON 12) von der Polizei am zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben (ON 13).

Nachdem der Beschuldigte auch zur Hauptverhandlung vom nicht (rechtzeitig) gekommen war (ON 22, 24), stellte das Bezirksgericht mit Beschluss vom (ON 31) das Strafverfahren gemäß § 451 Abs 2 StPO ein. Es vertrat die Ansicht, dass nach den seit geltenden und für den Beschuldigten günstigeren Verjährungsbestimmungen der gerichtlich angeordneten Fahndung keine die Verjährung hemmende Wirkung mehr zukomme; die am begangene Tat sei daher nach Ablauf der einjährigen Verjährungsfrist - mangels Verlängerung gemäß § 58 Abs 3 StGB idgF - verjährt.

Das Landesgericht Innsbruck gab der von der Staatsanwaltschaft Innsbruck dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , AZ 21 Bl 165/08k (ON 35), Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Das Beschwerdegericht führte dazu im Wesentlichen aus, dass „gemäß § 323 Abs 2 StGB" und infolge des Günstigkeitsvergleichs nach §§ 1, 61 StGB von der neuen Rechtslage auszugehen sei und die „neuen Verjährungsbestimmungen" anzuwenden wären. Da dem Gesetz ein qualitativer Unterschied zwischen einer von der Staatsanwaltschaft und einer vom Gericht angeordneten Fahndungsmaßnahme nicht zu entnehmen sei, hemme die vom Bezirksgericht Kufstein im Hauptverfahren angeordnete Aufenthaltsermittlung vom auch nach der neuen Rechtslage die Verjährung.

Rechtliche Beurteilung

Sowohl der Beschluss des Bezirksgerichts Kufstein vom , GZ 3 U 189/07d-31, als auch Teile der Begründung des Beschlusses des Landesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom , AZ 21 Bl 165/08k (ON 35), stehen - wie die Generalprokuratur überwiegend zutreffend in ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

§ 323 StGB bezieht sich nur auf den Wechsel vom StG zum StGB, während auf die hier in Rede stehende Novellierung des § 58 Abs 3 StGB im Zuge der Begleitgesetzgebung zum StPRefG die (im Vergleich zu § 323 StGB nahezu gleichlautende) Übergangsbestimmung des Art VI des Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Strafgesetzbuch, das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Finanzstrafgesetz geändert werden, BGBl I 2007/93 (sog. Strafprozessreformbegleitgesetz I), Anwendung findet. Danach sind die durch das zitierte Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil in erster Instanz gefällt worden ist. Nach Aufhebung eines Urteils infolge Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung, Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahren oder infolge eines Einspruchs ist jedoch im Sinne der §§ 1, 61 StGB vorzugehen.

Im Anlassfall sind daher seit auch die durch das Bundesgesetz BGBl I 2007/93 geänderten Verjährungsbestimmungen der §§ 57 ff StGB anzuwenden, doch ist für die Frage allfälliger Verjährungshemmung vor Inkrafttreten des StPRefBeglG I Folgendes zu beachten:

Aus der Rechtsnatur der Verjährung als Strafaufhebungsgrund (E. Fuchs in WK2 Vorbem zu §§ 57 bis 60 [2007] Rz 1 bis 3) folgt, dass die zunächst gegebene Strafbarkeit einer Tat zu einem darauf folgenden Zeitpunkt (durch Fristablauf) beseitigt wird. Das bedeutet, dass die Verjährungsbestimmungen ihre strafbefreiende Wirkung erst mit Ablauf der Verjährungsfrist entfalten (E. Fuchs in WK2 Vorbem zu §§ 57 bis 60 [2007] Rz 7), wobei § 58 StGB Umstände für eine Verlängerung dieser Frist („Hemmung") normiert. Der in Schrifttum und Judikatur gebräuchliche Begriff „Hemmung" beschreibt einen prozessualen Zustand, in dem der An-, Ab- oder (wie hier) Fortlauf der Verjährungsfrist gehindert ist. Ein solcherart bereits verwirklichter Zustand wird durch eine nachträgliche Änderung der Gesetzeslage - auch ohne ausdrückliches Rückwirkungsgebot - nicht beseitigt. Eine Hemmung nach früherem Recht wird durch eine Gesetzesänderung nicht rückwirkend unwirksam (RIS-Justiz RS0072368 und RS0091909, zuletzt 12 Os 78/08z [12 Os 79/08x, 12 Os 80/08v]; E. Fuchs in WK² § 57 [2007] Rz 23).

