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VfGH vom 12.12.1996, B2903/95

VfGH vom 12.12.1996, B2903/95

Sammlungsnummer

14713

Leitsatz

Bescheidcharakter der angefochtenen Erledigungen der Gleichbehandlungskommission betreffend Feststellungen des Vorliegens sexueller Belästigung aufgrund Erscheinungsform und Duktus; Zuordnung zu einer Verwaltungsbehörde nicht ausgeschlossen; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Inanspruchnahme einer vom Gesetz nicht eingeräumten Zuständigkeit durch diese in Bescheidform gekleideten Tatsachenfeststellungen

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist verpflichtet, der zu B2903/95 und B3662/95 beschwerdeführenden Partei die mit insgesamt S 36.000,-- und der zu B2934/95 beschwerdeführenden Partei die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die - gemäß § 3 Abs 1 des Gleichbehandlungsgesetzes, BGBl. 108/1979 idF des BG BGBl. 833/1992 (im folgenden kurz: GleichbG), iVm Abschnitt A Ziffer 14 des Teiles 2 der Anlage zu § 2 des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. 76 idF BGBl. 45/1991, eingerichtete - Gleichbehandlungskommission beim Bundeskanzleramt (im folgenden kurz: GBK) hat am einen Beschluß gefaßt. Dieser hat folgenden Wortlaut (die Namen der beteiligten Personen sind in der nachstehenden Wiedergabe abgekürzt):

"BESCHLUSS

Die Gleichbehandlungskommission beim Bundeskanzleramt hat am

über Antrag der Arbeiterkammer für Tirol betreffend

Frau T gemäß § 2 Abs 1b Gleichbehandlungsgesetz ... nach

Durchführung eines Verfahrens gemäß § 6 leg.cit. iVm § 4 leg.cit.

im Fall 'A ... Versicherung Aktiengesellschaft' Nachstehendes

beschlossen:

Frau T wurde von den Herren G, A sowie W über einen Zeitraum von ca. 1 1/2 Jahren im Sinne des § 2 Abs 1b Gleichbehandlungsgesetz sexuell belästigt."

Nach einer Begründung lautet es abschließend:

"Rechtsfolgen:

Gemäß § 2a Abs 7 GlBG hat ein/e infolge sexueller Belästigung im Zusammenhang mit seinem/ihrem Arbeitsverhältnis diskriminierte/r Arbeitnehmer/in gegenüber dem Belästiger Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens. Soweit der Nachteil nicht in einer Vermögenseinbuße besteht, hat der/die Arbeitnehmer/in zum Ausgleich des durch die Verletzung der Würde entstandenen Nachteils Anspruch auf angemessenen, mindestens jedoch auf öS 5.000,-- Schadenersatz."

Diese Erledigung wurde mit dem Datum ausgefertigt und (u.a.) den nunmehrigen Beschwerdeführern vor dem Verfassungsgerichtshof (den Herren A und W) am 10. (11.) August 1995 zugestellt.

b) Am faßte die GBK in derselben Sache neuerlich Beschluß, den sie am selben Tag ausfertigte. (Es handelt sich um eine "korrigierte Fassung des (mit Datum ausgefertigten) Beschlusses vom ".) Die GBK traf - mit einer gegenüber der ersten Erledigung ergänzten Begründung - dieselbe Feststellung wie im Beschluß vom . Die Erledigung vom enthält einen gleichlautenden Hinweis hinsichtlich der Rechtsfolgen wie jene vom .

Ein arbeitsgerichtliches Verfahren fand in der Folge nicht statt.

2. Gegen den (mit Datum ausgefertigten) Beschluß vom erheben Herr A (zu B2934/95) und Herr W (zu B2903/95) Beschwerde. Weiters wendet sich W mit einer zu B3662/95 protokollierten Beschwerde gegen den Beschluß vom . (Der dritte in den Beschlüssen erwähnte Mann - Herr G - tritt nicht als Beschwerdeführer auf.)

