OGH vom 08.09.1994, 15Os92/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ferdinand S***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom , GZ 6 U 775/92-17, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr.Strasser, und des Angeklagten, jedoch in Abwesenheit des Verteidigers zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom , GZ 6 U 775/92-17, mit welchem Ferdinand S***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 42 StGB.
Dieses Urteil (und alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen) werden aufgehoben; gemäß § 292 letzter Satz StPO iVm § 288 Abs 2 Z 3 StPO wird in der Sache selbst erkannt:
Ferdinand S***** wird von dem gegen ihn gestellten Strafantrag, er habe am als Lenker des PKW mit dem behördlichen Kennzeichen BG-3734, auf der A 2 Richtung Wien fahrend, unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr erforderlichen Aufmerksamkeit und Vorsicht, insbesondere dadurch, daß er einen zu geringen Sicherheitsabstand zu dem vor ihm fahrenden PKW mit behördlichem Kennzeichen N 53.632, gelenkt von Johann H*****, hielt, wodurch es geschehen konnte, daß Ferdinand S***** nach einem Bremsmanöver des Johann H***** auf dessen PKW auffuhr, sodaß dessen Beifahrerin Margarete H***** eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitt, Margarete H***** fahrlässig am Körper verletzt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem (in gekürzter Form ausgefertigten) Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom , GZ 6 U 775/92-17, wurde Ferdinand S***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Nach der Aktenlage ereignete sich dieser von Ferdinand S***** verursachte Verkehrsunfall in Ausübung seines Dienstes als Gendarmeriebeamter des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich während einer ihm aufgetragenen Einsatzfahrt, bei der Blaulicht und Folgetonhorn eingeschaltet waren. Die dem Grade nach leichte Verletzung des Unfallopfers Margarete H***** hatte eine einwöchige Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge. Die Versicherung*****, Versicherungsaktiengesellschaft, als Haftpflichtversicherer des unfallsbeteiligten Dienstfahrzeuges überwies laut Bestätigung vom am - also vor dem Urteil des Bezirksgerichtes - "an die Gegenseite" 30.618,-- S zur Abgeltung der Reparaturkosten, am 23.200,-- S als Schmerzengeld sowie am 4.045,86 S an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse.
Dieser Schuldspruch des Ferdinand S***** verletzt zufolge Nichtannahme des Strafausschließungsgrundes der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat das Gesetz in der Bestimmung des § 42 StGB.
Von den für die Anwendung des § 42 StGB geforderten Voraussetzungen bedarf im Hinblick auf die im § 88 Abs 1 StGB normierten Strafdrohung (Freiheitsstrafe bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe) und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung die Tatfolgen bereits vollständig ausgeglichen waren (vgl 14 Os 89/89 = EvBl 1989/189), was das Bezirksgericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht als Umstand, der der Sachlage nach indiziert war, zu erheben gehabt hätte, nach Lage des Falles aber auch eine Bestrafung des Ferdinand S***** weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Erwägungen geboten war, allein die Frage des Grades der Schuld einer näheren Prüfung:
Geringe Schuld im Sinn des § 42 Z 1 StGB setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, daß das Gewicht der Einzeltat hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt erheblich zurückbleibt; die Schuld des Täters muß absolut und im Vergleich zu den typischen Fällen der jeweiligen Deliktsverwirklichung geringfügig sein (Leukauf-Steininger Komm3 § 42 StGB RN 14). Dem entspricht im Rahmen fahrlässigen Täterverhaltens nach § 88 Abs 1 StGB ein Sorgfaltsverstoß, dessen Gewicht im Vergleich zu den Durchschnittsfällen einer Deliktsverwirklichung nach dieser Gesetzesstelle deutlich abfällt. Die persönliche Vorwerfbarkeit eines fahrlässigen Verhaltens und damit der Grad des Verschuldens des Täters ist u.a. von der Erkennbarkeit der Gefahr eines Schadenseintrittes abhängig. Je wahrscheinlicher die Rechtsgutverletzung wird, umso schwerer wiegt die Schuld. Dem erkennbaren Gefährlichkeitsgrad des Verhaltens kommt sohin maßgebliche Bedeutung zu (14 Os 89/89).
Im vorliegenden Fall wird dem Verurteilten nur die Einhaltung eines zu geringen Sicherheitsabstandes (§ 18 Abs 1 StVO) als schuldspruchtragender Faktor zur Last gelegt. Die Wahrscheinlichkeit der aus diesem Sorgfaltsverstoß resultierenden Risikoverwirklichung war jedoch nach Lage des Falles im Vergleich zu anderen vergleichbaren Verkehrssituationen, in denen ein zu geringer Sicherheitsabstand zu einem Unfall führt, deshalb wesentlich geringer, weil alle Straßenbenützer gemäß § 26 Abs 5 StVO verpflichtet sind, einem herannahenden Einsatzfahrzeug Platz zu machen. Der auf einer Einsatzfahrt im Sinne des § 26 Abs 1 StVO befindliche Verurteilte durfte sohin grundsätzlich davon ausgehen (§ 3 StVO), daß auch der unmittelbar vor dem Unfallgeschehen vor ihm fahrenden PKW-Lenker seine Annäherung wahrnehmen und in Beachtung der Vorschrift des § 26 Abs 5 StVO seine Vorbeifahrt ermöglichen werde. Dieser erheblich schuldmindernde Umstand läßt aber eine Wertung des dem Verurteilten angelasteten Sorgfaltsverstoßes im Sinne einer geringen Schuld (§ 42 Z 1 StGB) zu.
In Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO zu Recht erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war sohin die Gesetzesverletzung festzustellen und sofort in der Sache selbst zu erkennen, zumal eine Änderung der Entscheidungsgrundlagen, wie sie sich nunmehr dem Obersten Gerichtshof, insbesondere in Ansehung der schon vor dem Urteil des Bezirksgerichtes erfolgten Schadensgutmachung, darstellen, mit Fug weder nach einem Vorgang nach § 595 Geo noch einer Verfahrenserneuerung in erster Instanz zu erwarten ist.