Damit ist eine vor dem eingetretene Verjährungshemmung - dem Standpunkt des Erst- und des Beschwerdegerichts zuwider - nach den damals geltenden Verjährungsbestimmungen zu beurteilen. Das bedeutet im Anlassfall, dass durch die am vom Bezirksgericht Kufstein getroffene Verfügung der Zustellung des Bestrafungsantrags an den Beschuldigten (S 1 im AV-Bogen) Gerichtsanhängigkeit bewirkt und damit gemäß § 58 Abs 3 Z 2 StGB aF der Fortlauf der Verfolgungsverjährung - vorerst bis - gehemmt wurde.

Die Frage nach dem Weiterlaufen der restlichen Verjährungszeit (von - nach der Aktenlage - zehn Monaten und einem Tag) ab ist hingegen nach der durch Art II Z 2 lit a des Bundesgesetzes BGBl I 2007/93 (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB) novellierten Rechtslage zu beantworten.

Das Landesgericht Innsbruck führt dazu wörtlich aus:

Gemäß § 169 Abs 1 StPO neu ordnet im Ermittlungsverfahren die Personenfahndung die Staatsanwaltschaft an. Nach Einbringung der Anklageschrift bzw des Strafantrags - somit im Stadium des Hauptverfahrens - werden auch nach der neuen Rechtslage Fahndungsmaßnahmen stets von den Gerichten anzuordnen sein. Ein qualitativer Unterschied der von der Staatsanwaltschaft bzw den Gerichten angeordneten Fahndungsmaßnahmen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Darüber hinaus kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er durch eine derartige Differenzierung von Fahndungsmaßnahmen eine Verjährung von Straftaten bewirken und solcherart die Verfolgung von Straftätern verhindern will. Es ist vorliegend daher davon auszugehen, dass die vom Bezirksgericht Kufstein im Hauptverfahren angeordnete Aufenthaltsermittlung vom , die im Übrigen noch aufrecht ist, auch nach der neuen Rechtslage die Verjährung hemmt, weshalb in Stattgebung der Beschwerde der angefochtene Beschluss zu kassieren und dem Erstgericht die Verfahrensfortsetzung aufzutragen war.

Die Generalprokuratur sieht darin den Versuch, im Wege unzulässiger Analogie auch gerichtliche Ausschreibungen dem (ausdrücklich nur Anordnungen der Staatsanwaltschaft betreffenden) zweiten Anwendungsfall des § 58 Abs 3 Z 2 StGB (idgF) zu unterstellen.

Diesem Vorwurf vermag sich der Oberste Gerichtshof im Grunde der zitierten Argumentation des Beschwerdegerichts nicht anzuschließen.

Zur Frage, ob gerichtliche Fahndungsmaßnahmen von § 58 Abs 3 Z 2 StGB erfasst sind, ist allerdings grundlegend - und weitgehend in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur - auszuführen:

Nach den Intentionen des Gesetzgebers (vgl EBRV 231 BlgNR XXIII. GP 25) ist dem Begriff „Zwang" (im Sinn des dritten Falls leg cit) grundsätzlich ein weites Verständnis zu unterlegen. Er erstreckt sich auch auf Maßnahmen zur Personenfahndung im Sinn des § 167 Z 1 StPO, ohne dass zwischen einer staatsanwaltschaftlichen und einer - auch nach der neuen Rechtslage möglichen (vgl § 210 Abs 3 erster Satz StPO) - gerichtlichen Anordnung unterschieden wird (E. Fuchs in WK² § 58 [2007] Rz 28). Mit der expliziten Hervorhebung staatsanwaltschaftlich veranlasster Fahndungen im zweiten Fall des § 58 Abs 3 Z 2 StGB sollten bloß im Begutachtungsverfahren hervorgekommene Unsicherheiten beseitigt werden, ohne damit die verjährungshemmende Wirkung einer Fahndung exklusiv auf staatsanwaltschaftlich angeordnete Maßnahmen einzuschränken.

Das auf §§ 93 Abs 1, 105 Abs 1 StPO verweisende Klammerzitat in § 58 Abs 3 Z 2 dritter Fall StGB ist dabei keineswegs als abschließende Definition von „Zwang" im Sinn des reformierten Strafprozesses aufzufassen, sondern wird damit vielmehr - der Systematik des neuen Ermittlungsverfahrens Rechnung tragend - klargestellt, dass nunmehr auch der Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt durch die Kriminalpolizei (§ 93 Abs 1 StPO) und auf gerichtlichen Entscheidungen beruhenden Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte subjektive Rechte (§ 105 Abs 1 StPO) ebendiese Rechtsfolge zukommt, wenn sie gegen den Täter wegen der Tat erfolgen.

Ein Gericht kann - ebenso wie eine Staatsanwaltschaft - Fahndungsmaßnahmen immer nur anordnen oder bewilligen (also veranlassen), nicht aber selbst ausüben.