Alle drei Beschwerden werden auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützt. Die Beschwerdeführer gehen davon aus, daß die angefochtenen Erledigungen Bescheide seien. Die Einschreiter behaupten, in näher bezeichneten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein und beantragen, die bekämpften Erledigungen kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die GBK hat Gegenschriften erstattet. Sie begehrt primär, die Beschwerden mangels Zulässigkeit zurückzuweisen (ihre bekämpften Beschlüsse seien nicht als Bescheide zu qualifizieren), in eventu, die Beschwerden als unbegründet abzuweisen.

4. Auch der zur Stellungnahme eingeladene Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes meint, daß den angefochtenen Erledigungen der Bescheidcharakter mangle.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.a) Gemäß Art 144 Abs 1 B-VG können nur Bescheide beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden.

Der Verfassungsgerichtshof hatte sich bereits wiederholt (vgl. z. B. VfSlg. 13723/1994 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur) mit der Frage zu beschäftigen, ob eine bei ihm bekämpfte Erledigung, die - wie auch in den vorliegenden Beschwerdefällen - nicht als "Bescheid" bezeichnet war, dennoch als Bescheid iS des Art 144 Abs 1 B-VG zu qualifizieren ist.

In seiner bisherigen ständigen Judikatur kam er zum Ergebnis, daß dies dann anzunehmen ist, wenn die Erledigung gegenüber individuell bestimmten Personen eine Verwaltungsangelegenheit in einer der Rechtskraft fähigen Weise normativ regelt, wenn sie also für den Einzelfall bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Gegenstand hat, ob sie nun in Form eines Bescheides nach den §§56 ff. AVG ergeht oder nicht. In Ermangelung der nach dem AVG für Bescheide vorgesehenen Form muß deutlich erkennbar sein, daß die Dienststelle dennoch den - objektiv erkennbaren - Willen hatte, mit der Erledigung gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen. Wesentliche Voraussetzung für die Qualifikation einer Erledigung als Bescheid ist nach dem Gesagten deren individuell-normativer Inhalt (vgl. z. B. VfSlg. 13099/1992, 13641/1993, S 697; 13642/1993, S 705; , B406/95).

Ob ein - abstrakt als Behörde zu qualifizierendes - Verwaltungsorgan hoheitliche Befugnisse durch Erlassung eines Bescheides in Anspruch genommen hat, ist am Inhalt des Verwaltungsaktes zu messen und festzustellen (vgl. VfSlg. 12574/1990 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

b) Da die GBK eine ursprünglich (gem. § 3 Abs 1 GleichbG) beim Bundesministerium für soziale Verwaltung, nunmehr (aufgrund der oben (Pkt. I.1.a) genannten Bestimmung in der Anlage zu § 2 des Bundesministeriengesetzes 1986) beim Bundeskanzleramt eingerichtete Dienststelle des Bundes und daher in organisationsrechtlicher Hinsicht jedenfalls Teil einer Verwaltungsbehörde ist, kann die Bescheidqualität der angefochtenen Erledigungen nicht schon von vornherein mit der Begründung verneint werden, sie stammten von keiner Verwaltungsbehörde.

c) Eine Deutung der Erledigungen als Gutachten iS des § 5 Abs 1 GleichbG (über Fragen der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes auf Verlangen der Anwältin für Gleichbehandlungsfragen) scheidet der Sache nach aus. Die angefochtenen Erledigungen sind auch ausdrücklich nur auf § 6 (iVm § 4) des GleichbG gestützt.

§ 6 leg. cit. lautet:

"§6

(1) Auf Antrag eines Arbeitnehmers, eines Arbeitgebers, eines Betriebsrates, einer der in § 3 Abs 3 Z 1 bis 4 genannten Interessenvertretungen auf Verlangen, der Anwältin für Gleichbehandlungsfragen (Stellvertreterin) oder von Amts wegen hat die Kommission im Einzelfall zu prüfen, ob eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes vorliegt.