Der Verweis auf § 93 Abs 1 StPO bewirkt zweierlei: er deckt einerseits das Einschreiten der Kriminalpolizei aus eigener Macht, andererseits aber auch die Zwangsausübung über Anordnung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts (Satz 1 leg cit). Wenn also die Polizei eine Fahndungsmaßnahme (§§ 413 ff StPO aF; §§ 167 ff StPO idgF) vornimmt, übt sie Zwang über Anordnung aus.

Somit ist auch die vom Gericht angeordnete Fahndungsmaßnahme gegen einen bestimmten Täter wegen einer bestimmten Tat (vgl 15 Os 130/07t) - sei es nach altem Recht oder nach § 210 Abs 3 StPO - ein verjährungshemmender Umstand iSv § 58 Abs 3 Z 2 dritter Fall StGB mit Wirkung ab deren konkreter Umsetzung durch die Polizei (arg: „Ausübung"), bei „Altfällen" allerdings erst ab . Eine staatsanwaltschaftliche Fahndungsanordnung kommt in diesen Fällen gar nicht in Betracht, weil nach der Übergangsbestimmung des § 516 Abs 5 StPO bei Gericht am anhängige Vorerhebungen, die nach §§ 412 oder 452 Z 2 StPO aF abgebrochen wurden, erst nach Ausforschung des Beschuldigten an die Staatsanwaltschaft zu übertragen sind, die (erst) ab diesem Zeitpunkt das Verfahren nach den neuen Verfahrensbestimmungen gemäß § 197 StPO fortzusetzen hat.

Staatsanwaltschaftlich angeordnete Fahndungen nach § 168 Abs 1 StPO wurden im Sinn einer lex specialis besonders herausgehoben (vgl neuerlich die zitierte Regierungsvorlage, wonach insbesondere eine nur [diese Einschränkung ist historisch aufgrund der früheren, primär auf Untersuchungsrichter abstellenden Konstruktion des Vorverfahrens zu erklären] von der Staatsanwaltschaft anzuordnende Personenfahndung zur Aufenthaltsermittlung die Verjährung hemmt; instruktiv für den Werdegang auch der Ministerialentwurf 87/ME XXII. GP 24 und die Erläuterungen dazu 18, wo sehr weit an § 1 Abs 2 StPO angeknüpft wird). Argumento „Ergreifung" wird die Verjährungsfrist nach diesem (zweiten) Fall des § 58 Abs 3 Z 2 StGB allerdings bereits mit der Anordnung gehemmt.

Für eine weite Auslegung des normativen Begriffs „Zwang" in § 58 Abs 3 Z 2 StGB spricht überdies die korrespondierende Bestimmung des § 193 Abs 2 Z 1 StPO über die Möglichkeit der (formlosen) Fortführung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft, in der darauf abgestellt wird, dass der Beschuldigte noch nicht förmlich vernommen (§§ 164, 165 StPO) und noch kein „Zwang" gegen ihn ausgeübt wurde, womit an die Bedeutung der „Behandlung als Beschuldigter" gemäß § 363 Z 1 StPO aF angeknüpft werden sollte (EBRV zum StPRefG, BGBl I 2004/19, 25 BlgNR XXII. GP 233).

Letztlich sei bemerkt, dass das entwickelte Auslegungsergebnis - dem die Argumentation des Landesgerichts Innsbruck durchaus entspricht - der entstehungsbedingt überaus kasuistischen Norm des § 58 Abs 3 Z 2 StGB nicht im Widerspruch zum wesentlich einfacheren § 31 Abs 4 lit b FinStrG steht, wonach in die Verjährungsfrist Zeiten nicht eingerechnet werden, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, bei Gericht oder bei einer Finanzstrafbehörde geführt wird.

Die vom Bezirksgericht Kufstein am veranlasste Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung entfaltet somit auch nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I 2007/93 mit - nunmehr als angeordnete Ausübung von Zwang im Sinn des § 58 Abs 3 Z 2 dritter Fall StGB idgF - verjährungshemmende Wirkung.

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen keine Nachteile für den Angeklagten zur Folge hatten, kann es mit deren Feststellung sein Bewenden haben (§ 292 fünfter Satz StPO).

Den Anträgen auf Feststellung weiterer Gesetzesverletzungen in der Begründung des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck – mit den Standpunkten, „§ 58 Abs 3 StGB idgF sei auch auf vor dem verwirklichte Prozesshandlungen anzuwenden, in § 57 Abs 2 und Abs 3 iVm § 58 Abs 3 Z 2 StGB (idF vor und nach BGBl I 2007/193)" sowie „eine gerichtlich veranlasste Aufenthaltsermittlung sei einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten Fahndungsmaßnahme (§ 58 Abs 3 Z 2 zweiter Fall StGB) gleichzuhalten, im aus der Bestimmung des § 1 Abs 1 StGB abgeleiteten Analogieverbot" - vermochte der Oberste Gerichtshof aus den dargelegten Gründen nicht näherzutreten.