(2) Ist die Kommission der Auffassung, daß eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes vorliegt, so hat sie dem Arbeitgeber schriftlich einen Vorschlag zur Verwirklichung der Gleichbehandlung zu übermitteln und ihn aufzufordern, die Diskriminierung zu beenden.

(3) Kommt der Arbeitgeber diesem Auftrag innerhalb eines Monats nicht nach, so kann jede der in § 3 Abs 3 Z 1 bis 4 genannten Interessenvertretungen beim zuständigen Arbeitsgericht auf Feststellung der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes (§2) klagen; die Frist verlängert sich im Falle der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes gemäß § 2 Abs 1 Z 2 bis zum Ende des Entgeltzahlungszeitraumes, wenn dieser länger als einen Monat dauert. Der Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist sowie kollektivvertraglicher Verfallfristen wird bis zum Ende des Monats nach Eintritt der Rechtskraft solcher Urteile gehemmt.

(4) ..."

(Anm.: Gemäß § 1 Abs 4 GleichbG gilt bei allen personenbezogenen Bezeichnungen (wie z.B. Arbeitnehmer, Arbeitgeber) die gewählte Form für beide Geschlechter.)

d) Die fraglichen Erledigungen können schon deshalb nicht als - bloßer (vgl. unten 2.c.) - "Vorschlag" i.S. des § 6 Abs 2 leg.cit. qualifiziert werden, weil ein derartiger Vorschlag nur gegenüber dem Arbeitgeber erstattet werden kann, die in Rede stehenden Erledigungen aber gerade nicht an den Arbeitgeber, der dem Verfahren auch nicht beigezogen war, gerichtet sind.

e) Die bekämpften Erledigungen sind vielmehr - ausgehend von der oben erwähnten Rechtsprechung, von der abzugehen kein Anlaß besteht - als Bescheide iS des Art 144 B-VG zu qualifizieren:

Zunächst intendieren die angefochtenen Erledigungen nach Erscheinungsform und Duktus, die den Beschwerdeführern (als Arbeitskollegen) angelastete sexuelle Belästigung einer Mitarbeiterin mit normativer Wirkung festzustellen. Darauf deutet die Bezeichnung als "Beschluß", ferner die sprachliche Fassung der oben wiedergegebenen, einem Spruch gleichkommenden Feststellung der Belästigung, weiters die den Eindruck eines förmlichen Beweisverfahrens (Beweisaufnahme und Beweiswürdigung) vermittelnde Begründung und nicht zuletzt der Hinweis auf die (vermeintlichen) Rechtsfolgen hin, welche nach Auffassung der GBK offenbar die Folge dieser Feststellung sein sollen. Aus all dem ergibt sich, daß die GBK auch den Willen hatte, einen individuell-konkreten Verwaltungsakt nach der Art eines Bescheides zu erlassen.

Ungeachtet dessen, daß Feststellungsbescheide, im besonderen Bescheide, deren Gegenstand die Feststellung rechtserheblicher Tatsachen ist, nur (sehr) eingeschränkt zulässig sind (s. z.B. VfSlg. 6050/1969; vgl. auch Zl. 84/04/0072), würde das Fehlen einer entsprechenden Ermächtigung allenfalls zur Fehlerhaftigkeit, nicht aber zur absoluten Nichtigkeit eines solchen Bescheides führen.

Mag eine Behörde bei Erlassung eines Verwaltungsaktes auch zu Unrecht ihre Befugnis zu hoheitlichem Handeln im allgemeinen bzw. zur Erlassung eines Feststellungsbescheides im besonderen angenommen haben, so kann dieses rechtswidrige Verhalten nicht die Qualifikation des Verwaltungsaktes als Hoheitsakt, im vorliegenden Fall als Bescheid, verhindern. Dieser vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur vertretene Rechtsgedanke muß aus dem in den Art 139 und 144 B-VG umschriebenen Rechtsschutzauftrag des Verfassungsgerichtshofes abgeleitet werden: Solche, ohne gesetzliche Ermächtigung erlassene Hoheitsakte (Verordnungen, Bescheide) sind nicht nichtig, sondern vom Verfassungsgerichtshof gemäß den Art 139 und 144 B-VG zu beheben (vgl. VfSlg. 12574/1990 mwH).

f) Zusammenfassend folgt aus dem Gesagten, daß die bekämpften Erledigungen inhaltlich Bescheide iS des Art 144 B-VG sind, also taugliche Anfechtungssubstrate darstellen.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Beschwerden zulässig.

2. Sie sind auch berechtigt:

a) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird u.a. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr vom Gesetz nicht eingeräumte Zuständigkeit in Anspruch nimmt (vgl. z.B. VfSlg. 12172/1989, 12710/1991, 13381/1993, 13656/1993; ).

Ein derartiger Vorwurf ist der GBK in den vorliegenden Fällen zu machen:

b) Die angefochtenen Bescheide stützen sich offenbar auf § 6 Abs 1 GleichbG (Text s.o. II.1.c). (Eine andere Rechtsnorm kommt von vornherein als Grundlage der Bescheide nicht in Betracht.)

c) Das Gleichbehandlungsgesetz erfaßt seinem § 2 Abs 1a und 1b zufolge nur solche (als Diskriminierungen aufgrund des Geschlechtes qualifizierte) sexuelle Belästigungen, die vom Arbeitgeber (von der Arbeitgeberin) ausgehen, sowie Fälle, in denen solche Belästigungen durch Dritte erfolgen und der Arbeitgeber (die Arbeitgeberin) es schuldhaft unterläßt, eine - arbeitsrechtlich mögliche - angemessene Abhilfe zu schaffen. Stellt die GBK - nach Durchführung der gem. § 6 Abs 1 leg. cit. gebotenen Ermittlungen - eine durch eine derartige Belästigung erfolgte Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes fest, so hat sie dem Arbeitgeber (der Arbeitgeberin) gem. § 6 Abs 2 leg. cit. schriftlich einen Vorschlag zur Verwirklichung der Gleichbehandlung (fallbezogen: zur Vermeidung solcher Belästigungen) zu übermitteln und ihn (sie) aufzufordern, die Diskriminierung zu beenden. Diese Vorschläge und Aufforderungen sind nicht in Bescheidform zu erlassen (vgl. VfSlg. 13695/1994 und 13699/1994).

Umso weniger kommt der GBK eine Kompetenz zu, außerhalb dieses, auf das rechtliche Verhältnis zwischen belästigter Arbeitnehmerin (belästigtem Arbeitnehmer) und Arbeitgeber(in) ausgerichteten Aufgabenbereiches, eine bescheidmäßige Feststellung darüber zu treffen, daß eine Arbeitnehmerin (ein Arbeitnehmer) von bestimmten anderen Arbeitnehmern (Arbeitnehmerinnen) desselben Arbeitgebers (derselben Arbeitgeberin) sexuell belästigt wurde. Eine solche Zuständigkeit kann auch aus der allgemeinen Umschreibung der Aufgaben der GBK in § 4 GleichbG nicht abgeleitet werden.

d) Wenn die GBK in den vorliegenden Fällen dennoch eine - wie oben zu II.1. dargetan - in Bescheidform gekleidete Tatsachenfeststellung traf, hat sie eine ihr vom Gesetz nicht eingeräumte Zuständigkeit in Anspruch genommen (vgl. VfSlg. 6050/1969).

Damit hat die GBK die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Die bekämpften Bescheide waren infolgedessen aufzuheben.

3. Der Kostenzuspruch gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von S 6.000,-- (B2903/95 und B3662/95) und S 3.000,-- (B2934/95) enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Wien, am

Der Präsident:

Dr. A d a m o v i c h

Schriftführerin:

Dr. P ö s c h lin den Beschwerdesachen 1. des H W , vertreten durch Rechtsanwalt

Dr. R S , gegen